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  Das «Retten» und «Rollen». Bitte an unser Heer.

Vier Jahrtausende geschichtlichen Lebens sind nöthig gewesen, bevor in der sittlichen Empfindung cultivirter Völker der große Grundsatz herausgebildet wurde: Privateigenthum der Feinde, so weit es nicht den Zwecken des Krieges dient, ist unverletzlich. Noch heut wird dieses menschenwürdige Gebot, das durch Herkommen überliefert und durch neue Verträge auf Gut zur See ausgedehnt ist, von den Franzosen nicht anerkannt. Französiche Generäle durften beim Beginne des Krieges wagen in ihren Corpsbefehlen die Soldaten durch die Aussicht auf den Raub in Feindesland zu ermuthigen, französische Kriegsschiffe haben deutsche Kaufmannsgüter als Prisen fortgeführt und Kauffahrer auf offener See verbrannt, die Aufregung des Volkskriegs durch zuchtlose Banden zerstörte für nicht wenige Ortschaften in Frankreich die Voraussetzungen, unter denen Schonung des bürgerlichen Eigenthums im Kriege möglich wird. Dennoch freuen wir uns, daß der Waffenstillstand den Rückfall unserer Marine in die alte Seebeuterei verhindert hat, und daß die «Augusta» ihre vergeltende Kreuzfahrt gegen Transportschiffe ins Werk setzte, welche dem Bedarf des feindlichen Heeres dienten.

Denn kein großer Fortschritt der Menschheit ist so theuer erkauft, als die edle Lehre, daß Ehre, Freiheit, Habe des Nichtkämpfers in Feindesland geachtet werden müsse; Ströme von Blut sind vergossen, unsägliche Trübsal von hundert Geschlechtern vergangener Menschen darum geduldet worden. Auf dieser Lehre allein beruht unsere Hoffnung, daß der graue Zerstörungsprozeß der Kriege nicht unseren Kriegern eine sittliche Verwilderung bereite, nicht irgend einmal unserem Volke einen Untergang der Cultur, Sitte und Bildung, und einen Rückfall in die Barbarei der Urzeit herbeiführe. Und wer in diesem Kriege das Herz beängstigt fühlt durch die Schauerbilder eines Schlachtfeldes, der kann am nächsten Morgen wieder guten Muth gewinnen, wenn er den deutschen Kameraden in französischen Kramladen seinen Beutel ziehen sieht, um den kleinen Einkauf gewissenhaft zu bezahlen. Denn um den handfesten Musketier, der die französische Cigarre prüfend beschaut, stehen als unsichtbare Zeugen viele gute Geister unseres Volkes, die seit undenklicher Zeit für unsere Seelen gearbeitet haben, und deren irdische Namen ihrem Schützling, dem ehrlichen Pommer, vielleicht nur wenig bekannt sind, eine große erlauchte Genossenschaft: Kant und Goethe, Friedrich der Große und Luther, bis zurück zu den Aposteln des neuen Testaments und vielleicht noch älteren Lehrherren aus deutscher Vorzeit.

Die ältesten Volkskriege erstrebten Austilgung des gesammten feindlichen Stammes, Aneignung seiner Habe und seines Weidegrundes. Der Eigennutz lehrte bald Gefangene bewahren. Aber durch das ganze Alterthum wurden Bewaffnete und Wehrlose, Männer, Frauen, Kinder getötet oder zu Sklaven gemacht, ihre gesammte Habe gehörte dem Sieger, das Weib hatte als Sklavin keinen Anspruch auf Schonung ihrer Ehre. Auch zur Zeit der römischen Kaiser galt dieser Kriegsbrauch, nur besonderer Vertrag oder die Gnade des Feldherrn gönnten dem schwächeren Theil günstigere Bedingungen. Durch die Germanen kam noch vor dem Christenthum bessere Behandlung der Frauen in die Kriegsführung. Die Frauen der Teutonen wollten sich gefangen geben, wenn die Römer gelobten, ihre Ehre zu schonen, da dies verweigert wurde, töteten sie sich selbst; aber der Gothenkönig Totila ließ einen seiner Krieger hinrichten, weil er an einer Jungfrau in dem eroberten Neapel gefrevelt hatte, und als die Franken am Ende der Wanderzeit verwüstend von Frankreich aus in Italien einfielen, war ihnen bei den übrigen Germanen der härteste Vorwurf, daß sie die Frauen nicht verschont hätten. Seit im späteren Mittelalter die Fehden meist unter Landsleuten geführt wurden, seit das Christenthum allmählich die harte Sklaverei in die Hörigkeit milderte, seit das Ritterwesen die Ehrbegriffe des Kriegers gleichmäßig bildete, und vor Allem seit geprägtes Geld reichlicher umlief, gewann der kämpfende Gegner das Recht, sich in gewissen Formen zum Kriegsgefangenen zu ergeben, er wurde nicht mehr Sklave, sondern durfte sich ohne Minderung seiner Ehre freikaufen; zwar wurden auch die unbewaffneten Männer der feindlichen Partei zu Gefangenen gemacht und beim Frieden «geschatzt», d.h. nach dem Gutachten des Siegers mit einer Lösungssumme belegt, aber Frauen und Kinder wurden nicht gefangen und nicht geschatzt; zwar verfiel die gesammte Habe der Feinde dem Sieger, aber die Frauen behielten ihrer Ehre wegen die Kleider auf dem Leibe, die rittermäßige Frau ihren ganzen Schmuck; zwar blieb das Rind die besondere Beute der Offiziere, aber Federvieh zu beuten, ziemte dem Reisigen und dem Landsknecht nicht, das nahmen im Nothfall nur ihre Dirnen und Buben. Solcher Kriegsbrauch, oft durch größere Wildheit heimischer Landsknechte und der Fremden, zumal der Spanier mißachtet, dauerte in der sittlichen Empfindung der Deutschen bis in das siebzehnte Jahrhundert. Immer aber war der Krieg vor Allem Raub und Zerstörung der feindlichen Habe, auch des Privatbesitzes, das «Brennen» galt für das wirksamste Mittel, zu schrecken und die Kräfte des Feindes zu schwächen. Da die Städte in der Mehrzahl befestigt waren, konnten sie sich durch Vertrag mildere Bedingungen - zum Vortheil für die Kasse des feindlichen Heerführers - sichern, aber die Dorfhäuser des Landstrichs schwanden bei längerem Kriege vom Erdboden. Es ist sehr merkwürdig, daß die nächsten Fortschritte zu besserer Menschlichkeit in dem fürchterlichsten Kriege der Welt, dem dreißigjährigen, gemacht wurden. Freilich gerade, weil er der längste war und unerhörten Nothstand schuf. Während gegen die Wehrlosen unsägliche Greuelthaten verübt und weite blühende Landschaften in Wüsteneien verwandelt wurden, während die Generäle in besetzten Land Wälder niederschlugen und das Holz zu Spottpreisen veräußerten, große Bibliotheken und das Silberzeug reicher Städte und Fürstenhöfe in das Ausland verfuhren und während die Artillerie die Kirchenglocken, ihr besonderes Beutegut, abschnitt und verkaufte, bildete sich bei den zahlreichen Söldnerheeren ein fester Kriegsbrauch aus. Zunächst gegen die feindlichen Krieger, unter denen jeder Söldner alte Kameraden wußte. In der Schlacht mußte «Quartier» gegeben werden, wenn es gefordert wurde, mit dem Gefangenen wurde «Cartell» geschlossen, d.h. er gelobte nicht zu fliehen; zwar gehörte dem Sieger, was er in den Kleidern barg und von dem Gefangenen war es schicklich, dies selbst darzubieten, aber wer «holländisches Quartier» erhielt, behielt bereits, was sein Gürtel umschloß. Das Lösegeld der Gefangenen war im Ganzen niedrig und durch die Zahlung konnte man jederzeit frei werden. Auch den Nichtkämpfern half die Noth und Habsucht der Heere. Privateigenthum konnte gegen Zahlung einer Summe durch eine «Salva Guardia» Schutz erhalten, die Landschaften und Gemeinden konnten das gemeinsame Eigenthum und das ihrer Bürger durch ein Bauschzahlung - die Contribution - vor der Plünderung retten. Zwar wurde oft gezahlt und doch geplündert, aber die Verwüstung selbst zwang den Heeren wie dem Volke die Erkenntniß auf, daß die Bewahrung des Privateigenthums ebenso sehr ein Lebensinteresse der feindlichen Heere sei, als der Einwohner. Am Ende des Krieges war Verachtung und Haß gegen die Generäle, welche im Verdacht besonderer Raublust standen, allgemein und sehr laut, und als in dem nächsten Geschlecht die Franzosen ihre Feuerbrände in die Städe und Dörfer der Pfalz warfen, erhob sich weit über die Grenzen Deutschlands ein Schrei des Abscheues, so gellend, wie er bis dahin von Unbetheiligten noch niemals erhoben worden. Der neue Status despotischer Landesherren, welcher aus gedrillten Soldaten ein stehendes Heer formte, hatte genügende Gründe, diese humane Einsicht praktisch zu verwerthen. Der seßhafte Bürger war von dem neuen Heerwesen durch eine weite Kluft geschieden, seine Miliz, wo sie noch bestand, wurde von dem Regenten mit Mißbehagen und Verachtung betrachtet, das fürstliche Heer, welches auch in seiner Verpflegung so gesondert als möglich gehalten wurde, sollte den kunstvoller gewordenen Krieg allein führen, der Bürger sollte steuern und arbeiten, damit das Heer erhalten werde. Und es machte wenig Unterschied, ob er im besetzten Land des Feindes wohnte, auch dort war er als Steuerzahler, Quartiergeber, Contribuirender nöthig, ja es war dem feindlichen Feldherrn Gewinn, wenn die ganze Verwaltung des besetzten Landes unversehrt blieb, die Maschine der Beamten regelmäßig wie im Frieden fortarbeitete. Der deutsche Feind legte seitdem schwere Lasten auf Stadt und Land, aber nicht mehr durch die Willkür von tausend Einzelnen, sondern in geordneter Weise. Damit der Bürger das zu tragen vermochte, mußte er geschont und geschützt werden. Noch bestand freilich in den rohen Heeren die alte Freude am Plündern, aber die Kriegszucht war streng geworden, der Stock des Offiziers bedräute täglich. Wieder einmal sollten die Deutschen unter Napoleon die Leiden feindlicher Kriegsherrschaft ertragen. Der Grimm des Volkes über die Forderungen der Soldaten, den Übermuth der Offiziere, die Erpressungen der Generäle, das sechsjährige, unerhörte Aussaugen der preußischen Landschaften half zu dem Freiheitskriege. Bis heut laufen im Lande zahllose Geschichten umher von den Räubereien des kaiserlichen Heeres, und fast jeder französische Feldherr hat im deutschen Volk einen sehr bestimmten Ruf hinterlassen. Unsere begeisterte Jugend hat die Einwohner Frankreichs nach unserem Einmarsch 1814 nur selten entgelten lassen, was die Soldaten des Kaisers an uns gefrevelt, und von der höchsten Heeresführung wurde Frankreich mehr geschont, als preußischem Eifer damals recht war. Seitdem haben fünfzig Friedensjahre, die Zunahme humaner Bildung, innigere Verbindung der Völker viel gethan, das Urtheil über Erlaubtes und Unerlaubtes im Kriege zu läutern. Manches, was noch 1813 in den Heeren für herkömmlich galt, darf von den Zeitgenossen nicht gebilligt werden. - Die letzten Kriege in Schleswig und Östreich haben nach der Zerstörung wieder emsige Arbeit der Humanität hervorgerufen, sie brachten uns außer der großartigen Einrichtung unseres Sanitätswesens und dem Vertrag gegen Sprenggeschosse bei Handfeuerwaffen vor Allem die Verträge über Achtung des Privateigenthums zur See.

Solch kurzer Rückblick kann in Wahrheit erheben. Denn er zeigt, wie unablässig Gesittung und Menschenliebe arbeiten, den großen Naturprozeß, welchen wir Krieg nennen, für die sittliche Empfindung der Lebenden erträglich zu machen. Und die schnellen Fortschritte der Menschlichkeit seit den letzten zwei Jahrhunderten lassen erkennen, wie man unserer Zeit schweres Unrecht thut, wenn man ihr vorzugsweise Förderung der Selbstsucht zur Last legt. Wenn vor zweitausend Jahren die Römer eine gallische Stadt im Kriege besetzten, so entleerten sie die Häuser, indem sie die Männer töteten, die Frauen und Kinder an Sklavenhändler verkauften, welche den Legionen folgten, wie jetzt die Lieferanten unserem Heere; als vor wenig Monaten einer unserer schneidigsten Husarenoffiziere, Rittmeister von der Lancken, drei Tage bei der Familie eines Redacteurs in französischer Departementsstadt einquartiert gewesen war, rief ihn beim Abschied die alte Mutter des Hauses an ihr Krankenbett, dankte ihm, und bat ihn, wenn er einmal verwundet werden solle, doch nur in ihr Haus zurückzukehren, damit sie ihn pflegen könne. Und die kleine Geschichte ist nur eine von zahlreichen ähnlichen.

Wir Deutsche haben für die menschliche Schonung des Feindes im modernen Kriege wohl am meisten gethan. Zuerst durch unsere Leiden, denn fast alle größten Kriege der Neuzeit wurden durch unser Herzblut genährt. Dann durch die Beschaffenheit unseres Heeres und die allgemeine Dienstpflicht. Wir, zur Zeit wir allein, senden unsere gesammte blühende Jugend in das Feld, es sind die Besten unseres Volkes, welche in Frankreich siegen und fallen, nicht nur die Vertreter unserer militärischen Kunst, sondern auch ein gutes Theil unserer Besitzenden, Gelehrten, Richter, Volkslehrer. Wir haben aber deshalb auch weit höhere Pflichten durch unser Heer zu erfüllen, als andere Völker, wir können nicht, wir zur Zeit die Franzosen, die Engländer thun, uns achselzuckend entschuldigen bei Übergriffen und schweren Thaten unserer Armee, die ja nur ein Werkzeug des Staates sei mit alten Standesfehlern, und die keineswegs die beste Sitte und Einsicht in sich trage. Bei uns ist das Heer auch das Volk, die Ehre des Heeres unsere Ehre, seine Sitte die unsere, wir haben keine bevorzugten Volksschichten außer dem Heer, die wir als Bewahrer sauberer Empfindungen und idealer Habe rühmen dürfen. Jede Verwilderung und jede Verirrung der Sitte und Ehrlichkeit, welche der Krieg in unser Heer bringen könnte, würde dem Mark unseres Lebens schaden. Und nicht aus patriotischem Stolz und aus verständigem Interesse allein folgen unsere Gedanken mit ängstlicher Spannung den Thaten und Stimmungen des Heeres, es sind unsere Liebsten, um die wir sorgen, unsere Verwandten und Freunde, Blut von dem unseren, sie unsere Freude und ein Theil unseres besten Lebens.

Der Krieg wirft den Ausziehenden plötzlich aus dem festen Gefüge bürgerlicher Ordnung in ungeheuerliche Verhältnisse. Fast alle gewohnten Schranken des Lebens sind ihm gefallen, nur der militärische Gehorsam und das Pflichtgefühl bändigen ihm den Sinn. Er muß in einer steten Lebensgefahr sich behaupten, er muß töten und zerstören, er lebt in unaufhörlichem Wechsel der stärksten Triebe, der gewaltigsten Leidenschaften. Völlige Selbstopferung und Hingabe bis zum Tode und dicht daneben harte Selbstsucht, schreckenvoller Kampf um das Leben, die furchtbarste Erschöpfung durch den Marsch, und gleich darauf eine lockende Fülle von Genuß, den ihm die Heimat nur selten bietet; heut verbrennt er ein Dorf der Franctireurs, durchstößt die Meuchler seiner Kameraden mit dem Bajonett und wirft ihre Leiber in die Flamme, morgen wiegt derselbe Mann die Kinder seines französischen Wirths auf dem Schoß, fühlt warmes Mitleid mit der abgehärmten Hausfrau und theilt seine Mahlzeit mit dem Darbenden. Solches Dasein macht schnell sorglos und gleichgiltig gegen fremdes Privatinteresse. Es fördert durchaus nicht das Nachdenken über Allerlei, was dem Soldaten erlaubt und unerlaubt ist. Wenn hier zu wenigen Beispielen bemerkt wird, wo das Recht des Soldaten aufhört, und das Unrecht anfängt, so soll nur bedächtig auf einen Punkt gedeutet werden, den unsere Krieger im Grunde genau so gut kannten, wie wir anderen alle, und der erst in der Bedrängniß der feindlichen Fremde Einzelnen undeutlich geworden sein mag. Die Beobachtungen dafür sind im Heere selbst gemacht. - «Privateigenthum in Feindesland, soweit es nicht den Zwecken des Krieges dient, ist unverletzlich.» Die schwierige Frage ist nur, was dient dem Kriege? Und ferner: «Der Soldat hat von dem Wirth nur Quartier und in der Regel bestimmt vorgeschriebene Verpflegung zu beanspruchen, alle Leistungen Einzelner und der Gemeinden werden von dem militärischen Kommando auferlegt und durch die Ortsobrigkeit, Präfect, Maire u.s.w. vertheilt.» Auch die Anwendung dieser Vorschrift wird oft unmöglich. Der Soldat kommt am Abend nach langem Marsch todmüde und hungrig in das Quartier und fordert sein Essen; er findet ungefügige Wirthe, welche nichts zu essen haben oder dies vorgeben. Er sucht also selbst nach, schlägt grimmig Thüren und Kasten auf. Das ist unzweifelhaft nicht in der Ordnung. Er soll den Fall melden, d.h. er soll in der Nacht, in fremdem Ort zu dem Unteroffizier, Feldwebel, Hauptmann laufen, er weiß aber aus Erfahrung, daß er von diesen wieder zum Maire geschickt wird, und daß der Maire, wenn er überhaupt zur Stelle ist, wahrscheinlich auch nicht zu helfen weiß. Ist das Dorf bereits ausgesogen, so kommen viele Soldaten mit ähnlicher Klage und der Hauptmann ist in seiner bärbeißigsten Stimmung. Der Soldat hilft sich also selbst, so gut er kann. Bei dem Suchen findet er ein Hemd des Bauern. Das eigene, das der Soldat seit 14 Tagen auf dem Leibe trägt, ist so unsäuberlich, daß ihm davor graut. Er nimmt also das Hemd des Franzosen. Er weiß, daß das Unrecht ist. Könnte er sich mit den Quartiergebern verständigen, so würde er gute Worte darum geben, ja vielleicht etwas aus seinem Beutel dafür zahlen. So aber verhärtet er sich im Zorn. Seine Stiefeln sind zerrissen, er hat den ganzen Tag den Schlamm der Landstraße an den Füßen gefühlt. Sein Wirth trägt gute Stiefeln. Er zwingt ihm einen unwillkommenen Tausch auf, oder noch lieber, er nimmt die Stiefeln still fort, wenn er kann. Ein neues Unrecht, sein Offizier soll die Lieferung befehlen. Aber der Soldat setzt voraus, daß der Offizier über die neuen Stiefeln wegsehen wird, weil ihr Erscheinen ihm eine Mühe spart. - Der deutsche Soldat, welcher so wirthschaftet, gehört nicht zu den besten der Compagnie, auch nicht zu den schlechtesten, er ist von dem Mittelgut. Der schlechte nimmt auch die Uhr, die sich ihm darbietet, um sie dem Marketender gegen eine Flasche Cognac zu verkaufen, und der brave versagt sich auch bei Hunger und Durst jede Gewaltthat. Es ist keine patriotische Redensart, sondern herzerfreuende Wahrheit, daß sich aus dem Kleinleben des Heeres neben unzähligen Übergriffen aus Noth und Begehrlichkeit ebenfalls zahllose Beispiele stellen lassen von stiller Entsagung und wahrhaft heldenmüthiger Enthaltsamkeit unserer Soldaten gegenüber dem feindlichen Wirth. Und wir werden jeden Eingriff des Soldaten in Habe und Gut der Fremden schonend beurtheilen, wenn dieser Eingriff nur dazu dient, ihm sein schweres Tagesleben erträglich zu machen, aber wir werden den nicht für einen ehrlichen Soldaten halten, der aus dem Gut der Feinde für sein späteres Leben Gewinn sucht.

Wie dem Soldaten gelingt auch dem Führer nicht immer, das Eigenthum feindlicher Bewohner nach den Forderungen der Kriegsvorschriften und der Humanität zu behandeln. Ein Hauptmann sendet in das nächste Dorf nach einem Faß Bier oder Wein für seine Compagnie, der Beauftragte findet die Dorfstraße durch drei bis vier Fuhrwerksreihen gesperrt, er hat Mühe, in einen Bauerhof zu dringen, dort eilt er in den Keller, läßt das Faß heraufschroten, schirrt die Pferde des Bauern an den Wagen und sucht schnell den Rückweg, um von seiner Compagnie nicht abgeschnitten zu werden. Er würde wohl den Lieferungsschein schreiben, der weinende Franzose denkt nicht daran, vielleicht ist keine Tinte im Hause, den Maire vollends aufzusuchen fehlt die Zeit und Freiheit des gesperrten Weges. Der Requirirende weiß, daß der Bauer Pferde und Wagen, die nur für eine Wegstunde zur Fortschaffung dienen sollen, nie wieder sieht; läßt seine Compagnie den Wagen frei, so wird er sogleich von einer andern mit Beschlag belegt, vielleicht von Unbefugten, Marodeuren oder Marketendern. Wer nimmt sich im Felde Zeit, ihr Recht zu prüfen? Die Armeegendarmes haben sich im Ganzen als ungenügende Polizeieinrichtung der Heerstraße erwiesen, Profose haben wir nicht und die Willkür im Benutzen von Fuhrwerken war in Wahrheit ein großer Übelstand. Der Hauptmann weiß, daß er dem Landmann einen Werth von einigen Hundert Thalern vernichtet, um seiner Mannschaft einen Trunk zu schaffen, und daß dem Franzosen auch die Möglichkeit einer späteren Entschädigung genommen ist, und doch begeht er in dem Drange des Marsches gar kein oder nur ein sehr kleines Unrecht. Von der Erfrischung, die er seinen Leuten bringt, mag mehr abhängen als das Fuhrwerk oder der Bauerhof werth sind. Und wenn nicht, so empfindet er sicher, dies sind unsere Leute, jenes sind Feinde. - Weniger günstig wird das Urtheil über einen höheren Führer sein, wenn dieser (etwa beim Einmarsch in die Champagne) für seine Officiertafel aus den Privatkellern der kleine Stadt sämmtlichen Champagner einfordern läßt. Wir gönnen unsern Officieren jeden guten Trunk, gönnen auch den Franzosen, daß sie ihn bezahlen, aber diese Art des unnöthigen Eingreifens in Privatbesitz ist für einen der Großen unseres Heeres nicht vornehm genug. Der Kronprinz des deutschen Reiches dachte anders: was sein Feldtisch außer den feldmäßigen Bestimmungen der Intendantur bedurfte, das wurde, wie solchem Herrn schicklich, von seinem Marschall den Franzosen bezahlt. Wie denn im Ganzen die Verkäufer der besetzten Landestheile alle Ursache haben, die offenen Börsen unserer Offiziere zu preisen.

Aber freilich dieser Krieg, der wie eine fremdartige Heldensage in die Prosa unseres ehrlichen Lebens drang, hat auch den Feingebildeten unseres Heeres, und gerade diese am meisten, eine eigenthümliche Versuchung bereitet. Als unser Heer seinen Ring um Paris schloß, betrat es eine Gegend, in welcher fast Alles, was Reichthum, Luxus, schöne Erfindung und Kunst der Franzosen zu schaffen vermochte, in zahllosen Villen, Landhäusern, Schlössern dem Schicksal des Krieges preisgegeben, dalag. Es war eine Landschaft voll Schätze, ohne Menschen, verzaubert wie aus dem Märchen, eine unabsehbare Zahl von Schlössern Dornröschens. Schon hatten französische Banden ihr Raubwerk daran begonnen, aber es war doch überviel von Pracht und Zierlichkeit zu schauen. Und Alles unter dem Fluche des Krieges, Vieles im Bereich der französischen Geschütze, welche unablässig ihre vernichtenden Geschosse gegen die verlassenen Besitzthümer der Pariser schleuderten. In diesem Landstrich richteten sich unsere Truppen ein, Offiziere und Soldaten hausten monatelang und den Bronce-Uhren, Marmortischen, Damastbehängen und kunstvollen Möbeln, zwischen goldenen Spiegeln, Ölgemälden und Kupferstichen der Pariser Industrie. Die Musketiere aus Posen und Schlesien zerschlugen die sammtenen Sophas, um sich weiche Lagerstätten zu schaffen, sie behingen auf Vorposten ihren Unterschlupf mit Damast und Brokat, sie zertrümmerten die zierlich ausgelegten Tische und holten die Bücher aus den Bibliothekzimmern, um damit an den kalten Winterabenden zu heizen.

Wer Freude hatte an Schönheit und Eleganz häuslicher Einrichtung und Genuß an edlem Kunstwerk, den mußte solche Zerstörung, die sich wie von selbst machte und täglich Werthe von Hunderttausenden zu vernichten drohte, wohl dauern. Es war jämmerlich, das schöne Bild eines berühmten Malers zu sehen, dem unsere Soldaten mit Kohle ihre Zusätze aufgemalt hatten, eine Hebe mit abgeschlagenem Arm und geschwärztem Gesäß, eine kostbare buddhistische Handschrift mit Goldschnitt und schönen Verzierungen, welche zerrissen in das Kamin flatterte. - Und all diese Herrlichkeit war der Zerstörung geweiht; was unsere Mannschaften nicht gemüthlich für ihren Tagesbedarf verwendeten, das mochte am nächsten Tage eine französische Granate in Asche verwandeln oder ein Hause fremdes Gesindel bei Seite schaffen. Es schien fast Verdienst, schöne und geschmackvolle Stücken zur eigenen Freude und Andern zum Genuß zu erhalten. So dachten Einzelne an ein «Retten» beweglicher Habe, welches, dem Vernehmen nach, auch vornehme und anspruchsvolle Männer beim Heere nicht immer mit scharfer Kritik betrachteten. Soldaten verhandelten an Juden und Unterhändler, welche zahlreich von Versailles aus umherstreiften, um billige Einkäufe zu machen; auch manche Offiziere dachten an den Schmuck der eigenen Wohnung und die Lieben daheim; was leicht zu verpacken war, Kupferstiche und Ölbilder, kam in Gefahr ausgeschnitten und «gerollt» zu werden. Mit guter Laune und ohne Arges zu denken, sannen sie darauf, das herrenlose Gut der lieben Heimat zuzuwenden. Schon wird Einzelnes davon bei uns unbefangen als Beute gewiesen, aus dem Feuer gerettete Bände der kaiserlichen Bibliothek von St. Cloud und Ähnliches. Dies zwingt zu einer bescheidenen Mahnung an die Grundsätze civilisirter Kriegführung, die unser Heer mehr als jedes andere zu vertreten das Recht und die Pflicht hat. Alles, was in dem Gebiet um Paris verlassen steht und liegt, ist gar nicht herrenlosen Gut. Die Eigenthümer waren gezwungen, dasselbe den Zufällen des Belagerungskrieges preis zu geben, wenn aber unter diese Zufälle auch die Aneignung durch unsere Offiziere und Soldaten gehört, so haben unsere Offiziere und Soldaten dafür Rede zu stehen, den Fremden, ihrem eigenen Gewissen und der Ehre unserer Nation. Was die Zufälle des Krieges zerstören, müssen die Franzosen tragen. Wenn der kostbare Divan zerbrochen wird, um ein paar armen deutschen Musketieren durch einige Stunden sanfte Ruhe zu geben, so ist es für das französische Möbel immer noch viel Ehre; wenn ein Füsilier Lederschwärze oder Putzpulver in der kostbarsten Sèvresschale bewahrt, so dürfen wir das lächelnd ansehen; wenn er sein Kamin mit einem prachtvollen Froissart in Renaissance-Einband heizt, so werden wir die Zerstörung bedauern, wenn ihm aber nichts anderes zur Hand ist und er aus Mangel an Einsicht handelt, ihn nicht einmal schelten dürfen. Das ist das Schicksal des Krieges, der schonungslos nimmt, was seinen Zwecken dient. Von dem Augenblick aber, wo wir dem Wunsch nachgeben, die Zerstörung von Werthvollem abzuwenden, dürfen wir, was uns werthvoll erscheint, für keinen Andern retten, als für den Eigenthümer. Denn welcher Unterschied ist zuletzt zwischen einem «Retter» und «Roller» und zwischen dem verachteten Leichenräuber, der auf den Schlachtfeldern Börsen und Uhren der Toten für sich sammelt?

«Doch wir kennen den Eigenthümer der Villa nicht.» Für ernsten Willen ist der Name leicht zu erfahren und auch eine Bergungsstätte, in der ihm Aussicht auf Wiedererlangung wird. Niemand darf von uns fordern, daß wir solcher Mühe uns unterziehen. Dem deutschen Offizier wird wohlanstehen, seine Mannschaft zur Schonung anzuhalten, darüber hinaus geht seine Pflicht nicht. Nur an Gewinn für sich selbst darf er nicht denken. Und wir meinen, die letzten Tage werden manchem wackern Mann, dem dies Sachverhältniß in den Kriegsstimmungen nicht so erschienen war, wie uns daheim, die Augen geöffnet haben. Monatelang erschien ihm das schöne Frauenporträt seines Schlafzimmers vogelfrei und es liegt bereits aus dem Rahmen gelöst. Jetzt nach der Übergabe von Paris steht der Besitzer des Schlosses plötzlich bleich und verstört vor ihm. Der Deutsche mag dem Franzosen gerad ins Auge sehen, wenn er ihm mittheilt, wie die Verwüstung durch die wechselnde Besatzung nicht zu verhindern war, aber wir beneiden den tapfern Mann nicht um seine Empfindungen, wenn er den Franzosen händeringend vor dem leeren Rahmen stehen sieht, der einst das Bild seiner Tochter umschloß.

«Wohl, man rette nicht selbst. Aber warum nicht von den Händlern kaufen?» Sollte einer unserer zierlichen Herren aus dem Fürstenclub von Versailles also fragen, dann möge er die treugemeinte Antwort entgegennehmen, ein Mann von sicherem Selbstgefühl kauft keine Waare, von der er weiß, daß sie auf unehrliche Weise in den Handel gekommen ist.

Unseren Lieben aber, Offizieren und Mannschaften unseres Heeres rufen wir innig zu: Wir sind stolz und glücklich über eure Kriegsthaten, erhaltet euch auch als Menschen der Nation werth und ehrwürdig. Kehrt, o kehrt aus diesem furchtbaren Kriege alle zu uns zurück mit lauterem Gewissen und mit reinen Händen.

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