Kapitel 2
2. Fünf Teile und drei Stellen des Dramas.
Durch die beiden Hälften der Handlung, welche in einem
Punkt zusammenschließen, erhält das Drama - wenn man die Anordnung durch
Linien verbildlicht- einen pyramidalen Bau. Es steigt von der Einleitung
mit dem Zutritt des erregenden Moments bis zu dem Höhenpunkt, und
fällt von da bis zur Katastrophe. Zwischen diesen drei Teilen liegen die
Teile der Steigerung und des Falles. Jeder dieser fünf Teile kann aus
einer Szene oder aus einer gegliederten Folge von Szenen bestehen, nur
der Höhenpunkt ist gewöhnlich in einer Hauptszene zusammengefaßt.
Diese Teile des
Dramas, a) Einleitung, b) Steigerung, c) Höhenpunkt, d) Fall oder Umkehr,
e) Katastrophe, haben jeder Besonderes in Zweck und Baueinrichtung. Zwischen
ihnen stehen drei wichtige szenische Wirkungen, durch welche die fünf
Teile sowohl geschieden als verbunden werden. Von diesen drei dramatischen
Momenten steht eines, welches den Beginn der bewegten Handlung bezeichnet,
zwischen Einleitung und Steigerung, das zweite, Beginn der Gegenwirkung,
zwischen Höhenpunkt und Umkehr, das dritte, welches vor Eintritt der Katastrophe
noch einmal zu steigern hat, zwischen Umkehr und Katastrophe. Sie heißen
hier: das erregende Moment, das tragische Moment, das Moment der letzten
Spannung. Die erste Wirkung ist jedem Drama nötig, die zweite und dritte
sind gute, aber nicht unentbehrliche Hilfsmittel. - Es werden deshalb
im Folgenden acht Bestandteile des Dramas in ihrer Reihenfolge aufgeführt.
Die Einleitung. Der Brauch des Altertums war, die Vorbedingungen
der Handlung in einem Prolog mitzuteilen. Der Prolog des Sophokles, ja
schon des Aeschylos ist ein durchaus notwendiger und wesentlicher Teil
der Handlung, dramatisch belebt und gegliedert, welcher genau unserer
Eröffnungsszene entspricht und in der alten Regiebedeutung des Wortes
den Teil der Handlung umfaßt, welcher vor dem Einzugsgesang des Chors
lag. Bei Euripides ist er in nachlässiger Rückkehr zu der älteren Gewohnheit
ein epischer Botenbericht, den eine Maske den Zuhörern abstattet, die
nicht einmal immer in dem Stück selbst auftritt, wie Aphrodite im Hippolytos,
der Geist des getöteten Polydoros in der Hekabe. - Bei Shakespeare ist
der Prolog ganz von der Handlung abgelöst, er ist nur Anrede des Dichters,
enthält Artigkeit, Entschuldigung, die Bitte aufzumerken. Die deutsche
Bühne hat, seit ihr nicht mehr nötig ist, Ruhe und Aufmerksamkeit zu erbitten,
diesen Prolog zweckmäßig aufgegeben, sie läßt ihn als Festgruß, welcher
einmal eine einzelne Vorstellung auszeichnet, oder als zufällige Laune
des Dichters zu. Bei Shakespeare sowohl als bei uns ist die Einleitung
wieder in die rechte Stelle getreten, sie ist mit dramatischer Bewegung
erfüllt und ein organischer Teil im Bau des Dramas geworden. Doch hat
in einzelnen Fällen die neuere Bühne einer anderen Versuchung nicht widerstanden,
die Einleitung zu einem Situationsbilde auszuweiten und als besonderes
Vorspiel dem Drama vorauszusenden. Berühmte Beispiele sind die Jungfrau
von Orleans und das Käthchen von Heilbronn, Wallensteins Lager und die
schönsten aller Prologe, die zu Faust.
Daß solche Ablösung der Eröffnungsszene bedenklich ist, wird leicht zugegeben
werden. Der Dichter, welcher sie als ein getrenntes Stück behandelt, ist
gezwungen, ihr eine Ausdehnung und Gliederung zu geben, welche ihrer innern
Bedeutung nicht entspricht. Was als ein Besonderes durch starken Einschnitt
abgesetzt erscheint, verfällt den Gesetzen jeder größeren dramatischen
Einheit, es muß wieder eine Einleitung, Steigerung, eine mäßige Höhe,
einen Abschluß erhalten. Solche Voraussetzungen eines Dramas aber, die
Zustände vor dem Eintritt der bewegenden Kraft, sind einer kräftig gegliederten
Bewegung nicht günstig, und der Dichter wird deshalb seine Personen in
ausgeschmückten und verhältnismäßig breit ausgeführten Situationen vorzuführen
haben. Er wird diese Situationen in einiger Fülle und Reichlichkeit geben
müssen, weil jeder abgeschlossene Bau auch eine selbständige Teilnahme
erwecken und befriedigen soll, was nur bei gewisser Zeitdauer möglich
ist. Dadurch aber entstehen zwei Übelstände, einmal, daß der Haupthandlung
die auf unserer Bühne ohnedies nicht reichlich zugemessene Zeit beschränkt
wird, und ferner, daß das Vorspiel durch die breite Behandlung und den
ruhigen Inhalt wahrscheinlich eine Farbe erhält, welche von der des Dramas
abweicht und den Hörer zerstreut und befriedigt, anstatt ihn vorzubereiten.
Es ist fast immer Bequemlichkeit des Dichters und mangelhafte Anordnung
des Stoffes, welche bei einem Bühnenstück den Aufbau des Vorspiels veranlaßt.
Kein Stoff darf weitere Voraussetzungen behalten als solche, welche sich
in wenigen kurzen Strichen wiedergeben lassen.
Da die Darstellung von Ort, Zeit, Volkstum und Lebensverhältnissen des
Helden der Einleitung des Dramas zukommt, so wird diese zunächst das Umgebende
kurz charakterisieren. Außerdem wird dem Dichter hier Gelegenheit, sowohl
die eigentümliche Stimmung des Stückes wie in kurzer Ouvertüre anzudeuten,
als auch das Tempo desselben, die größere Leidenschaftlichkeit oder Ruhe,
mit welcher die Handlung forteilt. Der gemäßigte Gang, das milde Licht
im Tasso wird durch den heitern Glanz des fürstlichen Gartens, die ruhige
Unterhaltung der geschmückten Frauen, die Kränze, das Schmücken der Dichterbilder
eingeführt. In Maria Stuart gibt das Erbrechen der Schränke, der Streit
Paulets mit der Kennedy ein gutes Bild der Lage. Im Nathan ist die erregte
Unterhaltung des heimkehrenden Nathan mit Daja eine vortreffliche Einführung
in den würdigen Gang der Handlung und in die Gegensätze der innerlich
bewegten Charaktere. In den Piccolomini gibt die Begrüßung der Generäle
und Questenbergs eine besonders schöne Vorbereitung in die allmählich
steigende Bewegung. Der größte Meister in guten Anfängen ist aber Shakespeare.
In Romeo: Tag, offene Straße, Händel und Schwerterklirren der feindlichen
Parteien; in Hamlet: Nacht, der spannende Kommandoruf, Aufziehen der Wache,
das Erscheinen des Geistes, unruhige, düstere, zweifelvolle Erregtheit;
in Macbeth: Sturm, Donner, die unheimlichen Hexen auf wüster Heide. Und
wieder n Richard III.: keine auffallende Umgebung, ein einzelner Mann
auf der Bühne, der Alle beherrschende Bösewicht, der das ganze dramatische
Leben des Stückes regiert, sich selbst den Prolog sprechend. So in jedem
seiner kunstvolleren Dramen.
Als Regel gelte, daß es nützlich ist, den ersten Akkord nach Eröffnung
der Bühne so stark und nachdrücklich anzuschlagen, als der Charakter des
Stückes erlaubt. Es versteht sich, daß man den Clavigo nicht mit Trommelwirbel
und den Tell nicht mit Kindergezänk in häuslichem Stillleben eröffnet;
eine dem Stücke angemessene kurze Bewegung führe zwanglos zu der ruhigeren
Exposition über. Zuweilen ist dieser erste anspannende Akkord bei Shakespeare,
dem seine Bühne größere Freiheit gestattete, von der folgenden Exposition
durch einen szenischen Einschnitt geschieden; so folgt ihm im Hamlet eine
Hofszene, im Macbeth das Auftreten Duncans und der Schlachtbericht. Ebenso
im Julius Cäsar, wo Unterredung und Streit der Tribunen und Plebejer den
ersten stärkeren Anschlag bilden, welchem sich die Exposition: Unterredung
des Cassius und Brutus und festlicher Einzug des Cäsar, anschließt. Auch
in Maria Stuart folgt dem Streit mit Paulet die Expositionsszene: Maria
und Kennedy; so im Tell dem reizvollen, nur zu melodramatischen Eröffnungsbilde
die Unterredung der Landleute.
Nun ist allerdings dieser Akkord des Anfangs nicht notwendig ein lautes
Zusammentönen verschiedener Personen, sehr gut mögen auch kurze Seelenbewegungen
der Hauptpersonen das erste Kräuseln kleiner Wellen andeuten, welches
die Stürme des Dramas einzuleiten hat. So geht in Emilia Galotti die Exposition
von der unruhigen Bewegung des Prinzen am Arbeitstisch durch die in größerem
Wellenschlage gehaltene Unterredung mit Conti bis in die Szene mit Marinelli,
welche das aufregende Moment: Nachricht von der bevorstehenden Vermählung
Emilias, enthält. Ähnlich, aber weniger bequem im Clavigo von der Unterredung
am Schreibtische des Clavigo durch die Wohnung der Marie bis zum Beginn
der Handlung selbst: dem Besuch des Beaumarchais bei Clavigo. Ja die Handlung
kann sich allmählich so erheben, daß die gehaltene Ruhe des Anfangs eine
wirksame Unterlage bildet, wie in Goethes Iphigenie.
Wenn Shakespeare und die Deutschen der frühern Zeit - Sara Sampson, Clavigo
- in der Einleitung den Szenenwechsel nicht vermieden haben, so ist das
für unsere Bühne nicht nachzuahmen. Die Exposition soll jedes Zerstreuende
von sich fernhalten; ihre Aufgabe, vorzubereiten, erfüllt sie am besten,
wenn sie so fortläuft, daß dem kurzen einleitenden Akkord eine ausgeführte
Szene folgt, welche durch schnellen Übergang mit der folgenden Szene des
erregenden Momentes verbunden ist. Julius Cäsar, Maria Stuart, Wallenstein
sind nach dieser Richtung treffliche Vorbilder.
Die Schwierigkeit, auch den Vertretern des Gegenspiels eine Stelle in
der Einleitung zu geben, ist nicht unüberwindlich. In der szenischen Anordnung
wenigstens muß der Dichter seine volle Herrschaft über den Stoff empfinden,
und es ist gewöhnlich nur eine Befangenheit seiner Einbildungskraft, wenn
ihm dergleichen unmöglich scheint. Sollte aber die Einfügung der Gegenpartei
in die Exposition untunlich werden, so ist immer noch Zeit, dieselbe in
den ersten Szenen der bewegten Handlung vorzuführen.
Ohne sich deshalb die möglichen Fälle in eine Schablone zu zwängen, darf
der Dichter festhalten, daß ein regelmäßiger Bau der Einleitung folgender
ist: scharf bezeichnender Akkord, ausgeführte Szene, kurzer Übergang in
das erste Moment der Bewegung.
Das erregende Moment. Der Eintritt der bewegten Handlung findet
an der Stelle des Dramas statt, wo in der Seele des Helden ein Gefühl
oder Wollen aufsteigt, welches die Veranlassung zu der folgenden Handlung
wird, oder wo das Gegenspiel den Entschluß faßt, durch seine Hebel den
Helden in Bewegung zu setzen. Offenbar wird dieses Treibende bedeutsamer
in solchen Stücken hervortreten, bei denen der Hauptspieler die erste
Hälfte willenskräftig beherrscht, aber es bleibt bei jeder Anordnung ein
wichtiges Moment der Handlung. Im Julius Cäsar ist dies Treibende der
Gedanke, den Cäsar zu töten, welcher durch das Gespräch mit Cassius allmählich
in die Seele des Brutus gelegt wird. Im Othello tritt es nach den stürmischen
Nachtszenen, der Exposition, durch die zweite Unterredung zwischen Jago
und Rodrigo hervor mit der Verabredung, Desdemona und den Mohren zu entzweien.
In Richard III. dagegen steigt es im ersten Anfange des Stückes zugleich
mit der Exposition aus der Seele des Helden als fertiger Plan herauf.
Beidemal ist seine Stellung bezeichnend für den Charakter der Stücke,
im Othello, wo das Gegenspiel führt, am Schluß einer längeren Einleitung,
im Richard, wo der Bösewicht allein herrscht, im ersten Auftritt. Im Romeo
kommt dies veranlassende Motiv an die Seele des Helden in der Unterredung
mit Benvolio als Entschluß, das Maskenfest zu besuchen, und unmittelbar
vor dieser kleinen Szene läuft als Parallelszene die erste Unterredung
zwischen Paris und Capulet, durch welche das Schicksal Julias bestimmt
wird; beide szenischen Momente, so bedeutsam nebeneinandergestellt, bilden
zusammen das Treibende dieses Dramas, welches zwei Helden hat,
die beiden Liebenden. In Emilia Galotti sinkt es als Nachricht von der
bevorstehenden Vermählung der Heldin in die Seele des Prinzen, im Clavigo
ist es die Ankunft des Beaumarchais bei seiner Schwester, in Maria Stuart
ist es das Bekenntnis, welches Mortimer der Maria ablegt.
Schwerlich wird jemand die Ansicht hegen, daß der Faust besser ein regelmäßiges
Bühnendrama geworden wäre; aber es ist gerade belehrend, an diesem größten
Gedicht der Deutschen zu begreifen, wie die Gesetze des Schaffens noch
bei der freiesten Erfindung in dramatischer Form Gehorsam forderten. Auch
dieses Stück hat ein erregendes Moment, den Eintritt des Mephisto in die
Stube des Faust. Was vorhergeht, ist Exposition, die dramatisch bewegte
Handlung umfaßt das Verhältnis zwischen Faust und Gretchen; sie hat ihre
steigende und fallende Hälfte, von dem Erscheinen des Mephisto steigt
sie bis zum Höhenpunkt, der Szene, welche die Hingabe Gretchens an Faust
andeutet, von da fällt sie bis zur Katastrophe. Das Ungewöhnliche des
Baues liegt, abgesehen von den späteren Episoden, nur darin, daß die Szenen
der Einleitung und des erregenden Momentes das halbe Stück füllen, und
etwa, daß der Höhenpunkt nicht stark herausgetrieben ist. Im Übrigen aber
hat das Stück, dessen Szenen wie an einem Faden zusammengereiht scheinen,
eine kleine vollständig geordnete Handlung von einfacher und sogar regelmäßiger
Beschaffenheit. Man hat nur nötig, die Begegnung mit Gretchen als an das
Ende eines ersten Aktes gestellt zu denken.
Shakespeare behandelt dies Eintreten der Bewegung mit besonderer Sorgfalt.
Ist ihm das erregende Moment einmal zu klein und leicht, wie in Romeo
und Julie, so weiß er es zu verstärken; deshalb muß Romeo, nachdem das
Eindringen bei den Capulet beschlossen ist, vor dem Hause seine finsteren
Ahnungen aussprechen. In drei Stücken hat er dabei seiner Neigung, ein
Motiv zu wiederholen, nachgegeben. Jedesmal mit großer Wirkung. Wie die
Szene im Othello: „Schaff einen Beutel mit Geld“, eine Variation des einleitenden
Akkordes ist, so auch die Hexen, welche dem Macbeth die blutigen Gedanken
aufregen, so der Geist, welcher dem Hamlet den Mord verkündet. Was im
ersten Aufgange des Stückes Ton und Farbe andeutete, wird auch die aufstachelnde
Gewalt für die Seele der Helden.
Aus den angeführten Beispielen ist ersichtlich, daß dies Moment der Handlung
in sehr verschiedener Gestalt auftreten könne. Es mag eine ausgeführte
Szene füllen, es mag in wenigen Worten zusammengefaßt werden. Es muß durchaus
nicht immer von außen in die Seele des Helden oder seines Gegenspielers
dringen, es darf ebenso ein Gedanke, ein Wunsch, ein Entschluß sein, welcher
durch eine Reihe von Vorstellungen aus dem Innern des Helden selbst gelockt
wird. Immer aber bildet es den Übergang von der Einleitung zur aufsteigenden
Handlung, entweder als plötzlich eintretend, wie Mortimers Erklärung in
Maria Stuart und die Rettung Baumgartens im Tell, oder allmählich durch
Gespräch und innere Vorgänge herausgebildet, wie der Entschluß des Mordes
bei Brutus, wo an keiner Stelle des erwähnten Zwiegesprächs die furchtbaren
Worte ausgesprochen sind, die Bedeutung der Szene dagegen durch den Argwohn,
welchen der dazwischentretende Cäsar ausdrückt, bedeutsam herausgehoben
wird.
Doch ist für die Arbeit zu beachten, daß dies Moment eine große Ausführung
nur selten verträgt. Es steht im Anfange des Stückes, wo mächtiges Eindringen
auf die Hörenden weder nötig noch ratsam ist. Es hat den Charakter eines
Motivs, welches Richtung gibt und vorbereitet, nicht selbst einen Ruhepunkt
darbietet. Es darf nicht unbedeutend sein, aber auch nicht so stark hervortreten,
daß es nach der Empfindung der Zuschauer dem Folgenden zuviel vorwegnimmt,
also die Spannung, die es erregen soll, verringert oder bereits über das
Schicksal des Helden entscheidet. Hamlets Verdacht darf durch die Offenbarungen
des Geistes nicht zu unbedingter Gewißheit erhoben werden, sonst müßte
der Verlauf des Stückes ein anderer werden. Des Cassius und Brutus Entschluß
darf nicht in klare Worte gefaßt als fertig heraustreten, damit die folgende
Überlegung des Brutus und die Verschwörung als Fortschritt erscheinen.
Der Dichter wird also die Wichtigkeit, womit er dasselbe hervorhebt, wohl
abzudämpfen haben.
Immer aber wird er dasselbe so früh als möglich bringen, denn erst von
ihm ab beginnt ernste dramatische Arbeit.
Eine bequeme Einrichtung für unsere Bühnen ist: nach der Einleitung das
erregende Moment in mäßiger Szene zu geben und die erste folgende Steigerung
in größerer Ausführung anzuschließen. Von solchem regelrechten Bau ist
z.B. der erste Akt der Maria Stuart.
Die Steigerung. Die Handlung ist in Bewegung gesetzt, die Hauptpersonen
haben ihr Wesen dargelegt, die Teilnahme ist angeregt. In einer gegebenen
Richtung hebt sich Stimmung, Leidenschaft, Verwicklung. Es ist in modernen
Stücken kein unbedeutender Teil des dreistündigen Dramas, welcher dieser
Steigerung gehört. Seine Einrichtung hat verhältnismäßig geringe Schwierigkeit.
Folgendes sind die gemeingültigen Regeln dafür.
War es nicht möglich, die wichtigsten Personen des Gegenspiels oder der
Hauptgruppe im Vorhergehenden darzustellen, so muß ihnen jetzt ein Raum
geschafft und Gelegenheit zu bedeutsamer Tätigkeit gegeben werden. Auch
solche, welche erst in der zweiten Hälfte des Dramas wirksam sind, müssen
dringend wünschen, sich schon jetzt dem Hörer bekannt zu machen. - Ob
die Steigerung in einer oder in mehren Stufen bis zum Höhenpunkt laufe,
hängt von Stoff und Behandlung ab. In jedem Fall ist ein Absatz in der
Handlung auch in der Szenenbildung so auszudrücken, daß die dramatischen
Momente, Auftritte und Szenen, welche demselben Abschnitt der Handlung
angehören, auch untereinander zur Einheit geordnet werden, als Hauptszene,
Nebenszenen, Zwischenglieder. Im Julius Cäsar z.B. besteht die Steigerung
vom Moment der Erregung bis zum Höhenpunkt nur aus einer Stufe, der Verschwörung.
Diese bildet mit den vorbereitenden und der dazugehörigen Szene des Gegensatzes
- Brutus und Portia - eine ansehnliche, auch nach den Bedürfnissen unserer
Bühne sehr schön gebaute Szenengruppe, an welche sich sogleich das Szenenbündel
schließt, welches um die Mordszene, den Höhenpunkt, geordnet ist. Dagegen
läuft in Romeo und Julie die Steigerung in vier Absätzen bis zum Höhenpunkte.
Der Bau dieser steigernden Szenengruppen ist hier folgender: Erste Stufe:
der Maskenball. Dreiteilig: zwei Vorszenen (Julia mit Mutter und
Amme. Romeo und seine Genossen) und eine Hauptszene: der Ball selbst (bestehend
aus einem Vorschlag: Unterredung der Diener, und aus vier Momenten: Capulet
ermunternd, Tybalts Zorn und Zurechtweisung, Gespräch der Liebenden, Julia
und die Amme als Schluß): - Zweite Stufe: die Gartenszene. Kurze
Vorszene (Benvolio und Mercutio den Romeo suchend) und große Hauptszene
(die Liebenden beschließen Vermählung). - Dritte Stufe: die Trauung.
Vierteilig: erste Szene: Lorenzo mit Romeo. Zweite Szene: Romeo und
Genossen und Amme als Botenläuferin. Dritte Szene: Julia und Amme als
Botenläuferin. Vierte Szene: Lorenzo und die Liebenden, die Trauung. -
Vierte Stufe: Tybalts Tod. Eine Aktionsszene.
Es folgt die Szenengruppe des Höhenpunktes, welche von den Worten Julias:
„Hinab du flammenhufiges Gespann“ beginnt und bis zu Romeos Abschied:
„Der Schmerz trinkt unser Blut, leb wohl!“ reicht. - Man beachte in den
vier Stufen der Steigerung den verschiedenen Bau der einzelnen Szenen.
Im Maskenball sind kleine Szenen in rascher Folge bis zum Schluß zusammengefügt,
die Gartenszene ist ausgeführte große Szene der Liebenden, im schönen
Abstich dazu sind in der Szenengruppe der Trauung die Vermittler Lorenzo
und die Amme tätig und im Vordergrund gehalten, die Liebenden gedeckt;
Tybalts Tod ist der starke Absatz, welcher die gesamte Steigerung vom
Höhenpunkte scheidet, dessen Szenen höheren Schwung, leidenschaftlichere
Bewegung haben. Die Anordnung des Stückes ist sehr sorgfältig, die Fortschritte
der beiden Helden und die Motive dafür sind in je zwei nebeneinanderlaufenden
Szenen für jeden besonders dargelegt.
Dieselbe Art der Steigerung, langsamer, mit weniger häufigem Szenenwechsel,
ist bei den Deutschen. In Kabale und Liebe z. B. ist das aufregende Moment
des Stückes der Bericht des Wurm an den Vater, daß sein Ferdinand die
Tochter des Musikus liebe. Von da steigt das Stück im Gegenspiel durch
vier Stufen. Erste Stufe (der Vater fordert die Heirat mit der
Milford) in zwei Szenen: Vorszene (er läßt durch Kalb die Verlobung bekannt
machen), Hauptszene (er zwingt den Sohn, die Milford zu besuchen). - Zweite
Stufe (Ferdinand und die Milford): zwei Vorszenen, große Hauptszene
(die Lady besteht darauf, ihn zu heiraten). - Dritte Stufe: zwei
Vorszenen, große Hauptszene (der Präsident will Luise in Haft nehmen,
Ferdinand widersteht). - Vierte Stufe: zwei Szenen (Plan des Präsidenten
mit dem Briefe und die Verschwörung der Schurken). Darauf folgt der Höhenpunkt.
Hauptszene: die Abfassung des Briefes. Auch dieses Stück hat die Eigentümlichkeit,
zwei Haupthelden zu haben, die beiden Liebenden.
Der Inhalt des Dramas ist allerdings peinlich, aber der Bau ist bei einiger
Unbehilflichkeit in der Szenenführung doch im Ganzen regelmäßig und besonderer
Beachtung wert, weil er weit mehr durch richtige Empfindung des jungen
Dichters, als durch sichere Technik hervorgebracht ist.
Für die Szenen der Steigerung gilt der Satz, daß sie eine fortlaufende
Verstärkung der Teilnahme hervorzubringen haben; sie müssen deshalb nicht
nur durch ihren Inhalt den Fortschritt darstellen, auch in Form und Behandlung
eine Vergrößerung zeigen, und zwar mit Wechsel und Schattierungen in der
Ausführung; sind mehre Stufen nötig, so muß die vorletzte oder letzte
den Charakter einer Hauptszene erhalten.
Der Höhenpunkt des Dramas ist die Stelle des Stückes, in welcher
das Ergebnis des aufsteigenden Kampfes stark und entschieden heraustritt,
er ist fast immer die Spitze einer groß ausgeführten Szene, an welche
sich die kleineren Verbindungsszenen von der Steigerung und der fallenden
Handlung heranlegen. Allen Glanz der Poesie, alle dramatische Kraft wird
der Dichter anzuwenden haben, um diesen Mittelpunkt seines Kunstwerks
lebendig herauszuheben. Die höchste Bedeutung hat er freilich nur in den
Stücken, in denen der Held die aufsteigende Handlung durch seine innern
Seelenvorgänge treibt; bei den Dramen, welche durch das Gegenspiel steigen,
bezeichnet er die allerdings wichtige Stelle, wo dies Spiel den Haupthelden
gefangen und in die Richtung des Falles verlockt hat. Prachtvolle Beispiele
sind fast in jedem Stück Shakespeares und der Deutschen zu finden. So
ist die Hüttenszene im Lear, das Spiel der drei Gestörten und die Verurteilung
des Sessels vielleicht das Wirkungsreichste, was je auf der Bühne dargestellt
wurde, wie auch die Steigerung Lears bis zu dieser Szene des ausbrechenden
Wahnsinns von furchtbarer Großartigkeit ist. Die Szene ist auch deshalb
merkwürdig, weil der große Dichter hier den Humor zur Verstärkung der
schauerlichen Wirkung benutzt hat und weil dies eine von den sehr seltenen
Stellen ist, wo der Hörer trotz der ungeheuren Erregtheit mit einem gewissen
Befremden wahrnimmt, daß Shakespeare zum Heraustreiben der Wirkung Kunstgriffe
anwendet. Edgar ist keine glückliche Zugabe der Szene - In anderer Weise
lehrreich ist die Bankettszene im Macbeth. In diesem Trauerspiel war eine
vorausgegangene Szene, die Mordnacht, so gewaltig herausgetrieben, und
durch höchste dramatische Poesie so reich ausgestattet worden, daß man
an der Möglichkeit einer Steigerung verzweifeln möchte. Und sie ist doch
erreicht. Das Ringen mit dem Geist und die fürchterlichen Gewissenskämpfe
des Mörders sind in der unruhigen Szene, zu welcher die festliche Gesellschaft
und der Königsglanz den wirksamsten Gegensatz bilden, mit einer Wahrheit
und wilden Poesie geschildert, bei welcher das Herz des Hörers erbebt.
- Im Othello dagegen liegt der Höhenpunkt in der großen Szene, in welcher
Jago dem Othello die Eifersucht aufregt; sie ist langsam vorbereitet und
der Beginn des erschütternden Seelenkampfes, in welchem der Held untergeht.
- Im Clavigo ist er die Versöhnung Clavigos mit Marie, in Emilia Galotti
der Fußfall Emilias, in beiden Stücken von dem vorherrschenden Gegenspiel
gedeckt. Dagegen ist er bei Schiller wieder in allen Stücken kräftig entwickelt.
Dies Herausbrechen der Tat aus der Seele des Helden oder das Einströmen
der verhängnisvollen Eindrücke in dieselbe, das erste große Resultat des
hochgesteigerten Kampfes oder der Beginn des tödlichen innern Konfliktes,
muß in fester Verbindung sowohl mit dem Vorhergehenden als dem Folgenden
erscheinen, es wird sich durch größere Behandlung und Wirkung abheben,
aber es wird in der Regel in seiner Entwicklung aus der Steigerung und
in seiner Wirkung auf die Umgebung dargestellt werden; deshalb bildet
die Hauptszene des Höhenpunktes gern den Mittelpunkt einer Gruppe von
Momenten, welche nach beiden Seiten anschießend auf- und abwärts laufen.
In dem Fall, wo der Höhenpunkt durch ein tragisches Moment mit
der sinkenden Handlung verbunden ist, erhält der Bau des Dramas durch
das Zusammentreten zweier wichtiger Stellen, welche sich in scharfem Gegensatz
gegeneinander abheben, einiges Besondere. Über das tragische Moment selbst
mußte früher gesprochen werden. Dieser Anfang der sinkenden Handlung wird
am besten mit dem Höhenpunkt verbunden und von den folgenden Momenten
des Gegenspiels, zu denen er doch gehört, durch einen Einschnitt - unsern
Aktschluß - abgesetzt, der wieder am besten nicht unmittelbar nach dem
Eintritt dieses Tragischen, sondern durch ein allmähliches Austönen seines
scharfen Klanges bewirkt wird. Es ist dabei gleichgültig, ob die Verbindung
dieser beiden großen abstechenden Szenen durch die Verkopplung in einer
Szene oder durch das Zusammenfügen vermittelst eines Zwischengliedes geschieht.
Ein glänzendes Beispiel des ersten Falls ist im Coriolan.
In diesem Stück steigt die Handlung von dem erregenden Moment (Nachricht,
daß der Krieg mit den Volskern unvermeidlich sei) durch die erste Steigerung
(Kampf zwischen Coriolanus und Aufidius) bis zum Höhenpunkt, der Ernennung
des Coriolan zum Konsul. An diese Stelle schließt sich das tragische Moment,
die Verbannung. Was die höchste Erhebung des Helden zu werden schien,
das wird durch seinen unbezähmbaren Stolz in das Gegenteil umschlagen.
Der Umschlag geschieht nicht plötzlich, man sieht ihn - was Shakespeare
überhaupt liebt - sich allmählich auf der Bühne vollziehen, das Überraschende
des Ergebnisses wird erst am Ende der Szene empfunden. Die beiden hier
durch fortlaufende Handlung verbundenen Punkte bilden zusammen eine mächtige
Szenengruppe von heftigster Bewegung, das Ganze von breit ausgeführter
Wirkung. - Aber auch nach dem Schluß dieser Doppelszene wird die Handlung
nicht plötzlich eingeschnitten, denn unmittelbar daran fügt sich als Gegensatz
die schöne, würdig gehaltene Trauerszene des Abschiedes, welche auf das
Folgende hinüberleitet, und noch nachdem der Held geschieden, sind die
Stimmungen der Zurückgebliebenen wie ein zitternder Nachklang der heftigen
Bewegung dargestellt, bevor der Ruhepunkt eintritt.
Noch enger verbunden ist Höhenpunkt und tragisches Moment in Maria Stuart.
Auch hier ist der Eintritt des Höhenpunktes durch den Monolog und die
gehobene lyrische Stimmung der Maria nach Art einer antiken Pathosszene
scharf bezeichnet, und die Stimmungsszene durch ein kleines Verbindungsglied
mit der großen Dialogszene zwischen Maria und Elisabeth verbunden; aber
der dramatische Höhenpunkt reicht noch in diese große Szene hinein, und
in ihr selbst liegt der Übergang zu dem verhängnisvollen Streit, der wieder
in seiner Entwicklung bis ins Einzelne genau dargestellt ist.
Etwas schärfer ist durch eine ausgeführte Zwischenszene Höhenpunkt und
tragisches Moment im Julius Cäsar voneinander getrennt. Auf die Gruppe
der Mordszene folgt die ausgeführte Unterredung der Verschworenen mit
Antonius - dies eingeschobene Glied von sehr schöner Arbeit, - darauf
erst die Redeszene des Brutus und Antonius; auch nach dieser Szene folgen
kleine Übergänge zu den Teilen der Umkehr.
Diese enge Verbindung der beiden wichtigen Teile gibt dem Drama mit tragischem
Moment eine Größe und Ausdehnung der Mitte, welche, wenn man den spielenden
Vergleich mit Linien fortsetzt, die pyramidale Form in eine Doppelspitze
verwandelt.
Der schwierigste Teil des Dramas ist die Szenenfolge der fallenden
Handlung oder, wie sie wohl genannt wird, der Umkehr; allerdings
treten die Gefahren zumeist bei den kraftvollen Stücken ein, in denen
die Helden die Führung haben. Bis zum Höhenpunkt war die Teilnahme an
die eingeschlagene Richtung der Hauptcharaktere gefesselt. Nach der Tat
entsteht eine Pause. Die Spannung muß auf das Neue erregt werden, dazu
müssen neue Kräfte, vielleicht neue Rollen vorgeführt werden, an denen
der Hörer erst Anteil gewinnen soll. Schon deshalb droht Zerstreuung und
Zersplitterung der szenischen Wirkungen. Dazu kommt, daß die Angriffe
der Gegenpartei auf den Helden sich nicht immer leicht in einer Person
und einer Situation vereinigen lassen, häufig ist es nötig zu zeigen,
wie nach und nach, von verschiedenen Seiten an die Seele des Helden geschlagen
wird; auch dadurch mag, gegenüber der Einheit und dem festen Fortschritt
der ersten Hälfte, die zweite zerrissen, vielteilig, unruhig werden. Zumal
bei geschichtlichen Stoffen, wo das Zusammenfassen der Gegenpartei in
wenige Charaktere am schwierigsten ist.
Und doch fordert die Umkehr eine starke Hebung und Verstärkung der szenischen
Effekte wegen der Sättigung des Hörers, der größeren Bedeutung des Kampfes.
Deshalb ist das erste Gesetz für den Bau dieses Teils, daß die Zahl der
Personen soweit nur möglich beschränkt, die Wirkungen in großen Szenen
zusammengeschlossen werden. Alle Kunst der Technik, alle Kraft der Erfindung
sind nötig, um hier einen Fortschritt der Teilnahme zu sichern
Außerdem noch ein Anderes. Vorzüglich dieser Teil des Dramas ist es, welcher
den Charakter des Dichters in Anspruch nimmt. Denn das Schicksal gewinnt
Macht über den Helden, seine Kämpfe wachsen einem verhängnisvollen Ausgang
zu, der sein ganzes Leben ergreift. Es ist jetzt keine Zeit mehr, durch
kleine Kunstmittel, sorgfältige Ausführung, hübsche Einzelheiten, saubere
Motive zu wirken. Der Kern des Ganzen, Idee und Führung der Handlung treten
mächtig hervor, der Zuschauer versteht den Zusammenhang der Begebenheiten,
sieht die letzte Absicht des Dichters, er soll sich den höchsten Wirkungen
hingeben, und er beginnt mitten in seiner Teilnahme prüfend das Maß seines
Wissens, seiner gemütlichen Neigungen und Bedürfnisse an das Kunstwerk
zu legen. Jeder Fehler im Bau, jeder Mangel in der Charakterzeichnung
wird jetzt lebhaft empfunden. Deshalb gilt für diesen Teil die zweite
Regel: nur große Züge, große Wirkungen; auch die Episoden, welche jetzt
gewagt werden, müssen eine gewisse Bedeutung und Energie haben.
Wie groß die Zahl der Absätze sein müsse, in denen der Sturz des Helden
geschieht, darüber ist keine Vorschrift zu geben als etwa, daß die Umkehr
eine geringere Zahl. wünschenswert macht, als im Allgemeinen die aufsteigende
Handlung verstattet. Für das Steigern dieser Wirkungen wird vor dem Eintritt
der Katastrophe eine ausgeführte Szene nützlich, welche entweder die widerstrebenden
Gewalten im Streit mit dem Helden in stärkster Bewegung zeigt, oder einen
tiefen Einblick in das innere Leben des Helden gestattet. Die große Szene:
Coriolanus und seine Mutter, ist Beispiel des einen Falles, der Monolog
Julias vor dem Schlaftrunk, das Nachtwandeln der Lady Macbeth Beispiel
des andern Falles.
Das Moment der letzten Spannung. Daß die Katastrophe dem Hörer
im Ganzen nicht überraschend kommen dürfe, versteht sich von selbst. Je
mächtiger der Höhenpunkt herausgehoben, je heftiger der Absturz des Helden
war, desto lebhafter muß das Ende vorausempfunden werden; je geringer
die dramatische Kraft des Dichters in der Mitte des Stückes ist, desto
mehr wird er am Ende künsteln und schlagende Wirkungen hervorsuchen. Shakespeare
tut das letztere in seinen regelmäßig gebauten Stücken gar nicht. Leicht,
kurz, wie nachlässig wirft er die Katastrophe hin, ohne dabei durch neue
Wirkungen zu überraschen, sie ist ihm so notwendige Folge des gesamten
Stückes, und der Meister ist so sicher, seine Hörer mit sich fortzureißen,
daß er über die Notwendigkeiten des Schlusses fast eilt. Der geniale Mann
empfand sehr richtig, daß es nötig sei, bei guter Zeit die Stimmung für
die Katastrophe vorzubereiten; deshalb erscheint dem Brutus Cäsars Geist;
deshalb sagt Edmund dem Soldaten, er solle unter gewissen Verhältnissen
Lear und Cordelia töten; so muß Romeo vor der Gruft Juliens noch den Paris
erschlagen, damit die Zuschauer, welche in diesem. Augenblick nicht mehr
an Tybalts Tod denken, ja nicht die Hoffnung aufkommen lassen, das Stück
könne noch gut endigen; deshalb muß der tödliche Neid des Aufidius gegen
Coriolan sich schon vor der großen Szene der Umkehr wiederholt äußern
und Coriolan die berühmten Worte sagen: „Du hast deinen Sohn verloren“;
deshalb hat der König mit Laertes die Ermordung Hamlets durch ein vergiftetes
Rapier vorher zu besprechen. Demungeachtet ist es zuweilen mißlich, ohne
Unterbrechung bis zum Ende zu eilen. Gerade dann, wenn das Gewicht des
unglücklichen Geschicks bereits lange und schwer auf einem Helden lastet,
welchem die gerührte Empfindung des Mörders Rettung wünscht, obgleich
vernünftige Erwägung die innere Notwendigkeit des Untergangs recht wohl
deutlich macht. In solchem Fall ist ein altes anspruchsloses Mittel des
Dichters, dem Gemüt des Hörers für einige Augenblicke Aussicht auf Erleichterung
zu gönnen. Dies geschieht durch eine neue kleine Spannung, dadurch, daß
ein leichtes Hindernis, eine entfernte Möglichkeit glücklicher Lösung,
der bereits angedeuteten Richtung auf das Ende noch in den Weg geworfen
wird. Brutus muß erklären, daß er sich selbst zu töten für feig halte;
der sterbende Edmund muß den Mordbefehl gegen Lear widerrufen; Pater Lorenzo
kann vor dem Augenblick, wo Romeo sich tötet, eintreten; auch Coriolan
kann von den Richtern noch freigesprochen werden; Macbeth ist noch unverwundbar
durch jeden, den ein Weib geboren, als schon der grüne Wald gegen seine
Burg heranzieht. Sogar Richard III. erhält noch die Nachricht, daß die
Flotte des Richmond durch Stürme zerschlagen ist.
Die Anwendung dieses Kunstmittels ist alt, schon Sophokles benutzte dasselbe
in der Antigone zu guter Wirkung. Kreon wird erweicht und widerruft den
Todesbefehl über Antigone; ist mit ihr so verfahren, wie er befahl, so
mag sie noch gerettet werden. Es ist bemerkenswert, daß die Griechen diesen
feinen Zug im Stück anders betrachteten als wir.
Doch gehört Feingefühl dazu, dies Moment gut zu gebrauchen. Es darf nicht
zu unbedeutend werden, sonst verfehlt es die beabsichtigte Wirkung; es
muß aus der Handlung und dem Grundzug der Charaktere herausgearbeitet
sein; es darf aber auch nicht so bedeutend hervorspringen, daß es in der
Tat die Stellung der Parteien wesentlich ändert. Über der aufsteigenden
Möglichkeit muß der Zuschauer immer die abwärts drängende Gewalt des Vorausgegangenen
empfinden.
Katastrophe des Dramas ist uns die Schlußhandlung, welche der Bühne
des Altertums Exodus hieß. In ihr wird die Befangenheit der Hauptcharaktere
durch eine kräftige Tat aufgehoben. Je tiefer der Kampf aus ihrem innersten
Leben hervorgegangen und je größer das Ziel desselben war, desto folgerichtiger
wird die Vernichtung des unterliegenden Helden sein.
Und es muß hier davor gewarnt werden, daß man sich nicht durch moderne
Weichherzigkeit verleiten lasse, auf der Bühne das Leben seiner Helden
zu schonen. Das Drama soll eine in sich abgeschlossene, gänzlich vollendete
Handlung darstellen; hat der Kampf eines Helden in der Tat sein ganzes
Leben ergriffen, so ist es nicht alte Überlieferung, sondern innere Notwendigkeit,
daß man auch die vollständige Verwüstung des Lebens eindringlich mache.
Daß in der Wirklichkeit dem Menschen der Neuzeit unter Umständen noch
ein nicht unkräftiges Leben auch nach tödlichen Kämpfen möglich ist, ändert
für das Drama nichts in der Sache. Denn die Gewalt und Kraft eines Daseins,
welches nach der Handlung des Stückes liegt, die zahllosen versöhnenden
und erhebenden Umstände, welche ein neues Leben zu weihen vermögen, die
soll und kann das Drama nicht mehr darstellen, und eine Hinweisung darauf
wird niemals dem Hörer die Befriedigung eines sichern Abschlusses gewähren.
Über dem Ende der Helden aber muß versöhnend und erhebend im Zuschauer
die Empfindung von dem Vernünftigen und Notwendigen solches Untergangs
lebendig werden. Dies ist nur möglich, wenn durch das Geschick der Helden
eine wirkliche Ausgleichung der kämpfenden Gegensätze hervorgebracht wird.
Die Schlußworte des Dramas haben die Aufgabe, zu erinnern, daß nichts
Zufälliges, einmal Geschehenes dargestellt worden sei, sondern ein Poetisches,
das allgemeinverständliche Bedeutung habe.
Den neueren Dichtern pflegt die Katastrophe Schwierigkeit zu machen. Das
ist kein gutes Zeichen. Wohl gehört unbefangenes Urteil dazu, die Versöhnung
zu finden, welche dem Gefühl des Schauenden nicht widerstrebt und doch
die notwendigen Ergebnisse des Stückes sämtlich umschließt. Roheit und
weichliche Empfindsamkeit verletzen da am meisten, wo das ganze Bühnenwerk
seine Rechtfertigung und Bestätigung finden soll. Aber die Katastrophe
enthält doch nur die notwendigen Folgen der Handlung und der Charaktere;
wer beide fest in der Seele trug, dem kann von dem Schluß seines Dramas
nur sehr wenig zweifelhaft sein. Ja, weil der ganze Bau auf das Ende gerichtet
ist, mag eine kräftige Begabung eher in die entgegengesetzte Gefahr kommen,
das Ende zu früh auszuarbeiten und fertig mit sich herumzutragen; dann
mag das Ende mit den feinen Abstufungen, welche das Vorausgegangene während
der Ausarbeitung erhält, leicht einmal in Widerspruch kommen. Man empfindet
so etwas im Prinzen von Homburg, wo das dem Anfang entsprechende Traumwandeln
am Schlusse, welches offenbar dem Dichter sehr fest in der Seele saß,
mit dem schönen klaren Ton und der breiten Ausführung des vierten und
fünften Aktes durchaus nicht stimmt. Ähnlich im Egmont, wo man den Schluß
- Klärchen als befreites Holland in Verklärung - auch für eher geschrieben
halten möchte als die letzte Szene Klärchens im Stück selbst, zu welcher
dieser Schluß nicht recht paßt. -
Für den Bau der Katastrophe gelten folgende Regeln. Erstens man vermeide
jetzt jedes unnütze Wort und lasse kein Wort, das die Idee des Stückes
aus dem Wesen der Charaktere zwanglos erklären kann, ungesagt.
Ferner versage man sich breite szenische Ausführung, man halte das dramatisch
Darzustellende kurz, einfach, schmucklos, gebe in Wort und Handlung das
Beste und Gedrungenste, fasse die Szenen mit ihren unentbehrlichen Verbindungen
in einen kleinen Körper mit rasch pulsierendem Leben zusammen, vermeide,
solange die Handlung läuft, neue oder schwierige Bühneneffekte, zumal
Massenwirkungen.
Es sind verschiedene Eigenschaften einer Dichternatur, welche bei diesen
acht Teilen des Dramas, auf denen sein kunstgerechter Bau ruht, gefordert
werden. Eine gute Einleitung und ein reizvolles Moment zu finden, welches
die Seele des Helden in Spannung versetzt, ist Sache des Scharfsinns und
der Erfahrung. Den Höhenpunkt mächtig herauszutreiben, ist vorzugsweise
Sache der dichterischen Kraft; die Schlußkatastrophe gut zu machen, dazu
gehört ein männliches Herz und ein hoch überlegener Sinn; die Umkehr aber
wirksam zu schaffen, ist am schwersten. Hier kann weder Erfahrung noch
poetischer Reichtum, noch weise Klarheit des Dichtergeistes das Gelingen
verbürgen, es gehört dazu eine Vereinigung von allen diesen Eigenschaften.
Und außerdem ein guter Stoff und einige gute Einfälle, das heißt gutes
Glück.
Aus den angeführten Bestandteilen - entweder allen oder den notwendigen
- ist jedes Kunstdrama alter und neuer Zeit zusammengefügt.
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