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Gustav Freytag


Die Valentine. Vierter Akt

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Worterklärung
Worterklärung
Vierter Akt.

Erste Szene.

(Einfache Zimmerdekoration.)

Valentine. Robert.

Valentine:
Dies Blatt behalten Sie. Wenn Seine Durchlaucht und der Minister bei mir sind, werde ich nach einem Glase Wasser klingeln, dann überreichen Sie das Billet# mir. Sie wenigstens sind mir treu, Robert, ich kann mich auf Sie verlassen. – Ist meine Kammerfrau abgereist?
Robert: Zu Befehl, gnädige Frau. Sie weinte sehr und wollte noch einmal zu Ihren Füßen Verzeihung erflehen.
Valentine: Ich kann sie nicht wieder sehen; ich habe ihr Vertrauen geschenkt und sie hat mich verkauft. Sie hat mich sehr unglücklich gemacht, lieber Robert.
Robert: Liebe, gnädige Frau! (Küßt ihr die Hand.)
Valentine: Vor dir scheue ich mich nicht zu weinen.
Robert: O, möchte Alles gut werden!
Valentine: Ich zweifle, wir aber sollen besser werden.

Bedienter. Der Fürst. Der Minister.

Bedienter
(die Mitteltür öffnend, meldend): Seine Durchlaucht! (Bedienter und Robert ab.)
Fürst: Wir stören unwillkommen die Ruhe, welche Ihnen, gnädige Frau, heut Bedürfnis sein muß. Schreiben Sie es meinem Wunsche zu, den frechen Einbruch in den Frieden Ihres Schlafes schnell bestraft zu sehen. (Sie in den Vordergrund führend.) Können Sie einem Unbesonnenen die Übereilung der letzten Nacht verzeihen? Halten Sie das Ganze für einen wüsten Traum, der auch den Unschuldigsten neckt. Ich bereue, schöne Valentine.
Valentine (ernst): Ich habe seit jener Unterredung so Unerhörtes erlebt, daß ich in den letzten Stunden nur wenig an Eurer Durchlaucht Traum gedacht habe.
Fürst: So ist Friede zwischen uns!
Valentine: Ja, Friede.
Fürst (laut): Die Untersuchung soll unter meinen Augen zu Ende geführt werden, bevor ich die Verbrecher dem ordentlichen Gericht zur Bestrafung übergebe. (Leise.) Ich hoffe so jede mögliche Erwähnung naheliegender Umstände zu vermeiden.
Valentine: Eure Durchlaucht tun wohl daran.
Fürst: Minister Winegg hat auf meinen Wunsch selbst von der Sachlage Einsicht genommen und ich bitte Sie, seinen Vortrag anzuhören und durch Ihre Bemerkungen zu vervollständigen.
Valentine: Ich bin bereit zu hören. (Sie setzen sich – der Fürst in Valentinens Nähe.)
Fürst: Sprechen Sie, Winegg.
Winegg: Gestern um Mitternacht ging Graf Wöning bei diesem Pavillon vorüber. Da wurde er durch einen Faustschlag von hinten zu Boden gestreckt. Durch die Bemühungen eines dazu kommenden Mannes, Benjamin Stubbe, welcher Literat zu sein angibt, wurde er ins Bewußtsein zurückgerufen. Er sah an jenen Balkon zwei Männer eine Gartenleiter anlegen und hinaufsteigen.
Fürst (bei Seite zu Valentine): Wo ist die seidene Strickleiter geblieben?
Valentine: Sie ist in meinen Händen.
Winegg: Einen Einbruch vermutend, rief der Graf die Wache, während Stubbe die Leiter hinaufeilte. Dieser fand in dem Saale zwei Männer, schlug den ersten, einen Zigeuner, zu Boden und hielt den anderen fest. Graf Wöning, welcher mit Wache dazu kam, erkannte in diesem zweiten den Mann, welcher unter dem Namen Saalfeld Eurer Durchlaucht bekannt ist.
Valentine (bei Seite): O mein Gott!
Winegg:Man fand bei ihm ein doppelläufiges Terzerol und ein Etui mit Diamanten. Der Zigeuner behauptete zwar im ersten Verhör, allein gewesen und bei seinem Eintritt in den Salon durch einen Faustschlag empfangen und niedergeworfen worden zu sein, gestand aber in einem zweiten Verhör übereinstimmend mit Saalfeld, daß sie sich beide zu einem Einbruch verabredet und nach vollbrachter Tat von Benjamin Stubbe ergriffen worden wären. Jetzt, Frau Baronin, bitte ich um Ihre Aussage.
Valentine (mit Anstrengung): Ich kann nur wenig sagen. Ich hatte meine Frauen entlassen und war auf dem Sofa eingeschlummert. Ich erwache von einem Ruf um Hilfe, sehe fremde Gestalten in meinem Zimmer ringen, die Tür wird geöffnet, Militär dringt herein und zwei Männer, von denen der eine am Boden liegt, der andere von einem dritten gehalten wird. Vor Schrecken verlor ich die Besinnung.
Minister: Gehört dies Etui Ihnen, gnädige Frau?
Valentine (aufstehend): Es sind meine Diamanten.
Minister: Und war der Gefangene, als er ergriffen wurde, im Besitz Ihres Schmuckes?
Valentine (tonlos): Er war es.
Minister: Und dieser Mann ist der sogenannte Saalfeld?
Valentine: Ja.
Minister (Valentinen fixierend): Die Türen des Salon waren verschlossen und mußten erbrochen werden?
Fürst (sieht unruhig Valentinen an).
Valentine:
Ein Versehen meiner Kammerfrau, sie glaubte mich in meinem Zimmer und verschloß, wie sie jede Nacht tut, die Türen des Saales.
Fürst: Sie sind angegriffen, gnädige Frau. Das Verbrechen ist klar und eingestanden. – Winegg, Sie sind zu Ende.
Minister: Verzeihen Durchlaucht noch einige Fragen. (Valentine setzt sich.) Der Inculpat# Saalfeld hat sich zuerst bei Ihnen, Frau Baronin, und durch Sie bei Hofe einzuführen gewußt, wollen Sie die Güte haben, Seiner Durchlaucht mitzuteilen, wie es ihm gelang, Ihren bekannten Scharfsinn zu täuschen?
Valentine: Er brachte mir Briefe einer Freundin aus Italien, in welchen sein Talent gerühmt wurde, und erschien mir als ein Mann von Welt und Kenntnissen. (Mit Doppelsinn.) Wenn ich einem Unwürdigen zu viel vertraut habe, so bin's auch ich, welche darunter gelitten hat.
Minister: Auch hatte Seine Durchlaucht bereits gestern aus Ihren Andeutungen Mißtrauen gegen den Saalfeld geschöpft.
Valentine: Das Benehmen des Mannes schien mir ungewöhnlich.
Fürst: Ja, Ihr Auge, gnädige Frau, hatte den Abenteurer zuerst erkannt.
Minister: Auch Graf Wöning sagt aus: dieser Saalfeld sei ihm von Anfang an mysteriös und verdächtig vorgekommen, und er habe ihn vor und seit seiner Einführung bei Hofe in sehr vertraulichem Verkehr mit Gesindel erblickt, auch habe er selbst Gelegenheit gehabt zu bemerken, daß der Gefangene kein Mann von Ehre sei.
Valentine: O Himmel!
Fürst: Es ist kein Zweifel, wir sind durch einen gewandten Gauner mystiziert worden.
Minister: So erscheint denn Alles klar bis auf Eins.
Fürst (gespannt): Und das ist?
Minister: Die Person des Verbrechers selbst. Ein Dunkel schwebt über ihm, welches nicht zu lösen ist. Er hat jede Auskunft über Alter, Herkunft und Heimat entschieden verweigert; nach den Notizen des Verhörrichters ist er ein Mann von großer Bildung, wenigstens großer Klugheit, und einige beschriebene Blätter, welche in seinem Notizenbuch gefunden wurden, sollen zwar mancherlei anstößige Ansichten, aber durchweg Haltung und Biederkeit verraten.
Valentine (klingelt, Robert kommt): Ein Glas Wasser.
Fürst:Und ist denn der hier Ergriffene wirklich der wahre Saalfeld? Vielleicht ist auch das Betrug.
Minister: Sein Paß läßt darüber kaum einen Zweifel. Befremdlich ist auch, daß seine Wohnung bei der Haussuchung heut Morgen ausgeräumt gefunden wurde. Der Mensch ist entweder ein gefährlicher Verbrecher oder – ein Rätsel.
Fürst: Wahrscheinlich beides.
Robert (bringt Wasser und das Billet): Dies Billet wurde abgegeben.
Valentine: Die Adresse ist an Eure Excellenz.
Fürst: Nehmen Sie, Winegg.
Minister (für sich): Die Hand ist verstellt. (Liest.) „Saalfeld, der Räuber von gestern, und Ihr Neffe Georg sind dieselbe Person.“ (Erschrickt.)
Fürst: Was haben Sie, Winegg?
Minister: Verzeihung, Durchlaucht, ich sehe einen Weg, die Persönlichkeit des Verbrechers zu ermitteln. (Sucht sich zu fassen.)
Fürst: Soll denn diese unheilvolle Geschichte uns alle verwirren? Die Baronin ringt mit einer Ohnmacht und Sie stehen bleich und verstört, wie vor dem Entsetzlichsten. – Winegg, es ist mein ernster Wille, daß die Sache zu Ende komme. Lassen Sie nach jetziger Lage der Akten die Sentenz# fällen und die Verbrecher so schnell als möglich der verdienten Strafe zuführen. – Leben Sie wohl, schöne Valentine, meine Pflicht ist, die zu bestrafen, welche Ihren Schlummer verkürzt haben; üben Sie das Recht der Heiligen, allen Sündern zu verzeihen. (Ab mit dem Minister.)
Valentine (das Haupt auf das Sofa beugend): O mein Gott! mein Gott!

Prinzeß Marie.

Prinzeß Marie (zur Seitentür hereinsehend): Sind sie fort? (Hereinkommend.) Mein erlauchter Valentin ist scheu und verlegen, der Herr Minister sieht aus wie eine Wetterwolke, und auch du, Valentine, hast verweinte Augen, du arme Bestohlene! (Lacht.)
Valentine (gepreßt): Durchlaucht sind heut in froher Laune.
Marie (sie liebkosend): Nicht mehr, wenn es dich schmerzt. Aber ich muß lachen, wenn ich daran denke, er ein Spitzbube! (Lacht.) Es ist zu abgeschmackt.
Valentine: Wie meinen Sie das, Durchlaucht?
Marie: O Schelm, verstelle dich nicht, du weißt das besser. (Sie auf das Sofa ziehend.) Sieh, Valentine, du und die Fürstin Mutter und zu Zeiten mein sehr gnädiger Cousin, ihr behandelt mich nur wie ein einfältiges Kind, aber ich bin klüger, als ihr meint.
Valentine (ungeduldig): Marie, du sprichst in Rätseln.
Marie: Gut, so will ich dir vertauen, was du gute, stolze Seele nicht weißt – (wichtig) der Gefangene ist kein Dieb!
Valentine (mit erzwungener Ruhe): Und woher willst du das wissen?
Marie: Aber das sieht man ja beim ersten Blick. Wer ein so klares Auge hat, der stiehlt nicht.
Valentine: Der Schein trügt.
Marie: Hier nicht. Ich war in seiner Nähe so froh und sicher, wie bei einem recht guten Menschen. Valentine, wenn er mit mir sprach, glaubte ich einen Bruder zu hören.
Valentine: Sein Zauber hat auch dich berückt.
Marie: Zuerst wußte ich nicht, was ich aus ihm machen sollte. Er ist sicher und leicht, aber nicht vornehm. Endlich merkte ich's, er ist nicht, was er scheint.
Valentine: Prinzeß!
Marie: Er ist gar kein Europäer, vielleicht ein indischer Prinz.
Valentine: Du dichtest!
Marie: Denke Dir, seine Haut ist tätowiert.
Valentine (zuckt die Achseln).
Marie:
Er ist tätowiert, er ist ein Wilder. Er streifte den Handschuh von der Hand, und glaube mir, in seine Handfläche sah ich deutlich mit feinen blauen Punkten eine Eidechse gezeichnet.
Valentine: Solche Figuren zeichnen die Galeerensklaven in Bagno# auch.
Marie: Wie häßlich du bist! – Er überreichte mir sein Taschenbuch, es roch nach dem neuen Parfum, das uns der Gesandte aus Paris geschickt hat.
Valentine: Ein Zufall.
Marie (sicher): Das ist ein untrüglicher Beweis. Wer das Parfum gebraucht, gehört zu uns, das ist sicherer als eine Fürstenkrone.
Valentine: Vielleicht ist er ein Freund des Fabrikanten.
Marie: Pfui, Valentine, verstelle dich nicht, es nützt dir nichts. (An ihrem Ohr.) Er liebt dich –
Valentine (erschrocken aufstehend): Durchlaucht!
Marie: Er liebt dich, er wollte Abschied von dir nehmen, er war bei dir, als die Diebe einbrachen – o ich errate Alles! (Sie umarmend.) Liebe, liebe Valentine, weine nicht, ich will ja dein Geheimnis still im Herzen bewahren. Er ist schön und edel, Valentine, liebst du ihn?
Valentine (sich an die Prinzeß lehnend): Ich fürchte mich vor ihm.
Marie: Sei ruhig, dann wirst du ihm wohl auch gut sein. – Nein, ängstige dich nicht. Alle halten ihn für einen Verbrecher, nur ich nicht, ich weiß auch warum! (Valentine liebkosend.) Sieh, Valentine, so bist du recht – (leise) es war in diesen Wochen etwas Gespanntes zwischen uns, Valentine, ich war eifersüchtig auf dich.
Valentine: Ach, Marie, ich hatte dir Grund dazu gegeben, verzeihe mir. (Küßt ihr die Hand.) Ich war in großer Gefahr, doch das ist jetzt vorüber.
Marie: Seit er zu uns kam?
Valentine: Seit dem Tage.
Marie (froh): O ich wußte es, er ist mein guter Engel! – Was willst du jetzt tun, Valentine?
Valentine: An ihn denken, vielleicht – vor ihm entfliehen.
Marie: Und er?
Valentine: Er ist glücklich, er hat jetzt ein Recht, stolz zu sein, denn er hat mir Alles geopfert.
Marie: Ja, um Alles wieder zu gewinnen, das ist so Männerart.

Robert.

Robert
(meldend): Herr Rat Müller.
Valentine: Was kann er wollen?
Robert: Er komme wegen des Diebstahls.
Valentine: Ach! diese fürchterliche Untersuchung! - Durchlaucht! Ich werde ihn annehmen müssen.
Marie: Tue das, Valentine, aber schicke ihn schnell wieder fort, und höre, versprich mir, dich zu schonen, ich habe die heutige Wasserfahrt absagen lassen und will, wenn es dir lieb ist, den Nachmittag auf deinem Tabouret als Krankenpflegerin zubringen.
Valentine (sich auf ihre Hand beugend): Liebe Durchlaucht!
Marie (sie auf die Wange küssend): Auf Wiedersehen! (Bei dem eintretenden Müller, welcher ihr eine tiefe Verbeugung macht, vorbei, ab. – Robert setzt Stühle, ab.)

Müller.

Müller:
Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich störe, ich komme als Freund Georg Saalfelds.
Valentine (überrascht): Sie kennen Herrn Saalfeld?
Müller: Seit seiner Jugend. Heute gegen Morgen dringt sein Diener in mein Zimmer, überbringt mir die Papiere und wertvollsten Effekten# seines Herrn und erzählt das Unglaubliche, sein Herr sei in Ihrer Wohnung verhaftet, des Diebstahls überführt und geständig. Das Gerücht erfüllt bereits die Stadt, hier höre ich von allen Seiten die Bestätigung. Bevor ich öffentliche Schritte tue, um dies entsetzliche Mißverständnis aufzuklären, fühlte ich mich verpflichtet, Sie aufzusuchen, da ich die Überzeugung habe, daß Sie so wenig als ich an die Möglichkeit glauben, mein unglücklicher Freund könne ein niedriger Verbrecher sein.
Valentine: Und wenn ich es nicht glaube?
Müller: Ich wußte es. In diesem Falle erbitte ich mir Ihren Rat, welche Schritte ich tun und wie weit ich gehen darf, um so schnell als möglich die traurige Verwirrung zu lösen.
Valentine (nach einer Pause): Tun Sie, was Sie für Pflicht halten; geben Sie alle Aufschlüsse, welche Sie geben können, aber handeln Sie durchaus ohne mich.
Müller: Aber, gnädige Frau, Sie werden begreifen, daß nur Sie im Stande sind, das seltame Dunkel aufzuhellen.
Valentine: Ich? und wenn ich nicht will?
Müller: Sie wollen nicht? Ein Mann fällt als Opfer unseliger Verwicklungen, vielleicht, wenn ich recht ahne, als Opfer einer unerhörten Großmut, und Sie könnten kalt, schweigend sein Verderben ansehen, Sie, wahrscheinlich die Ursache seines Leidens? – Wissen Sie, gnädige Frau, was auf dem Spiele steht? Die Freiheit, die Ehre eines Mannes.
Valentine (aufstehend, mit Würde): Gegen die Ehre einer Frau!
Müller: Gegen Ihre Ehre, Madame.
Valentine (stark): Wäre ich ein Mann, so würde dieses Achselzucken eines Schwächlings Ihr Tod; ich bin ein Weib und habe die bittere Tugend geübt, Verleumdung zu verachten. – An Sie, als den Freund eines edleren Mannes, aber noch ein Wort zur Warnung. Gesetzt, Ihr Freund wollte ein großes, unerhörtes Opfer bringen, welches Recht haben Sie, als dünkelhafter Vormund ihm hindernd in den Weg zu treten? Ist er nicht stark, weise, kühn, wohl geeignet selbst das Rechte zu finden? Haben Sie ein anderes Recht, als ihn zu beklagen, vielleicht zu bewundern? Und gesetzt, Ihr Freund brächte ein solches Opfer für eine Frau, ahnen Sie nicht, wie viel auch die Frau ihm schenken würde, wenn sie das Opfer annähme? Wenn er für ein Weib Freiheit und Ehre hingibt, so gewönne er dadurch ein heiliges Recht auf ihre Ehre und Freiheit und sie hätte nichts mehr, was sie einem solchen Manne versagen dürfte. – Was ich zu tun gedenke, bleibt zwischen mir und meinem Gott, Ihnen aber, mein Herr, rate ich, den Willen des Dulders zu ehren. (Beide zu verschiedenen Seiten ab.)

Zweite Szene.

Gefängnis. – Ein Schemel. Zur Seite oben ein Gitterfenster.

Georg mit Ketten. Der Zigeuner. Schließer.

Schließer: Tretet ein, ihr Galgenvögel, ich gehe dem da (auf den Zigeuner weisend) seine Zelle säubern.
Zigeuner: Wo komm' ich hin?
Schließer: In den Turm. (Ab.)
Zigeuner: Verflucht, dort sind Ratten. Das dank' ich dir, du Schuft.
Georg (der sich auf den Schemel gesetzt, launig): Mir, würdiger Mann? Da tust du dir sehr Unrecht. Die Ratten und die Raben sind von je eine lästige Zugabe bei deiner Kunst.
Zigeuner: Deiner? Hast du nicht auch gestohlen, du Schuft?
Georg: Höre, mein Freund, ich ersuche dich um Höflichkeit. Wir sind jetzt zwei Kastanien in einer Schale und die Schale ist sehr enge; wenn du dich ungebärdig stellst, wird sie für uns beide zu klein.
Zigeuner: So springe doch hinaus, du glatter Taugenichts, dort it die Tür, hahaha!
Georg: Ich weiß ein besseres Mittel, ich werde dir mit deinem eigenen Halstuch den Mund zubinden.
Zigeuner: Das probier' einmal.
Georg: Denke an die Faust, die dich zu Boden schlug! (Bei Seite.) Man wird ordentlich ein Renommist# unter dem Gesindel.
Zigeuner (drohend): Den Schlag sollst du mir noch bezahlen.
Georg: Das werde ich auch. Vergiß nicht, daß die Geld geboten ist, wenn du vor Gericht gerade so aussagst, wie ich's verlange.
Zigeuner: Aber wann soll ich's haben?
Georg: In drei Tagen. Erhältst du die Summe nicht, so magst du erzählen, was du willst, obwohl du recht gut weißt, daß dir das nicht helfen wird.
Zigeuner: Gut, drei Tage will ich warten.
Georg: Und wozu willst du das Geld in deinem Gefängnis?
Zigeuner: Das ist meine Sorge. Geld ist überall gut, im Gefängnis gilt's doppelt. – Aber wo willst du's hernehmen?
Georg: Das ist meine Sorge.
Zigeuner: Und weshalb bist du so hitzig, mein Kamerad zu werden?
Georg: Das brauchst du nicht zu wissen. Keinenfalls, um das Vergnügen deiner Gesellschaft zu genießen, du bist sehr uninteressant.

Schließer.

Schließer
(zum Zigeuner): Fort mit dir, deine Zelle ist bereit.
Zigeuner: Lieber bei den Ratten als bei diesem. (Ab mit dem Schließer.)

Benjamin. Schließer.

Benjamin
(eintretend): Was? In Ketten? (Zornig.) Wie könnt ihr ihn in Ketten legen? Das ist ungerecht, das ist ungesetzlich! Er hat ja Alles gestanden wie ein Lamm, und ihr untersteht euch, ihn zu schließen? Das ist nichtswürdig, das ist Tyrannei, das ist gegen die Kriminalordnung! Meint ihr, daß ich das Gesetz nicht kenne?
Schließer: Halt's Maul, Benjamin, oder ich werfe dich hinaus! (Ab.)
Benjamin (ihm nachrufend): Es ist ungesetzlich! – (Geht an die Ketten, befühlt sie, verächtlich.) Die Schafsköpfe! Es inkommodiert# sehr wenig, Euer Gnaden, ein Hieb, und die ganze Geschichte fällt ab. Es sind große Schafsköpfe und das nennen sie schließen! Es ist lächerlich, mit solchem Bindfaden einen Mann wie Euer Gnaden festhalten zu wollen.
Georg (lachend): Das meine ich auch, Benjamin, aber weshalb gerietst du so in Zorn?
Benjamin (schlau): Es war nur, Euer Gnaden, man muß sich der Polizei gegenüber nichts von seinem Rechte vergeben, das Volk nimmt sich sonst zu viel Freiheiten heraus.
Georg: Du hast Recht, Benjamin. Jetzt aber sage mir, wie bist du hereingekommen?
Benjamin: Der Schließer ist ein alter Freund von mir und ich war Besitzer eines Louisdors von Euer Gnaden.
Georg: Und den hast du für mich ausgegeben! – Und was verschafft mir die Ehre deines Besuches?
Benjamin (feierlich): Euer Gnaden, die drei Tage sind um, unser Kontrakt ist zu Ende.
Georg: Und du hast die Lust verloren, ehrlich zu sein?
Benjamin: Hm! Mit der Ehrlichkeit war das eine eigene Sache. Sonst mauste ich, heut vor Gericht mußte ich auf Eurer Gnaden Befehl lügen.
Georg (aufstehend): Der Vorwurf ist gerecht, Benjamin, und es tut mir um deinetwillen sehr leid, daß es so sein mußte.
Benjamin: O machen sich Eure Gnaden darüber keine Sorge! – Ach, Sie sind so gütig gegen mich, und ich bin's doch eigentlich gewesen, der Sie ins Unglück gebracht hat.
Georg: Ja, du hast laut genug geschrien.
Benjamin: Wie ein Esel, Euer Gnaden, wie ein unerhörter Esel. – Aber habe ich heute vor Gericht meine Sache nicht gut gemacht?
Georg: Vortrefflich. Du warst der schlaueste Teufel, der je vor einem grünen Tische stand.
Benjamin: Euer Gnaden sind sehr gütig. Der Harfner ist ungesehen entsprungen, und Niemand denkt an ihn, da Euer Gnaden statt seiner eingetreten sind.
Georg: Und sonst steht Alles gut?
Benjamin: Sehr gut. Der ganzen Residenz und den umliegenden Dörfern stehen die Haare zu Berge über Eure Gnaden Nichtswürdigkeit.
Georg: Aber meine Papiere, meine Wohnung, sie sind durchsucht?
Benjamin: Ja, aber das Nest war bereits ausgenommen.
Georg: Wie?
Benjamin: Heut früh um vier Uhr trug ich Ihre Papiere und Effekten zu Herrn Rat Müller. Er versiegelte sie in meiner Gegenwart.
Georg: Benjamin, du bist unbezahlbar. Jetzt sind wir sicher.
Benjamin: Ja, Euer Gnaden, fünf bis sechs Jahre Zuchthaus sind sicher, oder waren Euer Gnaden bereits anderweitig Untersuchung?
Georg (lächelnd): Ich fürchte fast, Benjamin.
Benjamin (eine Prise nehmend, bedächtig): Da können es bis fünfzehn Jahre werden, Euer Gnaden.
Georg: Das müssen wir abwarten. Jetzt aber zu dir, armer Schelm.
Benjamin (bei Seite): Er nennt mich einen armen Schelm, und ich bin frei, er aber sitzt auf fünfzehn Jahre in Eisen!
Georg: Ich meine es gut mit dir, du zeigtest Verstand, gute Laune, ein rohes Ehrgefühl, vielleicht ein zugängliches Herz. (Herzlich.) Benjamin, um deinetwillen tut mir's leid, daß ich gefangen bin. Reich' mir die Hand, mein Freund, und gehe, ich fürchte, ich muß dich aufgeben.
Benjamin: Aber ich gedenke Sie nicht aufzugeben. – (Zögernd.) Euer Gnaden, könnten wir den Kontrakt nicht erneuern?
Georg: Benjamin, du willst meinem Leben folgen?
Benjamin: Durch dick und dünn.
Georg: Und deine Kunst aufgeben?
Benjamin: Seit Eure Gnaden hineingepfuscht haben, habe ich keine Lust mehr dazu. Die zwei Tage Ehrlichkeit haben mich zurückgebracht, am dritten beging ich die größte Dummheit meines Lebens, das muß gut gemacht werden.
Georg: Siehst du, Teufel, diese Seele werde ich dir abgewinnen! – Es ist gut, Benjamin, du bleibst in meinem Dienst. Geh zum Rat Müller, laß dir geben, daß du zu leben hast, bis ich frei werde, und sage ihm, er solle schweigen, wenn er mich liebt.
Benjamin: Ich gehorche. Es rasselt am Schlosse, der Polizeimann gehorcht uns – (mit Bedeutung) Haben mir Euer Gnaden nichts mehr zu sagen?
Georg: Daß du vorsichtig sein wirst, weiß ich.
Benjamin: Sonst nichts? Soll ich denn die fünfzehn Jahre Zuchthaus abwarten, bevor ich die Freude habe, Ihren Rock auszubürsten?
Georg: Nein! Höre, ich muß vor dem Gericht und vor den Menschen ein Dieb bleiben, aber es ist nicht nötig, daß ich fünfzehn Jahre deinen angenehmen Umgang entbehre. Wann geht heut der Mond auf?
Benjamin: Nach Mitternacht.
Georg: Und wann sollst du vor Gericht deine Aussagen beschwören?
Benjamin: In drei Tagen.
Georg: Gut. Das soll vermieden werden. In zwei Tagen will ich frei sein, dort hinaus (auf das Fenster deutend), oder wenn ich in der Zeit transportiert werde, auf dem Marsche. Du wirst mich begleiten.
Benjamin: Schön, in zwei Tagen. Verlassen sich Euer Gnaden ganz auf mich. Es ist gar keine Ehre dabei, aus solch lumpigen Gefängnisse auszubrechen.

Schließer.

Schließer
(schnell): Fort mit dir, Schurke, es kommt Besuch, es kostet mich mein Amt, wenn sie dich hier finden.
Benjamin: Na, na, immer ruhig und anständig, Herr Polizeimann. – Bonjour, Gefangener. (Wird hinausgezogen.)
Georg: Lebe wohl, du treuer Mann. (Es rasselt.) Schon wieder Geräusch, dies Gefängnis ist offenbar nicht nach dem pennsylvanischem System eingerichtet.

Minister. Schließer.

Minister:
Lassen Sie mich mit dem Gefangenen allein.
Georg: Himmel, mein Oheim!
Minister (vortretend, strenge): Sehen Sie mir ins Gesicht!
Georg (sieht ihn an, Pause).
Minister
(auf den Schemel sinkend): Gerechter Gott, er ist es!
Georg (bei Seite): Er dauert mich, er ist alt geworden. (Ruhig.) Was führt Sie in mein Gefängnis?
Minister: Kennen Sie mich?
Georg: Vielleicht.
Minister: Kommen diese Zeilen von Ihnen? (Gibt ihm das Billet Valentinens.)
Georg (das Billet nehmend): Nein. (Bei Seite.) Es ist von Valentine, was bedeutet das Billet?
Minister: Unglücklicher, verworfener Mensch, mußte es so weit mit dir kommen?
Georg (für sich): Sie geht auf meinen Plan ein und will durch den Oheim meine Flucht befördern. Dank, Valentine!
Minister: Ein Verbrecher ohne Scham, ein gemeiner Schurke, ein Räuber!
Georg (ruhig): Georg Winegg liegt als Räuber in Ketten. Einst war er eine Waise, hatte keinen Beschützer als den Bruder seines Vaters. Ich könnte jetzt fragen, wa hat der Oheim getan, seinen Neffen vor dem Fall zu bewahren? Er hat den heißblütigen Jüngling feindselig mit den Waffen eines strengen Gesetzes verfolgt, hat ihn wegen einer Knabentorheit aus dem Lande geworfen, einen Jüngling, ohne Erfahrung, ohne Schutz, vielleicht ohne Grundsätze. Was flucht jetzt der Oheim, wenn sein Neffe ein Schurke geworden ist? Aber Ihr Schmerz dauert mich, Sie sind ein Greis, Ihr Antlitz trägt die Züge meines toten Vaters und so spreche ich: Jede Schuld, die Sie vielleicht an meinem Leben haben, verzeihe ich Ihnen von Herzen.
Minister: Welche Sprache! (Aufstehend, kalt.) In Ihren Worten ist eine traurige Wahrheit und ich nehme es als verdiente Strafe, daß Sie mir aus dem Munde eines Verbrechers kommen. Aber vergessen Sie nicht, daß der Diener seines Monarchen, der zum Verwalter gesetzt ist über ein ganzes Land, höhere Pflichten hat, als die Sorge um einen Angehörigen.
Georg: Ein guter Mensch hätte das Notwendige mit weinendem Auge getan, Sie taten es kalt, feindselig, drohend.
Minister: Meine Ehre stand auf dem Spiel, der Ruf eines langen, pflichtgetreuen Lebens, das Vertrauen meines Fürsten. Ich mußte in einer argwöhnischen Zeit strenge gegen Sie sein, wenn ich mich nicht selbst in Verdacht bringen wollte.
Georg: So war es. Sie opferten mich dem, was Sie Ihre Ehre nennen. Aber lassen wir das. Sie haben mich besucht, mein Oheim, da zeugt von neuer Sorge für Ihren Namen, vielleicht von Mitgefühl für mich. Meine Zukunft kümmere Sie so wenig, als meine Vergangenheit, ich gebe Ihnen freiwillig das Versprechen, nie zu verraten, daß ich Ihren Namen trage. Nur zwei Menschen in diesem Lande kennen meine Herkunft, und ich stehe für beide, wie für mich selbst.
Minister: Und wer bist du, unerklärlicher Mensch, der das Auge eines Ehrenmannes hat und ein niedriges Later auf seiner Zunge? Wer bist du, der du den Stolz hast, einen Greis zu beklagen? Georg, du bist kein Dieb.
Georg (kalt): Vielleicht nur ein praktischer Philosoph. Ihre Gesetze haben mich zu Tode gehetzt wie einen reißenden Wolf, welche Pflicht hätte ich, Ihre Gesetze zu ehren? – Und jetzt, mein Oheim, vergessen Sie, unter welchen Verhältnisen wir einander wiedersahen, lassen Sie mich die wenigen Augenblicke, wo unsere verschiedenen Wege einander kreuzen, mit einer Frage an Ihr Leben schließen: Bruder meines Vaters, sind Sie glücklich?
Minister (bitter): Ich bin alt, mein Haus ist öde.
Georg: Und Ihr Bewußtsein?
Minister: Ich habe dem Wohle meines Fürsten mein Leben geopfert und genieße sein Vertrauen.
Georg: Und wie dankt Ihnen das Volk, welches Sie regieren?
Minister: Es wird mir fremd, ich stehe allein.
Georg: Armer, armer Mann.
Minister: Einst la ich in fremder Zeitung von einem Winegg, der in einem anderen Weltteile für das Leben neuer Völker kämpfte. Der war ein Soldat und Staatsmann und diente seinem Götzen, der Freiheit, wenigstens männlich und mit gutem Rufe. – Man nannte ihn brav und tüchtig. Als ich das las, dachte ich an meinen Neffen und auf das Zeitungblatt fiel die Träne eines alten Mannes.
Georg: Hilf mir, Valentine! (Kalt.) Eure Excellenz vergessen das rote Etui.
Minister: O Gott! – Und dennoch, wenn ich diese festen Züge, die freie Haltung eines Mannes ansehe, so tritt das Bild meines Bruders vor meine Seele und ruft: Der Mann ist kein Dieb, er hat unsern Namen nicht an den Galgen geschlagen.
Georg (finster, für sich): Er muß mich schuldig glauben, sonst ist die Geliebte verloren. Sendet mir eine Lüge, ihr Himmlischen! – Ha, es wird ihn trösten, wenn ich kein gewöhnlicher Schurke bin.
Minister: Georg, hast du kein Wort für mich, dies Rätsel zu lösen?
Georg (kurz, abgebrochen): Ihr Souverän beabsichtigt einen Handelsvertrag mit dem größten Ihrer Nachbarstaaten.
Minister: Was soll das hier? Es ist ein Geheimnis, das nur Wenige teilen.
Georg: Dieser Vertrag würde, falls er zu Stande käme, die Interessen der großen Macht, der ich jetzt angehöre, auf da tiefste verletzen.
Minister:Das ist wahr, aber woher –
Georg: Die Verhandlung wird mit der größten Heimlichkeit und Zartheit betrieben, und das ist gut, denn unser Gold klingt auch an diesem Hofe. - Sie hat sich in eine Privatkorrespondenz der Baronin Geldern mit einer erlauchten Dame des Nachbarlandes gehüllt.
Minister: Wahr, welcher Dämon hat Ihnen –
Georg (bei Seite): Dank, Valentine! – Diese Korrespondenz um jeden Preis zu erhalten, ist der eifrige Wunsch uneres Premierministers.
Minister (unruhig): Das ist zu fürchten, allerdings.
Georg: Die Baronin selbst habe ich jeder Versuchung unzugänglich gefunden – die Kopien dieser Briefe aber liegen in dem Büro der Baronin, und das Büro steht in demselben Pavillon, welchen sie bewohnt.
Minister: Weiter, weiter!
Georg: Ich bin zu Ende.
Minister: Und die Diamanten? Und der Mitgefangene?
Georg: Notbehelf! Ein politischer Diebstahl versteckte sich hinter eine Armesündertat.
Minister: Ist es wahrscheinlich? Ist es nur möglich? Und doch, schon seine Bekanntschaft mit dem Geheimnis ist ein sicherer Beweis. Unglücklicher Tor! Spion und Opfer einer rücksichtslosen Politik, was wird ihr Los sein?
Georg: Ich bleibe ein Dieb, bis ich vergessen bin.
Minister: Wir sind zu Ende. Ich verspreche, das dunkle Geheimnis zu bewahren, und versage Ihnen mein Mitleid nicht, aber ich bin Ihnen fremd von heute ab. – Kann ich noch etwas für Sie tun?
Georg (mit einem Blick auf das Fenster): Lassen Excellenz mich noch zwei Tage in diesem Gefängnis.
Minister (nach einer Pause): Es sei! (An der Tür.) Wenn Sie jenseit der See sind, senden Sie mir eine Nachricht.
Georg: Ich werde sie senden. (Minister ab.) Es ist hart, einen Mann mit weißem Haar zu belügen, doch zur Hälfte ist er beruhigt, daß ich nur ein diplomatischer Gauner bin, Fahr' wohl, mein Oheim! – Triumph, es ist gelungen, sie sind alle auf falscher Fährte. Meiner Treu, ihr Herren, ich hätte nicht gedacht, daß man so leicht ein überführter Schuft werden könnte. – Und Valentine? – Jetzt ist sie noch überrascht und betäubt, indes verschwinde ich still und geräuschlos, die Sache wird vergessen und sie bleibt ungefährdet im sichern Genuß ihres Lebens. – Ah, die Gitterstäbe färben sich goldgelb, es muß draußen ein schöner Sonnenuntergang sein. (Setzt sich auf den Schemel, singt leise vor sich hin und klirrt zum Refrain mit der Kette.)

(Die Tür öffnet sich während des Gesanges.
Valentine tritt herein, betrachtet den Sitzenden gerührt, enlich legt sie die Hand auf seine Schulter und weint.)

Georg (leise und innig): Valentine!
Valentine: Mein lieber Freund! (Stützt ihr Haupt auf das seine und weint. Nach einer Pause.) Saalfeld, was haben Sie getan?
Georg: Das Notwendige. – Weinen Sie nicht, ich bin nicht unglücklich.
Valentine: Aber ich bin es, Ihr Opfer drückt mich zu Boden.
Georg: Mut, meine Freundin! Was Sie ein Opfer nennen, ist für mich nichts, als ein Tag wilden Humors aus meinem bunten Leben, ein vorüberziehendes Bild mit neblichten Gestalten, aus denen nur eine hell in meiner Erinnerung stehen soll. – Es war eine phantastische Laune, mich als Herrn Saalfeld in meiner Heimat auftreten zu lassen, ich mache jetzt dem Lesepublikum einiger deutschen Leihbibliotheken das Vergnügen, ein interessanter Spizubube zu werden. Das ist Alles. Die Buchhändler werden mir's danken, denn ich werde der Held einiger modernen Diebsromane werden. Was ist dabei Gefährliches? Ich werfe von heute den Namen Saalfeld ab, wie ein Kleid, das durch einen Schmutzfleck beschädigt ist, und schwimme als Georg Winegg in dem großen Strome unseres Jahrhunderts rüstig weiter. So ist, was Sie ein Opfer nennen, für mich keines.
Valentine: Nein, mein Freund, so täuschen Sie mich nicht. – Und was soll zwischen uns beiden werden?
Georg: Trennung. – O das ist das Einzige, was ich zu ertragen zittere.
Valentine: Trennung!
Georg: Ja, Trennung – für immer.
Valentine: Und was wird aus mir werden, wenn ich hier zurückbleibe, eine untilgbare Schuld gegen Sie in meinem Gedächtnis, unter Verhältnissen, die mir von jetzt ab hohl, unwürdig, hassenswert sind?
Georg: Sie werden an mich denken, vielleicht mich lieben. Sie werden durch den Gedanken an den fernen Freund den Mut gewinnen, Ihrer erlauchten Freundin einen Gemahl zu geben. Dann, Valentine, verlassen Sie den Hof, reisen Sie; in Italien finden Sie bei der Lady ein großes Herz und frisches Leben. Ich habe, jetzt kann ich es Ihnen gestehen, der Freundin in Syrakus versprochen, Sie von hier fort zu ziehen und zu ihr zu führen; sagen Sie dort, ich sendete Sie als meine Schwester, als die Schwester Georg Saalfelds.
Valentine: Und soll ich bei der Freundin nicht auch Sie wiedersehen?
Georg (das Haupt schüttelnd): Ich heiße dort Saalfeld, der Mann muß verschwinden.
Valentine: O Gott! – Und was wird aus Ihnen, edler, uneigennütziger Mann?
Georg (ihre Hand fassend und nach oben zeigend): Ich verschwinde. – Wie jetzt der letzte Sonnenstrahl von den Gitterstäben scheidet, so scheide ich still und flüchtig. Wenn der Strahl von heute ab zum zweitenmale dort ausgelöscht ist, folge ich ihm. Mein Pfad ist geebnet, ich habe einen treuen Kobold in meinem Sold, der soll mich unter seinem Mantel forttragen.
Valentine: Und wohin gehen Sie?
Georg: Der Sonne nach; hier geht sie unter, den Völkern im Westen geht sie auf. Ich gehe nach dem Westen.
Valentine (schmerzlich): Nach Amerika!
Georg: In das Land meiner Wahl.
Valentine (gefaßt): Ich weiß genug, um Sie zu bewundern und mein Los zu beklagen. Jetzt, Saalfeld, bevor wir scheiden, antworten Sie mir auf meine letzte Frage, wahr und vollständig. Geloben Sie mir das?
Georg: Ich gelobe.
Valentine: Wie hoch schätzen Sie das, was die Menschen den guten Ruf einer Frau nennen?
Georg (wendet sich ab).
Valentine:
Ich fordere Antwort.
Georg: Guter Ruf ist ein schöner Schmuck, ich halte es für ein Unglück ihn zu verlieren.
Valentine: Sie weichen mir aus. So lassen Sie mich sagen, was Sie selbst denken, was ich in den bittern Stunden dieses Tages gefühlt habe. Der gute Ruf eines Weibes ist nicht ihre Ehre. Er ist ein Schild, welches nur die Alltäglichkeit bedeckt, ein goldener Schutz der großen verständigen Mittelmäßigkeit; wer sein Haupt höher trägt, als Andere, dem wird er angegriffen, beschmutzt, zerschlagen, so gut, wie der Verworfenen, welche unter die Mittelmäßigkeit herabsinkt. – Was ist das für ein Gut, welches mir jeder fremde Mund, jede Bosheit oder Schwäche eines Toren rauben kann? – Saalfeld, es lohnt nicht, daß sich ein Mann für diesen kläglichen Schmuck eines schwachen Weibes opfere. –
Georg (vorwurfsvoll): Valentine!
Valentine (leidenschaftlich): In der ersten Stunde, wo wir uns sahen, hat sich ein stilles Band zwischen uns gewoben. Ich frug mich, wie kam das? Weil wir beide, Sie der Mann aus dem Volke und ich die Aristokratin, zu dem großen, stillen Bunde gehören, welcher die nach Freiheit und Selbstgefühl ringenden Geister unserer Zeit vereinigt. In dem Bunde stehen alle, welche ein Schmuck unserer Zeit sind, die Krieger, Propheten und Dulder für die Zukunft. In dem Herzen dieser Mitgenossen sollen wir leben; von ihnen verstanden und geliebt zu werden, das allein soll unser Ehrgeiz sein.
Georg: Ja, Valentine, so ist es.
Valentine: Was die große Menge in dem Gewirr des Tages urteilt, darf uns nicht irren, denn, mein Freund, sie muß uns endlich doch folgen, wir ziehen sie unwiderstehlich mit uns fort. Und sehen Sie, wenn ich unsere Stellung, Ihr Opfer vor den Richterstuhl der edelsten und größten Herzen unserer Zeit bringe, so stehen wir nicht gleich. Vor den stillen Richtern konnte ich auch ohne Ihr Opfer nichts verlieren. Was hätte ich getan, wenn ich den Mann meiner Liebe bei mir aufnahm? Ich hatte kein Unrecht begangen. Was haben Sie getan? Sie haben, um mir ein Erröten zu ersparen, wegen dessen ich mir jetzt zürne, Ihr Leben geopfert, das Sie Ihrer Zeit schuldig sind. – Sie haben Unrecht getan, mein Freund!
Georg: Sie demütigen mich. Wohlan, wäre ich ein Bürger dieses Landes, der seinen ehrlichen Namen braucht, um menschlich mit Menschen leben zu können, so möchten Sie Recht haben. Ich aber bin frei, ich fliege wie der Vogel dorthin, wo mich die Natur willkommen heißt. Ich suche meine Pflichten als ein neuer Mensch in der Fremde.
Valentine: Sie wollen mich täuschen, Saalfeld, mir das Furchtbare verhüllen. Auf Ihren Tagen liegt ein Fluch von jetzt ab, den keine Weisheit und Stärke abwälzen kann. Jeder fremde Wanderer, jedes Zeitungsblatt aus diesem Lande kann Sie verraten; Ihr Fahrzeug wird zerschellen in einem Kampf gegen die tückischen Wellen des Gerüchtes.
Georg: Meine Freundin, es ist weit nach Amerika. Und wenn jemals die Lüge dieser Tage meine Zukunft umschwirrt, so tauche ich mich lustig in das Wellengras der Prärien und eile nach der Hütte meiner roten Freunde, mit denen ich einst den wilden Stier jagte. Ich bin Jäger eines Indianerstammes und trage sein Zeichen. Dort fand ich meine erste Heimat, als mich das Vaterland ausstieß; dort soll meine letzte sein. Der alte Häuptling nennt mich seinen Sohn, zu ihm will ich sprechen: Mein Vater, dort im Osten stieg ich in die Hütte eines Weibes, man fing mich, und ihr drohte die Schande; da steckte ich die bunten Muscheln ihres Ohres in meinen Gürtel und wurde ein Dieb um ihrer Ehre willen. Dnn wird der Alte mir das bunte Baumwollenhemd seines Stammes reichen und sprechen: Mein Sohn hat das Weib geliebt, mein Sohn hat recht getan.
Valentine: Nein, nein! der alte Häuptling wird fragen: und hat das Weib geschwiegen, als ein Krieger um ihretwillen seinen Rücken der Peitsche darbot?
Georg (vor ihr kniend): Ich fordere das Schweigen von ihr, zum Beweis, daß sie mich liebe; da hat sie geweint, aber sie hat mir gehorcht, denn sie hat mich geliebt.
Valentine: Tut sie das, mein Freund? O Männer, ihr seid Tyrannen, selbst da, wo ihr für uns duldet. – Ich verspreche Ihnen, nur das zu tun, was Sie selbst loben werden – (sich zu ihm beugend.) Georg, ich nahm Ihnen gestern die Schärpe, welche Sie mir graubt hatten; jetzt bringe ich sie Ihnen zurück, es hängen heiße Tränen daran. (Zieht die Schärpe hervor.) Und so weihe ich Sie hier zu meinem Valentin, dienen Sie mir, dulden Sie für mich. (Küßt ihn auf die Stirn.)
Georg (sich über ihre Hand beugend): Dank, Valentine!
Valentine: Lebe wohl! (Indem sie sich zum Abgang wendet, fällt der Vorhang rasch.)


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