Der
Politische G. Freytag Jürgen Matoni in: Gustav Freytag Blätter S. 32 - 43. Wenn wir aus heutiger Sicht Freytag betrachten, kommen wir nicht so ohne weiteres auf den Gedanken, ihn als politischen Menschen - oder sogar als Politiker selbst zu sehen. Wenn wir das aber trotzdem tun, werden wir ihn wohl zu den 'konservativen' Menschen zählen und sein Werk von Jean Améry als: "ästhetisch unbedeutend und politisch gefährlich"(1) denunziert sehen. Und wir kommen nicht umhin zugestehen zu müssen, daß unser 'Dichter' kaum mehr gelesen wird, wie es in einer Sendung zum 70. Todestag Freytags im Hessischen Rundfunk gesagt wurde:
Diese heutige Sicht verstellt uns viele Möglichkeiten, Einblicke in Handlungsweisen - und Ausblicke auf Möglichkeiten zu gewinnen. Ich möchte keine 'Ehrenrettung' versuchen, die ist meines Erachtens nicht nötig, nur eine Darstellung eines im besten Sinne liberalen Menschen, der so immens politisch war, daß er nicht Politiker sein wollte, sondern auf seinem Gebiet - als (politischer) Publizist und Schriftsteller auf Meinung und Haltung einwirken wollte - und dies mit großem Erfolg tat. Viele Wissenschaftler, besonders Lit. Wissenschaftler tun sich meist schwer mit Gustav Freytag und seiner Rolle in Literatur und Politik im 19. Jahrhundert. Nicht genug, daß die 'großen' deutschen Realisten (Fontane, Raabe, Stifter, Storm u. a.) im europäischen Konzert der realistischen Literatur nur eine untergeordnete Rolle spielen - sie fallen fast immer gegen z. B. Zola oder Dickens ab, die zur Weltliteratur gezählt werden -; Freytag macht ihnen gerade aus dem Grunde die größten Sorgen, weil er sich nicht mit den Kriterien der 'hohen' Literatur messen läßt und weil gerade er derjenige war (zusammen mit Julian Schmidt), der die Meinungsbildung im 19. Jahrhundert mitbestimmte. Mitbestimmte als Herausgeber der Grenzboten, einer der bedeutendsten Literatur- und Kulturzeitschriften des 19. Jahrhunderts und, was noch mehr irritierte und irritiert, daß seine Werke Erfolge hatten, von denen die 'großen' deutschen Realisten nur träumen konnten. Häufig behilft man sich damit, Freytag fast unter Trivialliteratur zu fassen (dann sind hohe Auflagen kein Qualitätsmerkmal mehr). Ansonsten sieht man seine Werke "als zeitgeschichtliche, nicht als poetische Dokumente"(3) - und streicht Freytag somit aus dem Kanon der Dichter, die überzeitliche Wirkung beanspruchen können. Schlimmer noch, man disqualifiziert Freytags Werk teilweise nicht nur literarisch, sondern auch politisch. Lassen wir noch einmal Jean Améry zu Worte kommen, der sagte: "Ich halte Freytags Buch [er meint damit Soll und Haben JM] für eine literarische Mißgestalt und eine politische Niederträchtigkeit."(4) Abgesehen von der negativen Einstellung Amérys und anderer, wird jedoch deutlich, daß Freytags Werk nicht nur unter literarischen Gesichtspunkten gesehen wird sondern eben auch unter politischen. Von den heutigen Kritikern jedoch fast ausnahmslos unter negativen Vorzeichen. Das läßt sich mit vielen Vorwürfen Freytag gegenüber erklären. Da ist zum einen sein vorgeblicher Rassismus, zum anderen sein Nationalismus. Gegen Freytags Rassismus sprechen u. a. die vielen Übersetzungen seiner Werke, die zu seiner Zeit im Ausland genauso positiv aufgenommen und gelesen wurden, wie in Deutschland (Auch in Russland erschien eine Ausgabe von Soll und Haben.)(5) Gustav Freytag war kein Demokrat in heutigem Sinne. Er faßte Politik als Pädagogik und Pädagogik als umfassende Einwirkung auf Menschen auf, die geleitet und gebildet werden müssen. Seine Stoßrichtung war für das Bürgertum und gegen den Adel:
Er glaubte, daß das Bildungsbürgertum berufen sei, die Führung im Staate zu erlangen und auszuüben. Die 'kleinen' Leute sah er nicht als urteilsfähig und gebildet genug an, um an Wahlen und allgemein an verantwortlicher Stelle im Staate mitzusprechen. Als er sich zur Wahl für den Reichstag(7) aufstellen ließ, schrieb er in diesem Sinne an seinen Freund den Herzog von Coburg:
Um gewählt zu werden, mußte Freytag erst einen Wahlkampf bestehen. Und etwas widerwillig stellte er sich in seinem Wahlkreis Erfurt dem gemeinen Volk, seinen Wählern, die er auch einmal als 'gute Kerlchen' apostrophierte und wurde dann mit großer Mehrheit gewählt.(9) Über diesen Wahlkampf schreibt er an den Herzog von Coburg:
Sein öffentlicher Auftritt als Politiker war nur von kurzer Dauer. Am 21. März 1867 versuchte er in der Debatte um die Bundesgestzgebung für das Miltär- und Marinewesen eine Rede zu halten.(11) Doch da er in diesem Zusammenhang über eine Petition Leipziger Studenten reden wollte - was nicht auf der Tagesordnung stand - wurde ihm das Wort entzogen.(12) Was im Bewußtsein der Zeitgenossen über diese Zeit im Reichstag überblieb, war eine Karikatur, die ihn zusammen mit seinem Sitznachbarn dem "König der Millionäre"(13) Bankier Rothschild zeigte mit der Unterschrift: "Soll und Haben". So war ihm denn auch die praktische Politik, "Die großen Geschäfte", wie er es nannte, verleidet und er schreibt an einen Freund: "Ich freue mich, daß ich von hier fortkomme." Und am 25.07. 1867 an den General von Stosch:
Dies war nur sein kleines Intermezzo in der großen Politik. Vorher war Freytag bis zu seiner Zeit als Privatdozent an der Universtät in Breslau kaum als politischer Mensch in Erscheinung getreten, nur mit Literatur und etwas Lyrik, die er später dann doch nicht mehr so gern sah - und z. B. mit seiner Eitelkeit, bei Vorlesungen mit weißen Handschuhen(16) aufzutreten. Erst der Ekklat um Hoffmann von Fallersleben läßt Freytag halb - öffentlich Stellung beziehen. Als Fallersleben wegen seiner 'Unpolitischen Lieder', die alles andere als unpolitisch waren, aus dem Universitätsdienst entlassen wurde, sprach gerade Freytag in einer Vorlesung über diese Lieder. Hoffmann von Fallersleben schreibt dazu:
Wie später seine Karriere als Politiker, war auch seine Universitätslaufbahn nur von kurzer Dauer. Als er eine Vorlesung über Kulturgeschichte halten wollte - also zu dieser Zeit in fremden Gefilden wildern wollte -, verbot man ihm dies und er schrieb rückblickend:
Man muß dabei berücksichtigen, daß die Universitäten immens politisch waren. Es war noch nicht so lange her, daß der erste Lehrstuhl nur für Deutsch 1810 an der Universität Berlin eingerichtet wurde.(19) Die Brüder Grimm gehörten zu den Professoren die in Göttingen mit anderen als die "Göttinger Sieben" von der Universtät verwiesen wurden, da sie sich gegen ihren Landesherren stellten und sich 1837 nicht mit der Abschaffung der Hannoverschen Verfassung einverstanden erklärten. Wie Lachmann und Fallersleben forschten die Grimms über deutsche Sprache und Kultur und definierten den Nationalstaat als Vereinigung der Menschen gleicher Sprache und Kultur(20) - nicht getragen von Fürsten und der Kirche, die ihn als ihren Besitz betrachteten -, was sie natürlich in Gegensatz zu Staat und Kirche brachte. Er gab also seine Universätslaufbahn auf und wurde erfolgreicher freier Schriftsteller und mit seiner Zeitschrift den Grenzboten erfolgreicher Journalist. Zu dieser Zeit war es nicht einfach eine Zeitung oder Zeitschrift zu machen. Mit einem Beine war man, wenn man es ernst meinte, immer im Gefängnis, denn die Zensurbehörden verfolgeten jeden gnadenlos, der sich nicht an die Vorgaben hielt, der nicht 'regimetreu' war. Das war Freytag natürlich in keinster Weise. Seine Zeitschrift, eine Kulturzeitschrift mit starkem politischen Anspruch, profilierte sich als absoluter Gegner der rigiden Politik Preußens und späterhin auch auch der Politik Bismarcks. Und das rief natürlich einen Herrn namens Hinkeldey auf den Plan. Dieser war der Chef der politischen Polizei Berlins. Um der Zensur und den Verboten der Berichtstattung aus dem preußischen Landtag zu entgehen gründeten seine liberalen Freunde in ihrem literarisch - politischen Verein und mit Hilfe des Herzogs von Coburg eine autographierte Correspondenz. Diese sollte, wie ihr Vorbild der 'lithographischen Correspondenz' aus London, von der fast alle größeren deutschen Zeitungen ihre Nachrichten über England empfingen, das gleiche für Deutschland leisten. Natürlich wußte jeder, daß diese Nachrichten auf Widerstand der Behörden stoßen würde. Deshalb erschien sie nicht offiziell, sondern anonym. Freytag schreibt an seine Freund den Herzog:
Dieses Unternehmen war bei der sächsischen Regierung angemeldet - und diese hatte nichts dagegen, denn es ging nur um preußische Belange. Doch da Freytag preußischer Untertan war, war es für ihn doch gefährlich. In Berlin sah man die Korrespondeenz überhaupt nicht gerne und Berichterstattung aus dem Landtag war verboten. Seiler, ein Biograph Freytags, schreibt dazu:
Die Emittlungen der politischen Polizei unter Hinkeldey ergaben, daß nur Freytag wußte, wer den Artikel geschrieben hatte. Doch Freytag weigerte sich, diesen zu verraten. Eher nebenbei - Freytag hatte noch nicht das Gefühl, daß ihm Gefahr drohe - schreibt er am 4. Juni 1954 an Salomon Hirzel:
Da Freytag sich weigerte, seine Korrespondenten zu verraten, und die 'Autographierte Korrespndenz' weiterhin Unliebsames veröffentlichte, wurde durch Hinkeldey ein geheimer Haftbefehl gegen Freytag erlassen, der so geheim nicht gewesen sein konnte, denn Freytag zitiert aus ihm:
Das war eine ziemlich unangenehme Sache, denn Freytag konnte sich nicht mehr auf preußischen Boden wagen, ohne Gefahr zu laufen, verhaftet zu werden. Er, der sich selbst einmal als "kleiner Reaktionär"(27) bezeichnete, wurde von den richtigen Reaktionären ernsthaft verfolgt. Nicht einmal von Siebleben - wo er im Sommer wohnte - nach Leipzig traute er sich, da er nicht wußte ob er nicht vom König von Sachsen in Leipzig an die Preußen ausgeliefert wurde. Er fühlte sich "bereits sehr unheimlich"(28), da alle Versuche das Problem zu lösen oder irgendetwas Definitives zu erfahren gescheitert waren. Auch eine persönliche Bitte an Hinkeldey auf Niederschlagung des 'schwebenden Verfahrens' war ablehnend beantwortet worden. Das einzige, was ein ungenannter Freund ihm sagen konnte, war, wie Freytag an Hirzel schreibt:
Er, der sich ganz als Preuße fühlte, wurde von Preußen verfolgt. Das für seine journalistische, politische Arbeit im Dienste der Pressefreiheit, die er mit Bürgerfreiheit gleichsetzte. Von dem Preußen, das er verabscheute, nicht von dem Preußen, das er sich vorstellte, das die Führung in Deutschland übernehmen sollte, das für Freytag die Kulturnation war. Was blieb ihm über? Er mußte Gothaischer Staatsbürger werden, um vor der Verfolgung Preußens sicher zu sein, seine preußische Staatsangehörigkeit, auf die er so stolz war, ablegen. Schlimmer noch, er mußte seinen Freund, den Herzog von Sachsen Coburg Gotha Ernst II. bitten, ihn in seine Dienste zu nehmen, um das zu erreichen. Er, der so stolz auf seine bürgerliche Unabhängigkeit war, der sich bis an sein Lebensende weigerte, geadelt zu werden in die Dienste eines Adeligen, eines Herzogs treten. Er schreibt an Hirzel:
Freytag mußte nicht Büchsenspanner zu werden. Herzog Ernst machte ihn zu seinem Vorleser und damit zum Hofrat und Gothaischen Staatsbürger, was ihn vor der Verfolgung der preußischen Behörden befreite. Seine weitere Laufbahn ist ohne solche Probleme geblieben. Er wurde Reichstagsabsgeordneter, arbeitete weiterhin an der Demokratiesierung Preußens, blieb ein Gegner Bismarcks, obwohl er dessen politische und militärische Erfolge anerkannte, sie aber immer kritisch begleitete, bekam viele Orden und Ehrungen, hat sich aber nie - auch nicht durch solche Ehrungen - von seiner bürgerlich - liberalen Anschauung abbringen lassen. Seine Bücher 'Soll und Haben', 'Die verlorene Handschrift' und auch sein Lustspiel 'Die Journalisten' stehen im Dienste dieser Überzeugung. Seine Arbeit im und für den literarisch - politischen Verein, seine Geschichtsschreibung - seine "Bilder aus der Deutschen Vergangenheit" und sein "Ahnen" - alle stehen im Dienste des Zieles der Bewußtmachung der Wertigkeit des Bürgers gegen die Überheblichkeit des Adels. Bei Freytag gibt es nicht den Helden, keine Einzel-Helden-Verehrung, sondern eine Gesellschaftsanalyse der wirtschaftstragenden Schichten und eine Darstellung des moralischen Handelns. Auch in seinem persönlichen Verhalten hat Freytag hohe moralische Ansprüche an sich selbst gestellt. Wie es ihm eine Qual war, ein Amt bei seinem Freund Ernst II. - wenn auch ohne Bezahlung - anzunehmen, so war er auch in Geldangelegenheiten äußerst zurückhaltend. Als Mitglied der Schillerpreiskommission zur Auswahl des besten zeitgenössischen dramatischen Werkes des preuß. Kultusministerums stand ihm für seine Aufwendungen eine Entschädigung zu. Da jedoch der preußische Staatshaushalt im Parlament umstritten war, lehnte Freytag die Annahme der Gratifikation mit folgenden Worten ab:
Freytag war kein Politiker wie wir ihn heute als Berufspolitiker kennen. Aber er war ein durch und durch politischer Mensch. Politik war kein 'Job' für ihn, sondern eine Aufgabe. Ziel war es, die Menschen sich ihrer Wertigkeit bewußt werden zu lassen, aber sie auch auf diese Werte zu verpflichten. Das heißt in den Handlungen nicht nur das Tun zu sehen, sondern auch die Gründe zu hinterfragen und auf ihre Wertigkeit zu prüfen. In diesem Sinne könnten wir uns heute immer noch freuen, wenn wir mehr von diesen - politischen - Menschen hätten. Anmerkungen: (1) J. Améry: Schlecht
klingt das Lied vom braven Mann. In: Neue
Rundschau, Jg. 89,
1987, S. 84 -
93, hier S. 86. |