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Johann Christian Günther


Flavie (Johanna von Kotulinski)

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Auf den Tod seiner geliebten Flavie

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, so sie gefällt, muß mich auch selber töten.
Die Schönheit und ihr Kind, mein Leben sinkt ins Grab,
Das meine Lust vergräbt. Was mir der Himmel gab,
Nimm jetzt die Erde hin. Der Zierrat aller Wälder,
Der Ausbund aller Treu, macht der Elyser Felder
Durch seinen Tod beglückt. Die ewig schwarze Nacht
Verhüllt mein Sonnenlicht. Was mir das Leben bracht,
Geht zu den Toten hin. Der Augen holder Sterne
Verlieren Glanz und Schein. Die Schale liegt vom Kerne
Zusamt den Schlacken hier, und der beredte Mund
Macht durch ein stummes Wort die letzte Rede kund.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, der sie betrifft, muß mich auch selber töten.
Die Ohnmacht hängt mir zu. Der Parzen Urteilsstab
Reißt meiner Flavie den Schönheitspurpur ab.
Die Äcker fühlen es. Die Zierlichkeit der Blätter
Verläßt den dürren Stamm, wie wenn ein Donnerwetter
Die grünen Äste teilt. Es seufzen Feld und Wald,
Da ein gebrochen Wort in seinen Tälern schallt
Und ihren Tod beklagt. In den bestürzten Flüssen
Sieht man der Nymphen Schar die Tränen häufig gießen.
Die Hügel stehn gebückt, die hohlen Gründe schrein:
geht meine Flavie, geht mein Vergnügen ein.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, so sie gerührt, muß mich auch selber töten.
Die Pallas und das Volk der Schäfer grämen sich
Um ihre Schäferin, die sie so inniglich,
So ungemein geliebt, da die zerstreuten Hirten
Die Lenden mit Napell, den Leib mit Jammer gürten.
Das angenehme Vieh der Schafe liegt gestreckt,
Ihr Blöken, das dich ruft, doch aber nicht erweckt,
Betäubet fast mein Ohr. Ich selber bin verlassen,
Ich kann vor Kummer kaum mich und mein Herze fassen,
Dem nun das Herze fehlt. Wenn meine Sehnsucht ruft:
Wo bist du, Flavie? so hört es nur die Gruft.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, so sie gefällt, muß mich auch selber töten.
Zuvor versorgte Schar, nunmehr verwaistes Vieh,
Betrübte Lämmer, klagt; mein Engel wird euch nie,
So wie zuvor geschehn, an jenen Silberbächen
Des Hungers Macht mit Klee, den Durst mit Wasser brechen
Noch, wenn der Tag sich kühlt, der Berge Schatten wächst,
Und eure Müdigkeit nach ihren Ställen lechzt,
Euch mit gefüllter Hand das Abendfutter reichen.
Kommt, liebe Schafe, kommt, verlaßt die wilden Eichen,
Wo Schrecken und Gefahr sich mit den Wölfen paart;
Ihr seid bei mir so gut als irgendwo verwahrt.
Ich will euch günstig sein, ich will euch immer lieben,
In meine Hürden tun, zu meiner Herde schieben.
Ihr sollt fast jeden Tag auf frische Triften gehn,
In Blumen, Gras und Klee bis an die Bäuche stehn.
Geht jetzo, wo ihr wollt, der Weide zu genießen,
Doch hütet euch, daß ihr nicht mit den bloßen Füßen
Den werten Berg entehrt, das Heiligtum entweiht,
Wo meiner Liebsten Gruft mir auch mein Sterben dräut.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag der sie entseelt, muß mich auch selber töten,
Betrübtes Heiligtum und du bemooster Berg,
Wo meine Flavie, der Schönheit Wunderwerk,
In tote Täler steigt. auf deinen Angstgebirgen
Wird Kummer, Angst und Leid mich endlich noch erwürgen
Und in die Erde ziehn. Sein grünes Sommerkleid
Mehrt meine Hoffnung nicht; des Todes Bitterkeit
Vergällt mir alle Lust. Bei diesem Leichensteine,
Der meiner Flavien geliebteste Gebeine
Bedeckt, doch nicht beschwert. vergeht mein Paradies.
Die. so im Leben schon mein ander Leben hieß,
Zieht endlich einen Teil von meiner treuen Seele
Mit der Beständigkeit in ihre Grabeshöhle.
Die meine Schmerzen weiß und meinen Kummer kennt,
Die meine Klagen zwar gerecht und zärtlich nennt,
Nicht aber widerlegt. Bringt Blumen und Violen,
Laßt Narden und Jasmin aus fremden Ländern holen,
Salbt den erblaßten Leib, beräuchert Gruft und Sarg
Mit Ambra und Zibeth. ja zieht das beste Mark
Aus Perlen. Gold und Stein, belebt die kalten Glieder
Mit warmen Mumien, vielleicht erwacht sie wieder.
Doch wer im Tode schläft, der schläft nicht eher aus,
Bis ihn der Himmel weckt und sich das Sternenhaus
Zu seinem Bette naht. Ach widriges Geschicke!
Denkt mein betrübter Sinn an die beliebten Blicke,
Die ich vor kurzer Zeit- - Schweig. die Erinnerung
Der Lust vermehrt die Last. Drum sei es auch genung
Bedacht, doch nicht beklagt. beweint, doch nicht vergessen,
Man darf die Trübsal nicht nach vielen Tränen messen,
Weil oft das größte Leid mit trocknen Dingen weint,
Ja, oft ein Donner kommt. wenn gleich die Sonne scheint
Und sich kein Regen regt. Doch ihr geweihten Hügel
Wo meine Klagen selbst der Morgenröte Flügel
Und Hesperus beklagt, straft meinen Vorsatz nicht,
Der seiner Flavie die letzte Treu verspricht,
Sich nun und nimmermehr von hinnen zu entfernen,
Von dieser Gruft zu gehn, bis ihn der Rat der Sternen
Zu seinem Sterne bringt, der nun verklärter strahlt
Und in der Ewigkeit die Sternenzimmer malt.
Du meines Lebens Tod und du mein totes Leben,
Erblaßte Flavie, mein Sinn bleibt dir ergeben,
Mein Wille dir geschenkt, mein Wollen zugetan;
Ach, daß ich's, wie ich will, nicht gut besingen kann,
Nicht recht beschreiben darf. Es soll gleichwohl indessen
Dein Grabmal, deine Gruft, von Lorbeern und Zypressen
Erhöht und lustig stehn. Ein jährlich Trauerfest
(Wer weiß, ob mich der Tod gar lange trauern läßt!)
Soll dir gewidmet sein. Ein Kranz von Myrtenzweigen,
Den viele Tropfen statt der Rubinen beugen,
Soll um den morschen Schlaf ein traurig Merkmal ziehn,
Daß diese Blätter noch wie meine Liebe blühn,
Wie meine Treu bestehn, wie meine Flammen dauern.
Vielleicht rührt sich (der Wein kann nicht versauern,
Den uns die Hoffnung schenkt,) der aufgescharrte Sand
Und macht den Toten auch mein Opferlied bekannt.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Dei Schlag, der sie betäubt, muß mich auch selber töten
Der Kindheit Morgen warf den Zunder in die Brust,
Der nach und nach entglamm; die erste Liebeslust
War Spiel und Dockenwerk. Ich war dir schon gewogen,
Als aus den Wangen noch kein Haar die Milch gesogen.
Wir waren schwach und klein, die Liebe stark und groß
Und größer als wir selbst. Oft trug uns eine Schoß,
Oft führt' uns eine Hand, noch öfter das Verlangen.
Wie öfters hat uns nicht ein kindliches Umfangen
Die Armen schwer und blau wie selbsten laß gemacht!
Uns nahm die Wärterin, wir unsre Lust in Acht.
Wir spielten in der Zeit, wir scherzten mit den Jahren,
Sie aber auch mit uns. Ach Schmerz, den ich erfahren,
Der mir nun Schmerz gebiert! Auch unser Unverstand
Verstand die Liebe schon. Ein doppelt Wiegenband
Verknüpfe mich und sie. Wo sind dieselben Tage?
Vergänglichkeit und Tod erörtert diese Frage
Durch einen Totenkopf. Ach Antwort ohne Wort,
Obgleich nicht ohne Mund! Höchstangenehmer Ort,
Höchstangenehmes Feld, wo meine Herde ging
Und meine Ziegenschar an jenen Klippen hing,
Wo ich und Flavie das schöne Lustgefilde
Bewundert und beschaut, wie von dem frechen Wilde
Die Wälder zitterten, wenn Erd und Luft erklang,
Da meine Flavie in diese Flöte sang.
Hier trieben wir die Zucht der Lämmer oft zusammen,
Dort sah ein Ulmenbaum die unentweihten Flammen,
Hier warf der müde Schlaf mein Haupt ihr in die Schoß,
Dort riß der Sommer uns die Oberkleiderlos.
In diesem jungen Heu vermieden wir das Schwitzen,
Bei dieser Buche schlug ein unerhörtes Blitzen
Dir den Melampus tot, hier hub sich unser Bund
Mit unsrer Jugend an, hier ward mein Leib verwund't,
Und auch dein Geist betrübt, als mir der Fuß entglitten;
Hier half die Dämmerung mir deinen Sinn erbitten,
Daß du den Hirtenstab an einen Baum gelehnt,
Die Tasche abgeschält und dich mit mir gewöhnt,
Auch ohne Federn uns ein Lager aufzubetten,
Auf dem die Glieder Ruh, die Kräfte Stärkung hätten.
Oft sah der Morgen uns und unsrer Liebe zu,
Oft gab der Abend uns und unsrer Liebe Ruh.
Bald überlegten wir die überlebten Zelten,
Bald die zukünftigen, auf die wir uns schon freuten.
Bald schwatzten wir uns viel von Hochzeitmachen vor,
Bald von Beständigkeit; bald hielt dein kluges Ohr
An meiner Poesie, bald lechzte mein Verlangen
Nach deiner Gegenwart, die, wenn du mir entgangen,
Den satten Schafen wohl, mir aber bange tat.
Wer aber schafft vorjetzt dem bloßen Wünschen Rat?
Die Zeiten sind entwischt, die Stunden sind verstrichen
Und meine Flavie war mit der Zeit entwichen,
Doch nicht zur Wiederkunft. Das ganz verstimmte Rohr
Und der gedämpfte Ton bringt lauter Klagen vor.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, der sie entrückt, muß mich auch selber töten.
Der Rosen Scharlach färbt die roten Wangen bleich,
Die Lilien fallen hin, die Steine werden weich,
Narcissus selber stirbt, es starret sein Gesichte,
Das sich zuvor erhitzt. Die wohlgestalte Fichte
Zieht Kopf und Gipfel ein, der Hyacinth verdirbt,
Da kaum ein halbes Ach! mit seiner Zunge stirbt.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, der sie entführt, muß mich auch selber töten.
Welch Schrecken, welche Pein, welch ungestümer Nord
Reißt mein Vergnügen ein, reißt meine Hoffnung fort,
Die ferner nichts mehr hofft? Der Vögel süßes Singen
Wird meiner Flavie kein Morgenlied mehr bringen.
Der Sonne selber graut. Die werte Nachtigall
Besinget meinen Schmerz, beweinet deinen Fall,
Mit dem mein Anker fällt. Die Lüfte werden trübe,
Weil sie der Untergang von meiner keuschen Liebe
Mit Wolken überdeckt; mit Nebel überzieht
Und in der Blüte schon mein Wohlergehn verblüht.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, so sie verletzt, muß mich auch selber töten.
Klagt, liebe Vögel, klagt, weint, Blumen, Feld und Vieh,
Schreit, Hirten, Berg und Tal, weil ihr der Tod zu früh
Und mir zu langsam kommt. Mein bangsames Gewinsel
Vermählet sich mit euch. Wer schafft mir Kiel und Pinsel,
Der meine Schmerzen malt, der meine Sehnsucht trifft,
Die ohne den Kompaß und ohne Leitstern schifft;
Die ohne - - doch was soll ein großes Wortgepränge?
Dem Schmerzen ist mein Herz und mir die Welt zu enge;
Ich muß, doch aber nein; Ich werde, aber was?
Ich kann, doch wie? Ich mag, wodurch? Ich will das Gras,
Ach wollen, wenn man muß, mit Blut und Tränen netzen,
Mich als ein lebend Grab zu deinem Grabe setzen,
Wo mein Gelücke schläft, wo mein Betrübnis wacht
Und meiner Liebsten Sarg die Erde fruchtbar macht.
Hier soll ein Tränenbach auf die Gebeine schwimmen,
In deren Asche noch die zarten Funken glimmen.
Hier soll mein Herze selbst dein bester Leichenstein,
Die Überschrift von Blut: Hier liegt mein Leben, sein.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, der sie erwürgt, muß mich auch selber töten.
Kann, schöne Flavie, dein felsenharter Sinn
Auch ohne seinen Freund aus diesem Leben ziehn?
Darf, sag ich noch einmal, dein voriges Vergnügen,
Jetzt dein Verlassener, nicht in den Armen liegen,
Die nun der Tod umarmt? Du weißt, ich war bereit,
Mit dir, Geliebteste, des Leibes Einigkeit
Und der Gemüter Band in Jener Welt zu suchen;
Ich suchte diesen Tod und muß den Schluß verfluchen
Der mir das Leben schenkt, der mich zu Tode quält.
Ach, daß uns nicht ein Sarg wie vor ein Sinn vermählt!
Kann, ohne dich zu sehn, dem Auge was gefallen,
Da sich dein Auge schleußt? Kann ohne Furcht zu lallen
Des Mundes nasse Pflicht bei deiner Bahre tun,
Was ihm zu tun gebührt? Kann noch mein Schenkel ruhn,
Da mir dein Fuß entwischt? Die blumenvollen Wiesen.
Die ich zuvor gelobt, die ich zuvor gepriesen,
Sind mir jetzund verhaßt. Der edelste Geruch
Riecht mir nach Überdruß. Das allerbeste Buch,
Das meiner Seelen mehr als Zuckerbrot gewesen.
Läßt mich den Leichentext aus allen Zeilen lesen:
Mein Wohlsein ist mit ihr und sie mit ihm vorbei.
Was Wunder, wenn sich mir dein totes Konterfei
An allen Blättern weist. die sich vom Stamme rissen
Und also uns versagt. den Schatten zu genießen,
So daß noch jeder Ast der Liebe Bildnis trägt,
Das mir das Herze so wie ihn der Wind bewegt.

Stirbt meine Flavie, so klagen meine Flöten,
Der Schlag, der sie entrückt, muß mich auch selber töten.

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