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Gustav Freytag


Die Technik des Dramas

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Fünftes Kapitel. Vers und Farbe.

Das Jahrhundert, in welchem der Roman die herrschende Gattung der Poesie geworden ist, wird den Vers nicht mehr für ein unentbehrliches Element des dichterischen Schaffens halten. Auch sind mehre Dramen hohen Stils, beliebte Repertoirestücke unserer Bühnen, in ungebundener Rede gedichtet. Wenigstens bei dramatischen Stoffen aus neuerer Zelt ist, so sollte man meinen, die Prosa das angemessenste Material für Ausdruck solcher Gedanken und Empfindungen, welche aus einem uns wohlbekannten, wirklichen Leben auf die Bühne versetzt werden. Aber das ernste Drama wird sich doch nur schwer entschließen, die Vorteile, welche der Vers gewährt, aufzugeben, um die der Prosa zu gewinnen.

Es ist wahr, die ungebundene Rede läuft flüchtiger, müheloser, ja in mancher Hinsicht dramatischer dahin. Es ist leichter, in ihr die verschiedenen Charaktere zu unterscheiden, sie bietet von der Satzbildung bis zu den mundartlichen Klängen hinab den größten Reichtum an Farben und Schattierungen, alles ist zwangloser, sie schmiegt sich behend jeder Stimmung an, sie vermag sogar leichtem Geplauder und humoristischem Behagen eine Anmut zu geben, welche dem Verse sehr schwer wird; sie erlaubt größere Unruhe, stärkere Gegensätze, heftigere Bewegung. Aber diese Vorteile werden reichlich aufgewogen durch die gehobene Stimmung des Hörers, welche der Vers hervorbringt und erhält. Während die Prosa leicht in Gefahr kommt, die Bilder der Kunst zu Abbildern gewöhnlicher Wirklichkeit herabzuziehen, steigert die Sprache des Verses das Wesen der Charaktere in das Edle. In jedem Augenblick wird in dem Hörer die Empfindung rege erhalten, daß er Kunstwirkungen gegenüber steht, welche ihn der Wirklichkeit entrücken und in eine andere Welt versetzen, deren Verhältnisse der menschliche Geist mit Freiheit geordnet hat. Auch die Beschränkung, welche der Dialektik und zuweilen der Kürze und Schärfe des Ausdrucks auferlegt wird, ist kein sehr fühlbarer Verlust; der dichterischen Darstellung ist die Schärfe und Feinheit der Beweisführung nicht ganz so wichtig als die Einwirkung auf das Gemüt und als der Glanz des bildlichen Ausdrucks, des Vergleichs und Gegensatzes, welche der Vers begünstigt. In dem rhythmischen Klange des Verses schweben, der Wirklichkeit enthoben, Empfindung und Anschauung wie verklärt in die Seelen der Hörer; und es muß gesagt werden, daß diese Vorteile gerade bei Stoffen aus der Neuzeit sehr wohltätig sein können, denn bei ihnen ist die Enthebung aus den Stimmungen des Tages am nötigsten. Wie dergleichen gemacht werden kann, zeigt nicht nur der „Prinz von Homburg“, auch die Behandlung, welche Goethe einem an sich undramatischen Stoff in der „Natürlichen Tochter“ gegönnt hat, obgleich die Verse dieses Dramas für die Schauspieler nicht bequem geschrieben sind.

Der fünffüßige Jambus ist bei uns als dramatischer Vers seit Goethe und Schiller durchgesetzt. Ein vorwiegend trochäischer Fall der deutschen Wörter macht diesen Vers besonders bequem. Er ist allerdings im Vergleich zu den kleinen logischen Einheiten des Sprachsatzes, deren Verkoppelung zu zweien das Wesen jeder Verszeile ausmacht, ein wenig kurz; wir vermögen in seinen zehn oder elf Silben nicht die Fülle des Inhalts zusammenzudrängen, welche er z. B. in der gedrungenern englischen Sprache hat, und der Dichter kommt daher bei einer Neigung zu reichlichem, tönendem Ausdruck leicht dazu, einen Satzteil für anderthalb oder zwei Verszeilen auszuweiten, welcher besser in einer untergebracht wäre, und dadurch seinen Redefluß übermäßig zu dehnen. Aber der Fünffuß hat den Vorteil der möglichst größten Flüssigkeit und Beweglichkeit, er vermag sich mehr als ein anderer Vers den wechselnden Stimmungen anzupassen, jeder Veränderung in Tempo und Bewegung der Seele zu folgen.

Die übrigen Versmaße, welche für das Drama bisher verwertet sind, leiden an dem Übelstand, daß sie eine zu starke eigentümliche Klangfarbe haben und das Charakterisieren durch die Rede, wie sie dem Drama nötig ist, mehr als billig beschränken.

Der deutsche trochäische Tetrameter, den z. B. Immermann in der Katastrophe seines „Alexis“ unter vielen anderen Maßen wirkungsvoll verwendet hat, läuft wie alle trochäischen Verse zu gleichmäßig mit dem Tonfall unserer Sprache. Die scharfen Taktschritte, welche seine Füße in der Rede hervorbringen, und der lange, schwungvolle Lauf geben ihm in der deutschen Sprache - abweichend von der griechischen- etwas Unruhiges, Aufwühlendes, eine dunkle Klangfarbe, welche nur für hohe tragische Stimmungen zu verwerten wäre. Der jambische Sechsfuß, dessen Zäsur in der Mitte des dritten Fußes steht, das tragische Maß der Griechen, ist in Deutschland bis jetzt wenig verwendet worden. Durch die Übersetzungen aus dem Griechischen kam er in den Ruf einer Steife und Starrheit, die ihm nicht wesentlich anhängen, er ist sehr wohl lebhafter Bewegung und zahlreicher Abwechslungen fähig. Sein Klang ist majestätisch und voll, für reichlichen Ausdruck, welcher langatmig dahinzieht, vortrefflich geeignet. Nur den Übelstand hat er, daß sein Haupteinschnitt, welcher auch im Drama nach der fünften Silbe festgehalten werden muß, den beiden Hälften des Verses sehr ungleiches Maß gibt. Gegen fünf Silben stehen sieben oder bei weiblicher Endung gar acht; leicht drückt sich daher in der zweiten Hälfte eine zweite Zäsur so stark ein, daß sie den Vers in drei Teile spaltet. Dies Nachklingen der längeren Hälfte macht ferner einen männlichen Abschluß des Verses wünschenswert, und das Vortönen der männlichen Endungen trägt allerdings dazu bei, ihm Wucht, zuweilen Härte zu geben. - Der Alexandriner, ein jambischer Sechsfuß, dessen Einschnitt nach der dritten Hebung liegt und den Vers in zwei gleiche Teile fällt, zerschneidet im deutschen Drama die Rede zu auffallend. Im Französischen ist seine Wirkung eine andere, weil bei dieser Sprache der Versakzent weit mehr gedeckt und auf das mannigfaltigste unterbrochen wird. Nicht nur durch den launischen und unruhigen Wortakzent, sondern auch durch freie rhythmische Schwingungen der gesprochenen Rede, durch ein Zusammenwerfen und Dehnen der Worte, welches wir nicht nachahmen dürfen und das auf einem stärkeren Heraustreten des Klangelementes der Sprache beruht, mit welcher die schöpferische Kraft des Redenden in origineller Weise zu spielen weiß.

Endlich ist im Deutschen noch ein jambischer Vers für lebhafte Bewegung vorzüglich geeignet, ebenfalls noch wenig benutzt, der Sechsfuß der Nibelungen, in der neueren Sprache ein jambischer Sechsfuß, dessen vierter Fuß nicht nur ein Jambus, auch ein Anapäst sein kann und stets hinter der (ersten) Senkung den Haupteinschnitt des Verses enthält. Das Eigentümliche und deutscher Rede Angemessene ist bei ihm das späte Eintreten des Einschnittes, welcher abweichend von allen antiken Maßen, die in der Regel stärkere Silbenzahl der ersten Hälfte des Verses anweist. Wenn die Verszeilen dieses Maßes nicht strophisch verbunden, sondern mit kleinen Abwechslungen im Bau als fortlaufende Langverse verwendet werden, mit häufigem Überschlagen der Redesätze aus einem Vers in den anderen, so wird dieses Maß ausgezeichnet wirksam für den Ausdruck auch des leidenschaftlichsten Fortschritts. Und es ist möglich, daß sein Wesen, welches den rhythmischen Verhältnissen der deutschen Sprache vielleicht am besten entspricht, für bewegte Erzählung, ja sogar einmal für eine Gattung des Lustspiels Bedeutung gewinnt. Dem hohen Drama wird der Reim, welchen bei diesem Maß je zwei Langverse als verbindendes Element nicht entbehren können, wohl immer zu klangvoll und spielend sein, wie sehr man ihn auch durch das Hinüberziehen der Rede aus einem Vers in den anderen zu dämpfen vermag.

Für das moderne Drama ist ferner Gleichheit der Klangfarbe, also Einheit des Versmaßes unentbehrlich. Unsere Sprache und die Fassungskraft der Hörer sind, was Klangverhältnisse betrifft, wenig entwickelt. Die Verschiedenheiten im Versklange werden mehr als störende Unterbrechungen denn als fördernde Helfer aufgefaßt. Ferner aber ist der Anteil an dem geistigen Inhalt der Rede und an der dramatischen Bewegung der Personen so sehr in den Vordergrund getreten, daß auch darum jedes Versmaß, welches in seinem Abstich von dem vorhergehenden die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, als eine Zerstreuung empfunden wird.

Dies ist auch der Grund, welcher billig die Prosa zwischen Versen von unseren Dramen ausschließen sollte. Denn noch stärker wird durch sie der Gegensatz in der Färbung. Eingefügte Prosa gibt ihren Szenen immer etwas derb der Wirklichkeit Nachgeahmtes, und dieser Übelstand wird dadurch erhöht, daß sie dem Dichter als Mittel dient, um Stimmungen auszudrücken, für welche der würdige Klang des Verses zu vornehm scheint.

Der jambische Fünffuß fließt dem deutschen Dichter, dessen Seele sich erst gewöhnt hat in den Schwingungen desselben zu empfinden, meistens leicht auf das Papier. Aber seine Durchbildung zum dramatischen Verse pflegt dem Deutschen doch schwer zu werden, und die Dichter sind nicht zahlreich, denen dies völlig gelang. Und so deutlich drückt dieser Vers die Eigenschaft des Dichters aus, welche hier die dramatische genannt wurde, daß der Leser eines neuen Stückes schon aus wenigen Versreihen des bewegten Dialogs zu erkennen vermag, ob diese dramatische Kraft in dem Dichter herausgebildet sei. Allerdings ist den Deutschen immer noch leichter möglich, dramatisch zu empfinden, als dies innere Leben in entsprechender Weise im Vers auszudrücken.

Bevor der jambische Vers für die Bühne brauchbar wird, muß der Dichter im Stande sein, ihn richtig, wohllautend und ohne übergroße Anstrengung zu schaffen, Haupteinschnitt und Hilfszäsuren, Hebungen und Senkungen, männliche und weibliche Endungen müssen nach bekannten Gesetzen regelrecht und in gefälligem Wechsel heraustreten.

Hat der Dichter diese Technik des Versbaues erworben und gelingt ihm, klingende Verse mit gefälligem Fluß und kernigem Inhalt zu schreiben, so ist sein Vers sicher noch recht undramatisch. Und die schwierigere Arbeit beginnt. Jetzt muß der Dichter eine andere Art von rhythmischer Empfindung gewinnen, welche ihn veranlaßt, an Stelle der Regelmäßigkeit scheinbare Unregelmäßigkeit zu setzen, den gleichartigen Fluß in der mannigfaltigsten Weise zu stören, das heißt, mit stark bewegtem Leben zu erfüllen.

Vorhin war gesagt, daß der Alexandriner bei den Franzosen durch das Eintreten unregelmäßiger Klangschwingungen in der Rede variiert und belebt werde. Die dramatische Sprache der Deutschen gestattet dem Schauspieler nicht, gleich der französischen, das unbeschränkte Spiel mit den Worten durch schnell wechselndes Zeitmaß, scharfe Akzente, durch ein Verlangsamen und Dahinwerfen des Klanges, welches fast unabhängig von der Bedeutung, welche die einzelnen Worte im Satze haben, vor sich geht. Dagegen ist dem Deutschen in ausgezeichneter Weise die Fähigkeit verliehen, die Bewegung seines Innern im Bau seiner Rede, durch Verbinden und Trennen der Sätze, durch Herausheben und Verstellen einzelner Wörter auszudrücken. Die Rhythmik der aufgeregten Seele prägt sich bei den Deutschen in der logischen Fügung und Trennung der Satzteile noch kräftiger aus, als bei den Romanen in den tönenden Schwingungen ihrer Rezitation.

In dem Jambus des Dramas tritt dieses Leben dadurch ein, daß es den gleichmäßigen Bau des Verses unterbricht, aufhält und zerhackt, in unendlich verschiedenen Abschattierungen, welche durch die innere Bewegung der Charaktere hervorgebracht werden. Jeder Stimmung der Seele hat der Vers sich gehorsam zu bequemen, jeder soll er sowohl durch seinen Rhythmus als durch die logische Verbindung der Satzeinheiten, welche er zusammenschließt, zu entsprechen suchen. Für ruhige Empfindung und feine Bewegung, welche getragen und würdig oder in heiterer Lebendigkeit dahinzieht, hat er seine reinste Form, den schönsten Wohlklang, einen gleichmäßigen Fluß zu verwenden. In solcher ruhiger Schönheit gleitet gern der dramatische Jambus bei Goethe dahin. Hebt sich aber die Empfindung höher, fließt die gesteigerte Stimmung in schmuckvoller, langatmiger Rede heraus, dann soll der Vers in langen Wellen dahinrauschen, bald in überwiegenden weiblichen Endungen ausklingend, bald durch häufigeren männlichen Ausgang kräftig abschließend. Das ist in der Regel der Vers Schillers. Die Erregung wird stärker, einzelne Redewellen reichen über den Vers hinüber und füllen noch Teile des nächsten, dazwischen drängen kurze Stöße der Leidenschaft und zerbrechen den Bau einzelner Verse; aber noch überzieht diese aufsteigenden Wirbel die rhythmische Strömung einer längeren Rede. So bei Lessing. Aber stürmischer, wilder wird der Ausdruck der Erregung, der rhythmische Lauf des Verses scheint vollständig gestört, immer wieder klingt ein Redesatz aus dem Ende eines Verses in den Anfang des andern, bald hier, bald dort wird ein Stück des Verses teils zum Vorhergehenden, teils zum Folgenden gerissen, Rede und Gegenrede zerhacken das Gefüge; das erste Wort des Verses und das letzte - zwei bedeutungsvolle Stellen - springen los und treten als besondere Glieder in die Rede, der Vers bleibt unvollendet, statt dem ruhigen Wechsel weicherer und härterer Endungen folgen längere Versreihen mit dem männlichen Abfall, die Verszäsur ist kaum noch zu erkennen, auch in diejenigen Senkungen, über welche beim regelmäßigen Lauf der Rhythmus schnell dahinschweben muß, dringen mächtig schwere Wörter, wie chaotisch bewegen sich die Teile des Verses durcheinander. Das ist der dramatische Vers, wie er in den besten Stellen Kleists, trotz aller Manier in der Sprache des Dichters, die mächtigste Wirkung ausübt, wie er noch größer und durchgebildeter in den leidenschaftlichen Szenen Shakespeares dahinwirbelt.

Erst wenn der Dichter in solcher Weise seinen Vers gebrauchen lernt, hat er ihn mit dramatischer Seele erfüllt. Immer aber muß er ein Gesetz festhalten: der dramatische Vers soll nicht gelesen, nicht ruhig rezitiert, sondern im Charakter gesprochen werden. Für diesen Zweck ist nötig, daß die logische Verknüpfung seiner Redesätze durch Binde- und Fürwörter leicht verständlich sei. Ferner, daß der Ausdruck der Empfindungen dem Charakter des Redenden entspreche und nicht in unverständlicher Kürze abbreche, nicht schleppend dahinfahre; endlich daß harte und übelklingende Lautverbindungen und schwerverständliche Wörter sorgfältig gemieden werden. Der gesprochenen Rede wird es sowohl leichter als schwerer, den Sinn der Worte wiederzugeben. Zunächst verletzt und zerstreut jeder Mißklang, den der Leser wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Jede Unklarheit in der Satzverbindung macht den Darsteller und den Zuschauer unsicher und verleitet zu falscher Auffassung. Aber auch vor genauern Ausdruck in feiner und geistvoller Auseinandersetzung ist der Leser scharfsinniger und empfänglicher als der leicht zerstreute und lebhafter beschäftigte Hörer. Dagegen vermag der Darsteller auch Vieles zu erklären. Der Leser in verhältnismäßig ruhiger Stimmung folgt den kurzen Sätzen einer gebrochenen Rede, deren innerer Zusammenhang ihm nicht durch die gewöhnlichen Partikeln logischer Satzverbindung nahegelegt wird, mit Anstrengung, welche leicht zur Ermüdung wird; dem Darsteller dagegen sind gerade solche Stellen die willkommenste Grundlage für sein Schaffen. Durch einen Akzent, einen Blick, eine Gebärde versteht er den letzten Zusammenhang, die vom Dichter ausgelassenen Zwischenvorstellungen rasch dem Hörer verständlich zu machen, und die Seele, welche er selbst in die Worte legt, die Leidenschaft, welche aus ihm herausströmt, wird ein Leiter, welcher den Inhalt der gedrungenen und zerrissenen Rede dem Hörer vielleicht zu einer gewaltigen Einheit herausbildet. Es geschieht, daß beim Lesen lange Versreihen den Eindruck des Gekünstelten, Gesuchten machen, welche auf der Bühne sich in ein Gemälde der höchsten Leidenschaft verwandeln. Nun ist möglich, daß der Schauspieler einmal das Beste dabei getan hat, denn seine Kunst ist besonders da mächtig, wo der Dichter wohl einen Gedankenstrich anbringt. Aber ebenso oft hat schon die Dichtkunst das beste Recht, und an dem Leser liegt die Schuld, weil seine nachschaffende Kraft nicht so tätig ist, als sie sein sollte. Leicht ist in den Versen Lessings diese Besonderheit des Stils zu erkennen. Das häufige Unterbrechen der Rede, die kurzen Sätze, die Fragen und Einwürfe, die bewegten dialektischen. Prozesse, welche seine Personen durchmachen, erscheinen beim Lesen als eine gekünstelte Unruhe. Aber sie sind mit wenigen Ausnahmen so genau, wahr und tief empfunden, daß dieser Dichter gerade deshalb ein Liebling der Darsteller wird. Noch auffallender ist dieselbe Eigenschaft bei Kleist, aber in ihm nicht immer gesund und nicht immer wahr. In dem Unruhigen, Fieberhaften, Aufgeregten seiner Sprache findet das innere Leben seiner Charaktere, welches gewaltig und zuweilen unbehilflich nach Ausdruck ringt, das entsprechende Abbild. Aber auch unnützes Unterbrechen der Rede ist nicht selten, eine unnötige gemachte Lebendigkeit, zweckloses Fragen, ein Mißverstehen, das nicht fördert. Meist hat er gerade dabei einen praktischen Zweck, er will einzelne Vorstellungen, die ihm wichtig scheinen, kräftig hervorheben. Aber ihm dünkt zuweilen wichtig, was in der Tat keine Bedeutung beansprucht, und das häufige Wiederkehren der kleinen Sprünge, welche von der gebotenen Linie abführen, stört nicht nur den Leser, auch den Hörer.

Die Wirkung des Verses kann auch im deutschen Drama verstärkt werden durch Parallelismus der Verse, sowohl einzelner als ganzer Versbündel. Zumal in den Dialogszenen, wo Satz und Gegensatz scharf zusammentreten, sind solche Schlagverse ein wirksames Mittel, den Abstich zu bezeichnen.

Freilich die Ausdehnung, welche dies rhythmische Schweben im griechischen Drama hatte, vermögen wir Deutsche nicht nachzuahmen. Wir sind bei unserer Sprechweise imstande, noch je vier Verse auf der Bühne als Einheiten gegen einander so herauszuheben, daß dem Hörer Gleichfall und Gegensatz vernehmlich wird. Bei einer Rezitation, welche weniger die logische Seite und mehr die Klangschönheit hervorhebt, welche der Stimme stärkere Abwechslung erlaubt, könnte man wohl noch längere Versreihen einander wirksam gegenüberstellen. Und wenn die Griechen durch ihre Art der Rezitation sogar zehn Trimeter zu einer Einheit zusammenkoppelten und in der Gegenrede denselben Tonfall wiederholten, so liegt darin für uns nichts Unbegreifliches. Es ist möglich, daß es in der ältern Zeit der griechischen Tragödie eine Anzahl von Rezitationsmelodien oder Weisen gab, welche für ein Stück neu erfunden wurden oder den Hörern bereits bekannt waren und welche, ohne den Klang der Rede bis zum tönenden Gesange zu steigern, eine längere Versgruppe zu einer Einheit verbanden.

Für uns ist diese Vortragsweise nicht zu verwenden. Ja auch in Anwendung der gewöhnlichen Schlagverse, welche zu je einem, je zwei, je vier kämpfen, ist Maß geboten. Denn unsere Art des dramatischen Schaffens sträubt sich gegen jede Künstelei, durch welche die Bewegung der Charaktere und ihrer Empfindungen beschränkt wird. Das Behagen an dem Stilvollen solcher Gegenreden ist geringer als die Sorge, daß die Wahrheit der Darstellung durch eine künstliche Beschränkung verringert werden könnte. Der Dichter wird deshalb gut tun, diese kleine Wirkung abzudämpfen und ihr die Strenge und den Schein der Künstlichkeit dadurch zu nehmen, daß er parallele Verssätze durch unregelmäßig gestellte Verse unterbricht.

In der Seele des Dichters leuchtet zugleich mit der Grundlage der Charaktere und den Anfängen der Handlung die Farbe des Dramas auf. Diese eigentümliche Zugabe jedes Stoffes wird in uns Modernen kräftiger entwickelt als in früherer Zeit, denn die geschichtliche Bildung hat uns Sinn und Interesse für das von unserem Leben Abweichende sehr geschärft. Charakter und Handlung werden von dem Dichter lebhaft in der Besonderheit empfunden, welche Zeit, Ort, Bildungsverhältnisse des wirklichen Helden, seine Art zu sprechen und zu handeln, die Tracht und die Formen des Umgangs im Gegensatz zu unserem Leben haben. Dies Originelle, welches an dem Stoffe hängt, trägt der Dichter auch auf sein Kunstwerk über, auf die Sprache seiner Helden, auf ihre Umgebung bis hinab zu Tracht, Dekoration, Gerät. Auch dies Besondere und Eigenartige idealisiert der Dichter. Er empfindet es als bestimmt durch die Idee seines Stückes. Eine gute Farbe ist eine wichtige Sache; sie wirkt im Beginn des Stückes sogleich anregend und fesselnd auf den Zuschauer, sie bleibt bis zum Ende ein reizvoller Bestandteil, welcher zuweilen Schwächen der Handlung zu überdecken vermag.

Nicht in jedem Dichter entwickeln sich diese schmückenden Farben gleich lebhaft, sie treten auch nicht bei jedem Stoff mit derselben Energie an das Licht. Aber ganz fehlen sie nirgend, wo Charaktere und menschliche Zustände geschildert werden. Sie sind dem Epos, dem Roman unentbehrlich wie dem Drama.

Am wichtigsten wird die Farbe bei geschichtlichen Stoffen, hier hilft sie wesentlich, die Helden zu charakterisieren. Der dramatische Charakter selbst muß in seinem Empfinden und Wollen einen Inhalt haben, welcher ihn einem gebildeten Manne der Gegenwart weit näher stellt, als sein Stoffbild in der Wirklichkeit unserer Empfindungsweise entspricht. Die Farbe aber ist es, welche den inneren Gegensatz zwischen dem Manne der Geschichte und dem Helden des Dramas dem Hörer anmutig verdeckt, sie umkleidet den Helden und seine Handlung mit dem schönen Schein eines fremdartigen, die Einbildungskraft anlockenden Wesens.

Die neuere Bühne bemüht sich daher mit Recht, schon in der Tracht, welche sie den Darstellern gibt, die Zeit, in welcher das Stück spielt, die gesellschaftliche Stellung und manche Eigentümlichkeiten der vorgeführten Charaktere auszudrücken. Wir sind erst etwa hundert Jahre von der Zeit geschieden, wo auf dem deutschen Theater Cäsar noch in Perücke und Degen auftrat, und Semiramis ihren Reifrock durch einige fremde Flittern und ihren Haaraufputz mit einer auffälligen Garnitur umgab, um sich als fremdartig auszuweisen. Jetzt ist man auf einzelnen großen Bühnen in Nachahmung der historischen Tracht sehr weit gegangen, auf der Mehrzahl hinter den Anforderungen, welche das Publikum im mittleren Durchschnitt der geschichtlichen Kenntnisse an die szenische Ausstattung zu machen berechtigt ist, zurückgeblieben. Es ist klar, daß die Bühne nicht die Aufgabe hat, antiquarische Seltenheiten nachzubilden, es ist aber ebenso deutlich, daß sie vermeiden muß, einer größeren Anzahl ihrer Zuschauer dadurch Anstoß zu geben, daß sie die Helden in eine Kleidung zwängt, welche vielleicht niemalen und nirgend, sicher nicht in dem Jahrhundert derselben möglich war. Wenn der Dichter einmal altertümelnde Liebhabereien Übereifriger von der Kleidung seiner Helden abhalten muß, weil das Seltsame und Ungewohnte der Zutat sein Stück nicht fördert, sondern stört, so wird er noch öfter Veranlassung haben, bei einem Hohenstaufendrama das spanische Mäntelchen und über einem Sachsenkaiser schimmernde Blechrüstung zu verbitten, welche seine Otto und Heinriche in Goldkäfer verwandelt und durch unerträglichen Glanz erweist, daß sie nie von einem Schwertstreich getroffen worden ist.

Ähnlich steht es mit der Malerei und dem Gerät des Theaters. Ein Rokokotisch, in eine Szene des fünfzehnten Jahrhunderts gesetzt, oder griechische Säulenhallen, unter denen König Romulus wandelt, sind bereits dem Zuschauer peinlich. Um solche Nachlässigkeiten einzelner Regisseure und Schauspieler zu erschweren, wird der Dichter gut tun, bei Stücken aus entfernter Zeit sowohl die szenische Ausstattung als auch die Kleidertracht genau vorzuschreiben, und zwar auf besonderem Blatt.

Für ihn aber ist das wichtigste Material, durch welches er seinem Stück Farbe gibt, die Sprache. Es ist wahr, der Jambus hat selbst eine gewisse Klangfarbe und dämpft den charakteristischen Ausdruck mehr als die Prosa. Aber auch er gestattet noch großen Reichtum an Schattierungen, sogar den Wörtern noch leise Färbung in den Dialekt.

Bei Stoffen aus älterer Zeit muß der Sprache eine dieser Zeit entsprechende Farbe erfunden werden. Das ist eine hübsche, herzerfreuende Arbeit, die der Schaffende recht liebevoll vornehmen soll. Am meisten wird sie gefördert durch sorgfältiges Lesen der erhaltenen Schriftdenkmäler aus der Zeit der Helden. Auch die fremde Sprache derselben wirkt durch eigentümlichen Tonfall, durch den Satzbau, die volkstümliche Art zu reden, anregend auf das Gemüt des Dichters. Und mit der Feder in der Hand wird sich der Schaffende, was ihm an kräftigem Ausdruck, treffendem Bild, schlagendem Vergleich, sprichwörtlicher Redensart brauchbar erscheint, zurecht legen. Bei jedem fremden Volke, dessen Literatur irgend zugänglich ist, wird solche Arbeit förderlich, am meisten freilich gegenüber der heimischen Vorzeit. Unsere Sprache in früher Zeit hat, wie noch jetzt die slawische, eine weit größere, die Einbildungskraft anregende Bildlichkeit. Der Sinn der Worte ist nicht durch eine lange wissenschaftliche Arbeit vergeistigt, überall haftet an ihnen etwas von dem ersten sinnlichen Eindruck in die Volksseele, dem sie ihre Entstehung verdankten. Groß ist die Zahl der Sprichwörter, der gedrungenen Formeln und bildlichen Redensarten, welche die Reflexionen unserer Zeit ersetzen. Solche Bestandteile möge der Schaffende in dem Gedächtnis festhalten, nach ihrer Melodie bildet seine Begabung bald selbsttätig Grundton und Stimmung für die Sprache des Dramas heraus.

Und bei solcher Durchsicht der Werke aus alter Zeit bleiben dem Dichter noch andere, kleine Züge hängen, Anekdoten, vieles Besondere, was ihm seine Bilder ergänzt und beleuchtet.

Was er so gefunden hat, darf er allerdings nicht pedantisch verwerten oder wie Arabesken in seine Rede hineinsetzen; jedes Einzelne darf ihm wenig bedeuten, aber die Anregung, die er dadurch erhält, ist für ihn von höchstem Wert.

Und diese Stimmung, die er seiner Seele gegeben hat, verläßt ihn nicht, auch während er seine Helden durch die Szenen führt, sie wird ihm nicht nur die Sprache richten, auch das Zusammenwirken der Personen, die Art, wie sie sich gegen einander benehmen, Formen des Umgangs, Sitte und Brauch der Zeit.

Sogar die Charaktere und ihre Bewegung in den Szenen. Denn an jede Stelle des Dramas, an jede Empfindung, jedes Tun hängt sich um das menschlich Gehobene der idealisierten Gestalten wie schmückende Zutat das Besondere, welches uns an den Stoffbildern als ihr Eigentümliches auffiel. Selten ist nötig, den Dichter zu warnen, daß er in solchem Färben der szenischen Wirkungen nicht zuviel tue; denn die wichtigste Aufgabe ist ihm allerdings, seine Helden unsere Sprache der Leidenschaft reden zu lassen und das Besondere an ihnen durch solche Lebensäußerungen zu erweisen, welche jeder Zeit verständlich werden, weil sie in jeder Zeit möglich und denkbar sind.

So wird die Farbe des Stückes in der Ausstattung der Sprache, an Charakteren und Einzelheiten der Handlung sichtbar. Was der Dichter durch die Farbe in sein Drama hineinträgt, ist so wenig eine Nachahmung der Wirklichkeit, als die Personen seiner Helden sind, es ist freie Schöpfung. Aber diese Zutat hilft um so mehr, in der Phantasie der Hörer ein Bild hervorzuzaubern, welches den schönen Schein der geschichtlichen Treue hat, je ernster der Dichter sich um die wirklichen Zustände jener alten Zeit gekümmert hat. Freilich nur, wenn ihm die Kraft nicht fehlt, auch darzustellen, was er als lockend empfand.


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