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Gustav Freytag


Die Technik des Dramas

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Kapitel 2

5. Die fünf Akte.


Das Drama der Hellenen war in regelmäßiger Gliederung so aufgebaut, daß zwischen einer abgeschlossenen Einleitung und Katastrophe der Höhenpunkt stark hervortrat, durch wenige Szenen der Steigerung und des Falles mit Anfang und Ende verbunden, darin eine kurze Handlung mit heftiger Leidenschaft gefüllt, in breiter Ausführung. Das Drama des Shakespeare führte eine umfangreiche Handlung in einer bunten Reihe dramatischer Momente, in häufigem Wechsel von ausgeführten Szenen und Nebenszenen zu steiler Höhe empor und vom Gipfel in ähnlicher Stufenfolge abwärts; das Ganze zog geräuschvoll, heftig bewegt, figurenreich, mit starkem Herausheben der hohen Wirkungen vorüber. Die deutsche Bühne, auf welcher seit Lessing unsere Kunst erblühte, faßte die szenischen Wirkungen in größere Gruppen zusammen, welche durch stärkere Einschnitte voneinander getrennt waren. Bedächtig werden die Effekte vorbereitet, langsam ist die Steigerung, der Aufschwung, welcher erreicht wird, längere Zeit von mäßiger Höhe, allmählich, wie sie gestiegen, senkt sich die Handlung zum Schluß.

Der Vorhang unserer Bühne hat einen wesentlichen Einfluß auf den Bau unserer Dramen gehabt. Die Teile des Dramas, welche oben angeführt wurden, mußten jetzt in fünf getrennten Abschnitten untergebracht werden; sie erhielten, weil sie weiter auseinandergezogen wurden, größere Selbständigkeit. Dieser Übergang der alten geteilten Handlung in unsere fünf Akte war allerdings seit sehr langer Zeit vorbereitet. Die wertvolle Verbindung der Stimmungen, welche der antike Chor zwischen den einzelnen Teilen der Handlung dargestellt hatte, fehlte schon bei Shakespeare, aber die offene Bühne und die zuverlässig kürzeren Pausen machten, wie wir häufig aus seinen Dramen erkennen, nicht jedesmal so tiefe Schnitte in den Zusammenhang, als bei uns der Verschluß durch die Gardine und die Zwischenakte mit und ohne Musik. Mit dem Vorhange aber kam auch das Bestreben, die Umgebung der auftretenden Personen nicht nur anzudeuten, sondern in anspruchsvoller Ausführung durch Malerei und Gerät darzustellen. Dadurch wurde die Wirkung des Spiels wesentlich gefärbt, nur zuweilen unterstützt. Auch dadurch wurden die einzelnen Teile der Handlung mehr voneinander getrennt, als noch zu Shakespeares Zeit der Fall war. Denn durch den Wechsel der – oft glänzenden - Dekorationen werden nicht nur die Akte, auch kleinere Teile der Handlung zu besonderen Bildern, welche sich in Farbe und Stimmung voneinander abheben. Jeder solche Wechsel zerstreut, jeder macht eine neue Spannung und Steigerung nötig.

Dadurch wurden kleine, aber wichtige Änderungen im Bau der Stücke hervorgebracht. Jeder Akt erhielt den Charakter einer geschlossenen Handlung. Für jeden wurde ein kleiner Stimmung gebender Vorschlag, eine kurze Einleitung, ein stärker hervortretender Höhenpunkt, ein wirksamer Abschluß wünschenswert. Die reiche Ausstattung der szenischen Umgebung zwang dazu, den Wechsel des Orts, der zu Shakespeares Zeit so leicht gewesen war, mehr zu beschränken, erläuternde Zwischenszenen wegzulassen, längere Teile der Handlung in denselben Raum und auf unmittelbar einander folgende Zeitabschnitte zu verlegen. So wurde die Zahl der Szenen geringer, der dramatische Fluß des Ganzen ruhiger, die Zusammenfügung großer und kleiner Momente kunstvoller.

Doch einen großen Vorteil bot der Verschluß der Bühne. Es wurde jetzt möglich, mitten in eine Situation einzuführen und mitten in einer Situation zu schließen. Der Zuschauer konnte schneller in die Handlung eingeweiht, schneller daraus entlassen werden, ohne die Vorbereitung und die Auflösung dessen, was ihn fesselte, mit in den Kauf zu nehmen. Und das war kein geringer Gewinn, der fünfmal im Stück für Beginn und Ende der Wirkungen möglich wurde. Aber dieser Vorteil bereitete auch eine Gefahr. Die Situationsschilderung, das Vorführen von Zuständen mit geringer dramatischer Bewegung wurde jetzt leichter, das längere Zusammenhalten der Charaktere in demselben geschlossenen Raum begünstigte zumal den ruhigen Deutschen diese Malerei.

Auf so veränderter Bühne führten die deutschen Dichter des vorigen Jahrhunderts ihre Akte auf, bis auf Schiller vorsichtig begründend, sorgfältig einleitend; in einem getragenen Tempo der Szenen und Wirkungen, welches der gemessenen und umständlichen Geselligkeit ihrer Zeit entsprach.

In dem modernen Drama umschließt, im Ganzen betrachtet, jeder Akt einen der fünf Teile des Dramas, der erste enthält die Einleitung, der zweite die Steigerung, der dritte den Höhenpunkt, der vierte die Umkehr, der fünfte die Katastrophe. Aber die Notwendigkeit, die großen Teile des Stückes auch in dem äußern Umfange einander gleichartig zu bilden, bewirkte, daß die einzelnen Akte nicht ganz den fünf Hauptteilen der Handlung entsprechen konnten. Von der steigenden Handlung wurde gewöhnlich die erste Stufe noch in den ersten Akt, die letzte zuweilen in den dritten, von der sinkenden Handlung ebenso Beginn und Ende bisweilen in den dritten und fünften Akt genommen und mit den übrigen Bestandteilen dieser Akte zu einem Ganzen gegliedert. - Allerdings hat bereits Shakespeare seine Abteilungen in der Regel so gebildet.

Die Fünfzahl der Akte ist also kein Zufall. Schon die römische Bühne hielt auf sie. Aber erst seit Ausbildung der neueren Bühne bei Franzosen und Deutschen ist ihr gegenwärtiger Bau festgestellt.

Nur nebenbei sei bemerkt, daß die fünf Teile der Handlung bei kleineren Stoffen und kurzer Behandlung sehr wohl ein Zusammenziehen in eine geringere Zahl von Akten vertragen. Immer müssen die drei Momente: Beginn des Kampfes, Höhenpunkt und Katastrophe, sich stark voneinander abheben, die Handlung läßt sich dann in drei Akten zusammenfassen. Auch bei der kleinsten Handlung, welche in einem Akte verlaufen kann, sind innerhalb desselben die fünf oder drei Teile erkennbar.

Wie aber jeder Akt seine besondere Bedeutung für das Drama hat, so hat er auch Eigentümlichkeiten im Bau. Sehr groß ist die Zahl der Abänderungen, welche hier möglich sind. Jeder Stoff, jede Dichterpersönlichkeit fordern ihr eigenes Recht. Dennoch lassen sich aus der Mehrzahl der vorhandenen Kunstwerke einige häufig wiederkehrende Gesetze erkennen.

Der Akt der Einleitung erhält in der Regel noch den Anfang der Steigerung, also im Ganzen folgende Momente: den einleitenden Akkord, die Szene der Exposition, das aufregende Moment, die erste Szene der Steigerung. Er wird deshalb gern zweiteilig werden und seine Wirkungen auf zwei kleine Höhenpunkte sammeln, von denen der letztere der stärker hervorgehobene sein mag. - So ist in Emilia Galotti die Szene des Prinzen am Arbeitstisch der stimmende Akkord, die Unterredung des Prinzen mit dem Maler Exposition; in der Szene mit Marinelli liegt das erregende Moment: die bevorstehende Vermählung der Emilia. Die erste Steigerung aber liegt in der folgenden kleinen Szene des Prinzen, in seinem Entschluß, Emilia bei den Dominikanern zu treffen. - Im Tasso gibt das Bekränzen der Hermen durch die beiden Frauen die andeutende Stimmung des Stückes, ihre folgende Unterhaltung und das Gespräch mit Alphons die Exposition. Darauf ist das Bekränzen Tassos durch die Prinzessin das erregende Moment, der Eintritt des Antonio und seine kühle Nichtachtung Tassos die erste Stufe der Steigerung. - Ebenso folgen in Maria Stuart das Erbrechen der Schränke, die Bekenntnisse gegen die Kennedy, der Eintritt Mortimers und die große Szene Marias mit den Kommissarien aufeinander. - Im Tell, wo die drei Handlungen verflochten sind, steht nach der stimmenden Situation des Anfangs und kurzer einleitender Unterredung der Landleute das erste aufregende Moment für die Handlung Tells: Baumgartens Flucht und Rettung. Dann folgt als Einleitung für die Handlung des Schweizerbundes die Szene vor Stauffachers Haus. Darauf die erste Steigerung für Tell: die Unterredung mit Stauffacher vor dem Hut auf der Stange. Endlich für die zweite Handlung das aufregende Moment in der Unterredung Walter Fürsts und Melchtals: die Blendung von Melchtals Vater; und als Finale die erste Steigerung: Beschluß der drei Schweizer, auf dem Rütli zu tagen.

Der Akt der Steigerung hat in unseren Dramen die Aufgabe, die Handlung mit vermehrter Spannung heraufzuführen, dabei die Personen des Gegenspiels, welche im ersten Akt keinen Raum gefunden haben, vorzustellen. Ob er nun eine oder mehre Stufen der fortschreitenden Bewegung enthalte, der Hörer hat bereits eine Anzahl Eindrücke aufgenommen, deshalb müssen hierin die Kämpfe größer werden, eine Sammlung derselben in ausgeführter Szene, ein guter Aktschluß wird nützlich. In Emilia Galotti z. B. beginnt der Akt, wie fast jeder Akt bei Lessing, wieder mit einer einleitenden Szene, in welcher kurz die Familie Galotti vorgeführt wird, dann die Intriganten des Marinelli ihren Plan darlegen. Dann folgt in zwei Absätzen die Handlung, von denen der erste die Aufregung Emilias nach der Begegnung mit dem Prinzen, der zweite den Besuch Marinellis und seinen Antrag an Appiani enthält. Beide große Szenen sind durch eine kleinere Situationsszene, welche den Appiani in seinem Verhältnis zu Emilia darstellt, verbunden. Der schön gearbeiteten Szene Marinellis folgt als guter Schluß die empörte Stimmung der Familie. - Der regelmäßige Bau des Tasso zeigt im zweiten Akt ebenfalls zwei Stufen der Steigerung: die Annäherung des Tasso an die Prinzessin und im scharfen Gegensatz dazu seinen Streit mit Antonio. - Der zweite Akt von Maria Stuart führt in einer Einleitung Elisabeth und die übrigen Gegenspieler vor, er enthält die steigende Handlung: Annäherung Elisabeths an Maria in drei Stufen. Zuerst den Kampf der Höflinge für und gegen Maria und die Wirkung des Briefes von Maria auf Elisabeth, ferner die Unterredung des Mortimer mit Leicester, eingeleitet durch das Gespräch der Königin mit Mortimer, endlich die Verlockung Elisabeths durch Leicester, Maria zu sehen. - Tell endlich umfaßt in diesem Akt die Exposition seiner dritten Handlung, der Familie Attinghausen, dann für den Schweizerbund einen in großer Szene ausgeführten Höhenpunkt: das Rütli.

Der Akt des Höhenpunktes hat das Bestreben, seine Momente um eine stark hervortretende Mittelszene zusammenzufassen. Diese wichtigste Szene desselben wird aber, wenn das tragische Moment dazutritt, mit einer zweiten großen Szene verbunden; in diesem Falle rückt die Gipfelszene wohl in den Anfang des dritten Aktes. In Emilia Galotti ist nach einer einleitenden Szene, in welcher der Prinz die gespannte Situation erklärt, und nach dem erläuternden Bericht über den Überfall der Eintritt Emilias Beginn der Gipfelszene; der Fußfall Emilias und die Erklärung des Prinzen sind der höchste Punkt des Stückes. Daran schließt sich der ausbrechende Zorn der Claudia gegen Marinelli als Übergang zu der sinkenden Handlung. - Im Tasso beginnt der Akt mit dem Höhenpunkt, dem Bekenntnis, welches die Prinzessin gegen Leonore von ihrer Neigung zu Tasso ablegt; darauf folgt als erste Stufe der absteigenden Handlung die Unterredung zwischen Leonore und Antonio, worin dieser dem Tasso genähert wird und beschließt, den Dichter am Hofe festzuhalten. - In Maria Stuart liegen Höhenpunkt und tragisches Moment in der großen zweiteiligen Gartenszene. Auf sie folgt, durch kleine Zwischenszenen verbunden, der Ausbruch von Mortimers Leidenschaft zu Maria als Beginn der fallenden Handlung, das Übergangsglied zu dem folgenden Akt bildet die Zerstreuung der Verschworenen. - Der dritte Akt des Tell besteht aus drei Szenen, von denen die erste eine kurze vorbereitende Situationsszene in Tells Hause: Aufbruch Tells, ist, die zweite den Höhenpunkt zwischen Rudenz und Bertha, die dritte, groß ausgeführte den Höhenpunkt der Tellhandlung, den Apfelschuß, enthält.

Der Akt der Umkehr ist von den großen deutschen Dichtern seit Lessing mit besonderer Sorgfalt behandelt worden, und die Wirkungen desselben sind fast immer regelmäßig und in bedeutender Szene zusammengeschlossen. Dagegen ist bei uns Deutschen die Einführung von neuen Rollen im vierten Akt häufiger als bei Shakespeare, welcher den löblichen Brauch hat, seine Gegenspieler schon vorher der Handlung zu verflechten. Ist dies untunlich, so möge man sich doch hüten, durch eine Situationsszene, die das Stück an dieser Stelle schwer erträgt, die Aufmerksamkeit zu zerstreuen. Die Gäste des vierten Aktes müssen rasch und stark in die Handlung eingreifen und durch kräftige Wirksamkeit ihr Erscheinen rechtfertigen. - Der vierte Akt in Emilia Galotti ist zweiteilig. Auf die vorbereitende Unterredung zwischen Marinelli und dem Prinzen tritt der neue Charakter der Orsina als Gehilfin in das Gegenspiel ein. Den Übelstand der neuen Rolle weiß Lessing sehr gut dadurch zu überwinden, daß er der leidenschaftlichen Bewegung dieses bedeutsamen Charakters die Leitung in den folgenden Szenen bis zum Schluß des Aktes übergibt. Auf ihre große Szene mit Marinelli folgt als zweite Stufe des Aktes der Eintritt Odoardos; die hohe Spannung, welche die Handlung dadurch erhält, schließt den Akt wirksam ab. - Im Tasso läuft die Umkehr ebenfalls in zwei Szenen, Tasso mit Leonore und Tasso mit Antonio, beide durch Monologe Tassos geschlossen.

Von dem regelmäßigen vierten Akt der Maria Stuart wird später die Rede sein. - Im Tell enthält der Akt für Tell selbst zwei Stufen der sinkenden Handlung, seine Rettung aus dem Schiff und den Tod Geßlers; dazwischen steht die Szene der Umkehr für die Familie Attinghausen, welche an dieser Stelle mit der Handlung des Schweizerbundes verflochten ist.

Der Akt der Katastrophe enthält fast immer noch außer der Schlußhandlung die letzte Stufe der sinkenden Handlung. In Emilia Galotti beginnt wieder ein einleitendes Duett zwischen dem Prinzen und Marinelli die letzte Stufe der sinkenden Handlung, jene große Unterredung zwischen dem Prinzen, Odoardo und Marinelli: Weigerung, dem Vater die Tochter zurückzugeben, dann die Katastrophe: Ermordung der Emilia. - Ebenso im Tasso. Nach der einleitenden Unterredung des Alphons mit Antonio als Hauptszene: die Bitte Tassos, ihm sein Gedicht zurückzugeben, dann die Katastrophe: Tasso und die Prinzessin. - Maria Stuart, sonst in den einzelnen Akten von musterhaftem Bau, zeigt in diesem Akt die Folgen eines Stoffes, welcher die Heldin seit der Mitte in den Hintergrund stellte und die Gegenspielerin Elisabeth zur Hauptperson machte. Die erste Szenengruppe: Marias Erhebung und Tod enthält ihre Katastrophe mit einem episodischen Situationsbild, ihrer Beichte, welches dem Dichter notwendig schien, um für Maria noch eine kleine Steigerung zu gewinnen. An ihre Katastrophe schließt sich die Katastrophe Leicesters als Verbindungsglied zu der Hauptkatastrophe des Stückes, der Vergeltung an Elisabeth. - Der letzte zweiteilige Akt Tells ist nur Situationsbild mit der Episode des Parricida.

Von allen deutschen Dramen hat die Doppeltragödie Wallenstein den verschlungensten Bau. Dieser ist trotz seiner Verflechtung im Ganzen regelmäßig und schließt sowohl in den „Piccolomini“ als in „Wallensteins Tod“ die Handlung fest zusammen. Wäre die Idee des Stückes vom Dichter so empfunden worden, wie sie der geschichtliche Stoff entgegentrug: Ein ehrgeiziger Feldherr sucht das Heer zum Abfall von seinem Kriegsherrn zu verleiten, wird aber von der Mehrzahl seiner Offiziere und Soldaten verlassen und getötet, so hätte solche Idee allerdings ein regelmäßiges Drama gegeben für auf- und niedersteigende Handlung, nicht unbedeutende Bewegung, die Möglichkeit getreuer Nachbildung des historischen Helden.

Aber bei dieser Fassung der Idee fehlte der Handlung das Beste. Denn ein geplanter Verrat, welcher dem Helden vom Anfang innerlich feststand, schloß die höchste dramatische Aufgabe aus: das Herausarbeiten des Entschlusses aus der leidenschaftlich bewegten Seele des Helden. Wallenstein mußte dargestellt werden, wie er zum Verräter wird, allmählich, durch sein eigenes Wesen und den Zwang der Verhältnisse. So wurde andere Fassung der Idee und Erweiterung der Handlung nötig: Ein Feldherr wird durch übergroße Macht, Ränke der Gegner und sein eigenes stolzes Herz bis zum Verrat an seinem Kriegsherrn gebracht, er versucht das Heer zum Abfall zu verleiten, wird aber von der Mehrzahl seiner Offiziere und Soldaten verlassen und getötet.

Bei dieser Fassung der Idee mußte die aufsteigende Hälfte der Handlung eine fortschreitende Betörung des Helden bis zum Höhenpunkt: dem Entschluß des Verrates, zeigen, dann kam ein Teil: die Verleitung des Heeres zum Abfall, wo die Handlung fast auf derselben Höhe dahinschwebte; endlich in wuchtigem Absturz: Mißglücken und Untergang. Der Kampf des Feldherrn mit seinem Heer war zweiter Teil des Dramas geworden. Die Verteilung dieser Handlung in die fünf Akte eines Trauerspiels würde etwa folgende sein. 1. Akt. Einleitung: die Sammlung des Wallensteinischen Heeres bei Pilsen. Erregendes Moment: Abfertigung des kaiserlichen Gesandten Questenberg. 2. Akt. Steigerung: Wallenstein sucht sich für alle Fälle die Mitwirkung des Heeres durch die Unterschriften der Generäle zu sichern, Bankettszene. 3. Akt. Wallenstein wird durch böse Einflüsterungen, empörten Stolz und Herrschergelüst bis zu Verhandlungen mit den Schweden getrieben. Höhenpunkt: Szene mit Wrangel, an welche sich sogleich als tragisches Moment der erste Sieg des Gegenspielers Octavio schließt: Gewinn des Generals Buttler für den Kaiser. 4. Akt. Umkehr, Abfall der Generäle und der Mehrzahl des Heeres. Aktschluß, Kürassierszene. 5. Akt. Wallenstein in Eger und sein Tod. Bei der breiten und großen Ausführung aber, welche Schiller sich nicht versagt, wurde ihm unmöglich, den an Gestalten und bedeutenden Momenten so reichen Stoff in den Rahmen von fünf Akten einzuzwängen.

Außerdem war ihm sehr bald aus zwingenden Gründen der Charakter des Max wichtig geworden. Ihn schuf das Bedürfnis einer hellen Gestalt in den düsteren Gruppen und der Wunsch, das Verhältnis zwischen Wallenstein und dessen Gegenspieler Octavio bedeutsamer zu machen.

Mit Max eng verbunden erwuchs die Tochter Friedlands. Und diese Liebenden, eigentümliche Gebilde Schillers, gewannen in der schaffenden Seele schnell Bedeutung, welche über das Episodische hinausging. Max, zwischen Octavio und Wallenstein gestellt, bildete dem Dichter einen wirkungsvollen Gegensatz zu beiden, er trat als ein zweiter erster Held in das Drama ein, die episodischen Liebesszenen und der Kampf zwischen Vater und Sohn, zwischen dem jungen Helden und Wallenstein erweiterten sich zu einer besonderen Handlung.

Die Idee dieser zweiten Handlung wurde: Ein hochgesinnter, argloser Jüngling, der die Tochter seines Feldherrn liebt, erkennt, daß sein Vater die politische Intrige gegen seinen Feldherrn leitet, und trennt sich von ihm; er erkennt, daß sein Feldherr zum Verräter geworden ist, und trennt sich von ihm, zu seinem und der Geliebten Untergang. Diese Handlung stellt in ihrem aufsteigenden Teile die Befangenheit der Liebenden und ihre leidenschaftliche Annäherung bis zu dem Höhenpunkte dar, welcher durch die Worte Theklas eingeleitet wird: „Trau ihnen nicht, sie meinen's falsch“. Das Verhältnis der Liebenden zueinander wird bis zur Szene des Höhenpunktes nur dargestellt durch die gehobene Stimmung, mit welcher im ersten Akte Max, im zweiten Thekla sich von ihrer Umgebung abheben. Nach dem Höhenpunkte folgt die Umkehr in zwei großen Stufen, jede von zwei Szenen, Trennung des Max von seinem Vater und Trennung des Max von Wallenstein, darauf die Katastrophe: Thekla empfängt die Botschaft vom Tode des Geliebten, wieder in zwei Szenen. - Bei solchem Aufleuchten zweier dramatischer Ideen entschloß sich der Dichter, die beiden Handlungen in zwei Dramen zu verschlingen, die zusammen eine dramatische Einheit von zehn Akten und einem Vorspiel bildeten.

In den „Piccolomini“ ist das erregende Moment des ersten Aktes ein doppeltes, die Zusammenkunft der Generäle mit Questenberg und die Ankunft der Liebenden im Lager. Hauptpersonen des Stückes sind Max und Thekla, der Höhenpunkt des Dramas liegt in der Unterredung beider, durch welche die Trennung des arglosen Max von seiner Umgebung eingeleitet wird; Katastrophe ist die vollständige Lösung des Max von seinem Vater. Die aus der Handlung von „Wallensteins Tod“ hineingetragenen Stücke sind die Szenen mit Questenberg, Unterredung Wallensteins mit den Getreuen und die Bankettszene, also der größte Teil des ersten Aktes, der zweite und der vierte Akt.

In „Wallensteins Tod“ ist das erregende Moment, die nur berichtete Gefangennahme Sesinas, eng mit der großen Unterredung zwischen Wallenstein und Wrangel verbunden, Höhenpunkt ist der Abfall der Truppen - Abschied der Kürassiere - von Wallenstein. Die Katastrophe aber ist eine doppelte, Bericht über den Tod des Max nebst Flucht Theklas, und die Ermordung Wallensteins. Die aus der Handlung der „Piccolomini“ eingeflochtenen Szenen sind die Unterredungen des Max mit Wallenstein und mit Octavio, Thekla gegenüber ihren Verwandten und die Trennung des Max von Wallenstein, die Botenszene des schwedischen Hauptmanns und der Fluchtentschluß Theklas, also eine Szene und Schluß des zweiten Aktes, der Höhenpunkt des dritten, der Schluß des vierten Aktes.

Nun aber wäre eine solche Verflechtung zweier Handlungen und zweier Stücke ineinander schwer zu rechtfertigen, wenn nicht die dadurch hervorgebrachte Verbindung, das Doppeldrama, selbst wieder eine dramatische Einheit bildete. Dies ist in ausgezeichneter Weise der Fall, die verflochtene Handlung der ganzen Tragödie steigt und fällt in einer gewissen majestätischen Größe. Deshalb sind in den „Piccolomini“ zwei aufregende Momente eng verkoppelt, das erste gehört der Gesamthandlung an, das zweite den „Piccolomini“. Ebenso hat das Doppeldrama zwei dicht beieinander liegende Höhenpunkte, von denen der eine die Katastrophe der „Piccolomini“ und der andere die Eröffnung von „Wallensteins Tod“ ist. Und wieder am Schluß des letzten Dramas zwei Katastrophen, eine für die Liebenden, die zweite für Wallenstein und das Doppeldrama.

Es ist bekannt, daß Schiller während der Ausarbeitung die Grenze zwischen den „Piccolomini“ und „Wallensteins Tod“ verlegt hat. Die „Piccolomini“ umfaßten ursprünglich noch die beiden ersten Akte von „Wallensteins Tod“, also auch noch die innere Lösung des Max von Wallenstein. Und dies war allerdings für die Handlung des Max ein Vorteil. Aber bei dieser Einrichtung fiel auch die Szene mit Wrangel, d. h. die verhängnisvolle Tat Wallensteins, und außerdem der Abfall Buttlers zu Octavio- d.h. die erste Steigerung zu „Wallensteins Tod“ und die erste Stufe der Umkehr für das Gesamtdrama- in das erste der beiden Stücke, und dies wäre ein bedenklicher Übelstand gewesen, denn das zweite Drama hätte bei solcher Einrichtung nur den letzten Teil der Umkehr und die Katastrophe für beide Helden, Wallenstein und Max, enthalten, und trotz der großartigsten Ausführung hätte diesem zweiten Stück die Spannung zu sehr gefehlt. Schiller entschloß sich daher mit Recht, die Teilung weiter nach vorn zu verlegen und das erste Stück mit der großen Kampfszene zwischen Vater und Sohn zu enden. Die „Piccolomini“ verloren dadurch an Geschlossenheit, aber „Wallensteins Tod“ gewann die unentbehrliche Ordnung im Bau. Man beachte wohl, daß Schiller diese Änderung erst in der letzten Stunde machte und daß ihn wahrscheinlich weniger die Rücksicht auf den Bau der Teile als auf den ungleichen Zeitraum, welchen nach der ursprünglichen Einteilung die Aufführung der beiden Stücke gefordert hätte, bestimmte. In der Seele des Dichters formte sich die große Handlung nicht ebenso, wie wir uns dieselbe ihm nachsinnend aus dem fertigen Stück bilden. Er empfand mit überlegener Sicherheit den Verlauf und die poetische Wirkung des Ganzen, die einzelnen Teile des kunstvollen Baues ordneten sich ihm in der Hauptsache mit einer gewissen Naturnotwendigkeit; das Gesetzmäßige der Gliederung machte er sich keineswegs überall durch verständige Überlegung so deutlich, wie wir vor dem fertigen Kunstwerk nachschaffend zu tun genötigt sind. Demungeachtet haben wir ein gutes Recht, dies Gesetzmäßige nachzuweisen, auch da, wo er es nicht, nachdenkend wie wir, in einer Formel erfaßt hat. Denn das gesamte Drama Wallenstein ist in der Einteilung, welche der Dichter zum Teil als selbstverständlich bei dem ersten Entwurf und wieder für einzelne Stücke erst spät, vielleicht aus äußerer Veranlassung gefunden hat, ein fest geschlossenes und regelmäßiges Kunstwerk.*

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* Es sei erlaubt, diesen Bau durch Linien anzudeuten.


1. Ein Drama, wie es nicht in Schillers Plan lag. Idee: Ein treuloser Feldherr sucht das Heer zum Abfall von seinem Kriegsherrn zu verleiten, wird aber von seinen Soldaten verlassen und getötet.


a Erregendes Moment: Verlockung zum Verrat. b Steigerung: etwa Verhandlung mit den Feinden. c Höhenpunkt: scheinbarer Erfolg, etwa die listig erlangte Unterschrift der Generäle. d Umkehr: etwa das Gewissen des Heeres empört sich. e Katastrophe: Tod des Feldherrn.


2. Schillers Wallenstein ohne die Piccolomini.


Idee: Ein Feldherr wird durch übergroße Macht, Intrigen der Gegner und sein eigenes stolzes Herz bis zum Verrat gegen seinen Kriegsherrn verleitet, er sucht das Heer usw.


Darin a b c steigende Handlung bis zum Höhenpunkt: die inneren Kämpfe und Versuchungen, a Questenberg im Lager und Trennung vom Kaiser. b Prüfung der Generäle, Bankettszene. c Höhenpunkt: die erste Tat des Verrats, z. B. die Verhandlungen mit Wrangel. cd Versuche, das Heer zu verführen. d Umkehr: das Gewissen der Soldaten empört sich. e Katastrophe: Tod Wallensteins.


3. Das Doppeldrama. A die Piccolomini (durch Punkte bezeichnet). B Wallensteins Tod (durch Linien bezeichnet).


a a die beiden erregenden Momente: a1 die Generäle und Questenberg für das Gesamtstück, a2 Max' und Theklas Ankunft für die Piccolomini.


c c die beiden Höhenpunkte: c1 Lösung des Max von Octavio, zugleich Katastrophe der Piccolomini. c2 Wallenstein und Wrangel, zugleich Ausführung des erregenden Momentes von Wallensteins Tod


e e die beiden Schlußkatastrophen. e1 der Liebenden und e2 Wallensteins. Ferner ist b, Liebesszene zwischen Max und Thekla, der Höhenpunkt der Piccolomini. f und g sind die aus Wallensteins Tod eingeflochtenen Szenen: Audienz Questenbergs und Bankett, der 2te und 4te Akt der Piccolomini. h, d und e1 sind die aus den Piccolomini in Wallensteins Tod geflochtenen Szenen: Octavios Ränkespiel, Aufbruch des Max, Bericht seines Todes nebst Theklas Flucht: der 2te, 3te, und 4te Akt, d, die Kürassierszene, zugleich Höhenpunkt des zweiten Dramas.
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Es ist sehr zu bedauern, daß unsere Theaterverhältnisse unmöglich machen, das ganze Kunstwerk in einer Aufführung darzustellen; erst dadurch würde man die schöne und große Wirkung erhalten, welche in der kunstvollen Anordnung liegt. Wie die Stücke jetzt gegeben werden, bleibt für das erstere immer der Übelstand, daß seiner Handlung der völlige Abschluß fehlt; für das zweite, daß seine Voraussetzungen zahlreich sind und daß die Katastrophe einen übergroßen Raum (zwei Akte) beansprucht. Das würde bei einer zusammenhängenden Darstellung in das richtige Verhältnis treten. Der prachtvolle Prolog „das Lager“, dessen schöne Bilder man nur durch einheitliche Handlung kräftiger zusammengefaßt wünscht, wäre als Einleitung nicht zu entbehren. Es ist denkbar, daß eine Zeit kommt, wo dem Deutschen die Freude wird, sein größtes Drama im Zusammenhange zu genießen. Untunlich ist es nicht, wie groß die Forderung an die Darsteller sei. Denn keine der Rollen mutet, auch wenn beide Stücke hintereinander gegeben werden, einer starken Menschenkraft Unüberwindliches zu. Auch die Zuschauer der Gegenwart sind in ihrer großen Mehrzahl keineswegs unfähig, in besonderen Fällen eine längere Reihe von dramatischen Wirkungen aufzunehmen, als ein Theaterabend unserer Bühnen bietet. Aber freilich wäre eine solche Aufführung nur ausnahmsweise, etwa als große Festvorstellung, möglich, und nur in einem anderen Raume als dem unserer Abendtheater. Denn was in den anspruchsvollen Prachtbauten die Körperkraft der Darsteller und Zuschauer in weniger als drei Stunden erschöpft, ist das unheimlich grelle Gaslicht, die dadurch hervorgebrachte übergroße Anstrengung der Augen und der trotz aller Ventilationsversuche schnell eintretende Verderb der Lebensluft.

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