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  Armer Schmock - der Jude in G. Freytags 'Journalisten'
Jürgen Matoni in: Gustav Freytag Blätter Nr. 48 (1990), S. 28 - 38.

Der 'berühmteste' Jude in Freytags Werken ist ohne Zweifel Veitel Itzig aus 'Soll und Haben'. Er hat vielen Interpreten immer wieder dazu gedient, Freytag des Antisemitismus zu bezichtigen - meist mit nicht sehr fundierten Argumenten, doch mit Erfolg. Wie 'Soll und Haben' Freytags berühmtester Roman ist, so sind 'Die Journalisten' Freytags berühmtestes Theaterstück, und auch in diesem gibt es eine jüdische Gestalt, den Journalisten Schmock. Im Gegensatz zum Roman 'Soll und Haben', der unangefochten als das Werk des gebildeten Bürgertums gelten kann und ohne Widerstand das Publikum eroberte, haben die 'Journalisten' nicht überall sofort die Bühnen erobert. Gerade wegen ihrer liberalen Haltung wurden sie z. B. in Berlin nicht aufgeführt und vom Intendanten v. Hülsen abgelehnt: 

Herrn Dr. Gustav Freytag, Leipzig.
Ew. Wohlgeboren
Beehre ich mich, die mir mittelst gef. Schreibens vom 2. November zugegangenen Buchexemplare der Journalisten mit meinem ergebensten Dank für dessen (!) Mitteilung zurückzusenden, da ich mich für die Darstellung auf der Königlichen Bühne nicht aussprechen kann.
Mit vollster Hochachtung
Hülsen(1)

v. Hülsen hat fünf Jahre später (1857) Abbitte geleistet und die Journalisten doch noch auf das Königliche Schauspiel gebracht.(2) Im Gegensatz dazu, mußte Heinrich Laube(3) in Wien eine "kleine Hinterlist anwenden" um ihre Aufführung zu erreichen: 

Er [Heinrich Laube, JM] las seinem Chef die Szene vor, in der Schmock charakterisiert wird, bekanntlich nicht schmeichelhaft für den Journalistenstand. Das half.(4)

Es ist also der Figur des Schmock zu verdanken, daß Freytags Werk mit großem Erfolg in Wien aufgeführt werden konnte.

Nun wirft diese 'Hinterlist' Laubes ein bezeichnendes Licht auf die Bewertung des Schmock. Für den Hof in Wien galt er als 'nicht schmeichelhaft für den Journalistenstand', und gerade aus diesem Grunde hat man die 'Journalisten' akzeptiert. So wird er auch oft von anderen Interpreten gesehen und ist als Typ des rückgratlosen Schreiberlings in viele Theaterstücke übernommen worden.(5) 

Ich habe [...] gelernt, in allen Richtungen zu schreiben. Ich habe geschrieben links und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung.(6)

Mit diesem 'Bekenntnis' wurde Schmock zum Vorbild des 'gesinnungslosen' Schreibers, der ohne moralischen Anspruch alles für jeden schreibt, der zahlt.(7)

Anders als Veitel Itzig aus 'Soll und Haben' wird er nicht so stark als Beleg für Freytags angeblichen Antisemitismus gesehen - was aber doch oft auch die Diskussion um diese Figur belastet(8) - aber er ist immer wieder als Negativfigur gesehen worden, besonders in Hinblick auf die Figur des Bolz, der für viele Interpreten das genaue Gegenteil von Schmock darstellt. 

Schmock ist der Journalist des Coriolan, der konservativen Zeitung, die gegen die Union, eine liberale Zeitung mit unlauteren Mitteln zu Felde zieht, um Oberst v. Berg das Mandat als Abgeordnetem zu sichern.(9) Doch ist er ein Getriebener, getrieben und gedemütigt von Blumenberg dem Redakteur des Coriolan, der in Schmock höchstens einen nützlichen Idioten sieht. "Er ist ein ordinärer Mensch, aber er ist brauchbar."(10)

Welche Rolle Schmock in den Journalisten spielt ist in den meisten Untersuchungen bisher eher nebenbei behandelt worden.(11) Die Frage nach den Hauptpersonen des Stückes wurde weitgefächert beantwortet, jedoch Schmock taucht nicht dabei auf. Wenn wir versuchen die Gestalt des Schmock zu charakterisieren, müssen wir berücksichtigen, daß Freytag seine 'Nebenpersonen' nur mit wenigen, charakteristischen Strichen zeichnete, den Rest mußten die anderen Personen seine Stücke erledigen. 

Obwohl er in der Gestalt des jüdischen Journalisten Schmock das komische, menschlich gewinnende Porträt eines völlig unparteiischen, für und in alle Richtungen schreibenden Virtuosen der Zeitgeschichte entwirft, läßt Freytag keinen Zweifel daran, wem seine Sympathien in der Zeit des beginnenden Parteienwesens gehören. Bolz -... (13)

In einer Rezension zu einer Aufführung der Journalisten im Jahre 1884, beklagte Otto Brahm die Eigenmächtigkeiten der Schauspieler in bezug auf die Textgestalt und, "wie wenig die Darsteller davor scheuten, Änderungen und Zutaten vorzunehmen."(14) Besonders dem Darsteller Schmocks (Engel) wirft er vor, 'den Schmock in eine niedrigere Region versetzt' zu haben, 'als der Autor gemeint hat'.(15) Doch schwerwiegender als diese schauspielerische 'Auffassung' der Darbietung sind für Brahm die textlichen Änderungen: 

Wenn der arme Schmock, in herzlicher Rührung über die Wohltaten des Oberst, ganz Dankbarkeit und Respekt das Zimmer verläßt und Adelheid ihm noch ein Frühstück aufzutragen befiehlt, wendet sich Engels in einer eigenen Erfindung zu dem Diener und fragt gierig: Haben Sie wieder Lachs? Wie stimmungslos, wie plump!(16)

Dagegen beklagt Berthold Auerbach die Zeichnung des Schmock bei Freytag: 

Aus Uebermut und um der leichten dramatischen Typisierung willen, macht er indes aus dem jüdischen Litteraten Schmock eine komische Schnitzelei, die gerade der Thatsache gegenüber, daß viele Juden tapfer und treu in der Journalistik wirkten, nicht anders als tendenziös zu nennen ist.(17)

Der eine, Otto Brahm, beklagt die Eigenmächtigkeit der Schauspieler, die Freytags Schmock 'in eine niedere Region versetzt haben', der andere, Auerbach beklagt, daß Freytag gegen die 'wirklichen' jüdischen Journalisten mit seinem Schmock unrecht gehandelt hat.

Es ist also zu fragen, wie die Gestalt des Schmock zu ihren widersprüchlichen Interpretationen gekommen ist, und warum kaum einer der Interpreten der 'Journalisten' ihn in die Reihe der Hauptpersonen aufnimmt, obwohl gerade Schmock eine Schlüsselfigur des Schauspiels ist.(18) Horst Kreyßig verweist in seinem Nachwort zu den 'Journalisten'(19) auf eine Stelle in Freytags 'Technik des Dramas', die eine Lösung für dieses Problem bieten kann. Er zitiert die Stelle aus der Technik, in der Freytag auf die Charakterisierung der Haupt- und Nebenfiguren im Drama eingeht, wobei Freytag auf das Problem verweist, daß die 'Züge', die ein Dichter seinen Hauptpersonen geben kann, nur gering sind, 

[...] vollends bei den Nebenfiguren müssen vielleicht zwei, drei Andeutungen, wenige Worte den Schein eines selbständigen höchst eigenthümlichen Lebens hervorbringen.(20)

'Nebenfiguren' werden also nur mit wenigen Andeutungen gezeichnet. Diese müssen ausreichen sie zu charakterisieren, ihnen Leben zu verleihen. Dabei kommt natürlich dem Leser oder dem Zuschauer eine wichtige Rolle zu. Er muß ergänzen, muß sich selbst den 'Rest' hinzuerfinden, sich die Figur in ihrer ganzen Lebendigkeit selbst vorstellen. 

Wie ist das möglich? Deshalb, weil der Dichter das Geheimnis versteht, durch seine Arbeit den nachschaffenden Sinn der Hörer anzuregen. Denn auch das Verstehen und Genießen eines Charakters wird nur dadurch erreicht, daß die Selbstthätigkeit des empfangenden Zuschauers dem Schaffenden hilfreich und kräftig entgegenkommt.(21)

Die Einstellung und Haltung des 'Empfangenden' ist Freytag zufolge ein wichtiger Teil der Charakterisierung. Trotzdem können damit die disparaten Interpretationen nicht erschöpfend erklärt werden, besonders dann nicht, wenn man sieht, daß der Anteil, den Schmock an der Handlung hat, ihn nicht zu einer wirklichen 'Nebenfigur', wie z. B. Frau Piepenbrink macht.(22) Schmock ist 'eine für den Ausgang des Stückes wichtige Person'(23), der in die Intrige gegen Oldendorf und seine 'Union' eingreift und sie scheitern läßt. Also keine 'Nebenfigur' in Freytags Sinne, sondern eine Figur, deren Wichtigkeit nicht unterschätzt werden darf.(24)

Seinen ersten Auftritt hat er als Bote für Blumenberg, dem Redakteur des Coriolan, wobei Freytag gleich zweierlei klarmacht. Erstens wird deutlich, daß Schmock von Blumenberg nur als minderes Lebewesen gesehen wird, und zweitens, daß sich Schmock gegen diese Behandlung wehrt. 

Blumenberg: Warum stehen Sie hier, Schmock, können Sie nicht am Tor warten?
Schmock: Ich bin gegangen, wo Sie gegangen sind. Warum soll ich nicht hier stehen? Ich kenne den Obersten so gut wie Sie.
Blumenberg: Sein Sie nicht dreist, sein Sie nicht insolent.(25)

Dieser Auftritt Schmocks könnte den Eindruck erwecken, als sei Schmock tatsächlich eine Nebenfigur und diene nur dazu, Blumenbergs Einstellung zu verdeutlichen. Wenn dazu eigens eine Person eingeführt werden müßte, wäre es zumindest unnötig gewesen, ihn als Juden zu charakterisieren. Jedoch ist Freytag nicht der Schriftsteller, bei dem irgendein Teil seiner Dichtung nur Verzierung ist. Wenn Schmock nur zur Verdeutlichung Blumenbergs eingeführt worden wäre, hätte es der Darstellung der impliziten Auflehnung Schmocks nicht bedurft. Aber der nächste Auftritt Schmocks macht klar, welche 'Aufgabe' er in der Handlung hat.

Es ist der Tag des Balls, an dem Oberst v. Berg als Kandidat vorgestellt werden soll und die noch unentschlossenen Wahlmänner, Piepenbrink an der Spitze, für v. Berg eingenommen werden sollen. Wieder wird Schmock als ungeliebtes, aber nützliches Werkzeug vorgeführt. 

Blumenberg: Was tun Sie hier? Was stehen Sie und horchen? Sie sind kein Torschreiber von der Akzise. Machen Sie, daß Sie nicht in meiner Nähe bleiben. Verteilen Sie sich in der Gesellschaft.(26)

Abgesehen von der Komik dieses Ausbruches Blumenbergs - eine einzelne Person soll sich in der Menge verteilen - wird auch klar, daß er nicht mit Schmock gesehen werden will. Auf den Hinweis Schmocks, daß er außer Blumenberg keinen Bekannten auf dem Fest hat, antwortet Blumenberg: 

Wozu brauchen Sie den Leuten zu sagen, daß ich Ihre Bekanntschaft bin? Es ist mir keine Ehre, neben Ihnen zu stehen.
Schmock: Wenn es keine Ehre ist, so ist es auch keine Schande. Ich kann auch gehen allein.(27)

Wieder das Aufbegehren des Getretenen, der Ehre auch für sich in Anspruch nimmt. Aber noch mehr wird deutlich. Schmock hat unter den Honorationen der Stadt, die hier alle versammelt sind, keine Bekannten außer Blumenberg. Er ist in dieser Gesellschaft Außenseiter. Blumenberg steht nur stellvertretend für das Establishment, das keinen Platz für Menschen wie Schmock hat. Jedoch ist die Ehre, die Schmock verteidigt gefährdet, gefährdet durch die Umstände, unter denen er leben und arbeiten muß. Das herablassende Anerbieten Blumenbergs, sich etwas zu essen geben zu lassen (mit dem Hinweis darauf, daß Blumenberg das Essen natürlich nicht bezahlt: "Das Komitee wird's bezahlen."), kann Schmock noch ablehnen. Aber sein verzweifelter Ausbruch gegen Blumenberg - natürlich nicht in Anwesenheit Blumenbergs - zeigt seine ausweglose Lage auf: 

Ich haß ihn, ich will's ihm sagen, daß ich ihn hasse und daß ich ihn verachte im Grunde meines Herzens. [...] Ich kann's ihm doch nicht sagen, denn er streicht mir dann alles in meiner Korrespondenz, die ich ihm für die Zeitung mache. Ich will sehen, ob ich's kann hinunterschlucken.

Schmock ist abhängig von Blumenberg. Er ist sich seiner Lage bewußt und sucht verzweifelt einen Ausweg. Er kann sich jedoch nicht helfen, da er sonst seine Lebensgrundlage verlieren würde. Noch mehr wird klar. Freytag steht auf der Seite Schmocks. Blumenberg hat sich spätestens an dieser Stelle als der miese Intrigant und Schreiberling gezeigt, den einige Interpreten in Schmock sehen wollen.(29) Jedoch, da Blumenberg zur Intrigantenclique des Herrn v. Senden gehört, sind seine Ausbrüche Schmock gegenüber eher geeignet, ihn positiv erscheinen zu lassen. Dies wird auch dadurch erhellt, daß Blumenberg und v. Senden gerade auch den Bürgern gegenüber die gleiche herablassende Haltung einnehmen wie Blumenberg Schmock gegenüber: 

Senden: Alles geht gut. Ein superber Geist in der Gesellschaft. Diese guten Bürger sind entzückt über unser Arrangement. - Das mit dem Fest war ein vortrefflicher Gedanke von Ihnen, Blumenberg.
Blumenberg: [...] Es kann nicht fehlen, die Leute müssen Herzen von Stein haben, wenn sie ihre Stimmen nicht geben zum Dank für ein solches Fest.(30)

Die Einstellung ist klar. Gib den Leuten ein Fest und wir bekommen ihre Stimmen für die Wahl. Daß das, gelinde gesagt, eine etwas undemokratische Ansicht ist und eine ziemlich schlechte Meinung über den Charakter der Bürger bezeugt, ist evident.

Im weiteren Verlauf des Festes kommt Bolz mit Kämpe und Bellmaus auf das Fest, um die Intrige v. Sendens und Blumenbergs zu verhindern. Schmock ist derjenige, der sie zuerst entdeckt. In dieser Szene könnte man meinen, daß Bolz die gleiche Haltung Schmock gegenüber einnimmt wie Blumenberg, doch bestimmt das Wissen um die Niederträchtigkeit des Coriolan sein Verhalten. Für Bolz ist Schmock der 'Waffenträger des Coriolan'(31), er ist sein Gegner, gehört für ihn mit zur Intrige.

So ist es nicht verwunderlich, daß Bolz ihm nicht sehr positiv gegenübertritt. Jedoch verhält er sich Schmock gegenüber nicht viel anders als gegen seine Freunde Bellmaus und Kämpe. Bolz ist der lebenslustige und witzige 'Tausendsassa'(32), der nichts ernst nimmt. Da er aber eine vollständig positive Gestalt ist, wirkt sein Verhalten nicht so herablassend. Er muß aber Schmock beschäftigen, ihn aus dem Sichtkreis entfernen, da sonst die Gefahr besteht, daß sein Eindringen frühzeitig bemerkt wird. So schickt er Schmock mit Bellmaus fort, damit dieser Schmock mit Hilfe von Punsch einige Geheimnisse 'besonders über die Wahlen' entreißen kann.

In dieser Szene spricht Schmock seine berühmten Worte, die ihn in so fataler Weise zum 'Vorbild' machten. 

Ich habe bei dem Blumenberg gelernt, in allen Richtungen zu schreiben. Ich habe geschrieben links und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung.(33)

Mit diesen Worten möchte er eine Anstellung bei der Union bekommen. "Ich möchte gern bei honetten Menschen sein, wo man seinen Verdienst hat und eine anständige Behandlung." Jedoch geht Bolz (in dieser Situation verständlich) ironisch über sein Ansinnen hinweg: 

Ich sehe, Sie haben Charakter. Sie sind zwar jetzt ein armer Teufel, aber es wird ihnen noch besser gehen in der Welt. Ihnen kann's in unserer Zeit nicht fehlen. Ihr Anerbieten ehrt uns, aber wir können es jetzt nicht annehmen.(34)

Von dieser Szene und dem berühmten Ausspruch Schmocks wird von vielen Interpreten nur ein Teil zitiert: "Ich habe geschrieben links und wieder rechts"(35). Jedoch sollte man nicht außer acht lassen, wer ihn zu diesem 'gesinnungslosen Tintenkuli' gemacht hat, wenn er denn tatsächlich einer ist. "Ich habe bei dem Blumenberg gelernt, in allen Richtungen zu schreiben", wird oft vergessen. Blumenberg hat ihn aus den schon dargelegten Gründen dazu gebracht so zu werden, wie er jetzt erscheint. Wir haben aber auch gesehen, daß Schmock sich dagegen wehrt und daß er diese Art nicht will. Deshalb sein Gesuch bei der Union, bei 'honetten Menschen' zu arbeiten. Wenn wir bei unseren Überlegungen auf die Sprache Schmocks achten, stellen wir fest, daß mit dem jüdischen Einschlag (Verben voranstellen usw.) nicht nur die Figur Schmock selbst gekennzeichnet wird, was Freytag ja bekanntlich oft zum Vorwurf gemacht wurde, sondern, daß die Haltung Schmocks gegenüber Blumenberg noch verdeutlicht wird. Nicht Herr oder einfach Blumenberg, sondern 'bei dem Blumenberg'. So wird in dieser Szene der unglückliche Mensch vorgestellt, der genau weiß, daß Blumenberg nicht 'honett' ist, aber keine Möglichkeit findet, sein Los zu ändern. Bolz scheint in dieser Szene kein Mitleid zu haben. Doch als er Korb (den Diener Adelheids) hinter Bellmaus und Schmock herschickt, um auch ihn aus dem Wege zu haben, sagt er doch: "Armer Schmock."(36) Ob es ihm nur darum zu tun ist, daß der 'arme Schmock' jetzt von zwei Leuten mit Punsch traktiert wird, kann kaum entschieden werden. Doch das Mitleid ist zu konstatieren und positiv zu werten.

Armer Schmock, er hat die undankbarste Aufgabe in diesem Spiel, wird von allen getreten und mißachtet und von vielen Interpreten geschmäht. Doch seine Stunde kommt noch. Der Punsch hat gewirkt und Schmock hat geredet: 

Bellmaus: Ich gab ihm auf den Wunsch von Bolz einige Gläser Punsch. Darauf wurde er lustig und erzählte mir von einem großen Komplott, welches zwischen Senden und dem Redakteur des Coriolan besteht. Diese beiden Herren haben nach seiner Versicherung den Plan, unsern Professor Oldendorf beim Herrn Obersten in Mißkredit zu bringen, ...(37)

Auf die Frage Adelheids nach der Zuverlässigkeit Schmocks, kann sich Bellmaus nicht so recht entscheiden: "Ich glaube, er ist ein guter Kerl, aber anständig? Nein, das ist er nicht."(38) Bellmaus kann Schmock nicht 'anständig' finden, denn er hat wenig in 'guter Gesellschaft gelebt und war bis jetzt Mitarbeiter des Coriolan'. Wer beim Coriolan arbeitet, kann natürlich für Bellmaus kein anständiger Mensch sein, er sagt aber auch, daß Schmock 'bis jetzt Mitarbeiter am Coriolan war', nicht, er ist Mitarbeiter beim Coriolan. - Es bleibt also Hoffnung für Schmock, denn er ist ja ein 'guter Kerl'.

Die Intrige ist gelaufen und hat nicht die Wirkung gehabt, die sich v. Senden und Blumenberg erhofft haben. Professor Oldendorf hat gegen Oberst v. Berg gewonnen und ist zum Abgeordneten gewählt worden. Die Versöhnung zwischen den beiden steht noch aus, so daß v. Bergs Tochter Ida Oldendorf nicht heiraten kann. 

Das ist die Stunde Schmocks. Er wird von Adelheid zu sich gerufen und im Beisein des Oberst legt Schmock die Papiere vor, die zeigen, daß v. Senden und Blumenberg den Oberst hintergangen und benutzt haben.(39) Weil der Oberst ein 'humaner' Mensch ist (der Schmock sogar ein Frühstück hat servieren lassen), will er ihm helfen: "Warum soll ich ihn hintergehen lassen von diesen Menschen."(40) Auf die Frage Adelheids, ob sie Schmock irgendwie helfen könne, findet Schmock nichts, was ihm fehlt, bis auf die Tatsache, daß er lieber aus der Literatur herauswolle und erzählt von der schlechten Behandlung und Bezahlung durch Blumenberg, so daß Oberst v. Berg nur noch fragen kann: "Ist so etwas möglich?"(41) Und dann kommt die Szene, von der Brahm ezählt,(42) und in der deutlich wird, daß Schmock ein ehrlicher und liebenswerter Mensch ist, der erst nicht glauben kann, daß man ihm das Geld für eine Existenzgründung schenken will und doch darauf besteht, sich erkenntlich zu zeigen, wenn es ihm möglich ist: 

Er schenkt mir das Geld? Es ist ein Wunder! - Wissen Sie was, Herr Oberst, wenn ich nichts mache mit dem Geld, so bleibt es geschenkt; wenn ich mir damit aufhelfe, so bring ich's Ihnen zurück. Ich hoffe, ich werde mir aufhelfen.(42)

Gustav Freytag hat in den 'Journalisten' mit Schmock die liebenswerte unterdrückte Figur eines Journalisten gezeichnet, die durch die Umstände in den Geruch der 'Unanständigkeit' gekommen ist, jedoch darum kämpft, dieser Lage zu entgehen. Die Negativfigur ist nicht Schmock, sondern Blumenberg, der Schmock unterdrückt, mißbraucht und mißachtet. Die 'positiven' Figuren erkennen dies im Verlauf des Stückes. Nur einige Interpreten unterstellen Schmock immer noch, er sei ein 'gesinnungsloser Tintenkuli', und Freytag, er hätte 'aus dem jüdischen Litteraten Schmock eine komische Schnitzelei' gemacht.


Anmerkungen:

(1) Georg Droescher, Gustav Freytags Schriftwechsel mit der Generalintendanz der Königlichen Schauspiele zu Berlin, S. 143, Deutsche Rundschau, Jg. 45, Heft 1. Oktober 1918, S. 129-146. vgl. zu den Ablehnungen der Stücke Freytags: H. H. Houben, Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart, Berlin 1924, S. 199 ff.
(2) Droescher, a.a.O., S. 144.
(3) Heinrich Laube war ab Winter 1849 in Wien "artistischer Direkter des Burgtheaters", H. Laube, Erinnerungen, II Bde., Wien 1875, Bd. II, S. 161.
(4) Houben, a. a. O. S. 202, vgl. Laube, a.a.O. S. 255 ff.
(5) "[...] die Abkömmlinge der Schmock und Bellmaus, die Abkömmlinge des Konrad Bolz vor allem begegnen uns auf den Brettern öfter als uns lieb ist." O. Brahm, Kritische Schriften, Bd. II, Literarische Persönlichkeiten aus dem neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1915, S. 53.
(6) G. Freytag, Die Journalisten, Stuttgart 1977, II, 2, S. 46 (Die Journalisten werden im folgenden mit Akt, Szene und Seite nach dieser Ausgabe zitiert)
(7) "Trotz der überzeitlichen Geltung besitzenden Gestalt des Schmock, des armen getretenen, aufwärtsstrebenden und gesinnungslosen Tintenkulis und noch recht bescheidenen Reporters [...]" Ernst Alker, Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert (1832 - 1914), Stuttgart 1969, S. 374.
(8) "Die Gestalt des jüdischen Journalisten Schmock läßt nur bedingt auf eine antisemitische Haltung Freytags schließen", schreibt Goldmann in seinem Nachwort zu der verwendeten Ausgabe der 'Journalisten' S. 116 und steht mit dieser 'bedingten' Haltung in der schlechten Tradition der Interpreten, die immer wieder einen zumindest 'latenten' Antisemitismus bei Freytag auszumachen suchen.
(9) Zur Interpretation und Darstellung der 'Journalisten' verweise ich z. B. auf die Arbeiten von Christa Barth, Gustav Freytag's "Journalisten", Versuch einer Monographie, Diss. München 1949 und Kenneth Bruce Beaton, Gustav Freytags "Die Journalisten": eine "politische" Komödie der Revolutionszeit, Zeitschrift für Deutsche Philologie Bd. 105., Heft 4., 1986, S. 516-543.
(10) I,1, S. 9.
(11)
"Aus Übermut und um der leichten dramatischen Typisierung willen, macht er [G. Freytag, JM] indes aus dem jüdischen Litteraten Schmock eine komische Schnitzelei,[...]" B. Auerbach, Dramatische Eindrücke, Stuttgart 1893, S. 34.
(12) Beaton nimmt z. B. Oberst v. Berg als Hauptfigur, a. a. O., S. 531.
(13) Kindlers Literatur-Lexikon, Spalte 5032.
(14) Brahm, Otto, Theater, Dramatiker Schauspieler, Berlin 1961, "Deutsches Theater:
'Die Journalisten' von Gustav Freytag, S. 245f, hier S. 246.
(15) Brahm, a. a. O., S. 245.
(16) Brahm, a. a. O., S. 246, (Journalisten, IV,1, S. 91).
(17) Berthold Auerbach, Dramatische Eindrücke, Stuttgart 1893, Freytags 'Journalisten', S. 33-35, hier S. 34.
(18) vgl. Beaton, a. a. O., S. 527.
(19) G. Freytag, Die Journalisten, mit einem Nachwort von Horst Kreyßig, Göttingen 1966, S. 121.
(20) Kreyßig S. 121 f, Technik des Dramas, 7. Aufl., Leipzig 1894, S. 217, Reclam-Ausgabe S. 216.
(21) Technik, S. 217 f, Reclam S. 216.
(22) Kreyßig, a. a. O., S. 122.
(23) Goldmann, a. a. O., S. 116.
(24) "Den Haupttriumph feierte Freytag mit zwei Gestalten, dem damals als modern empfundenen Bolz und dem jämmerlichen Vertreter des Journalistenelends, Schmock." Beaton, a. a. O., S. 527.
(25) I,1, S. 8.
(26) II,2, S. 44.
(27) II,2, S. 45.
(28) II,2, S. 45.
(29) vgl. z. B. N. Benckiser (Hrsg.), Zeitungsschreiber, Frankfurt 1966, S. 122: "Die sprichwörtlich gewordene Gestalt des Provinzjournalisten Schmock (nach einem in Prag geläufigen Scheltwort für einen verschrobenen, jüdischen Phantasten, das Freytag von seinem aus Prag stammenden jüdischen Kollegen Jacob Kaufmann beim 'Grenzboten' kennenlernte) hat, auch wenn sie nicht ohne bleibenden Wahrheitsgehalt ist, simplifizierende Verallgemeinerungen begünstigt. ('Ich habe geschrieben links ...)".
(30)  II,2, S. 43 f.
(31) II,2, S. 46
(32) Alker, a. a. O., S. 374.
(33) II,2, S. 46.
(34) II,2, S. 46.
(35) Goldmann, a. a. O., S. 116; Vgl. auch Beaton, a. a. O., S. 540, "[...] wobei er sich mit der bekannten Begründung empfiehlt, er habe links und rechts zu schreiben gelernt."
(36) II,2, S. 48.
(37) III,1, S. 81.
(38) III,1, S. 81.
(39) IV,1, S. 96.
(40) IV,1, S. 96.
(41) IV,1, S. 97.
(42) vgl. Anm. 16.
(43)
IV,1, S. 98.

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