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Gustav Freytag


Die Technik des Dramas

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Drittes Kapitel Bau der Szenen

1. Gliederung.

Die Akte - das kürzere Fremdwort hat die deutschen Benennungen: Aufzug, Abteilung, Handlung usw., in den Hintergrund gedrängt - werden für den Gebrauch der Bühne in Auftritte abgeteilt. Der Ab- und Zugang einer Person, Diener und ähnliche unwesentliche Rollen ausgenommen, beginnt und endet den Auftritt. Der Regie ist solche Teilung der Akte nötig, um das Eingreifen jeder einzelnen Rolle leicht zu übersehen, und für die Aufführung stellen die Auftritte die kleinen Einheiten dar, durch deren Zusammensetzung die Akte gebildet werden. Aber die dramatischen Teilstücke, aus denen der Dichter seine Handlung zusammenfügt, umfassen zuweilen mehr als einen Auftritt oder werden in größerer Zahl durch denselben Auftritt zusammengebunden. Das Teilstück des Dichters, das einzelne dramatische Moment, wird durch die Absätze gebildet, in denen seine schöpferische Kraft arbeitet.

Denn wie an einer Kette schließen sich während der Arbeit die nahe verwandten Anschauungen und Vorstellungen zusammen, in logischem Zwange eine die andere fordernd. In solchen einzelnen kleinen Teilen ordnen sich die Einzelzüge der Handlung, deren große Umrisse der Dichter in der Seele trägt. Wie verschieden die Arbeit der schöpferischen Kraft in den verschiedenen Geistern sei, diese logischen und poetischen Einheiten bilden sich in jeder Dichterarbeit mit Notwendigkeit, und wer recht genau zusieht, vermag sie aus dem fertigen Gedicht sehr wohl herauszuerkennen und an einzelnen derselben die größere oder geringere Kraft, Wärme, dichterische Fülle und sichere, saubere Arbeitsweise zu ersehen.

Ein solches Teilstück schließt soviel von einem Monologe, von Rede und Gegenrede, von ab- und zugehenden Personen zusammen, als nötig ist, um eine engverbundene Reihe von poetischen Vorstellungen und Anschauungen darzulegen, welche sich von dem Vorhergehenden und Nachfolgenden stärker absetzt. Diese Teilstücke der Handlung sind an Länge sehr ungleich, sie mögen aus wenigen Sätzen bestehen, sie mögen mehre Seiten eines Textbuches umfassen, sie mögen allein eine kurze Szene bilden, sie mögen nebeneinandergestellt und mit einleitenden Worten und mit einem auf das Folgende hinüberleitenden Schluß versehen größere Einheiten innerhalb des Aktes formen. Sie sind für den Dichter die Glieder, aus denen er die lange Kette der Handlung schmiedet, er ist sich ihrer Eigenart und Besonderheit auch da bewußt, wo er in kräftigem Schaffen mehre unmittelbar hintereinander zusammenarbeitet.

Aus den dramatischen Momenten fügt er die Szenen zusammen. Dieses Fremdwort wird bei uns in verschiedener Bedeutung gebraucht. Es bezeichnet dem Regisseur zuerst den Bühnenraum selbst, dann den Teil der Handlung, welcher durch dieselbe Dekoration umschlossen wird. Dem Dichter aber heißt Szene die Verbindung mehrer dramatischer Momente, welche einen durch dieselben Hauptpersonen getragenen Teil der Handlung bildet, vielleicht einmal eine ganze Szene des Regisseurs, jedenfalls ein ansehnliches Stück derselben. Da nicht immer bei dem Abgange der Hauptpersonen ein Wechsel der Dekorationen nötig und wünschenswert ist, so fällt die Szene des Dichters durchaus nicht immer mit der Szene des Regisseurs zusammen.* Es sei erlaubt, hier ein Beispiel anzuführen. Der vierte Akt von Maria Stuart ist vom Dichter in zwölf Auftritte geteilt, durch einen Kulissenwechsel innerhalb des Aktes in zwei Regieszenen getrennt. Er besteht aber aus zwei kleineren und einer großen, also drei dramatischen Szenen. Die erste Szene, die Intriganten des Hofes, ist aus zwei dramatischen Momenten zusammengesetzt, 1) nach einem kurzen Akkord, welcher die Tonart des Aktes angibt, die Verweisung Aubespines, 2) der Streit zwischen Leicester und Burleigh. Die zweite Szene, Mortimers Ende, mit der vorhergehenden durch die Person Leicesters, welche auf der Bühne bleibt, eng verkoppelt, umfaßt drei dramatische Momente, 1) den verbindenden Monolog Leicesters, 2) Unterredung zwischen Leicester und Mortimer, 3) Mortimers Tod. Die dritte große Szene, der Kampf um das Todesurteil, ist künstlicher gebildet. Es ist eine, ähnlich wie die erste und zweite nur enger verbundene, Doppelszene und besteht aus zehn Momenten, von denen die ersten vier: der Streit Elisabeths mit Leicester, zu einer Gruppe verbunden, den sechs letzten: die Unterschrift des Urteils, gegenüberstehen. Die sechs Momente der zweiten Szenenhälfte entsprechen den sechs letzten Auftritten des Textes, das letzte derselben: Davison und Burleigh, ist der Abschluß dieser bewegten Szene und die Hinüberleitung zum fünften Akt.

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*Bei dem Druck unserer Dramen werden jetzt häufig innerhalb der Akte nur diejenigen Szenen stark abgesetzt und mit Zahlen bezeichnet, bei denen ein Wechsel der Dekorationen nötig wird. Das Richtige aber wäre, die dramatischen Szenen innerhalb des Aktes der Reihe nach zu zählen und zu bezeichnen, und da wo ein Wechsel der Dekorationen zu bemerken ist, der laufenden Szenennummer das Wort „Verwandlung“ und die Beschreibung der neuen Bühnenausstattung beizufügen.
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Es ist nicht immer bequem, aus einem fertigen Drama diese logischen Einheiten des schaffenden Geistes zu erkennen. Und es wird hier und da das schätzende Urteil unsicher sein. Aber sie verdienen größere Aufmerksamkeit, als man ihnen wohl bis jetzt gegönnt hat.

Im letzten Abschnitt wurde gesagt, daß jeder Akt ein gegliederter Bau sein muß, welcher seinen Teil der Handlung in zweckmäßiger und wirksamer Anordnung zusammenfaßt. Auch in ihm muß die Teilnahme des Zuschauers mit sicherer Hand geführt und gesteigert werden, auch er muß seinen Höhenpunkt haben, eine große, kräftige, ausgeführte Szene
. Enthält er mehre solche ausgeführte Höhenpunkte, so werden dieselben durch kleinere Szenen wie durch Verbindungsglieder verbunden sein, in der Art, daß die stärkere Anteilnahme immer auf der späteren ausgeführten Szene ruht.

Wie der Akt muß auch jede einzelne Szene, sowohl Übergangsszene als ausgeführte, eine Anordnung haben, welche geeignet ist, ihren Inhalt in höchster Wirkung auszudrücken. Ein spannendes Moment muß die ausgeführte Szene einleiten, die Seelenvorgänge in ihr müssen mit einiger Reichlichkeit in wirksamer Steigerung dargestellt werden, das Ergebnis derselben in treffenden Schlägen angedeutet sein; von ihrem Höhenpunkte aus, auf welchem sie reichlich ausgeführt schwebt, muß schnell und kurz der Schluß folgen; denn ist einmal ihr Zweck erreicht, die Spannung gelöst, dann wird jedes unnütze Wort zuviel. Und wie sie mit einer gewissen Aufregung der Erwartung einzuleiten ist, so braucht auch ihr Ende eine kleine Erhebung, besonders kräftigen Ausdruck der wichtigen Persönlichkeiten dann, wenn diese die Bühne verlassen. Die sogenannten Abgänge sind kein unbegründetes Begehren der Darsteller, wie sehr sie von roher Effektsucherei gemißbraucht werden. Der tiefe Einschnitt am Ende der Szene und die Notwendigkeit, die Spannung auf das Folgende herüberzutragen, machen sie vielmehr zu einem berechtigten Kunstmittel, zumeist am Schluß der Akte, natürlich nur bei maßvoller Anwendung,

Der Dichter hat häufig Ursache, während der Aufführungen unserer Bühne den langen Zwischenakten zu zürnen, welche sowohl durch die szenischen Veränderungen als durch den zuweilen unnützen Kleiderwechsel der Darsteller veranlaßt werden. Es muß dem Dichter daran liegen, den Schauspielern die Gelegenheit zu solchem Wechsel soviel als möglich zu beschränken, und wo das Umkleiden notwendig ist, schon beim Einrichten der Handlung darauf Rücksicht zu nehmen. Ein längerer Zwischenakt - der niemals fünf Minuten überdauern soll - wird nach Beschaffenheit des Stückes dem zweiten oder dritten Akt folgen können. Die Akte, welche in näherem Zusammenhange stehen, dürfen nicht durch ihn auseinandergerissen werden; was ihm folgt, muß noch im Stande sein, von neuem zu sammeln und zu spannen. Deshalb sind Pausen zwischen dem vierten und fünften Akt am allernachteiligsten. Diese beiden letzten Teile der Handlung sollten selten durch größern Einschnitt getrennt sein, als zwischen den einzelnen Szenen eines Aktes geduldet wird. Der Dichter hat sich zu hüten, daß er nicht in diesem Teile des Stückes selbst Schlußeffekte erfinde, welche durch schwer herzustellende Szenerie und Einführung neuer Massen die Zögerung verschulden.

Aber auch ein Wechsel der Dekorationen innerhalb des Aktes ist keine gleichgültige Sache. Denn jede Verwandlung der Bühne während des Aktes macht einen neuen starken Einschnitt, und die Zerstreuung der Zuschauer wird noch vermehrt, seit in der Neuzeit der schlechte Brauch aufgekommen ist, die Vornahme des Szenenwechsels durch Herablassen einer Gardine den Augen des Zuschauers zu entziehen. Denn seitdem ist fast nur aus der Farbe des Vorhangs zu entnehmen, ob eine Regieszene oder ein Akt beendet sei. Gegenüber solchem Unfug muß das eifrige Bemühen des Dichters sein, jeden Dekorationswechsel im Akte entbehrlich zu finden; und es wird gut sein, wenn er während der Arbeit sich auch nach dieser Richtung die Kraft zutraut, alles zu vermögen; denn häufig erscheint seiner befangenen Seele ein Wechsel der Szenerie als ganz unvermeidlich, während er doch in den meisten Fällen durch geringe Änderungen an der Handlung beseitigt werden kann. Ist aber Kulissenwechsel während der Akte nicht ganz zu vermeiden, so hüte man sich wenigstens, ihn in den Akten eintreten zu lassen, welche die größte Ausführung verlangen, namentlich im vierten, wo ohnehin die volle Kraft des Dichters nötig ist, zu steigern. Am leichtesten überwindet man solche störende EinschnitteX in der ersten Hälfte.

In dem Wechsel zwischen ausgeführten und verbindenden Szenen liegt eine große Wirkung. Durch ihn wird jeder Teil des Ganzen von seiner Umgebung kunstvoll abgehoben, die Hauptsache in stärkeres Licht gesetzt, in dem Nebeneinander von Licht und Schatten der innere Zusammenhang der Handlung verständlich. Der Dichter muß deshalb sein warmes Empfinden wohl überwachen und bedächtig prüfen, welche dramatischen Momente für seine Handlung Hauptsache, welche Beiwerk sind. Er wird seine Neigung zu Ausführung bestimmter Arten von Charakteren oder Situationen beschränken, falls diese für das Ganze nicht von Gewicht sind; wenn er aber dem Reiz nicht widerstehen kann, von diesem Gesetze abzuweichen und einem unwesentlichen Moment breitere Ausführung zu gönnen, so wird er es mit der Empfindung tun, daß er die Störung des Baues durch besondere Schönheit der Ausführung zu sühnen habe.

Die Nebenszenen aber, mögen sie die Nachklänge einer Hauptszene oder die Vorbereitung zu einer neuen oder ein selbständiges verbindendes Zwischenglied sein, werden dem Dichter immer noch Gelegenheit geben, bei der größten Kürze seine Begabung an den Rollen zu erweisen; hier ist der Raum für knappe, andeutende Zeichnung, welche mit wenigen Worten einen erfreuenden Einblick in das innerste Leben der Figuren des Hintergrundes zu gewähren weiß.


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