Heinrich Heine: Elementargeister


"Nachtrabe"

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Ich kann nicht umhin ein altes Lied mitzuteilen, worin nicht bloß von der Federhaut gesprochen wird, sondern auch von den Nachtraben, die ein Seitenstück zu den Schwanenjungfrauen bilden. Dieses Lied ist so schauerlich, so grauenhaft, so düster, wie eine skandinavische Nacht, und doch glüht darin: eine liebe, die an wilder, Süße und, brennender Innigkeit nicht ihres Gleichen hat, eine Liebe, die immer gewaltiger entlodernd, endlich wie ein Nordlicht emporschießt und mit ihren leidenschaftlichen Strahlen den ganzen Himmel überflammt. Indem ich hier dieses ungeheure Liebesgedicht mitteile, muß ich vorausbemerken, daß ich mir dabei nur metrische Veränderungen erlaubte, daß ich nur am Äußerlichen, an dem Gewande, hie und da ein bißchen geschneidert. Der Refrain nach jeder Strophe ist immer: “So fliegt er über das Meer!”

Sie schifften wohl über das salzige Meer,
Der König und die Königinn beide;
Daß die Königinn nicht geblieben daheim,
Das ward zu großem Leide.

Das Schiff das stand auf einmal still,
Sie konnten's nicht weiter lenken;
Ein wilder Nachtrabe geflogen kam,
Er wollt's in den Grund versenken.

“Ist jemand unter den: Wellen versteckt,
Und hält das Schiff befestigt?
Ich gebe ihm beides Silber und Gold,
Er lasse uns unbelästigt.

So du es bist, Nachtrabe wild,
So senk' uns nicht zu Grunde,
Ich gebe dir beides Silber und Gold,
Wohl fünfzehn gewogene Pfunde.”

“Dein Gold und Silber verlang ich nicht,
Ich verlange bessere Gaben,
Was du trägst unter dem Leibgurt dein,
Das will ich von dir haben.”

“Was ich trage unter dem Leibgurt mein,
Das will ich dir gerne geben,
Das sind ja meine Schlüssel klein,
Nimm hin, und lass' mir mein Leben.“

Sie zog heraus die Schlüssel klein,
Sie warf sie ihm über Bordte.
Der wilde Rabe von dannen flog,
Er hielt sie freudig beim Worte.

Und als die Kön'ginn nach Hause kam,
Sie ging am Strande spatzieren,
Da merkt' sie wie German, der fröhliche Held,
Sich unter dem Leibgurt thät rühren.

Und als fünf Monde verflossen dahin,
Die Königinn eilt in die Kammer,
Eines schönen Sohnes sie genas,
Das ward zu großem Jammer.

Er ward geboren in der Nacht,
Und getauft sogleich den Morgen,
Sie nannten ihn German den fröhlichen Held,
Sie glaubten ihn schon geborgen.

Der Knabe wuchs, er wußte sich gut
Im Reiten und Fechten zu üben,
So oft seine liebe Mutter ihn sah
Thät sich ihr Herz betrüben.

“O Mutter, liebe Mutter mein,
Wenn ich Euch vorübergehe,
Warum so traurig werdet Ihr,
Daß ich Euch weinen sehe?”

“So wisse, German du fröhlicher Held,
Dein Leben ist bald geendet,
Denn als ich dich unter dem Leibgurt trug,
Hab' ich dich dem Raben verpfändet.”

“O Mutter, liebe Mutter mein,
O laßt Eur Leid nur fahren,
Was mir mein Schicksal bescheeren will,
Davor kann mich niemand bewahren.”

Das war eines Donnerstags, im Herbst,
Als kaum der Morgen graute,
Die Frauenstube offen stand,
Da kamen krächzende Laute.

Der häßliche Rabe kam herein,
Setzt sich zu der Königinn dorten:
“Frau Königinn, gebt, mir Eur Kind,
Ihr habt's mir versprochen mit Worten.

Sie aber hat beim höchsten Gott,
Bey allen Heilgen geschworen,
Sie wüßte weder von Tochter noch Sohn,
Die sie auf Erden geboren.

Der häßliche Rabe flog zornig davon,
Und zornig schrie er im Fluge:
“Wo find ich German den fröhlichen Held,
Er gehört mir mit gutem Fuge.”

Und German war alt schon fünfzehn Jahr”
Und ein Mädchen zu freyen gedacht er
Er schickte Boten nach Engelland,
Er warb um des Königs Tochter.

Des Königs Tochter ward ihm verlobt,
Und nach England zu reisen beschloß er.
Wie komm' ich schnell zu meiner Braut,
Rings um die Insel ist Wasser?

Und das war German der fröhliche Held
In, Scharlach sich kleiden that er,
in seinem scharlachrothen Kleid
Vor seine Mutter trat er.

“O Mutter, liebe Mutter mein,
Erfüllet mein Begehre,
Und leiht mir Euer Federgewand,
Daß ich fliegen kann über dem Meere.”

“Mein Federgewand in dem Winkel dort hängt,
Die Federn die fallen zur Erde;
Ich denke daß ich zur Frühjahrzeit
Das Gefieder ausbesseren werde.;

Auch sind die Fittige viel zu breit,
Die Wolken drücken sie nieder
Und ziehst du fort in ein fremdes Land,
Ich schaue dich niemals wieder.”

Er setzte sich in das Federgewand,
Flog fort wohl über das Wasser;
Da traf er den wilden Nachtraben an,
Auf der Klippe im Meere saß er.

Wohl über das Wasser flog er fort,
Inmitten des Sundes kam er;
Da hört' er einen erschrecklichen Laut,
Eine häßliche Stimme vernahm er:

“Willkommen, German, du fröhlicher Held
So lange erwarte ich deiner;
Als deine Mutter dich mir versprach,
Da warst du viel zarter und kleiner.”

“O lass' mich fliegen zu meiner Braut,
Ich treffe (bey meinem Worte!)
Sobald ich sie gesprochen hab',
Dich hier auf demselben Orte.”

“So will. ich dich zeichnen, daß immerdar
Ich dich wiedererkenne im Leben,
Und dieses Zeichen erinnere dich
An das Wort, das du mir gegeben.”

Er hackte ihm aus sein rechtes Aug',
Trank halb ihm das Blut aus dem Herzem
Der Ritter kam zu seiner Braut,
Mit großen Liebesschmerzen.

Er setzte sich in der Jungfraun Saal,
Er war so blutig, so bleiche;
Die kosenden Jungfraun in dem Saal,
Sie verstummten alle sogleiche.

Die Jungfraun ließen Freud und Scherz,
Sie saßen still so sehre;
Aber die stolze Jungfrau Adelutz
Warf von sich Nadel und Scheere.

Die Jungfraun saßen still so sehr,
Sie ließen Scherz und Freude;
Aber die stolze Jungfrau Adelutz
Schlug zusammen die Hände beide.

“Willkommen, German der fröhliche Held,
Wo habt Ihr gespielet so muthig?
Warum sind Eure Wangen so bleich
Und Eure Kleider so blutig?”'

“Adee, stolze Jungfrau Adelutz,
Muß wieder zurück zu dem Raben,
Der mein Aug ausriß, und mein Herzblut trank,
Auch meinen Leib will er haben.”

Einen goldnen Kamm zieht sie heraus
Selbst kämmt sie ihm seine Haare;
Bey jedem Haare das sie kämmt,
Vergießt sie Thränen viel klare.

Bey jeder Locke, die sie ihm schlingt,
Vergießt sie Thränen viel klare;
Sie verwünscht seine Mutter, durch deren Schuld,
Er so viel Unglück erfahre.

Die stolze Jungfrau Adelutz
Zog ihn in ihre Arme beide:
“Deine böse Mutter sey verwünscht,
Sie bracht uns zu solchem Leide.”

“Hört, stolze Jungfrau Adelutz,
Meine Mutter verwünschet nimmer,
Sie konnte nicht wie sie gewollt,
Seinem Schicksal erliegt man immer.”

Er setzte sich in sein Federgewand,
Flog wieder fort so schnelle.
Sie setzt sich in ein andres Federgewand,
Und folgt ihm auf der Stelle.

Er flog wohl auf, er flog wohl ab,
In der weiten Wolkenhöhe;
Sie flog beständig hinter ihm drein,
Blieb immer in seiner Nähe.

“Kehrt um, stolze Jungfrau Adelutz,
Müßt wieder nach Hause fliegen;
Eure Saalthür ließet Ihr offen stehn,
Eure Schlüssel zur Erde liegen.”'

“Lass' meine Saalthür offen stehn,
Meine Schlüssel liegen zur Erde;
Wo Ihr empfangen habt Eur Leid,
Dahin ich Euch folgen werde.”

Er flog wohl ab, er flog wohl auf,
Die Wolken hingen so dichte,
Es brach herein die Dämmerung,
Sie verlor ihn aus dem Gesichte.

Alle die Vögel die sie im Fluge traf,
Die schnitt sie da in Stücken;
Nur dem wilden häßlichen Raben zu nahn
Das wollt' ihr nicht gelücken.

Die stolze Jungfrau Adelutz,
Herunter flog zum Strand sie;
Sie fand nicht German den fröhlichen Held,
Seine rechte Hand nur, fand sie.

Da schwang sie sich wieder erzürnt empor,
Zu treffen den wilden Raben;
Sie flog gen Westen, gen Osten sie flog,
Von ihr selbst den Tod sollt' er haben.

Alle die Vögel, die kamen vor ihre Scheer',
Hat sie in Stücken zerschnitten;
Und als sie den wilden Nachtraben traf,
Sie schnitt ihn entzwey in der Mitten.

Sie schnitt ihn und zerrt ihn, so lang bis sie selbst
Des müden Todes gestorben.
Sie hat um German den fröhlichen Held
So viel Kummer und Noth erworben.




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