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Gustav Freytag


An Wolf Grafen von Baudissin

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Sie haben wesentlichen Anteil an der großen Arbeit gehabt, durch welche Shakespeare dem deutschen Volke in das Herz geschlossen wurde, in der heiteren Muße eines schön gehaltenen Lebens haben Sie unsere Kenntnis früherer Literaturperioden nach mehr als einer Richtung gefördert, mir selbst ist die Freude geworden, mit Ihnen einzelne Kunstregeln und Hilfsmittel dichterischer Arbeit in guter Stunde durchzusprechen. So lassen Sie sich gefallen, daß Ihr Name als günstige Vorbedeutung diesem Buche vorsteht. Ein Einzelner wünscht Ihnen dadurch öffentlichen Dank für Vieles auszusprechen, womit Sie unserem Volke wohlgetan haben.

Was ich Ihnen darbiete, soll kein ästhetisches Handbuch sein, ja es soll vermeiden, das zu behandeln, was man Philosophie der Kunst nennt. Zumeist solche Erfahrungen wünschte ich aufzuzeichnen, wie sie der Schaffende während der Arbeit und auf der Bühne erwirbt, oft mit Mühe, auf Umwegen, spät für beglückenden Erfolg. Ich hoffe, auch in dieser Gestalt mag das Buch einigen Nutzen stiften. Denn unsere Lehrbücher der Ästhetik sind sehr umfangreiche Werke und reich an geistvoller Erklärung, aber man empfindet zuweilen als Übelstand, daß ihre Lehren gerade da aufhören, wo die Unsicherheit des Schaffenden anfängt.

Die folgenden Blätter suchen also zunächst einen praktischen Nutzen, sie überliefern jüngeren Kunstgenossen einige Handwerksregeln in anspruchsloser Form. Die Veranlassung dazu fand ich in gelegentlichen Anfragen einzelner Schaffenden und in den Dramen, welche ich in der Handschrift zu lesen hatte. Wohl jeder, dem das Vertrauen anderer ein schriftliches Urteil über ein neues Stück abfordert, hat erfahren, wie schwer, ja wie unmöglich es ist, eine ehrliche Überzeugung im Raum eines Briefes so zu begründen, daß der Dichter, noch warm von der Arbeit und befangen in den beabsichtigten Wirkungen, die Billigkeit des Tadlers und die Berechtigung der fremden Ansicht erkenne. Und nicht immer ist Muße, die Handschrift zu lesen und eingehend zu antworten.

Was auf diesen Blättern in Kürze dargestellt wird, ist auch kein Geheimnis, kein neuer Fund. Fast jeder, der auf unserer Bühne einige Erfahrung erworben hat, handhabt, mehr oder weniger sicher, die folgenden Regeln. Auch nicht die möglichste Vollständigkeit technischer Vorschriften suchte ich zu erreichen. Sie lassen sich sehr häufen, jeder Schaffende besitzt seine besondere Art zu arbeiten und gewisse ihm eigene Mittel zu wirken. Es kam hier darauf an, die Hauptsache herauszuheben und dem jüngeren Dichter den Weg zu weisen, auf dem er sich selbst zu fördern vermag.

Wenn aber der Freund fragen sollte, ob, wer selbst für die Bühne schreibt, nicht vorziehe, die Arbeitsregeln durch eigene Erfindung annehmbar zu machen, so will ich dieses Buch auch entschuldigen. Es werden alljährlich in Deutschland vielleicht hundert Dramen ernsten Stils geschrieben, wohl neunzig davon verschwinden in Handschrift, ohne auf die Bühne, selbst ohne zum Druck zu gelangen. Von den zehn übrigen, welche eine Aufführung durchsetzen, geben vielleicht nicht drei den Darstellern eine würdige und lohnende Aufgabe, den Zuhörern die Empfindung eines Kunstgenusses. Und unter den vielen Werken, welche untergehen, bevor sie lebendig geworden sind, sind allerdings zahlreiche Versuche Unfähiger, aber auch manche Arbeit hochgebildeter und tüchtiger Männer. Das ist doch eine ernste Sache. Hat sich die Talentlosigkeit in Deutschland eingebürgert, und sind wir sechzig Jahre nach Schiller noch so arm an dramatischem Leben?

Und sieht man solche Arbeiten näher an, so wird man die Beobachtung machen, daß hier und da sich allerdings achtungswerte Kraft regt, aber formlos, zuchtlos, mit seltsamer Unbehilflichkeit im Herausheben der Wirkungen, welche dem Drama eigentümlich sind.

Noch immer wird den Deutschen sehr schwer, was unsere westlichen Nachbarn leicht erwerben, Verständnis dessen, was auf der Bühne darstellbar ist. Wollte man den treuen Bundesgenossen, der in Karlsruhe mit unermüdlicher Sorgfalt unbrauchbare Stücke beurteilt, nach seinen Erfahrungen fragen, er würde wahrscheinlich als letzten Grund dieser dramatischen Schwäche hervorheben, daß unsere Dichter nicht selbst auf der Bühne den Ball werfen wie Sophokles oder geisterhaft im Harnisch schreiten wie Shakespeare.

Dieser Übelstand läßt sich allerdings nicht beseitigen. Man kann unsere jungen Dichter nicht veranlassen, sich in dem Rollenfach zweiter Liebhaber für die Kunst zu ziehen, man kann unsere Schauspieler, denen ihre schöne Kunst zur anstrengenden Tagesarbeit geworden ist, nicht mit behaglicher Ruhe und Muße umgeben. Aber durch eine genauere Bekanntschaft mit der Bühne und ihren Bedürfnissen läßt sich für die Dichter doch Vieles lernen.

Nur wird diese Bekanntschaft allein, bei der Stillosigkeit, die auch auf unsern Theatern herrscht, nicht alles bessern. Denn es scheint, daß auch unsere Schauspieler unsicher werden im Gebrauch der Kunstmittel, denen sie ihre besten Wirkungen verdanken. Deshalb, meine ich, ist die Zeit gekommen, wo ernstes Nachdenken über Gesetz und Regel not tut.

Und noch einen Grund gibt es, der solches Niederschreiben nützlich machen kann. Auch Sie haben sich die schöne Eigenschaft des reifen Alters bewahrt, hoffnungsvoll in die deutsche Zukunft zu blicken. Vielleicht scheint auch Ihnen eine Zeit nicht mehr in unerreichbarer Ferne zu liegen, in welcher der Deutsche mit Selbstgefühl und stolzem Behagen das eigene Leben mustert. Dann mag der Frühling für ein reichliches Blühen des Dramas gekommen sein. Und für diese Periode dem auflebenden Geschlecht die Pfade von einigen Dornen zu säubern, ist immerhin keine erfolglose Arbeit.

Dies Buch handelt nur von dem Drama hohen Stils, das Schauspiel ist nebenbei erwähnt. Die Technik unseres Lustspiels darzustellen ist deshalb bedenklich, weil zwar zwei Arten desselben, Familienstück und Posse, bei uns eine breite und behagliche Ausbildung erhalten haben, die höchste Gattung der Komödie aber überhaupt noch kaum auf der neueren Bühne lebendig geworden ist. Ich meine die launige und humoristische Darstellung des beschränkten Empfindens, Wollens und Tuns, welche über die Anekdote des häuslichen Lebens hinausgeht und weitere Kreise menschlicher Interessen behandelt. Wenn erst Schwäche der Fürsten, politische Spießbürgerei des Städters, Hochmut des Junkertums, die zahlreichen sozialen Verbildungen unserer Zeit ihre heitere und stilvolle Verwertung in der Kunst gefunden haben, dann wird es auch eine ausgebildete Technik des Lustspiels geben.

Daß ich unter den Beispielen die Spanier und die Klassiker der Franzosen nicht aufgeführt habe, werden Sie billigen. Schönheiten und Fehler des Calderon und Racine sind nicht die unseren, wir haben von ihnen nichts mehr zu lernen und nichts zu fürchten.


Leipzig, 1863

 

 

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