I. Die dramatische Handlung
1. Die Idee
In der Seele des Dichters
gestaltet sich das Drama allmählich aus dem rohen Stoff, dem Bericht
über irgend etwas Geschehenes. Zuerst treten einzelne Momente: innerer
Kampf und Entschluß eines Menschen, eine folgenschwere Tat, Zusammenstoß
zweier Charaktere, Gegensatz eines Helden gegen seine Umgebung, so lebhaft
aus dem Zusammenhange mit anderen Ereignissen heraus, daß sie Veranlassung
zur Umbildung des Stoffes werden. Diese Umbildung geht so vor sich, daß
die lebhaft empfundene Hauptsache in ihrer die Menschenseele fesselnden,
rührenden oder erschütternden Bedeutung aufgefaßt, von
allem zufällig daran Hängenden losgelöst und mit einzelnen
ergänzenden Erfindungen in einen einheitlichen Zusammenhang von Ursache
und Wirkung gebracht wird. Die neue Einheit, welche dadurch entsteht,
ist die Idee des Dramas. Sie wird der Mittelpunkt, an welchen weitere
freie Erfindung wie in Strahlen anschießt, sie wirkt mit ähnlicher
Gewalt wie die geheimnisvolle Kraft der Kristallbildung, durch sie wird
Einheit der Handlung und Bedeutung der Charaktere, zuletzt der gesamte
Bau des Dramas hervorgebracht.
Wie der rohe Stoff zu einer poetischen Idee vergeistigt wird, soll das
folgende Beispiel zeigen. Ein junger Dichter des vorigen Jahrhunderts
liest folgende Zeitungsanzeige: Stuttgart vom 11. Am gestrigen Tage
fand man in der Wohnung des Musikus Kritz dessen älteste Tochter
Luise und den herzoglichen Dragoner-Major Blasius von Böller tot
auf dem Boden liegen. Der aufgenommene Tatbestand und die ärztliche
Untersuchung ergaben, daß beide durch getrunkenes Gift vom Leben
gekommen waren. Man spricht von einem Liebesverhältnis, welches der
Vater des Majors, der bekannte Präsident von Böller, zu beseitigen
versucht habe. Das Schicksal des wegen seiner Sittsamkeit allgemein geachteten
Mädchens erregt die Teilnahme aller fühlenden Seelen.
Über diesen gegebenen Stoff bildet, durch Mitgefühl aufgeregt,
die Phantasie des Dichters den Charakter eines feurigen und leidenschaftlichen
Jünglings, eines unschuldigen, zartfühlenden Mädchens.
Der Gegensatz zwischen der Hofluft, aus welcher der Liebende hervorgetreten
ist, und dem engen Kreis eines kleinen bürgerlichen Haushalts wird
lebhaft empfunden. Der feindliche Vater wird zu einem herzlosen, ränkevollen
Hofmann. Zwingend macht sich das Bedürfnis geltend, den furchtbaren
Entschluß eines lebensfrischen Jünglings, der bei solchem Verhältnis
von ihm ausgegangen scheint, zu erklären. Diesen innern Zusammenhang
findet der schaffende Dichter in einer Täuschung, welche durch den
Vater in die Seele des Sohnes geworfen wird, in dem Verdachte von der
Untreue der Geliebten. Auf solche Weise macht der Dichter den Bericht
sich und andern verständlich, indem er frei erfindend einen innern
Zusammenhang hineinträgt. Es sind dem Anschein nach kleine Ergänzungen,
aber sie schaffen ein ganz selbständiges Bild, welches der wirklichen
Begebenheit als etwas Neues gegenübersteht und etwa folgenden Inhalt
hat: Einem jungen Edelmann wird durch den Vater die Eifersucht gegen seine
bürgerliche Geliebte so heftig aufgeregt, daß er sie und sich
durch Gift tötet. Durch diese Umbildung ist ein Ereignis der Wirklichkeit
zu einer dramatischen Idee geworden. Von jetzt ab ist das wirkliche Ereignis
dem Dichter unwesentlich, der Ort, die Familiennamen fallen ab, ob in
der Tat der Hergang so war, wie der Toten und ihrer Eltern Charakter und
Stellung war, kümmert durchaus nicht mehr; warme Empfindung und die
erste Regung schöpferischer Kraft haben der Begebenheit einen allgemein
verständlichen Inhalt und eine innere Wahrheit gegeben. Die Voraussetzungen
des Stückes sind nicht mehr zufällige und in einem einzelnen
Fall vorhandene, sie könnten gerade so hundertmal wieder eintreten,
und bei den angenommenen Charakteren und dem gefundenen Zusammenhang würde
der Ausgang immer wieder derselbe sein.
Hat der Dichter auf solche Weise den Stoff mit seiner Seele erfüllt,
dann nimmt er etwa noch aus dem wirklichen Bericht, was ihm paßt,
den Titel des Vaters und Sohnes, Vorname der Braut, Geschäft ihrer
Eltern, vielleicht noch Einzelzüge, welche sich ihm für Verwertung
bequem fügen. Und daneben geht die weitere schöpferische Arbeit;
die Hauptcharaktere entwickeln sich bis in ihre Einzelheiten und dazu
die Nebenfiguren: ein ränkevoller Helfer des Vaters, ein anderes
Weib im Gegensatz zu der Geliebten, die Persönlichkeiten der Eltern.
Neue Momente der Handlung treten hinzu, alle diese Erfindungen durch die
Idee bestimmt und gerichtet.
Diese Idee, der erste Fund des Dichters, die stille Seele, durch welche
er den von außen an ihn tretenden Stoff vergeistigt, tritt ihm selbst
nicht leicht als Gedanke gegenüber, sie hat nicht die farblose Klarheit
eines abgezogenen Begriffes. Im Gegenteil ist das Eigentümliche bei
solcher Arbeit der Dichterseele, daß die Hauptteile der Handlung,
das Wesen der Hauptcharaktere, ja auch etwas von der Farbe des Stückes
zugleich mit der Idee in der Seele aufleuchten zu einer untrennbaren Einheit
verbunden, und daß sie sofort wie ein Lebendes wirken, nach allen
Seiten weitere Bildungen erzeugend. So ist allerdings möglich, daß
dem Dichter die Idee seines Stückes, die er doch sehr sicher in der
Seele trägt, niemals während dem Schaffen zur Ausbildung in
Worten gelangt, und daß er sich erst später durch Nachdenken
seine innere Habe in das geprägte Metall der Rede umsetzt und als
Grundgedanken seines Dramas begreift. Möglich sogar, daß er
als Schaffender die Idee richtiger nach den Gesetzen seiner Kunst empfunden
hat, als er sich den Grundgedanken des Werkes in einem Satze zusammenfaßt.
Wenn es für ihn aber auch unbequem, zuweilen schwierig ist, die Idee
des werdenden Stückes in eine Formel abzuziehen und in Worten zu
beschreiben, so wird er doch gut tun, diese Abkühlung seiner warmen
Seele schon im Beginn der Arbeit einmal zuzumuten und scharf prüfend
die gefundene Idee nach den Grundbedingungen des Dramas zu beurteilen.
Auch für den Fremden ist es lehrreich, aus dem fertigen Kunstwerk
die verborgene Seele zu suchen und, wie unvollständig das auch immer
möglich sei, in eine Formel zu fassen. Es läßt sich manches
daraus erkennen, was für die einzelnen Dichter charakteristisch ist.
Es sei z. B. die Grundlage Maria Stuart: aufgeregte Eifersucht einer Königin
treibt zur Tötung ihrer gefangenen Gegnerin. Und wieder von Kabale
und Liebe: aufgeregte Eifersucht eines jungen Adligen treibt zur Tötung
seiner bürgerlichen Geliebten, so wird diese nackte Formel zwar der
ganzen Fülle des farbigen Lebens enthoben sein, welches im Gemüt
des Schaffenden an der Idee haftet; trotzdem wird einiges Eigentümliche
an dem Bau beider Stücke schon aus ihr deutlich werden, z. B. daß
der Dichter bei solcher Grundlage in die Notwendigkeit versetzt war, den
ersten Teil der Handlung vorzudichten, welcher das Entstehen der Eifersucht
erklärt, daß also die treibende Kraft in den Hauptcharakteren
selbst erst von der Mitte des Stückes aus wirksam wird, und daß
die ersten Akte bis zum Höhenpunkt vorzugsweise die Bestrebungen
der Nebenfiguren enthalten, diese tödliche Tätigkeit eines der
Hauptcharaktere zu erregen. Er wird ferner bemerken, wie ähnlich
im letzten Grunde Motiv und Bau dieser beiden Dramen Schillers ist und
wie beide eine überraschende Ähnlichkeit mit Idee und Anlage
des gewaltigeren Othello haben.
Der Stoff, welcher durch die dramatische Idee umgebildet wird, ist entweder
vom Dichter eigens für sein Drama erfunden, oder er ist eine Anekdote
aus dem Leben, welches den Dichter umgibt, oder ein Bericht, den die Geschichte
darbietet, oder der Inhalt einer Sage, Novelle, poetischen Erzählung.
In jedem dieser Fälle, wo der Dichter Vorhandenes benutzt, ist der
Stoff bereits durch das Eindringen einer Idee mehr oder weniger vermenschlicht.
Sogar in der oben erdachten Zeitungsanzeige ist die beginnende Umbildung
bereits erkennbar. In dem letzten Satze: Man spricht von einem Liebesverhältnis,
welches usw. macht der Berichterstatter den ersten Versuch, die
Tatsachen in eine innerlich zusammenhängende Geschichte zu wandeln,
den Unglücksfall zu erklären und den Liebenden dadurch erhöhte
Teilnahme zu verleihen, daß ihrem Wesen ein anziehender Inhalt gegeben
wird. Dieser Vorgang des Umdeutens, durch welchen wirklichen Ereignissen
ein den Bedürfnissen des Gemüts entsprechender Inhalt und Zusammenhang
verliehen wird, ist kein Vorrecht des Dichters. Neigung und Fähigkeit
dazu sind in allen Menschen und zu allen Zeiten tätig. Jahrtausende
lang hat das Menschengeschlecht alles Leben des Himmels und der Erde sich
so umgedeutet, es hat seine Vorstellungen von dem göttlichen Wesen
mit menschlichen Ideen überreichlich erfüllt. Alle epische Sage
ist aus einer solchen Umwandlung religiöser, naturhistorischer und
zuweilen geschichtlicher Eindrücke in poetische Ideen hervorgegangen.
Noch jetzt, seit die historische Bildung uns beherrscht und die Achtung
vor dem tatsächlichen Zusammenhange der Weltbegebenheiten hoch gestiegen
ist, erweist sich im Größten wie im Kleinsten dieser Drang,
die Ereignisse zu erklären. Bei jeder Anekdote, ja in dem unliebsamen
Geklätsch der Gesellschaft ist dieselbe Tätigkeit sichtbar,
mag nun das Wirkliche durch den Trieb umgewandelt werden, irgendeinen
Zug des kleinen Lebens heiter und anmutig darzustellen, oder aus dem Bedürfnis
des Erzählers, sich selbst im Gegensatz zu andern Menschen als sicherer
und besser zu empfinden.
Auch der geschichtliche Stoff ist durch den Historiker bereits vermittelst
einer Idee geordnet, bevor der Dichter sich seiner bemächtigt. Die
Ideen des Geschichtschreibers sind allerdings nicht poetische, aber auch
sie wirken bestimmend und bildend auf alle Teile des Werkes, welches durch
sie hervorgerufen wird. Wer das Leben eines Mannes beschreibt, wer einen
Abschnitt der vergangenen Zeit darstellt, auch er muß nach festen
Gesichtspunkten die chaotische Stoffmasse ordnen, Unwesentliches ausscheiden,
die Hauptsachen hervorheben. Noch mehr: er muß den Inhalt eines
Menschenlebens oder einer Zeit zu verstehen suchen, ureigene Grundzüge,
einen innern Zusammenhang der Ereignisse zu finden bemüht sein. Aber
freilich zunächst einen innern Zusammenhang seines Stoffes mit vielem
andern, außerhalb Liegenden, das er nicht darstellt. Ja, er muß
sogar in einzelnen Fällen die Überlieferung ergänzen und
Unverständliches dadurch deuten, daß er den möglichen
und wahrscheinlichen Inhalt desselben findet. Er wird endlich auch bei
der Anordnung seines Werkes durch Gesetze des Schaffens bestimmt, welche
zahlreiche Übereinstimmungen mit den Kompositionsgesetzen des Dichters
haben. Und er vermag durch sein Wissen und seine Kunst aus dem rohen Stoffe
ein Bewunderung erregendes Bild zu schaffen, den mächtigsten Eindruck
auf die Seele des Lesers hervorzubringen. Aber er unterscheidet sich von
dem Dichter dadurch, daß er gewissenhaft das wirklich Geschehene
so zu verstehen sucht, wie es tatsächlich in die Erscheinung getreten
war, und daß der innere Zusammenhang, den er sucht, durch eine Weltordnung
hervorgebracht wird, welche wir als göttlich, unendlich, unfaßlich
verehren. Dem Geschichtschreiber ist der Tatbestand selbst und die Bedeutung
desselben für den menschlichen Geist der höchste Fund. Dem Dichter
ist das Höchste die schöne Wirkung der eigenen Erfindung, ihr
zuliebe wandelt er behaglich spielend den wirklichen Tatbestand. Deshalb
ist dem Dichter jedes Werk des Geschichtschreibers, wie vollständig
dasselbe auch durch die aus dem Inhalte erkannte geschichtliche Idee belebt
sein mag, doch nichts als roher Stoff, gleich einem Tagesereignis, und
die kunstvollste Behandlung durch den Historiker ist ihm nur insoweit
brauchbar, als sie ihm das Verständnis einer Begebenheit erleichtert.
Hat der Dichter durch die Geschichte Teilnahme an der Person des Kriegsfürsten
Wallenstein gewonnen, empfindet er aus dem Bericht lebhaft einen gewissen
Zusammenhang zwischen den Taten und dem Geschick des Mannes, wird er durch
auffallende Einzelzüge des wirklichen Lebens gerührt oder erschüttert,
so beginnt bei ihm der Vorgang des Umbildens damit, daß er Taten
und Untergang des Helden in vollständig begreiflichen und ergreifenden
Zusammenhang bringt und daß er sich das Wesen des Helden so umbildet,
wie es für eine rührende und erschütternde Wirkung der
Handlung wünschenswert ist. Was in dem geschichtlichen Charakter
vielleicht nur eine Nebenursache war, wird zur Grundlage seines Wesens,
der finstere, schreckliche Bandenführer nimmt etwas von der Natur
des Dichters an, er wird ein hochsinniger, träumerisch nachdenklicher
Mann. Diesem Charakter gemäß werden die Begebenheiten umgedeutet,
alle andern Charaktere bestimmt, Schuld und Schicksale gerichtet. Durch
solches Idealisieren ist Schillers Wallenstein entstanden, eine Gestalt,
deren fesselnde Züge mit dem Antlitz des geschichtlichen Wallenstein
nur wenig gemein haben. Freilich wird der Dichter sich zu hüten haben,
daß in seiner Erfindung nicht ein für seine Zeitgenossen empfindlicher
Gegensatz zu der historischen Wahrheit hervortrete. Wie sehr der neuere
Dichter durch solche Rücksicht eingeengt wird, soll später ausgeführt
werden.
Es wird dabei von der Persönlichkeit des Dichters abhängen,
ob den ersten Reiz zu seiner poetischen Tätigkeit fesselnde Charakterzüge
der Menschen oder das Schlagende des wirklichen Geschickes oder vielleicht
gar die interessante Zeitfarbe abgibt, welche er schon in dem geschichtlichen
Bericht vorfindet. Von dem Augenblick aber, wo ihm der Reiz und die Wärme
gekommen sind, deren er zum Schaffen bedarf, verfährt er, wie treu
er sich auch scheinbar an den geschichtlichen Stoff anlehne, doch in der
Tat mit unumschränkter Freiheit. Er verwandelt allen für ihn
brauchbaren Stoff in dramatische Momente.
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* Schon Aristoteles hat diesen ersten Fund des Dichters, das Herausbilden
der poetischen Idee tiefsinnig erfaßt. Wenn er die Poesie der Geschichte
als philosophischer und bedeutender gegenüberstellt, weil die Poesie
das allen Menschen Gemeinsame darstelle, die Geschichte aber das Zufällige
und Einzelne berichte, und weil die Geschichte vorführe, was geschehen
ist, die Poesie, wie es hätte geschehen können, so werden wir
Modernen, die wir von der Wucht und Größe der geschichtlichen
Ideen durchdrungen sind, zwar die vergleichende Schätzung zweier
grundverschiedenen Gebiete des Schaffens ablehnen, aber wir werden die
Feinheit seiner Begriffsbestimmung zugeben. Gleich darauf deutet er den
Vorgang des Idealisierens in einem oft missverstandenen Satze an. Er sagt
(Kap. 9,4): Jenes menschlich Gemeinsame der Poesie wird dadurch
hervorgebracht, daß Reden und Handlungen der Charaktere als wahrscheinlich
und notwendig erscheinen, und dies gemein Menschliche arbeitet die Poesie
aus dem rohen Stoff heraus, und sie (die Poesie) setzt den Personen
die zweckmäßigen Namen auf - mag sie nun die in
dem Stoff vorhandenen benutzen oder neue erfinden. Schon Aristoteles war
nämlich der Ansicht, daß der Dichter beim Beginn seiner Arbeit
wohl tue, sich zuvörderst den Stoff, der ihn angezogen hat, auch
in einer von allen Zufälligkeiten entkleideten Formel gegenüber
zu stellen, und er führt dies an einer andern Stelle (Kap. 17,6.
7) weiter aus. .Die Iphigeneia und der Orestes des Dramas sind durchaus
nicht mehr dieselben wie in dem überlieferten Stoff. Es ist für
den schaffenden Dichter zunächst fast zufällig, daß sie
diese Namen behalten. Erst wenn der Dichter seine Handlungen und Charaktere
aus dem Zufälligen, Wirklichen, einmal Geschehenen herausgehoben
und an dessen Stelle einen gemeingültigen Inhalt gesetzt hat, der
uns als wahrscheinlich und notwendig erscheint, erst dann soll er wieder
Farbe und Ton, Namen und Nebenumstände aus dem rohen Stoffverwenden.
(Kap. 18,7.) Deshalb ist auch möglich, daß Dramen, welche aus
sehr verschiedenen Stoffkreisen genommen sind, im letzten Grunde denselben
Inhalt- oder wie wir das ausdrücken, dieselbe poetische Idee - darstellen.
Das ist der Sinn der angezogenen Stellen.
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Aber auch, wo der Dichter einen Stoff aufnimmt, der bereits nach Gesetzen
des epischen Schaffens mehr oder weniger vollständig geordnet ist
als Heldengedicht, Sage, kunstvoll durchgebildete Erzählung, ist
ihm das für eine andere Gattung der Poesie Fertige nur Stoff. Und
man meine nicht, daß eine Begebenheit und ihre Personen, welche
durch so nahe verwandte Kunst bereits verklärt sind, schon deshalb
für das Drama bessere Zurichtung haben. Im Gegenteil ist gerade zwischen
den großen Gebilden der epischen Poesie, welche Begebenheiten und
Helden schildert, wie sie nebeneinander stehen, und zwischen der dramatischen
Kunst, welche Handlungen und Charaktere darstellt, wie sie durcheinander
werden, ein tiefer Gegensatz, der für den Schaffenden nicht leicht
zu bewältigen ist. Sogar der poetische Reiz, den diese zugerichteten
Gebilde auf seine Seele ausüben, mag ihm erschweren, dieselben nach
den Lebensbedingungen seiner Kunst umzubilden. Das griechische Drama hat
ebenso hart mit seinen Stoffen gerungen, welche dem Epos entnommen waren,
als die geschichtlichen Dichter unserer Zeit mit der Umwandlung der geschichtlichen
Ideen in dramatische. Einen Stoff nach einheitlicher Idee künstlerisch
umbilden heißt ihn idealisieren. Die Personen des Dichters werden,
gegenüber ihren Stoffbildern aus der Wirklichkeit, mit einem bequemen
Handwerksausdruck Ideale genannt.
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