Benn, Gottfried

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Henri Matisse Asphodèles
(Gottfried Benn)

"Sträuße - doch die Blätter fehlen,
Krüge - doch wie Urnen breit,
- Asphodelen,
der Proserpina geweiht -"

Nike
(Gottfried Benn)

Die Nike opfert - was enthält die Schale:
Blut oder Wein - ist das ein Siegesschluß,
wenn sie am Abend sich vom Liebesmahle
erhebt und schweigt und steht und opfern muß?

Sie senkt auf dieser attischen Lekythe
die Stirn, hat Pfeil und Messer abgetan,
wo blickt sie hin, erblickt sie schon die Mythe
vom Heiligen mit Pfeil: - Sebastian?

Sie schlug mit Zeus die Heere der Titanen
und stieß den Fels gen Kronos in der Schlacht,
Apollon, Kore zogen dann die Bahnen -
wem opfert sie - was sieht sie in der Nacht?

Palau
(Gottfried Benn)

"Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
und die Schatten sinken -"
singe, auch aus den Kelchen der Frau
läßt es sich trinken,
Totenvögel schrein
und die Totenuhren
pochen, bald wird es sein
Nacht und Lemuren.

Heiße Riffe. Aus Eukalypten geht
Tropik und Palmung,
was sich noch hält und steht,
will auch Zermalmung
bis in das Gliederlos,
bis in die Leere,
tief in den Schöpfungsschoß
dämmernder Meere.

Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
und im Schattenschimmer
hebt sich steigend aus Dämmer und Tau:
"niemals und immer",
alle Tode der Welt
sind Fähren und Furten,
und von Fremden umstellt
auch deine Geburten -

einmal mit Opferfett
auf dem Piniengerüste
trägt sich dein Flammenbett
wie Wein zur Küste,
Megalithen zuhauf
und die Gräber und Hallen,
Hammer des Thor im Lauf
zu den Asen zerfallen -

wie die Götter vergehn
und die großen Cäsaren,
von der Wange des Zeus emporgefahren -
singe, wandert die Welt
schon in fremdestem Schwunge,
schmeckt uns das Charonsgeld
längst unter der Zunge.

Paarung. Dein Meer belebt
Sepien, Korallen,
was sich noch hält und hebt,
will auch zerfallen,
rot ist der Abend auf der Insel von Palau,
Eukalyptenschimmer
hebt in Runen aus Dämmer und Tau:
niemals und immer.

Staatsbibliothek
(Gottfried Benn)

Staatsbibliothek, Kaschemme,
Resultatverlies,
Satzbordell, Maremme,
Fieberparadies:
wenn die Katakomben
glühn im Wortvibrier,
und die Hekatomben
sind ein weißer Stier -

wenn Vergang der Zeiten,
wenn die Stunde lockt,
weil im Satz der Seiten
eine Silbe lockt,
die den Zweckgewalten,
reinem Lustgewinn
rauscht in Sturzgestalten
löwenhaft den Sinn -:

wenn das Säkulare,
tausendstimmig Blut
auferlebt im Aare
neuer Himmel ruht:
Opfer, Beil und Wunde,
Hades, Mutterhort
für der Schöpfungsstunde
traumbeladenes Wort.

 

Bobrowski, Johannes

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Lampen
(Johannes Bobrowski)

Spät

im Gefels der Städte
Lampen, verstreut, anzeigend
Dämmrung der Zuflucht -

Keine Helle,
flüchtiges Gas nur
liegt um sie eines Liedes
zum schütteren Ton des Akkordeons.

Der da unter die Tür tritt,
ihn magst du umarmen, er kennt
all deine Lügen. Er weiß
deine weglose Güte, er weiß:
sie gehört dieser Nacht.

Wenn du gehst, wird er sagen:
Komm wieder, dann bist du da.
Bleiben kannst du nicht,
hier nicht
und nicht mehr in deinem
frierenden Tag.

So als hättest du's längst
wissen können,
ist es gesagt im Dämmern
einiger Lampen,
die einhüllt
schütterer Ton des Akkordeons.

 

Celan, Paul (1920-70)

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Chanson einer Dame im Schatten
(Paul Celan)

Wenn die Schweigsame kommt und die Tulpen köpft:

Wer gewinnt?

Wer verliert?

Wer tritt an das Fenster?

Wer nennt ihren Namen zuerst?

Es ist einer, der trägt mein Haar.
Er trägts wie man Tote trägt auf den Händen.
Er trägts wie der Himmel mein Haar trug im Jahr, da ich liebte.
Er trägt es aus Eitelkeit so.

Der gewinnt.

Der verliert nicht.

Der tritt nicht ans Fenster.

Der nennt ihren Namen nicht.

Es ist einer, der hat meine Augen.
Er hat sie, seit Tore sich schließen.
Er trägt sie am Finger wie Ringe.
Er trägt sie wie Scherben von Lust und Saphir:
er war schon mein Bruder im Herbst;
er zählt schon die Tage und Nächte.

Der gewinnt.

Der verliert nicht.

Der tritt nicht ans Fenster.

Der nennt ihren Namen zuletzt.

Es ist einer, der hat, was ich sagte.
Er trägts unterm Arm wie ein Bündel.
Er trägts wie die Uhr ihre schlechteste Stunde.
Er trägt es von Schwelle zu Schwelle, er wirft es nicht fort.

Der gewinnt nicht.

Der verliert.

Der tritt an das Fenster.

Der nennt ihren Namen zuerst.

Der wird mit den Tulpen geköpft.

Halbe Nacht
(Paul Celan)

Halbe Nacht. Mit den Dolchen des Traumes geheftet in sprühende
Augen.
Schrei nicht vor Schmerz: wie Tücher flattern die Wolken.
Ein seidener Teppich, so ward sie gespannt zwischen uns, daß
getanzt sei von Dunkel zu Dunkel.
Die schwarze Flöte schnitzten sie uns aus lebendigem Holz, und
die Tänzerin kommt nun.
Aus Meerschaum gesponnene Finger taucht sie ins Auge uns:
eines will hier noch weinen?
Keines. So wirbelt sie selig dahin, und die feurige Pauke wird laut.
Ringe wirft sie uns zu, wir fangen sie mit den Dolchen.
Vermählt sie uns so? Wie Scherben erklingts, undich weiß es nun
wieder:

du starbst nicht
den malvenfarbenen Tod.

Flutender
(Paul Celan)

Flutender, groß -
zelliger Schlafbau.

jede Zwischenwand von
Graugeschwadern befahren.

Es scheren die Buchstaben aus,
die letzten
traumdichten Kähne -
jeder mit einem
Teil des noch
zu versenkenden Zeichens
im
geierkralligen Schlepptau.

Weggebeizt
(Paul Celan)

Weggebeizt vom
Strahlenwind deiner Sprache
das bunte Gerede des An-
erlebten - das hundert-
züngige Mein-
gedicht, das Genicht. 

Aus-
gewirbelt,
frei
der Weg durch den menschen-
gestaltigen Schnee,
den Büßerschnee, zu
den gastlichen
Gletscherstuben und -tischen.

Tief
in der Zeitenschrunde,
beim
Wabeneis
wartet, ein Atemkristall,
dein unumstößliches
Zeugnis.

Mittags
(Paul Celan)

Mittags, bei
Sekundengeflirr,
im Rundgräberschatten, in meinen
gekammerten Schmerz
- mit dir, Herbei-
geschwiegene, lebt ich
zwei Tage in Rom
von Ocker und Rot -
kommst du, ich liege schon da,
hell durch die Türen geglitten, waagrecht-:

es werden die Arme sichtbar, die dich umschlingen, nur sie. Soviel
Geheimnis
bot ich noch auf, trotz allem.

Eichendorff, Josef Freiherr von

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Nacht
(Josef Freiherr von Eichendorff)

Die Vöglein, die so fröhlich sangen,
Der Blumen bunte Pracht,
's ist alles unter nun gegangen,
Nur das Verlangen
Der Liebe wacht.

Tritt nicht hinaus jetzt vor die Tür,
Die Nacht hat eignen Sang,
Das Waldhorn ruft, als riefs nach dir,
Betrüglich ist der irre Klang,
Endlos der Wälder Labyrinth -
Behüt dich Gott, du schönes Kind!

Überm Lande die Sterne
Machen die Runde bei Nacht,
Mein Schatz ist in der Ferne,
Liegt am Feuer auf der Wacht.

Übers Feld bellen Hunde;
Wenn der Mondschein erblich,
Rauscht der Wald auf im Grunde:
Reiter, jetzt hüte dich!

Hörst du die Gründe rufen
In Träumen halb verwacht?
O, von des Schlosses Stufen
Steig nieder in die Nacht! -

Die Nachtigallen schlagen,
Der Garten rauschet sacht,
Es will dir Wunder sagen
Die wunderbare Nacht.

Fontane, Theodor

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Jung - Emmy
(Theodor Fontane)

Jung - Emmy war die schönste Maid
Viel Meilen in der Runde;
Die Burschen kamen weit und breit
Herbei zum Herzensbunde;
Der hübschste ward auch angeblickt
Und mit zu Tanz genommen,
Doch ohne Gnade heimgeschickt,
Sooft ein hübschrer kommen.

In Emmys Dorf, da war der Hans,
Ein Bursch mit Braunen Wangen,
Der wär' so gern zu Spiel und Tanz
An ihrer Seit' gegangen;
Es mochte wohl das gute Haus
Sie recht von Herzen lieben,
Doch sah er nicht zum Besten aus,
Drum war er fern geblieben.

Vor Jahren schon, als einst im Saal
Die Fiedel ward gestrichen
Und Emmy fort vom Tanz sich stahl,
War er ihr nachgeschlichen.
Er sah sie, die so fröhlich schien,
In Tränen draußen stehen,
Die brannten heiß wie Feuer ihn;
Er konnt' nicht weinen sehen.

Er hatte seine Liebe still
Seit jener Nacht getragen,
Heut endlich rief er: "Wie Gott will,
Ich muß es einmal wagen!"
Und zu der Liebsten trug er hin
Sein Dichten und sein Trachten;
Sie sprach: "Du weißt nicht, wer ich bin,
Sonst träf' mich dein Verachten!

Mein Vater war ein Edelmann,
Die Bäurin macht' er trunken,
Am andren Morgen schied er dann,
Mit neuem Sieg zu prunken;-

Ein strenger Gott hat ungebeugt
Auch mir den Fluch geschrieben:
Wen Lust statt Liebe nur gezeugt,
Der hat kein Herz zum Lieben!"

Da sprach der Hans: "Mach' dich nur schlecht,
Als stammtest du vom Bösen,
Es ist der Liebe altes Recht,
Die Seelen zu erlösen."
Ob's auch dem Teufel nie gebricht
An Macht, uns zu versuchen,
Ein Gott im Himmel schuf uns nicht,
Um gleich uns zu verfluchen."

Er sprach's und hielt die schöne Braut
In seinen starken Armen.
Schön Emmy weint' und schluchzte laut
Und rief: "Gott hat Erbarmen!
Ich hielt mein Sein, ich hielt mein Tun
Für alle Zeit verloren;
Ich fühle durch die Liebe nun
Zur Liebe mich geboren!"

George, Stefan

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Das Jahr der Seele
(Stefan George)

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade.
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb. das weiche grau
Von birken und von buchs. der wind ist lau.
Die späten rosen welkten noch nicht ganz.
Erlese küsse sie und flicht den kranz.

Vergiss auch diese letzten astern nicht.
Den purpur um die ranken wilder reben.
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.

Günther, Johann Christian

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Glaube und Hoffnung
(Johann Christian Günther)

Mein Vertrauen gründet sich
Auf zwei Pfeiler, die nicht wanken:
Glaub und Hoffnung führen mich
Durch die engen Lebensschranken
An das Ziel, wo Kampf und Streit
Lorbeerkränze prophezeit.

Eher wird ein morsches Rad
Neunzig Zentner und den Wagen
Als ein zweiflender Soldat
Einen Zweig von Palmen tragen;
Läufer, die der Kranz erhitzt,
Eilen, ob der Fuß gleich schwitzt.

Ohne Glauben, ohne Licht:
Niemand sitzt im Finstern sicher,
Ohne Glauben siegt man nicht.
Redet selbst, ihr stummen Bücher:
Abrahams Gerechtigkeit
Ist des Glaubens Ehrenkleid.

Auch die Hoffnung stärkt das Herz:
Creuz und Christ sind gerne Brüder.
Hält nun gleich ein herber Schmerz
Meine Großmut an und nieder,
Ach, so fällt mir dennoch ein:
Nach den Tränen schmeckt der Wein.

Niemals wird ein Heldenmut
In der Kummersee ersaufen;
Noä Kasten trotzt die Flut,
Bis die Wässer sich verlaufen.
Wer den Hoffnungsanker hat,
Findet bald sein Ararat.

An die Phillis
(Johann Christian Günther)

Ich verschmachte vor Verlangen,
Meine Phillis zu umfangen.
Harter Himmel, zürnst du noch?
Faule Stunden, eilet doch!
Eilet doch, ihr faulen Stunden,
Und erbarmt euch meiner Not!
Wird der Riß nicht bald verbunden,
Blutet sich mein Herze tot.

Liebste Seele, laß dich finden!
Ich spaziere durch die Linden,
Durch die Täler durch den Hain
In Begleitung süßer Pein;
Ich durchkrieche Strauch und Höhlen,
Such in Wäldern weit und nah
Die vertraute meiner Seelen,
Dennoch ist sie nirgends da.

Ich beschwöre selbst die Hirten
Bei den Herden, bei den Myrten,
Die vielleicht der Liebe Pflicht
Um die bunten Stöcke flicht:
Wißt ihr nicht der Phillis Spuren?
Habt ihr nicht mein Kind erblickt?
Kommt sie nicht mehr auf die Fluren,
Wo wir manchen Strauß gepflückt?

Die ihr alles hört und saget,
Luft und Forst und Meer durchjaget,
Echo, Sonne, Mond und Wind,
Sagt mir doch, wo steckt mein Kind?
Soll sie schon vergöttert werden,
Bet ich sie vielleicht herab,
Oder ziert sie noch die Erden,
O so reis ich bis ans Grab.

Sage selbst, entrißne Seele,
Welcher Weinberg, welche Höhle,
Welcher unbekannte Wald
Ist anjetzt dein Aufenthalt?
Sage mir, damit ich folge,
Wär es auch des Nilus Strand,
Wär es auch die kalte Wolge,
Zög ich gern durch Eis und Sand.

Weiß mir nichts Bericht zu geben?
O was ist das vor ein Leben,
Das ich jetzo ohne sie
Als mein Joch zur Bahre zieh!
Himmel, laß dir nicht erst fluchen,
Ich begehre sie von dir -
Bin ich nicht ein Tor im Suchen?
Phillis lebt ja selbst in mir.

Als er der Phillis einen Ring mit einem Totenkopf überreichte.
(Johann Christian Günther)

Erschrick nicht vor dem Liebeszeichen,
Es träget unser künftig Bild,
Vor dem nur die allein erbleichen,

Bei welchen die Vernunft nichts gilt.
Wie schickt sich aber Eis und Flammen?
Wie reimt sich Lieb und Tod zusammen?
Es schickt und reimt sich gar zu schön,
Denn beide sind von gleicher Stärke
Und spielen ihre Wunderwerke
Mit allen, die auf Erden gehn.

Ich gebe dir dies Pfand zur Lehre:
Das Gold bedeutet feste Treu,
Der Ring, daß uns die Zeit verehre,
Die Täubchen, wie vergnügt man sei;
Der Kopf erinnert dich des Lebens,
Im Grab ist aller Wunsch vergebens,
Drum lieb und lebe, weil man kann,
Wer weiß, wie bald wir wandern müssen!
Das Leben steckt im treuen Küssen,
Ach, fang den Augenblick noch an!

Hebbel, Friedrich

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Sommerbild
(Friedrich Hebbel)

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten könne, rot;
Da sprach ich schaudernd im Vorübergehn:
So weit im Leben, ist zu nah am Tod!

Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,
Nur leise strich ein weißer Schmetterling;
Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.

Hölderlin, Friedrich

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Hälfte des Lebens
(Friedrich Hölderlin)

Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Krolow, Karl

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Nicht zu ertragen
(Karl Krolow)

Nicht zu ertragen die Worte,
die man anhört und manchmal spricht,
wie Gemurmel am fremden Orte:
man sagt sie sich ins Gesicht,

die Liebesworte, die schönen
Worte um jeden Preis.
Man zahlt ihn, noch wenn sie verhöhnen.
Man wird sich an sie gewöhnen
schließlich, auch wenn man weiß,

was sie wert sind: nicht kalt und nicht heiß.
Am Ende nimmt man sie hin,
wortlos und ohne zu staunen
über Sinn und Widersinn
und nimmt sie als bloße Launen,
von denen jedermann weiß.

Keller, Gottfried

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Sommernacht
(Gottfried Keller)

Es wallt das Korn weit in die Runde
Und wie ein Meer dehnt es sich aus;
Doch liegt auf seinem stillen Grunde
Nicht Seegewürm noch andrer Graus;
Da träumen Blumen nur von Kränzen
Und trinken der Gestirne Schein.
O goldnes Meer, dein friedlich Glänzen
Saugt meine Seele gierig ein!

In meiner Heimat grünen Talen,
Da herrscht ein alter schöner Brauch:
Wann hell die Sommersterne strahlen,
Der Glühwurm schimmert durch den Strauch,
Dann geht ein Flüstern und ein Winken,
Das sich dem ährenfelde naht,
Da geht ein nächtlich Silberblinken
Von Sicheln durch die goldne Saat.

Das sind die Bursche jung und wacker,
Die sammeln sich im Feld zuhauf
Und suchen den gereiften Acker
Der Witwe oder Waise auf,
Die keines Vaters, keiner Brüder
Und keines Knechtes Hilfe weiß -
Ihr schneiden sie den Segen nieder,
Die reinste Lust ziert ihren Fleiß.

Schon sind die Garben fest gebunden
Und rasch in einen Ring gebracht;
Wie lieblich flohn die kurzen Stunden,
Es war ein Spiel in kühler Nacht!
Nun wird geschwärmt und hell gesungen
Im Garbenkreis, bis Morgenluft
Die nimmermüden braunen Jungen
Zur eignen schweren Arbeit ruft.

Lasker-Schüler, Else

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Ein Lied
(Else Lasker-Schüler)

Hinter meinen Augen stehen Wasser,
Die muß ich alle weinen.

Immer möcht ich auffliegen,
Mit den Zugvögeln fort;

Buntatmen mit den Winden
In der großen Luft.

O ich bin so traurig ----
Das Gesicht im Mond weiß es.

Drum ist viel samtne Andacht
Und nahender Frühmorgen um mich.

Als an deinem steinernen Herzen
Meine Flügel brachen,

Fielen die Amseln wie Trauerrosen
Hoch vom blauen Gebüsch.

Alles verhaltene Gezwitscher
Will wieder jubeln,

Und ich möchte auffliegen
Mit den Zugvögeln fort.

Lehmann, Wilhelm

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Grille im Tessin
(Wilhelm Lehmann)

Die Erde ruft als Maulwurfsgrille.
Die Krume bröckelt als ihr Fleisch, die Steine halten als ihre Knochen.
Wenn die heißen Lüfte den jungen Mais kochen,
Tönt selbst die Stille.
Die Mauersegler werfen sich ins Blau wie Sicheln aus rußigem Eisen-
"Heute mir und morgen dir" ist an den kleinen Kirchhof geschrieben.
Ich quäle mich, die Schläfen fallen ein, ich werde sterben-
Ist übermorgen nichts von meiner Stimme geblieben?
Doch, eine Grille wird sie erben
Und als verborgener Erdenmund das Dasein weiter preisen.

Meyer, Conrad Ferdinand

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Eingelegte Ruder
(Conrad Ferdinand Meyer)

Meine eingelegten Ruder triefen,
Tropfen fallen langsam in die Tiefen.

Nichts, das mich verdroß! Nichts das mich freute
Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!

Unter mir - ach, aus dem Licht verschwunden -
Träumen schon die schönern meiner Stunden.

Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern:
Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?

Rilke, Rainer Maria

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Duineser Elegien

Storm, Theodor

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Geh nicht hinein
(Theodor Storm)

Im Flügel oben hinterm Korridor,

Wo es so jählings einsam worden ist;

- nicht in dem ersten Zimmer, wo man sonst

Ihn finden mochte, in die blasse Hand

Das junge Haupt gestützt, die Augen träumend

Entlang den Wänden streifend, wo im Laub

Von Tropenpflanzen ausgebälgt Getier

Die Flügel spreizte und die Tatzen reckte,

Halb Wunder noch, halb Wissensrätsel ihm,

- Nicht dort; der Stuhl ist leer, die Pflanzen lassen

Verdürstend ihre schönen Blätter hängen;

Staub sinkt herab; - nein, nebenan die Tür,

In jenem hohen dämmrigen Gemach,

- Beklommne Schwüle ist drin eingeschlossen -

Dort hinterm Wandschirm auf dem Bette liegt

Etwas - geh nicht hinein! Es schaut dich fremd

Und furchtbar an.

Vor wenig Stunden noch

Auf jenen Kissen lag sein blondes Haupt;

Zwar bleich von Qualen, denn des Lebens Fäden

Zerrissen jäh; doch seine Augen sprachen

Noch zärtlich, und mitunter lächelt' er,

Als säh er noch in goldne Erdenferne.

Da plötzlich losch es aus; er wußt es plötzlich,

- Und ein Entsetzen schrie aus seiner Brust,

Daß ratlos Mitleid, die am Lager saßen,

In Stein verwandelte - er lag am Abgrund;

Bodenlos, ganz ohne Boden. - "Hilf!

Ach Vater, lieber Vater!" Taumelnd schlug

Er um sich mit den Armen; ziellos griffen

In leere Luft die Hände; noch ein Schrei -

Und dann verschwand er.

Dort, wo er gelegen,

Dort hinterm Wandschirm, stumm und einsam liegt

Jetzt etwas; - bleib, geh nicht hinein! Es schaut

Dich fremd und furchtbar an; für viele Tage

Kannst du nicht leben, wenn du es erblickt.

"Und weiter - du, der du ihn liebtest - hast

nichts weiter du zu sagen?"

Weiter nichts.

Die Stadt
(Theodor Storm)

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn Unterlaß;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

Stramm, August

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Untreu
(August Stramm)

Dein Lächeln weint in meiner Brust
Die glutverbissnen Lippen eisen
Im Atem wittert Laubwelk!
Dein Blick versargt
Und
Hastet polternd Worte drauf.
Vergessen
Bröckeln nach die Hände!
Frei
Buhlt dein Kleidsaum
Schlenkrig
Drüber rüber!