Drittes Kapitel Bau der Szenen
1. Gliederung.
Die Akte - das kürzere Fremdwort hat die deutschen
Benennungen: Aufzug, Abteilung, Handlung usw., in den Hintergrund gedrängt
- werden für den Gebrauch der Bühne in Auftritte abgeteilt.
Der Ab- und Zugang einer Person, Diener und ähnliche unwesentliche
Rollen ausgenommen, beginnt und endet den Auftritt. Der Regie ist solche
Teilung der Akte nötig, um das Eingreifen jeder einzelnen Rolle leicht
zu übersehen, und für die Aufführung stellen die Auftritte
die kleinen Einheiten dar, durch deren Zusammensetzung die Akte gebildet
werden. Aber die dramatischen Teilstücke, aus denen der Dichter seine
Handlung zusammenfügt, umfassen zuweilen mehr als einen Auftritt
oder werden in größerer Zahl durch denselben Auftritt zusammengebunden.
Das Teilstück des Dichters, das einzelne dramatische Moment, wird
durch die Absätze gebildet, in denen seine schöpferische Kraft
arbeitet.
Denn wie an einer Kette schließen sich während der Arbeit die
nahe verwandten Anschauungen und Vorstellungen zusammen, in logischem
Zwange eine die andere fordernd. In solchen einzelnen kleinen Teilen ordnen
sich die Einzelzüge der Handlung, deren große Umrisse der Dichter
in der Seele trägt. Wie verschieden die Arbeit der schöpferischen
Kraft in den verschiedenen Geistern sei, diese logischen und poetischen
Einheiten bilden sich in jeder Dichterarbeit mit Notwendigkeit, und wer
recht genau zusieht, vermag sie aus dem fertigen Gedicht sehr wohl herauszuerkennen
und an einzelnen derselben die größere oder geringere Kraft,
Wärme, dichterische Fülle und sichere, saubere Arbeitsweise
zu ersehen.
Ein solches Teilstück schließt soviel von einem Monologe, von
Rede und Gegenrede, von ab- und zugehenden Personen zusammen, als nötig
ist, um eine engverbundene Reihe von poetischen Vorstellungen und Anschauungen
darzulegen, welche sich von dem Vorhergehenden und Nachfolgenden stärker
absetzt. Diese Teilstücke der Handlung sind an Länge sehr ungleich,
sie mögen aus wenigen Sätzen bestehen, sie mögen mehre
Seiten eines Textbuches umfassen, sie mögen allein eine kurze Szene
bilden, sie mögen nebeneinandergestellt und mit einleitenden Worten
und mit einem auf das Folgende hinüberleitenden Schluß versehen
größere Einheiten innerhalb des Aktes formen. Sie sind für
den Dichter die Glieder, aus denen er die lange Kette der Handlung schmiedet,
er ist sich ihrer Eigenart und Besonderheit auch da bewußt, wo er
in kräftigem Schaffen mehre unmittelbar hintereinander zusammenarbeitet.
Aus den dramatischen Momenten fügt er die Szenen zusammen.
Dieses Fremdwort wird bei uns in verschiedener Bedeutung gebraucht. Es
bezeichnet dem Regisseur zuerst den Bühnenraum selbst, dann den Teil
der Handlung, welcher durch dieselbe Dekoration umschlossen wird. Dem
Dichter aber heißt Szene die Verbindung mehrer dramatischer Momente,
welche einen durch dieselben Hauptpersonen getragenen Teil der Handlung
bildet, vielleicht einmal eine ganze Szene des Regisseurs, jedenfalls
ein ansehnliches Stück derselben. Da nicht immer bei dem Abgange
der Hauptpersonen ein Wechsel der Dekorationen nötig und wünschenswert
ist, so fällt die Szene des Dichters durchaus nicht immer mit der
Szene des Regisseurs zusammen.* Es sei erlaubt, hier ein Beispiel anzuführen.
Der vierte Akt von Maria Stuart ist vom Dichter in zwölf Auftritte
geteilt, durch einen Kulissenwechsel innerhalb des Aktes in zwei
Regieszenen getrennt. Er besteht aber aus zwei kleineren und einer großen,
also drei dramatischen Szenen. Die erste Szene, die Intriganten des Hofes,
ist aus zwei dramatischen Momenten zusammengesetzt, 1) nach einem kurzen
Akkord, welcher die Tonart des Aktes angibt, die Verweisung Aubespines,
2) der Streit zwischen Leicester und Burleigh. Die zweite Szene, Mortimers
Ende, mit der vorhergehenden durch die Person Leicesters, welche auf der
Bühne bleibt, eng verkoppelt, umfaßt drei dramatische Momente,
1) den verbindenden Monolog Leicesters, 2) Unterredung zwischen Leicester
und Mortimer, 3) Mortimers Tod. Die dritte große Szene, der Kampf
um das Todesurteil, ist künstlicher gebildet. Es ist eine, ähnlich
wie die erste und zweite nur enger verbundene, Doppelszene und besteht
aus zehn Momenten, von denen die ersten vier: der Streit Elisabeths mit
Leicester, zu einer Gruppe verbunden, den sechs letzten: die Unterschrift
des Urteils, gegenüberstehen. Die sechs Momente der zweiten Szenenhälfte
entsprechen den sechs letzten Auftritten des Textes, das letzte derselben:
Davison und Burleigh, ist der Abschluß dieser bewegten Szene und
die Hinüberleitung zum fünften Akt.
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*Bei dem Druck unserer Dramen werden jetzt häufig innerhalb der Akte
nur diejenigen Szenen stark abgesetzt und mit Zahlen bezeichnet, bei denen
ein Wechsel der Dekorationen nötig wird. Das Richtige aber wäre,
die dramatischen Szenen innerhalb des Aktes der Reihe nach zu zählen
und zu bezeichnen, und da wo ein Wechsel der Dekorationen zu bemerken
ist, der laufenden Szenennummer das Wort Verwandlung und die
Beschreibung der neuen Bühnenausstattung beizufügen.
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Es ist nicht immer bequem, aus einem fertigen Drama diese logischen Einheiten
des schaffenden Geistes zu erkennen. Und es wird hier und da das schätzende
Urteil unsicher sein. Aber sie verdienen größere Aufmerksamkeit,
als man ihnen wohl bis jetzt gegönnt hat.
Im letzten Abschnitt wurde gesagt, daß jeder Akt ein gegliederter
Bau sein muß, welcher seinen Teil der Handlung in zweckmäßiger
und wirksamer Anordnung zusammenfaßt. Auch in ihm muß die
Teilnahme des Zuschauers mit sicherer Hand geführt und gesteigert
werden, auch er muß seinen Höhenpunkt haben, eine große,
kräftige, ausgeführte Szene.
Enthält er mehre solche ausgeführte Höhenpunkte, so werden
dieselben durch kleinere Szenen wie durch Verbindungsglieder verbunden
sein, in der Art, daß die stärkere Anteilnahme immer auf der
späteren ausgeführten Szene ruht.
Wie der Akt muß auch jede einzelne Szene, sowohl Übergangsszene
als ausgeführte, eine Anordnung haben, welche geeignet ist, ihren
Inhalt in höchster Wirkung auszudrücken. Ein spannendes Moment
muß die ausgeführte Szene einleiten, die Seelenvorgänge
in ihr müssen mit einiger Reichlichkeit in wirksamer Steigerung dargestellt
werden, das Ergebnis derselben in treffenden Schlägen angedeutet
sein; von ihrem Höhenpunkte aus, auf welchem sie reichlich ausgeführt
schwebt, muß schnell und kurz der Schluß folgen; denn ist
einmal ihr Zweck erreicht, die Spannung gelöst, dann wird jedes unnütze
Wort zuviel. Und wie sie mit einer gewissen Aufregung der Erwartung einzuleiten
ist, so braucht auch ihr Ende eine kleine Erhebung, besonders kräftigen
Ausdruck der wichtigen Persönlichkeiten dann, wenn diese die Bühne
verlassen. Die sogenannten Abgänge sind kein unbegründetes Begehren
der Darsteller, wie sehr sie von roher Effektsucherei gemißbraucht
werden. Der tiefe Einschnitt am Ende der Szene und die Notwendigkeit,
die Spannung auf das Folgende herüberzutragen, machen sie vielmehr
zu einem berechtigten Kunstmittel, zumeist am Schluß der Akte, natürlich
nur bei maßvoller Anwendung,
Der Dichter hat häufig Ursache, während der Aufführungen
unserer Bühne den langen Zwischenakten zu zürnen, welche sowohl
durch die szenischen Veränderungen als durch den zuweilen unnützen
Kleiderwechsel der Darsteller veranlaßt werden. Es muß dem
Dichter daran liegen, den Schauspielern die Gelegenheit zu solchem Wechsel
soviel als möglich zu beschränken, und wo das Umkleiden notwendig
ist, schon beim Einrichten der Handlung darauf Rücksicht zu nehmen.
Ein längerer Zwischenakt - der niemals fünf Minuten überdauern
soll - wird nach Beschaffenheit des Stückes dem zweiten oder dritten
Akt folgen können. Die Akte, welche in näherem Zusammenhange
stehen, dürfen nicht durch ihn auseinandergerissen werden; was ihm
folgt, muß noch im Stande sein, von neuem zu sammeln und zu spannen.
Deshalb sind Pausen zwischen dem vierten und fünften Akt am allernachteiligsten.
Diese beiden letzten Teile der Handlung sollten selten durch größern
Einschnitt getrennt sein, als zwischen den einzelnen Szenen eines Aktes
geduldet wird. Der Dichter hat sich zu hüten, daß er nicht
in diesem Teile des Stückes selbst Schlußeffekte erfinde, welche
durch schwer herzustellende Szenerie und Einführung neuer Massen
die Zögerung verschulden.
Aber auch ein Wechsel der Dekorationen innerhalb des Aktes ist keine gleichgültige
Sache. Denn jede Verwandlung der Bühne während des Aktes macht
einen neuen starken Einschnitt, und die Zerstreuung der Zuschauer wird
noch vermehrt, seit in der Neuzeit der schlechte Brauch aufgekommen ist,
die Vornahme des Szenenwechsels durch Herablassen einer Gardine den Augen
des Zuschauers zu entziehen. Denn seitdem ist fast nur aus der Farbe des
Vorhangs zu entnehmen, ob eine Regieszene oder ein Akt beendet sei. Gegenüber
solchem Unfug muß das eifrige Bemühen des Dichters sein, jeden
Dekorationswechsel im Akte entbehrlich zu finden; und es wird gut sein,
wenn er während der Arbeit sich auch nach dieser Richtung die Kraft
zutraut, alles zu vermögen; denn häufig erscheint seiner befangenen
Seele ein Wechsel der Szenerie als ganz unvermeidlich, während er
doch in den meisten Fällen durch geringe Änderungen an der Handlung
beseitigt werden kann. Ist aber Kulissenwechsel während der Akte
nicht ganz zu vermeiden, so hüte man sich wenigstens, ihn in den
Akten eintreten zu lassen, welche die größte Ausführung
verlangen, namentlich im vierten, wo ohnehin die volle Kraft des Dichters
nötig ist, zu steigern. Am leichtesten überwindet man solche
störende EinschnitteX in der ersten Hälfte.
In dem Wechsel zwischen ausgeführten und verbindenden Szenen liegt
eine große Wirkung. Durch ihn wird jeder Teil des Ganzen von seiner
Umgebung kunstvoll abgehoben, die Hauptsache in stärkeres Licht gesetzt,
in dem Nebeneinander von Licht und Schatten der innere Zusammenhang der
Handlung verständlich. Der Dichter muß deshalb sein warmes
Empfinden wohl überwachen und bedächtig prüfen, welche
dramatischen Momente für seine Handlung Hauptsache, welche Beiwerk
sind. Er wird seine Neigung zu Ausführung bestimmter Arten von Charakteren
oder Situationen beschränken, falls diese für das Ganze nicht
von Gewicht sind; wenn er aber dem Reiz nicht widerstehen kann, von diesem
Gesetze abzuweichen und einem unwesentlichen Moment breitere Ausführung
zu gönnen, so wird er es mit der Empfindung tun, daß er die
Störung des Baues durch besondere Schönheit der Ausführung
zu sühnen habe.
Die Nebenszenen aber, mögen sie die Nachklänge einer Hauptszene
oder die Vorbereitung zu einer neuen oder ein selbständiges verbindendes
Zwischenglied sein, werden dem Dichter immer noch Gelegenheit geben, bei
der größten Kürze seine Begabung an den Rollen zu erweisen;
hier ist der Raum für knappe, andeutende Zeichnung, welche mit wenigen
Worten einen erfreuenden Einblick in das innerste Leben der Figuren des
Hintergrundes zu gewähren weiß.
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