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Gustav Freytag


Die Valentine. Fünfter Akt

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Worterklärung
Worterklärung
Erste Szene.

Gartensalon der Baronin.

Valentine (am Tische, Papiere ordnend). Robert (in der Nähe der Tür). Johanna (auf der andern Seite in einem Karton suchend).

Johanna: Was befehlen Sie in das Haar, Blumen oder einen Aufsatz?
Valentine (bleich, ruhig): Nichts, Johanna. – (Zu Robert.) Haben Sie meine Briefe an die Herrschaft besorgt?
Robert: Zu Befehl, gnädige Frau. Ihro Durchlaucht, Prinzeß Marie, hatten die Gnade, mir selbst das Billet abzunehmen und zu sagen, Hochdieselben würden die Antwort in Person bringen. Der Herr Minister arbeiteten bei Seiner Durchlaucht.
Valentine: Sie haben Herrn Lieutenant von Stolpe ersucht, mir seinen Besuch zu gönnen?
Robert: Der Herr Lieutenant werden sich die Ehre geben.
Valentine: Sind meine Koffer gepackt?
Robert: Sie sind es, gnädige Frau.
Valentine: Es ist gut. Robert, verbrennen Sie diese Papiere.
Robert (ab).
Johanna:
Hier, gnädige Frau, das Ordenskreuz.
Valentine: Lege es dort auf den Tisch.
Johanna (das rote Etui bringend): Hier sind die diamantenen Ohrringe.
Valentine: Hinweg mit ihnen! Sie brennen mich in die Augen.
Johanna (fast weinend): Kein Band, kein Schmuck! Ach liebe, gnädige Frau, Sie sehen ja aus wie eine Totenbraut.
Robert (der hereingekommen und es gehört, zuckt zusammen): Es ist Sünde, so etwas zu sagen.
Valentine: Meinst du? Geh, Johanna, nimm den Schmuck mit dir.
Robert: Im Vorzimmer steht ein Mann von verdächtigem Aussehen, er wünscht die gnädige Frau zu sprechen.
Valentine: Ich bin beschäftigt; ist es ein Bittender, so gib ihm.
Robert: Er läßt sich nicht abweisen und meint, er wolle diesmal nichts nehmen, er bringe etwas.
Valentine: Laß ihn herein.

Benjamin (im Kostüm des ersten Aktes).

Benjamin
(mit vielen Kratzfüßen#): Untertänigen guten Morgen, Ihro Gnaden!
Valentine: Wa wünschen Sie?
Benjamin (sich wieder verneigend): Ich bitte, Ihro Gnaden, unter vier Augen.
Valentine: Verlaß uns, Robert.
Banjamin (ruft dem Abgehenden zu, auf seine Füße sehend): Der Herr wird die linke Schuhschnalle verlieren, sie scheint gutes Silber zu sein.
Robert (ab).
Valentine:
Wer sind Sie?
Benjamin (sich verneigend): Ihro Gnaden – mit Respekt zu sagen, Spitzbube.
Valentine (tritt einen Schritt zurück).
Benjamin:
Belieben sich Ihro Gnaden nicht zu erschrecken; ich habe gegenwärtig, bis auf weiteres, diese Beschäftigung aufgegeben, ich bin jetzt nur Bedienter, Bedienter des Herrn Saalfeld, wenn Ihro Gnaden nichts dagegen haben.
Valentine: Sie? und was führt Sie zu mir?
Benjamin (demütig): Ihro Gnaden müssen mir erlauben, Ihnen das zu entwickeln. (Er zieht ein buntes Taschentuch hervor und rollt es auseinander, ein Brot liegt darin.) Ich gebe mir die Ehre, Ihro Gnaden dieses Weißbrot zu präsentieren. In diesem Brot sind einige Kleinigkeiten eingebacken. Zuerst ein Uhrfedersäge, dann 15 Ellen schmales Hanfband mit Draht durchflochten und endlich ein Messer. Mit der Uhrfedersäge wird er die Eisenstäbe durchsägen, an der Schnur wird er sich herablassen und (mit einer Pantomime und entschuldigenden Verbeugung) das Messer ist nur für den Notfall.
Valentine (das Brot heftig zurückweisend): Und wie kommen Sie dazu, mich zur Vertrauten Ihre wilden Beginnens zu machen?
Benjamin: Zürnen Ihro Gnaden nicht, nur die höchste Not hat mich dazu getrieben. Gestern gelang es mir, zu meinem Herrn ins Gefängnis zu dringen. Er sprach zu mir: In zwei Tagen will ich frei sein, mein Freund. (Geschmeichelt.) Er nennt mich nämlich seinen Freund, wenn er bei guter Laune ist. Ich sage darauf: Wie Euer Gnaden befehlen; gehe zum Trödler, verkaufe meinen Livreerock und kaufe die Säge, flechte die Schnur, lasse heut Nacht durch die Amsel – eine Freundin von mir – das Brot backen und will ihm heut früh die Kleinigkeit zustecken. Da will mich der Polizeimann nicht hineinlassen, wird sehr grob, verleugnet alle Freundschaft und sagt: große Strenge sei Befehl und es würde ihm das Amt kosten. Da dachte ich in meiner Angst an Ihro Gnaden.
Valentine: Noch einmal, warum wenden Sie sich gerade an mich?
Benjamin: Gestern in der Dämmerung lag ich vor dem Gefängnis auf der Lauer, da sah ich eine verhüllte Frau mit einem Diener hineingehen und nach kurzer Zeit wieder herauskommen; ich folgte ihr, sie ging in dieses Haus. Nun dachte ich, es sei vielleicht eine von Ihro Gnaden Frauen gewesen, die noch etwas mit meinem armen Herrn zu sprechen hatte, weil er doch hier bei Hofe beschäftigt war. Und da meinte ich, Ihro Gnaden würden vielleicht so barmherzig sein und unter Ihren Frauen nachfragen lassen und dieser Frau gestatten, daß sie mein Bort in einem Korbe mit Speisen zu dem Gefangenen trüge.
Valentine: Und Sie haben die verhüllte Frau nicht erkannt?
Benjamin (bittend): Ihr Gesicht war nicht zu sehen, es war dunkel.
Valentine: Und Sie wissen nicht, wer die Frau war?
Benjamin: Ich kann es Ihro Gnaden nicht sagen.
Valentine (ihn fixierend): Ich aber habe Ihr Gesicht schon gesehen, Sie stehen nicht zum ersten Mal auf dieser Stelle.
Benjamin (erschrickt - faßt sich): Ihro Gnaden – ich verstehe nicht, was Ihro Gnaden meinen.
Valentine: Sie hielten die Hand des Gefangenen - auf seinen Befehl.
Benjamin (sehr verwundert): Ich verstehe Ihro Gnaden durchaus nicht.
Valentine: Ein Verbrecher und doch treu und zartfühlend.
Benjamin: Ihro Gnaden, ich bin nur treu auf Akkord, und in Polizeisachen ist unser einer immer zartfühlend.
Valentine: Wie lange kennen Sie Herrn Saalfeld?
Benjamin: Seit wenigen Tagen. Ein Tuch, welches freundlich aus seiner Tasche heraushing, vermittelte unsere Beknntschaft. Er prach zu mir: Benjamin, du bist dein Lebelang ein Schuft gewesen, (mit einer Verbeugung) nämlich ich – aber das war alles nur Schein, eigentlich bist du ein wohlgezogener und ehrlicher Kerl, du kannst das nur nicht merken, weil du gegenwärtig zu diebisch bist. Das wunderte mich sehr, ich glaubte ihm nicht recht. – Da sprach er: Wenn du drei Tage mein Diener sein willst, aber ehrlich, so werde ich dir's beweisen. Und sehen Ihro Gnaden, er hatte Recht, er hatte mich erkannt, in seinem Dienste merkte ich, daß ich gar nicht so schlecht war. – (Lächelnd.) Ihro Gnaden, das hat mich gefreut.
Valentine: Das ist deine Art, Kranke gesund zu machen, du guter Arzt.
Benjamin: Die drei Tage waren noch nicht um, da steckten sie ihn ein, durch meine Schuld, denn ich Esel war's, der dort unten schrie – (zusammenfahrend). Verzeihen Ihro Gnaden, das ist mir so entschlüpft. Ich habe durch ihn gelernt, daß ich auch honnet# sein kann; und er ist durch mich zum Dieb geworden. Das ist eine schlechte Rechnung, Ihro Gnaden, und das muß sich ausgleichen, bevor der Benjamin (Pantomime des Hängens) hinauf oder hinunter fährt.
Valentine (freundlich): Benjamin, ich hoffe, du wirst es ausgleichen. – Aber dein Brot nehme ich nicht. Nein, sei ohne Sorge, du treuer Mann, dein Herr soll in wenigen Stunden frei werden.
Benjamin (neugierig): So haben Ihro Gnaden vielleicht selbst eine Feile?
Valentine (lächelnd): Ohne Feile! Benjamin, es war sehr töricht, deinen Herrn für einen Dieb zu halten.
Benjamin: Wie? Ihro Gnaden meinen, er soll aufhören, ein Räuber zu heißen?
Valentine: Das unwürdige Mißverständnis soll aufhören.
Benjamin (erschrocken): Aber – aber – wenn er aufhört, ein Dieb zu sein, so wird die Polizei fragen, weshalb könnte er denn – hier – bei – Na – (Valentine wendet sich ab – Benjamin vertraulich.) O, tun das Ihro Gnaden nicht, das würde ihm sehr unlieb sein. – Überlassen Sie ihn mir, ich verspreche Ihro Gnaden, ihn fortzustehlen, und wenn hundert Polizeiaugen Wache halten. Vertauen Sie mir und dem Brote.

(Musik – ein heiteres Ständchen – welche während des ganzen nächsten Auftritts in der Ferne deutlich, aber nicht störend, hörbar ist.)

Robert (tritt ein).

Robert:
Seine Durchlaucht und die Kavaliere kommen die Allee herauf. Die Musik ist von Seiner Durchlaucht hergesandt, die Genesung der gnädigen Frau zu begrüßen.
Valentine:Ruhig, mein Herz! – Benjamin, deinen Wunsch kann ich nicht erfüllen, verlaß mich jetzt. – Und höre, wenn du in deinem armen Leben dich je nach einem Freunde sehnst, so rufe mich, ich werde dir dann zu danken suchen.
Benjamin: Ihro Gnaden sind gut wie ein Engel, aber so lange der Herr Gefangene lebt, bin ich der Mann, der hinter ihm herläuft. (Ab.)

Fürst. Minister. Graf Wöning. Hofmarschall. Lieutenant v. Stolpe. Kavaliere. (Jeder, mit Ausnahme Wineggs, eine Rose am Hut und am Knopfloch.)

Fürst: Die unartigen Söhne des Mai's kommen, ihrer Königin zu huldigen. Holde Herrin! Schenken Sie uns ein freundliches Lächeln, der Tag war finster, wo wir Ihren Anblick entbehren mußten. – Auch meinen würdigen Nestor# habe ich mitgebracht, ich entrinne ihm, indem ich ihn vor Ihren Thron führe, denn er fing bereits wieder an, über die unglücklichen Nachtdiebe Vortrag zu halten.
Valentine: Ich bedaure, daß ich Eure Durchlaucht mit demselben Gegenstande belästigen muß.
Fürst: Mein Gott, die Sache ist ja abgemacht.
Valentine: Es ist zum letztenmale.
Fürst: So feierlich, schöne Baronin? Wohlan, wir gehorchen Ihrem Befehl und hören. (Setzt sich – die Herren gruppieren sich hinter seinem Sessel.)
Valentine: Gestatten Durchlaucht, daß ich zu dem Zweck meinen Haushalt hereinrufe?
Fürst: Das sind ja förmliche Assisen#. Tun Sie nach Ihrem Willen, gnädige Frau.
Valentine (winkt Robert; er öffnet die Tür, Domestiken# treten geräuschlos ein): Eurer Durchlaucht und diesen Herren wünsche ich eine Aufklärung über die Vorfälle der vorletzten Nacht zu geben, sie kommt so spät, weil ich einen fremden Willen dabei zu ehren hatte.
Fürst (zu Wöning): Was hat sie vor?
Wöning: Weiberlaunen, eine Kleinigkeit, irgend ein vermißter Ring.
Valentine: Zwei Männer sind in diesem Saal festgenommen und ihres Verbrechens geständig. Der eine von ihnen ist unschuldig, sein freiwilliges Geständnis war eine Unwahrheit, welche der edle Mann auf sich nahm, um mich zu schonen. Herr Saalfeld war in dem Augenblicke, wo der Dieb einbrach – bereits bei mir – er war hier, durch mich selbst hereingerufen.
Fürst (steht auf): Das ist unmöglich.
Valentine: Ich bin bereit, es eidlich zu bekräftigen. (Die seidene Strickleiter unter einem Tuch hervorziehend und auf den Boden werfend.) Hier liegt der Beweis, die Leiter, auf welcher er zu mir hereinstieg.

(Bewegung, Fürst ab, die Hofchargen# mit ihm; die Domestiken folgen schweigend.)

Minister (Valentinen die Hand küssend): Ich danke Ihnen, gnädige Frau, Sie haben durch eine große Offenheit mir einen Verwandten, unserm Lande eine frohe Hoffnung zurückgegeben. (Ab.)

Valentine steht unbeweglich, Robert an der Tür das Gesicht verbergend.

(Die Musik spielt nach dem Abgange des Ministers noch einige Takte, dann hört sie plötzlich mit einer Dissonanz auf.)

Valentine (nach einer Pause): Setzen Sie sich, Robert, ich werde Ihnen eine kurze Notiz für unsere Zeitung diktieren; sorgen Sie dafür, daß sie morgen ausliegt.
Robert (sich bekümmert setzend): Ich bin bereit, gnädige Frau.
Valentine: Das geheimnisvolle Dunkel, welches über der versuchten Beraubung eines fürstlichen Pavillons schwebte, hat sich aufgeklärt. Es ist erwiesen, daß der ehrenwerte Fremde, Herr Saalfeld, sich selbst mit unerhörter Großmut geopfert hatte –
Robert: Mit unerhörter Großmut geopfert hatte.
Valentine: Um bei einem Zusammentreffen unglücklicher Zufälle –
Robert: Zufälle –
Valentine: Die Ehre einer gewissen Dame nicht zu kompromittieren.
Robert: Nein, ich kann nicht weiter schreiben, mir zittern alle Glieder. Gnädige Frau, das ist ja ein Todesurteil für Ihren Ruf.
Valentine: Mein Ruf, lieber Robert?
Robert: Ja, gnädige Frau! Sie sind verleumdet worden, ich habe das oft mit Schmerz gehört. Aber das war ja nur Einer, Seine Durchlaucht, und Sie konnten ihn lieben - jetzt aber, gnädige Frau, - jetzt ist's noch ein Anderer.
Valentine (verbirgt ihr Antlitz – Pause – stark): Schreibe, Robert!
Robert: Ich kann nicht.
Valentine: So muß ich's selbst tun. (Liest.) Geopfert, um – (schreibt) die Ehre einer gewissen Dame nicht zu kompromittieren. – (Legt die Feder hin.) Die gewisse Dame bin ich, Robert! Du besorgst das Blatt sogleich in die Druckerei.
Robert: Es soll geschehen. Ach, es ist der schwerste Dienst, den ich je getan!

Bedienter.

Bedienter
(meldend): Herr Hofmarschall von Gurten.

Hofmarschall.

Hofmarschall
(officiös#): Baronin von Geldern wird ihrer Dienstleistungen als Hofdame der Prinzeß Marie Durchlaucht auf hohen Befehl hierdurch entlassen.
Valentine (stolz): Ich habe es gehört.
Hofmarschall: Auf Befehl Seiner Durchlaucht komme ich, das goldene Stiftskreuz des Marien-Ordens zurückzufordern.
Valentine (es vom Tische nehmend und überreichend): Hier ist es.
Hofmarschall: Sowie die Schlüssel zum Pavillon Ihrer Durchlaucht der Frau Prinzeß.
Valentine: Nehmen Sie.
Hofmarschall: Seine Durchlaucht lassen anfragen, wann Sie abzureisen gedenken.
Valentine: In einer Stunde. – Ich habe um die Gnade gebeten, mich von der Frau Prinzeß beurlauben zu dürfen.
Hofmarschall: Prinzeß Marie Durchlaucht lassen Ihnen glückliche Reise wünschen. (Ab.)
Valentine (zu Robert, der traurig von weitem steht): Robert, Sie werden auf jene Zeitungsanzeige noch eine Nachschrift setze: Die Baronin Geldern ist ihrer Ämter entlassen und verläßt die Residenz. (Ab. Robert nach.)

Georg. v. Stolpe. Benjamin.

v. Stolpe
(außerhalb): Auf Befehl Eurer Excellenz, des Herrn Ministers.
Georg (finster): Weshalb führen Sie mich hierher, mein Herr?
v. Stolpe: Ich wiederhole Ihnen, Herr Saalfeld, Sie sind frei; ich bin beauftragt, Ihnen zu sagen, daß man höchsten Orts von den Beweggründen Ihres seltsamen Geständnisses vollständig unterrichtet ist.
Georg: Und wer hat diese unerklärlichen Aufschlüsse gegeben, welche einen überwiesenen Verbrecher dem Spruch des Gesetzes entziehen?
v. Stolpe: Das zu sagen bin ich nicht autorisiert. – Seine Durchlaucht lassen Ihnen den Wunsch ausdrücken, daß Ihre Geschäfte in unserem Lande sich glücklich und schnell beenden möchten.
Georg: Ich verstehe. In wenigen Tagen werde ich abreisen.
v. Stolpe (mit Verbeugung ab).
Benjamin
(vorstürzend, seine Hand ergreifend): Ach, Euer Gnaden, ich bin sehr froh, daß Sie wieder frei sind. Eure Gnaden sind so ganz ein Mann nach meinem Herzen. – Verlassen mich Euer Gnaden jetzt nicht, da Sie wieder im Glück sind.
Georg: Im Glück? du irrst, mein Freund.
Benjamin (heimlich): Ich habe sie heut gesehen!
Georg: Wen?
Benjamin (leise): Die gnädige Frau, ganz weiß, ganz bleich, und ein Lächeln auf den Lippen, wie eine Selige.
Georg: Still! – Benjamin, geh' zum Rat Müller. Erzähle ihm, wie alles gekommen, nimm meine Papiere in Empfang; er soll mir nicht zürnen, wenn ich ihn vor meiner Abreise nicht mehr sehe. Geh', Benjamin. (Benjamin betrübt ab.) (Allein.) Sie hat mein Opfer verschmäht, sie hat sich selbst gedemütigt, dem Spott der Toren preisgegeben, um mir nichts schuldig zu sein. Du hast dich losgelöst von mir, Valentine, jetzt werde ich deiner Seele nicht mehr sein, als ein Freund, der dir große Schmerzen bereitet hat. Und wie ein armer Knabe seinem flüchtigen Vogel, so sehe ich machtlos deinem freien Fluge nach. Du bist mir verloren, stolzes Herz, und wie ein Knabe muß ich um dich weinen.

Valentine.

Valentine
(an der Tür): Saalfeld!
Georg (steht auf): Sie ist streng, sie erspart mir den Schmerz des Abschiedes nicht.
Valentine (mit beherrschter Bewegung): Saalfeld, wir hatten viel gegen einander auszugleichen.
Georg: Sie haben es ausgeglichen.
Valentine: Sie traten in mein Leben kühn, fordernd, mit dem Selbstgefühl eines Mannes, der gewöhnt ist, zu erringen. Meine kleine Existenz wurde dadurch gestört, jeder Stolz des Weibes verwundet, meine Seele mit Schmerz und Bitterkeit erfüllt. Ich sage nicht, daß das ein Unrecht von Ihnen war; denn Sie waren mein Arzt, aber Sie heilten mich dadurch, daß Sie mich demütigten.
Georg: Ja, darin liegt mein Unrecht. Ich bin hart geworden durch ein stürmisches Leben. Ich verdiente mir Ihre Dankbarkeit, nicht Ihre Liebe.
Valentine: Als Sie mir die Augen geöffnet hatten über meine falsche Stellung an diesem Hofe, war ich bereits tief in Ihrer Schuld, und ich fühlte mich Ihnen gegenüber schwach und klein. Da warfen Sie durch eine rasche Tat noch Ihre Freiheit und Ehre auf die Last meiner Verpflichtungen, und die Bürde wurde für mich zu schwer.
Georg: Sie wurde zu schwer.
Valentine: Wohlan, Sie haben mir Ihre Ehre geopfert, ich Ihnen meinen Ruf. Jetzt sprechen Sie, Georg, ist ein Teil meiner Schuld ausgeglichen?
Georg: Wir sind quitt.
Valentine: Ich danke Ihnen. Sie geben mir das Selbstgefühl zurück, das ich Ihnen gegenüber verloren hatte. Sie haben als Jäger eine feste Schlinge um den Hals des Rehes geworfen, ich habe die Fessel abgestreift, (fröhlich) jetzt, Georg, bin ich frei!
Georg: Sie sind es. Mein Schmerz ist egoistisch, ich weine, da ich Sie nicht halten kann. Aber wie es auch schmerzt, ich bin Ihnen die Erklärung schuldig, Sie haben durch Ihr heutiges Geständnis getan, was für Sie das Edelste war. – Und jetzt lassen Sie uns scheiden, denken Sie an mich, so oft Sie einen Unglücklichen sehen. Ich trage eine glühende Leidenschaft mit mir in die Fremde; Sie sind durch mich mit bitteren Schmerzen belastet. Ich habe Ihr Leben auf Jahre, vielleicht auf immer verwirrt, habe Sie aus jedem Bande, das Sie hier festhielt, gerissen, ich treibe Sie aus Ihrer Heimat fort, wie mich einst mein Oheim verjagte; ich weiß, Sie werden meine Freundin bleiben, aber Sie können mich nicht mehr lieben; denn als Sie heut, um meine Ehre zu retten, Ihren Ruf mit Füßen traten, da löschten Ihre heimlichen Tränen auch, ohne daß Sie es wollten, in Ihrem Herzen ein zärtliches Gefühl aus, welches aus meinem Kerker für mich aufgeglüht war. Jetzt habe ich, obgleich ohne Schuld, Ihnen das Einzige zugefügt, was die Liebe einer Frau vernichten muß, ich habe Sie der Beschimpfung preisgegeben (Ihre Hand ergreifend.) Und darum scheiden wir.
Valentine: Wir scheiden nicht! - Georg!
Georg: Was höre ich?
Valentine (ihn umschlingend und an ihm niedersinkend, leidenschaftlich): Georg, ich liebe dich. Nimm mich hin, mache mit mir, was du willst, ich bin dein, jetzt bin ich dein! Wohin du gehst, dahin gehe ich auch, dein Gott ist mein Gott, dein Volk soll mein Volk sein!
Georg: Ich höre Gesang – (sie aufhebend.) Mein Weib! (Umarmung.)
Valentine: Ja, dein Weib! – Dein Weib wollte ich werden, nicht deine Sklavin. Meinst du, ich hätte neben dir stehen könne, wie deine Geliebt soll, frei und kräftig, wenn ich die marternde Schuld gegen dich in mir gefühlt hätte? Hätte ich geschwiegen, wie du fordertest, so wäre ich schwach, klein, deiner Größe unwert gewesen, du hättest mich vielleicht geliebt, aber nicht geehrt. Uns aber macht die Achtung des Geliebten glücklicher als seine Zärtlichkeit. Jetzt schenke ich dir freiwillig ein freies Leben, du hast kein Recht mehr über mich; jetzt nimm mich hin, ich bin dein! (Umarmt ihn.)
Georg: Meine Gefährtin!
Valentine: Ich habe dich geliebt von der ersten Stunde, wo ich dich sah; du aber hast mich gedemütigt von der ersten Stunde an. Jetzt kann ich stolz sein auf mein Gefühl, denn ich habe dich mir durch Schmerzen erkauft, - (Leise.) Georg, als ich selbst meinen Ruf vernichtete, als alle von mir zurückwichen, wie vor einem Gespenst, es hat doch weh getan; aber ich hatte Mut, ich dachte an dich.
Georg: Du liebe Heilige!
Valentine: Trage mich von hier fort, Georg. Mein Geist hat hier Jahre lang gesiecht, ich möchte an deinem Herzen unter anderem Himmel gesunden.
Georg: Nach Italien führe ich dich, in die Arme der Freundin. Aber du scheidest von hier so stolz, wie die wunde Löwin dem Trosse der Jäger den Rücken kehrt. Und wenn deine Wunde geheilt ist, dann kehren wir zurück. (Umarmung.)

Marie (verhüllt).

Marie (an der Tür): Valentine!
Valentine: Marie!
Marie (an ihrem Halse schluchzend): Meine Schwester, lebe wohl! (Georg die Hand reichend.) Behaltet mich lieb!

(Gruppe. Vorhang fällt.)


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