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Gustav Freytag


Die Technik des Dramas

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I. Die dramatische Handlung

1. Die Idee

In der Seele des Dichters gestaltet sich das Drama allmählich aus dem rohen Stoff, dem Bericht über irgend etwas Geschehenes. Zuerst treten einzelne Momente: innerer Kampf und Entschluß eines Menschen, eine folgenschwere Tat, Zusammenstoß zweier Charaktere, Gegensatz eines Helden gegen seine Umgebung, so lebhaft aus dem Zusammenhange mit anderen Ereignissen heraus, daß sie Veranlassung zur Umbildung des Stoffes werden. Diese Umbildung geht so vor sich, daß die lebhaft empfundene Hauptsache in ihrer die Menschenseele fesselnden, rührenden oder erschütternden Bedeutung aufgefaßt, von allem zufällig daran Hängenden losgelöst und mit einzelnen ergänzenden Erfindungen in einen einheitlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung gebracht wird. Die neue Einheit, welche dadurch entsteht, ist die Idee des Dramas. Sie wird der Mittelpunkt, an welchen weitere freie Erfindung wie in Strahlen anschießt, sie wirkt mit ähnlicher Gewalt wie die geheimnisvolle Kraft der Kristallbildung, durch sie wird Einheit der Handlung und Bedeutung der Charaktere, zuletzt der gesamte Bau des Dramas hervorgebracht.

Wie der rohe Stoff zu einer poetischen Idee vergeistigt wird, soll das folgende Beispiel zeigen. Ein junger Dichter des vorigen Jahrhunderts liest folgende Zeitungsanzeige: „Stuttgart vom 11. Am gestrigen Tage fand man in der Wohnung des Musikus Kritz dessen älteste Tochter Luise und den herzoglichen Dragoner-Major Blasius von Böller tot auf dem Boden liegen. Der aufgenommene Tatbestand und die ärztliche Untersuchung ergaben, daß beide durch getrunkenes Gift vom Leben gekommen waren. Man spricht von einem Liebesverhältnis, welches der Vater des Majors, der bekannte Präsident von Böller, zu beseitigen versucht habe. Das Schicksal des wegen seiner Sittsamkeit allgemein geachteten Mädchens erregt die Teilnahme aller fühlenden Seelen.“

Über diesen gegebenen Stoff bildet, durch Mitgefühl aufgeregt, die Phantasie des Dichters den Charakter eines feurigen und leidenschaftlichen Jünglings, eines unschuldigen, zartfühlenden Mädchens. Der Gegensatz zwischen der Hofluft, aus welcher der Liebende hervorgetreten ist, und dem engen Kreis eines kleinen bürgerlichen Haushalts wird lebhaft empfunden. Der feindliche Vater wird zu einem herzlosen, ränkevollen Hofmann. Zwingend macht sich das Bedürfnis geltend, den furchtbaren Entschluß eines lebensfrischen Jünglings, der bei solchem Verhältnis von ihm ausgegangen scheint, zu erklären. Diesen innern Zusammenhang findet der schaffende Dichter in einer Täuschung, welche durch den Vater in die Seele des Sohnes geworfen wird, in dem Verdachte von der Untreue der Geliebten. Auf solche Weise macht der Dichter den Bericht sich und andern verständlich, indem er frei erfindend einen innern Zusammenhang hineinträgt. Es sind dem Anschein nach kleine Ergänzungen, aber sie schaffen ein ganz selbständiges Bild, welches der wirklichen Begebenheit als etwas Neues gegenübersteht und etwa folgenden Inhalt hat: Einem jungen Edelmann wird durch den Vater die Eifersucht gegen seine bürgerliche Geliebte so heftig aufgeregt, daß er sie und sich durch Gift tötet. Durch diese Umbildung ist ein Ereignis der Wirklichkeit zu einer dramatischen Idee geworden. Von jetzt ab ist das wirkliche Ereignis dem Dichter unwesentlich, der Ort, die Familiennamen fallen ab, ob in der Tat der Hergang so war, wie der Toten und ihrer Eltern Charakter und Stellung war, kümmert durchaus nicht mehr; warme Empfindung und die erste Regung schöpferischer Kraft haben der Begebenheit einen allgemein verständlichen Inhalt und eine innere Wahrheit gegeben. Die Voraussetzungen des Stückes sind nicht mehr zufällige und in einem einzelnen Fall vorhandene, sie könnten gerade so hundertmal wieder eintreten, und bei den angenommenen Charakteren und dem gefundenen Zusammenhang würde der Ausgang immer wieder derselbe sein.

Hat der Dichter auf solche Weise den Stoff mit seiner Seele erfüllt, dann nimmt er etwa noch aus dem wirklichen Bericht, was ihm paßt, den Titel des Vaters und Sohnes, Vorname der Braut, Geschäft ihrer Eltern, vielleicht noch Einzelzüge, welche sich ihm für Verwertung bequem fügen. Und daneben geht die weitere schöpferische Arbeit; die Hauptcharaktere entwickeln sich bis in ihre Einzelheiten und dazu die Nebenfiguren: ein ränkevoller Helfer des Vaters, ein anderes Weib im Gegensatz zu der Geliebten, die Persönlichkeiten der Eltern. Neue Momente der Handlung treten hinzu, alle diese Erfindungen durch die Idee bestimmt und gerichtet.

Diese Idee, der erste Fund des Dichters, die stille Seele, durch welche er den von außen an ihn tretenden Stoff vergeistigt, tritt ihm selbst nicht leicht als Gedanke gegenüber, sie hat nicht die farblose Klarheit eines abgezogenen Begriffes. Im Gegenteil ist das Eigentümliche bei solcher Arbeit der Dichterseele, daß die Hauptteile der Handlung, das Wesen der Hauptcharaktere, ja auch etwas von der Farbe des Stückes zugleich mit der Idee in der Seele aufleuchten zu einer untrennbaren Einheit verbunden, und daß sie sofort wie ein Lebendes wirken, nach allen Seiten weitere Bildungen erzeugend. So ist allerdings möglich, daß dem Dichter die Idee seines Stückes, die er doch sehr sicher in der Seele trägt, niemals während dem Schaffen zur Ausbildung in Worten gelangt, und daß er sich erst später durch Nachdenken seine innere Habe in das geprägte Metall der Rede umsetzt und als Grundgedanken seines Dramas begreift. Möglich sogar, daß er als Schaffender die Idee richtiger nach den Gesetzen seiner Kunst empfunden hat, als er sich den Grundgedanken des Werkes in einem Satze zusammenfaßt.

Wenn es für ihn aber auch unbequem, zuweilen schwierig ist, die Idee des werdenden Stückes in eine Formel abzuziehen und in Worten zu beschreiben, so wird er doch gut tun, diese Abkühlung seiner warmen Seele schon im Beginn der Arbeit einmal zuzumuten und scharf prüfend die gefundene Idee nach den Grundbedingungen des Dramas zu beurteilen. Auch für den Fremden ist es lehrreich, aus dem fertigen Kunstwerk die verborgene Seele zu suchen und, wie unvollständig das auch immer möglich sei, in eine Formel zu fassen. Es läßt sich manches daraus erkennen, was für die einzelnen Dichter charakteristisch ist. Es sei z. B. die Grundlage Maria Stuart: aufgeregte Eifersucht einer Königin treibt zur Tötung ihrer gefangenen Gegnerin. Und wieder von Kabale und Liebe: aufgeregte Eifersucht eines jungen Adligen treibt zur Tötung seiner bürgerlichen Geliebten, so wird diese nackte Formel zwar der ganzen Fülle des farbigen Lebens enthoben sein, welches im Gemüt des Schaffenden an der Idee haftet; trotzdem wird einiges Eigentümliche an dem Bau beider Stücke schon aus ihr deutlich werden, z. B. daß der Dichter bei solcher Grundlage in die Notwendigkeit versetzt war, den ersten Teil der Handlung vorzudichten, welcher das Entstehen der Eifersucht erklärt, daß also die treibende Kraft in den Hauptcharakteren selbst erst von der Mitte des Stückes aus wirksam wird, und daß die ersten Akte bis zum Höhenpunkt vorzugsweise die Bestrebungen der Nebenfiguren enthalten, diese tödliche Tätigkeit eines der Hauptcharaktere zu erregen. Er wird ferner bemerken, wie ähnlich im letzten Grunde Motiv und Bau dieser beiden Dramen Schillers ist und wie beide eine überraschende Ähnlichkeit mit Idee und Anlage des gewaltigeren Othello haben.

Der Stoff, welcher durch die dramatische Idee umgebildet wird, ist entweder vom Dichter eigens für sein Drama erfunden, oder er ist eine Anekdote aus dem Leben, welches den Dichter umgibt, oder ein Bericht, den die Geschichte darbietet, oder der Inhalt einer Sage, Novelle, poetischen Erzählung. In jedem dieser Fälle, wo der Dichter Vorhandenes benutzt, ist der Stoff bereits durch das Eindringen einer Idee mehr oder weniger vermenschlicht. Sogar in der oben erdachten Zeitungsanzeige ist die beginnende Umbildung bereits erkennbar. In dem letzten Satze: „Man spricht von einem Liebesverhältnis, welches usw.“ macht der Berichterstatter den ersten Versuch, die Tatsachen in eine innerlich zusammenhängende Geschichte zu wandeln, den Unglücksfall zu erklären und den Liebenden dadurch erhöhte Teilnahme zu verleihen, daß ihrem Wesen ein anziehender Inhalt gegeben wird. Dieser Vorgang des Umdeutens, durch welchen wirklichen Ereignissen ein den Bedürfnissen des Gemüts entsprechender Inhalt und Zusammenhang verliehen wird, ist kein Vorrecht des Dichters. Neigung und Fähigkeit dazu sind in allen Menschen und zu allen Zeiten tätig. Jahrtausende lang hat das Menschengeschlecht alles Leben des Himmels und der Erde sich so umgedeutet, es hat seine Vorstellungen von dem göttlichen Wesen mit menschlichen Ideen überreichlich erfüllt. Alle epische Sage ist aus einer solchen Umwandlung religiöser, naturhistorischer und zuweilen geschichtlicher Eindrücke in poetische Ideen hervorgegangen. Noch jetzt, seit die historische Bildung uns beherrscht und die Achtung vor dem tatsächlichen Zusammenhange der Weltbegebenheiten hoch gestiegen ist, erweist sich im Größten wie im Kleinsten dieser Drang, die Ereignisse zu erklären. Bei jeder Anekdote, ja in dem unliebsamen Geklätsch der Gesellschaft ist dieselbe Tätigkeit sichtbar, mag nun das Wirkliche durch den Trieb umgewandelt werden, irgendeinen Zug des kleinen Lebens heiter und anmutig darzustellen, oder aus dem Bedürfnis des Erzählers, sich selbst im Gegensatz zu andern Menschen als sicherer und besser zu empfinden.

Auch der geschichtliche Stoff ist durch den Historiker bereits vermittelst einer Idee geordnet, bevor der Dichter sich seiner bemächtigt. Die Ideen des Geschichtschreibers sind allerdings nicht poetische, aber auch sie wirken bestimmend und bildend auf alle Teile des Werkes, welches durch sie hervorgerufen wird. Wer das Leben eines Mannes beschreibt, wer einen Abschnitt der vergangenen Zeit darstellt, auch er muß nach festen Gesichtspunkten die chaotische Stoffmasse ordnen, Unwesentliches ausscheiden, die Hauptsachen hervorheben. Noch mehr: er muß den Inhalt eines Menschenlebens oder einer Zeit zu verstehen suchen, ureigene Grundzüge, einen innern Zusammenhang der Ereignisse zu finden bemüht sein. Aber freilich zunächst einen innern Zusammenhang seines Stoffes mit vielem andern, außerhalb Liegenden, das er nicht darstellt. Ja, er muß sogar in einzelnen Fällen die Überlieferung ergänzen und Unverständliches dadurch deuten, daß er den möglichen und wahrscheinlichen Inhalt desselben findet. Er wird endlich auch bei der Anordnung seines Werkes durch Gesetze des Schaffens bestimmt, welche zahlreiche Übereinstimmungen mit den Kompositionsgesetzen des Dichters haben. Und er vermag durch sein Wissen und seine Kunst aus dem rohen Stoffe ein Bewunderung erregendes Bild zu schaffen, den mächtigsten Eindruck auf die Seele des Lesers hervorzubringen. Aber er unterscheidet sich von dem Dichter dadurch, daß er gewissenhaft das wirklich Geschehene so zu verstehen sucht, wie es tatsächlich in die Erscheinung getreten war, und daß der innere Zusammenhang, den er sucht, durch eine Weltordnung hervorgebracht wird, welche wir als göttlich, unendlich, unfaßlich verehren. Dem Geschichtschreiber ist der Tatbestand selbst und die Bedeutung desselben für den menschlichen Geist der höchste Fund. Dem Dichter ist das Höchste die schöne Wirkung der eigenen Erfindung, ihr zuliebe wandelt er behaglich spielend den wirklichen Tatbestand. Deshalb ist dem Dichter jedes Werk des Geschichtschreibers, wie vollständig dasselbe auch durch die aus dem Inhalte erkannte geschichtliche Idee belebt sein mag, doch nichts als roher Stoff, gleich einem Tagesereignis, und die kunstvollste Behandlung durch den Historiker ist ihm nur insoweit brauchbar, als sie ihm das Verständnis einer Begebenheit erleichtert. Hat der Dichter durch die Geschichte Teilnahme an der Person des Kriegsfürsten Wallenstein gewonnen, empfindet er aus dem Bericht lebhaft einen gewissen Zusammenhang zwischen den Taten und dem Geschick des Mannes, wird er durch auffallende Einzelzüge des wirklichen Lebens gerührt oder erschüttert, so beginnt bei ihm der Vorgang des Umbildens damit, daß er Taten und Untergang des Helden in vollständig begreiflichen und ergreifenden Zusammenhang bringt und daß er sich das Wesen des Helden so umbildet, wie es für eine rührende und erschütternde Wirkung der Handlung wünschenswert ist. Was in dem geschichtlichen Charakter vielleicht nur eine Nebenursache war, wird zur Grundlage seines Wesens, der finstere, schreckliche Bandenführer nimmt etwas von der Natur des Dichters an, er wird ein hochsinniger, träumerisch nachdenklicher Mann. Diesem Charakter gemäß werden die Begebenheiten umgedeutet, alle andern Charaktere bestimmt, Schuld und Schicksale gerichtet. Durch solches Idealisieren ist Schillers Wallenstein entstanden, eine Gestalt, deren fesselnde Züge mit dem Antlitz des geschichtlichen Wallenstein nur wenig gemein haben. Freilich wird der Dichter sich zu hüten haben, daß in seiner Erfindung nicht ein für seine Zeitgenossen empfindlicher Gegensatz zu der historischen Wahrheit hervortrete. Wie sehr der neuere Dichter durch solche Rücksicht eingeengt wird, soll später ausgeführt werden.

Es wird dabei von der Persönlichkeit des Dichters abhängen, ob den ersten Reiz zu seiner poetischen Tätigkeit fesselnde Charakterzüge der Menschen oder das Schlagende des wirklichen Geschickes oder vielleicht gar die interessante Zeitfarbe abgibt, welche er schon in dem geschichtlichen Bericht vorfindet. Von dem Augenblick aber, wo ihm der Reiz und die Wärme gekommen sind, deren er zum Schaffen bedarf, verfährt er, wie treu er sich auch scheinbar an den geschichtlichen Stoff anlehne, doch in der Tat mit unumschränkter Freiheit. Er verwandelt allen für ihn brauchbaren Stoff in dramatische Momente.
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* Schon Aristoteles hat diesen ersten Fund des Dichters, das Herausbilden der poetischen Idee tiefsinnig erfaßt. Wenn er die Poesie der Geschichte als philosophischer und bedeutender gegenüberstellt, weil die Poesie das allen Menschen Gemeinsame darstelle, die Geschichte aber das Zufällige und Einzelne berichte, und weil die Geschichte vorführe, was geschehen ist, die Poesie, wie es hätte geschehen können, so werden wir Modernen, die wir von der Wucht und Größe der geschichtlichen Ideen durchdrungen sind, zwar die vergleichende Schätzung zweier grundverschiedenen Gebiete des Schaffens ablehnen, aber wir werden die Feinheit seiner Begriffsbestimmung zugeben. Gleich darauf deutet er den Vorgang des Idealisierens in einem oft missverstandenen Satze an. Er sagt (Kap. 9,4): „Jenes menschlich Gemeinsame der Poesie wird dadurch hervorgebracht, daß Reden und Handlungen der Charaktere als wahrscheinlich und notwendig erscheinen, und dies gemein Menschliche arbeitet die Poesie aus dem rohen Stoff heraus, und sie (die Poesie) setzt den Personen die zweckmäßigen Namen auf“ - mag sie nun die in dem Stoff vorhandenen benutzen oder neue erfinden. Schon Aristoteles war nämlich der Ansicht, daß der Dichter beim Beginn seiner Arbeit wohl tue, sich zuvörderst den Stoff, der ihn angezogen hat, auch in einer von allen Zufälligkeiten entkleideten Formel gegenüber zu stellen, und er führt dies an einer andern Stelle (Kap. 17,6. 7) weiter aus. .Die Iphigeneia und der Orestes des Dramas sind durchaus nicht mehr dieselben wie in dem überlieferten Stoff. Es ist für den schaffenden Dichter zunächst fast zufällig, daß sie diese Namen behalten. Erst wenn der Dichter seine Handlungen und Charaktere aus dem Zufälligen, Wirklichen, einmal Geschehenen herausgehoben und an dessen Stelle einen gemeingültigen Inhalt gesetzt hat, der uns als wahrscheinlich und notwendig erscheint, erst dann soll er wieder Farbe und Ton, Namen und Nebenumstände aus dem rohen Stoffverwenden.“ (Kap. 18,7.) Deshalb ist auch möglich, daß Dramen, welche aus sehr verschiedenen Stoffkreisen genommen sind, im letzten Grunde denselben Inhalt- oder wie wir das ausdrücken, dieselbe poetische Idee - darstellen. Das ist der Sinn der angezogenen Stellen.
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Aber auch, wo der Dichter einen Stoff aufnimmt, der bereits nach Gesetzen des epischen Schaffens mehr oder weniger vollständig geordnet ist als Heldengedicht, Sage, kunstvoll durchgebildete Erzählung, ist ihm das für eine andere Gattung der Poesie Fertige nur Stoff. Und man meine nicht, daß eine Begebenheit und ihre Personen, welche durch so nahe verwandte Kunst bereits verklärt sind, schon deshalb für das Drama bessere Zurichtung haben. Im Gegenteil ist gerade zwischen den großen Gebilden der epischen Poesie, welche Begebenheiten und Helden schildert, wie sie nebeneinander stehen, und zwischen der dramatischen Kunst, welche Handlungen und Charaktere darstellt, wie sie durcheinander werden, ein tiefer Gegensatz, der für den Schaffenden nicht leicht zu bewältigen ist. Sogar der poetische Reiz, den diese zugerichteten Gebilde auf seine Seele ausüben, mag ihm erschweren, dieselben nach den Lebensbedingungen seiner Kunst umzubilden. Das griechische Drama hat ebenso hart mit seinen Stoffen gerungen, welche dem Epos entnommen waren, als die geschichtlichen Dichter unserer Zeit mit der Umwandlung der geschichtlichen Ideen in dramatische. Einen Stoff nach einheitlicher Idee künstlerisch umbilden heißt ihn idealisieren. Die Personen des Dichters werden, gegenüber ihren Stoffbildern aus der Wirklichkeit, mit einem bequemen Handwerksausdruck Ideale genannt.

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