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  Adelig und Bürgerlich.

An Frau v. S.

Wenn für Ihre letzten Correspondenzen, gnädige Frau, bis jetzt unser Dank ausgeblieben ist, so bitten wir Sie, uns deshalb nicht für gleichgiltig gegen das Mitgetheilte zu halten. Denn haben wir jemals eine leise Sehnsucht nach der verschwundenen Zeit graziösen Geplauders empfunden, so war es in den Stunden, wo wir Ihre Briefe erhielten. Ihre letzte Mittheilung aber hat bei uns Widerspruch gefunden. Sie werden verzeihen, wenn dieselbe unsern Leser nicht ohne Commentar gegönnt wird. Ihre Feder berichtet den Grenzboten Folgendes:

«Wenn Geschichten, um das Gepräge der Echtheit zu tragen, nicht gefunden, sondern gelebt sein müssen, so gibt es auch wieder andere, die gefunden sind und selbst leben, also ebenfalls wahr sind, sogar wenn sie nie auf der Bühne einer Außenwelt spielten. Mag daher die Anekdote, welche ich hier nacherzähle, gehören unter welche Zahl sie will, mir genügt ihr moralischen Dasein, ohne daß ich mich, wenn ich mich so ausdrücken darf, für ihr leibliches verbürge. Herr A. soll in der flüchtigen Episode seiner Ministerherrlichkeit geglaubt haben, doch auch ein Haus machen zu müssen. Er richtete sich mit Glanz ein und sah viele Leute bei sich. Was drängt sich nicht alles einer neu aufgegangenen Sonne entgegen? Wie die einbrechenden Barbaren, welche die sieche antike Welt zu verjüngen kamen, trotz aller Urspünglichkeit sich doch dem feinen Gifte attischer und römischer Bildung nicht ganz entziehen konnten und als Sieger noch Gesetze von den Überwundenen annehmen mußten, so mögen auch die neuen Eindringlinge, die Machtheber von heute, sich nicht selten von dem Zauber einer andern Vergangenheit bestricken lassen. Je mehr sich Geldaristokratie und Bürgerthum, durch Fleiß und Talent gekräftigt, über den Trümmern der gestürzten Wappenschilder ausbreiten, je leichter die Emporkömmlinge sich die materiellen Bevorzugungen der Vornehmen von sonst aneignen, desto begehrlicher blickt diese Bourgeoisie nach den geistigen, unerreichbaren Errungenschaften, nach dem unbekannten Etwas, dem Schimmer und Duft des alten Adels hin, das in einem Gemisch von Romantik und moderner Eleganz besteht, und das der Philister um so weniger verschmerzen kann, je mehr er es zu verachten scheint. Das gilt zweimal von den Frauen. - Die Gattin des Ministers erfreute sich des Erfolges ihres Salons, zu denen sich Mancher vom alten Regime drängen mochte, denn der große Haufen huldigt dem Glück. Sie (ich meine Frau A.) rühmte sich gern, wie behauptet wird, ihrer erlesenen Kreise und versicherte, «die ganze haute volaille»* versammle sich bei ihr. Die harmlose Äußerung ging rasch von Mund zu Mund und ergötzte Hof und Diplomatie. Die schwedische Gesandtin in B. sagte mit all der unerbittlichen Schroffheit, welche nur zu oft die Kaste bezeichnet, ein Wort, das, obschon spielend, tötet: «Non, je n’irai pas dans la basse cour ** de Mdme. A.» Nehmt dem Adel seine Grundrechte und Titel, nehmt ihm den Adel selbst, er wird euch doch noch lange thyrannisiren mit seinen Gewohnheiten und Launen, seiner Grazie und seinen Unarten.»

Jetzt unsere Bemerkung. Wir sind die politischen Freunde des gewesenen Ministers, welcher hier gemeint ist, wir sehen darin keinen Grund, die kleinen Wortspiele zu verschweigen, welche seine Person und Familie umschwirrten. Sie haben Recht, gnädige Frau, das Geschichtchen ist nicht übel und es kann wahr sein, auch wenn es nicht in unserer Hauptstadt entstanden sein sollte, wenigstens erinnern wir uns dunkel, es vor Jahren schon einmal gelesen zu haben. Und wenn Sie die Ansicht aussprechen, daß der Adel mit und ohne Titel noch lange Grazie und liebenswürdigen Übermuth den unruhigen, kämpfenden Bürgerlichen gegenüber geltend machen werde, so dürfen wir uns auch darüber freuen. Es ist sehr zu wünschen, daß den Deutschen in der Zeit des Blutvergießens und herben Streites schöne Form, leichte Eleganz, gebildete Genußfähigkeit und vor Allem treffender Witz und Laune nicht verloren gehen. Kann uns der «Adel» diese bis auf ruhige Zeiten bewahren, so wollen wir ihm das danken, auch wenn sein Spott hier und da uns treffen sollte. Nur ist ein kleiner Haken dabei. Die französischen Emigranten waren zuerst sehr geistreich und witzig, dann witzelten sie, und wenn Sie, gnädige Frau, jetzt in Paris aus einem legitimistischen Salon des alten Adels getreten sind, werden Sie nicht den Eindruck mitgenommen haben, in besonders geistreicher Gesellschaft gewesen zu sein. Und doch sprüht in Paris noch immer das Brillantfeuer glücklicher Einfälle, übermüthiger Scherze, aber es zündet schon seit geraumer Zeit in den Cirkeln, wo die Enkel jener Revolutionsmänner, die Söhne der alten Bourgeois sich bewegen. Das scheint eine auffallende Erscheinung, und ist doch so natürlich. Echter Witz, schöne Darstellung, reizende Form sind nichts als höhere seltene Blüthen der Volkskraft, wie frei sich auch die glücklichen Verwalter dieser Güter gegenüber der Beschränktheit kleiner Kreise des Volkslebens fühlen mögen. Nur wer fest und sicher in der Zeit und in der Kraft seiner Nation ruht, vermag sie zu bewahren; wer sich loslöst von dem Geiste, welcher ein Volk vorwärts treibt durch Kämpfe, durch Verirrungen, durch Gefahren nach einem oft verkannten Ziel, der mag so sein geformt, so fertig und adlig als möglich zu sein, er wird verknöchern. Seine Wortspiele werden zu hämischen Bemerkungen, seine gute Haltung zur Geziertheit, seine liebenswürdige Feinheit zu modernen Rococco sehr schnell hinabsinken. Und deshalb, wenn Sie die geistigen Vorrechte des Adels erhalten wollen, werden Sie dem deutschen Adel vor Allem wünschen müssen, daß er sich mit den vernünftigen Forderungen der Gegenwart befreunde und an unserem Werdeproceß mit großem Sinn und voller Kraft betheilige. Nur in diesem Fall wird er Geist und eine gesellschaftliche Überlegenheit, die er bis jetzt nicht überall im Überfluß besaß, bewahren und für friedlichere und gesicherte Zeit sein Recht, geistreich mit dem Leben zu spielen, erretten. Wir merken, daß ein sehr großer Theil unseres Adels eingesehen hat, wie jetzt nicht mehr die Zeit ist zu scherzen, sondern zu arbeiten, viele unserer besten Vorkämpfer gehören ihm an. Und so, gnädige Frau, lassen Sie uns das Ende unserer Krisis abwarten, und dann auf anderem Kampfplatz, dem glatten Parquet, erproben, ob der arbeitende Bürger oder der genießende Adel geistige Freiheit und sicheres Selbstgefühl in höherem Grade besitzen wird. Wer am besten für Vernunft und Recht gestritten hat, wir der beneidete Sieger sein.


* Haute volée.
** Heißt auch Hühnerhof.

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