Zurück zur Projektseite

Jürgen Matoni


Der Platz der "eigenen Meinung" in einer wissenschaftlichen Arbeit.

Zurück zur Hauptseite

 

Es wurde mir gesagt, ich hätte in meinen Darstellungen zur wissenschaftlichen Arbeit die "eigene Meinung" außer acht gelassen. Es gehen auch Gerüchte um, daß diese "eigene Meinung" in den Schluß der Arbeit gehört. Mitnichten - so nicht!!! Noch einmal zum mitschreiben:

In der Einleitung wird das Thema umrissen und dargestellt, was Ihr im Hauptteil diskutieren werdet. Im Hauptteil tut Ihr das dann auch, und im Schlußteil faßt Ihr dieses dann noch einmal kurz zusammen. Irgendwas von "eigener Meinung" zu sehen? Eben! nach Duden Bedeutungswörterbuch ist die eigene:

Alles sehr schön dargestellt, aber für die wissenschaftliche Arbeit nicht zu gebrauchen. Glauben und Überzeugung sind wunderbare Dinge - aber sie müssen immer begründet sein. Das wird sogar, was wie ein kleines Wunder erscheint, schon in der Sekundarstufe gefordert, nach dem Schema: "Atomkraftwerke - ja oder nein?" Das werden sicher sehr hübsche Abituraufsätze, aber sie überfordern die Schüler mit Sicherheit und den Lehrer wohl in den meisten Fällen auch. Denn welcher Deutschlehrer ist z. B. Fachmann in Atomphysik? Und dazu auch noch in Geologie, Biologie, Medizin usw? Solche Fragen in den beliebten "dialektischen Besinnungsaufsätzen" sind eigentlich Mumpitz, aber leider immer noch sehr beliebt. Und daher kommt dieser Gag, daß in den Schlußteil einer Arbeit die "eigene Meinung" gehört - denn man hat ja schon mal was von Dialektik gehört. Der arme Hegel mit seinem "These, Antithese, Synthese". Er ist aber (wie in vielen Fällen) auch in diesem Falle nicht schuldig. Bei der oben dargestellten Vorgehensweise müßte die Hegelsche Reihe eigentlich heißen: "These, Antithese, Prothese".

Bleiben wir bei den Atomkraftwerken. Die These hieße dann (banal gesagt): Atomkraftwerke sind gut. Die Antithese eben: Atomkraftwerke sind schlecht. Die Synthese etwa jein? Natürlich habt Ihr dazu eine Meinung, aber die ist erst einmal pures Stammtischgeschwätz. Ihr habt Euch kundig gemacht? Gut. Bücher gelesen? Noch besser - Ihr habt die Sekundärliteratur entdeckt. Jetzt könntet Ihr schon begründeter (fundierter) an das Problem herangehen. Aber Ihr müßt darstellen, woher Ihr Eure Meinung habt. das Prinzip "stille Post" - ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der gesagt hat..., geht leider nicht.

Euer Onkel oder sonstwer mag ja hochgebildet sein - aber sein Wissen kann schlecht in einer Arbeit überprüft werden. Damit jedoch die Meinung Eures Onkels nicht nur Euer Glauben bleibt, müssen Argumemte her, und die müssen auch wieder nachprüfbar sein, also im Normalfall aus Büchern stammen. Denkt immer an das Zitieren :-).

Sucht Ihr Gegenargumente (weil der Lehrer das fordert)? Und wieder reichen Onkel und Tante leider nicht hin (Ihr wißt ja "Überprüfbarkeit"). Diese Bücher mit Gegenargumenten gelesen, und schon seid Ihr wieder klüger. Habt Ihr jetzt vielleicht schon einen Teil Eurer eigenen Meinung entdeckt? Nicht? Sie ist schon in der Auswahl der Bücher versteckt. Denn alle Bücher zu einem Thema werdet Ihr nicht finden - und kaum die Zeit haben, diese auch alle zu lesen. Ihr werdet also eine Auswahl treffen. "Das ist zu dick..., bei dem verstehe ich ja schon die ersten Sätze nicht..., aber dieses paßt mir gut in mein Bild." Vielleicht hat Euch Euer Dozent die Literatur vorgegeben - einfach für Euch, schlecht fürs Lernen und die "eigene Meinung". Denn in diesem Falle bleibt am Ende tatsächlich nur noch: "Ich aber glaube, denke, meine." Ihr könnt zustimmen oder ablehnen - argumentieren aber nur in einem sehr beschränkten Rahmen. Im Gegensatz zu dieser Art ist es vielleicht doch besser, selber zu suchen, sich durch das Lesen der Sekundärliteratur erst einmal eine Meinung zu bilden.

Pst! Noch nichts verraten. denn jetzt kommt der schwierigste Teil der "eigenen Meinung". Die Aussage 'alle Raben sind schwarz' gilt leider nur so lange, bis jemand einen weißen Raben findet. Egal ob es tausende von schwarzen Raben gibt - ein weißer Rabe macht die Aussage falsch - er 'falsifiziert' sie. Und schon wieder haben wir ein Stück eigener Meinung gefunden.

Wenn Ihr redlich sein wollt, also Wissenschaftler, dann müßt Ihr Gegenargumente suchen! Die Gegenargumente müßt Ihr stark machen, dann habt Ihr tatsächlich eine eigene Meinung. Und diese Eure Meinung erprobt Ihr an den Gegenargumenten. Das nennt man 'abwägen' oder 'gewichten'.

Eure "eigene Meinung" steckt also auch in der Art, wie Ihr die Argumente und Gegenargumente der Sekundärliteratur verwendet.

Jetzt habt Ihr aber auch noch eine 'Zielvorstellung'- Ihr wißt ja: "ein Thema mit einer Problematisierung". Ist der Bereich jetzt beispielsweise die Romantik, Euer Dichter Novalis, dann könnte die Problematisierung darin bestehen zu fragen, ob Novalis zur Romantik gehört, und dies zu begründen und vielleicht noch zu differenzieren ob zur Früh- oder Spätromantik. Dieses Problem ist kaum kontrovers zu sehen. Aus diesem Grunde könnte man z. B. die "eigene Meinung" darin sehen, welchen Teil des Werkes Ihr zum Beleg verwendet und welche Interpretationen.

Was ist das "Romantische" an Novalis? Sein Jurastadium sicher nicht; sein früher Tod, vielleicht; seine 'Todessehnsucht' in den 'Geistlichen Liedern', eine gute Möglichkeit; seine Verbindung zu Böhme, dem Mystiker und Fichte, dem Philosophen - eine ergiebige Möglichkeit; der Begriff der 'Transzendentalpoesie' - auch das eine Möglichkeit, vielleicht anhand seines "Heinrich von Ofterdingen" oder "Die Lehrlinge zu Sais"; das Problem der Welt- und Selbsterlösung - vielleicht mit "Die Christenheit und Europa" oder mit "Glaube und Liebe".

Da ist Eure "eigene Meinung" gefragt. Begründet, das heißt mit Argumenten aus der Sekundärliteratur und durch Analyse der Primärtexte gestützt, eine Problemstellung darlegen.

Versucht das jetzt einmal nur im Schlußteil eurer Arbeit zu leisten! Wozu diente dann der Hauptteil? Nur zum Zitieren? Denn alles andere ist ja schon auch wieder Meinung... und die Auswahl der Zitate leider auch schon.

Vielleicht ist jetzt ein wenig klargeworden, daß es nicht auf einen hübschen Platz für Eure "eigene Meinung" ankommt, ob vielleicht schon auf dem Deckblatt etwa mit einem schönen Bildchen? Eure eigene Meinung steckt in der Auswahl der Literatur, den verwendeten Zitaten, dem 'Starkmachen' von Argumenten, auch und gerade der Gegenargumente, und dem Problembewußtsein, das Ihr mit Eurer Zielsetzung und ihrer argumentativen Erfüllung dokumentiert.

Wenn Ihr diese Punkte beherzigt, dann sind Sätze im Schlußteil nach dem Schema: "Ich meine...; Ich glaube...; Ich denke..." nicht nur peinlich, sondern auch vollständig unnötig.


Nun wieder unsere Checkliste:

Thema mit Problemstellung:
(Wenn vom Dozenten, keine eigene Meinung vorhanden, sonst eigene Meinung sehr notwendig.)
Zielvorstellung:
(Auch mit Absprache eigene Meinung notwendig)
Auswahl der Literatur:
(Da bestimmt nicht alles vom Dozenten vorgegeben, eigene Meinung notwendig.)
Auswahl der Zitate:
(Nur eigene Meinung.)
Wichtung der Argumente:
(Sehr viel eigene Meinung, aber von der Literatur- und Zitatauswahl abhängig.)
Falsifizierung der Argumente:
(Ganz wichtig für das Stärken der eigenen Meinung.)

Noch eins: Das hier Gesagte ist nur "eigene Meinung", zwar von Sekundärliteratur gestützt und - hoffentlich in der Kürze auch oben begründet - gilt wie immer nur für Arbeiten unter eigener Verantwortung. Ansonsten seid Ihr auf der sicheren Seite (was Scheine angeht), wenn Ihr die Vorgaben der jeweiligen Dozenten erfragt.

Zurück nach oben 

© Jürgen Matoni