Aus der Bibel, besonders dem alten Testament, haben Dichter
im christlichen Raum viele Strukturen, Allegorien und Metaphern übernommen,
aktualisiert, verfremdet und so für sich nutzbar gemacht.
Bei religiösen Dichtern ist das offensichtlicher, als bei Dichtern, deren Religiosität
in ihren Texten nicht so offen zu Tage tritt.
Da die Bibel neben ihrer überragenden Bedeutung für das
religiöse Geistesleben des christlichen Abendlandes auch einen reichen Schatz
an Mythen und archaischen Bildern darstellt, ist ohne ihre Kenntnis moderne
Lyrik häufig kaum verständlich. Für die Mythen ist besonders die Offenbarung
des Johannes zu nennen und für die Liebeslyrik das Hohelied Salomos.
Eines der ersten Liebesgedichte überhaupt stellt das
"Hohe Lied" dar. Das "sir hassirim" wird von der Septuaginta und der Vulgata
mit "canticum canticorum" (Lied der Lieder) wiedergegeben. Es ist mit seinen
acht Kapiteln nicht gerade umfangreich, hat aber wegen des Inhaltes immer großes
Interesse gefunden. Diese Liebeslyrik, bestehend aus Einzelliedern, geht wohl
auf einen einzigen Autor zurück. Aufgrund der Sprache und des Stils geht die
Forschung davon aus, daß es wahrscheinlich im Zeitraum von 400 bis 200 v. Chr.
entstanden ist.
Die Ergänzung der Überschrift "von Salomo" ist wahrscheinlich
jüngeren Datums und hat wohl nichts mit dem Verfasser zu tun obwohl der Bräutigam
in Kapitel drei als "König Salomo" bezeichnet wird.
Da diese Lyrik so offensichtlich Liebeslyrik ist, wurde
in der christlichen Interpretationstradition die allegorische oder die typologische
Deutung bevorzugt, die den Text auf Gott, Christus - Kirche; Gott - Seele oder
Christus - Maria bezieht und so die offensichtlich erotischen Komponenten negiert.
Auch die Offenbarung des Johannes, das letzte Buch des
Neuen Testaments, wurde und wird von der Kirche mit Zurückhaltung betrachtet.
Mit seinen apokalyptischen Bildern (griech. apokálypsis: Offenbarung, Enthüllung),
dem deterministischen Ansatz, dem Rachegedanken und der Erwartung eines "Tausendjährigen
(irdischen) Reiches", ist die Offenbarung nur schlecht in den Rahmen des Neuen
Testaments einzupassen.
Doch gerade diese Abweichungen haben nicht nur für religiöse
Randgruppen diesen Text so wichtig werden lassen. Als eine Lehre von den "letzten
Dingen" (Eschatologie) bietet sie viele Mythen der Vergangenheit auf, die häufig
in literarischen Texten Verwendung fanden. Die Offenbarung als "Mahn- und Trostbuch"
für die sieben Gemeinden, an die die Sendschreiben in (2 und 3) adressiert sind,
zu verengen, wird dem Text nicht gerecht. Der Autor hatte viele Kentnisse, die
heute verschüttet sind oder von vielen einfach nicht mehr wahrgenommen werden.
Wenn Johannes zum Beispiel von den vier Engeln spricht, die an den vier Ecken
der Erde stehen (7,1) , dann hat er keine 'eckige' Erde im Sinn, sondern bedient
sich eines alten wissenschaftlichen Vokabulars, das für uns heute 'nur' noch
als Mythos (oder ganz einfach als falsch) angesehen wird.
Dieses Verdrängen und Vergessen kann nicht immer als
bewußte Allegorisierung und Typologisierung angesehen werden. Wie das Hohe Lied
wurde auch versucht, die Offenbarung in christliche Glaubensstrukturen einzupassen.
Das Vergessen der Hintergründe, der Verlust des antiken Wissens (besonders befördert
durch die 'Kanonisierung' der aristotelischen Lehren), machte die Allegorisierung
notwendig, um überhaupt noch einen durchgängigen Sinn in den Texten finden zu
können. Mit den vier 'Schriftsinnen' konnte der mystisch-allegorische Sinn alle
weitergehenden Fragen abweisen.
Aber schon Luther versuchte diese 'vier Schriftsinne' zu überwinden, sich auf
den 'einfachen', den literarischen Sinn zu 'beschränken' und wurde so zu einem
Wegbereiter der historisch - kritischen Methode:
"Aber ich weiß, daß es ein lauter Dreck ist. Nu hab ichs fahren lassen, und ist meine beste und erste Kunst, tradere scripturam simplici sensu; denn literalis sensus der thuts, da ist Leben, da ist Kraft, Lehre und Kunst innen; in dem andern, da ist nur Narrenwerk, wiewol es hoch gleißet."
(WA 5,5285).
Zur schnellen Orientierung sind die Texte als "Online-Versionen" vorhanden. Für die Volltextsuche, habe ich die Texte auch zum Download bereitgestellt.
Die Texte zum Kopieren
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Die Offenbarung des Johannes.
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Das Hohe Lied Salomos.
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Stand: Früjahr 2001 © GaMa's Kulturtasche
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