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Gustav Freytag


Die Technik des Dramas

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Drittes Kapitel Bau der Szenen

2. Die Szenen nach der Personenzahl.

Die freie Szenenbildung unserer Bühne und die größere Zahl der Darsteller machen es dem Dichter scheinbar so bequem, seine Handlung durch eine Szene zu führen, daß man bei neueren Dramen nicht selten die gewöhnlichen Folgen übergroßer Zwanglosigkeit zu bedauern hat. Die Szene wird ein Durcheinander von Reden und Gegenreden ohne genügende Ordnung, sie hat ermüdende Längen, nachgleitende Sätze, weder Höhe noch Kontraste kräftig entwickelt. Zwar fehlt das szenische Gefüge auch der unbehilflichsten Arbeit des Anfängers nicht ganz. Denn die Formen sind so sehr Ausdruck des Wesens, daß auch ungeschulte dramatische Empfindung in vielen Hauptsachen Richtiges zu treffen pflegt. Aber nicht immer und nicht jedes. Möge deshalb der Dichter während seiner Arbeit einige bekannte Regeln prüfend anlegen.

Da die Szene ein von anderen Szenen abgesetzter Teil des Dramas ist, welcher auf seinen Inhalt vorbereiten, spannen, ein Schlußergebnis ins Licht stellen und dann zum Folgenden überführen soll, so hat jede Szene, genau betrachtet, fünf Teile, welche den Teilen des Dramas entsprechen. Und bei ausgeführten Szenen sind diese Teile auch sämtlich wirksam. Denn dann ist es untunlich, die Handlung in gerader Linie zum Schlußergebnis zu führen. A fühlt, will, fordert etwas, B tritt ihm entgegen, mitwollend, anderswollend, widerstehend; in jedem Fall wird die Richtung des einen durch den andern aufgehalten und wenigstens für einige Zeit abgelenkt. Bei solchen Szenen, mögen sie eine Tat oder ein Wortgefecht oder eine Darlegung der Gefühle enthalten, ist wünschenswert, daß nicht der Höhenpunkt in einer geraden Linie liegt, welche von den Voraussetzungen der Szene zu den Schlußergebnissen führt, sondern den letzten Punkt einer abweichenden Richtung bezeichne, von welchem ab die Umkehr zu der geraden Linie stattfindet. Aufgabe einer Szene sei, B durch A unschädlich zu machen, ihr gebotenes Ergebnis sei das Versprechen des B, unschädlich zu werden. Beginn der Szene: A ersucht den B, ferner nicht mehr Störenfried zu sein; wenn B sofort bereit ist, diesen Wunsch zu erfüllen, wird keine längere Szene nötig; wenn er die Gründe des A leidend aufnimmt, läuft die Szene in gerader Linie fort, aber sie ist in größter Gefahr zu ermüden; wenn B sich aber zur Wehr setzt und sich entweder auf seinen Störenfried steift oder ihn leugnet, so läuft der Dialog zu einem Punkte, an welchem B so weit als möglich von den Wünschen des A entfernt ist. Von da findet eine Annäherung der Ansichten statt, die Gründe des A erweisen sich als stärker, bis B sich ergibt.

Da aber jede Szene eine Richtung auf das Folgende hat, wird dieser pyramidale Bau häufig in den Durchschnitt einer anschlagenden Welle umgeändert, mit lang aufsteigender Linie und schnellem Absturz: Beginn, Steigerung, Schlußergebnis.

Je nach der Zahl der auftretenden Personen erhalten die Szenen verschiedene Bestimmung und verschiedene Einrichtung.

Die Monologe geben dem Helden der modernen Bühne Gelegenheit, in vollkommener Unabhängigkeit von einem beobachtenden Chor sein geheimes Empfinden und Wollen dem Publikum bekannt zu machen. Man sollte meinen, daß solche Vertrautenstellung dem Hörer sehr willkommen sein müßte, und doch ist dies oft nicht der Fall. So sehr ist der Kampf und die Einwirkung des einen Menschen auf den andern Zweck des Dramas, daß jede Isolierung des Einzelnen einer gewissen Entschuldigung bedarf. Nur wo ein reiches inneres Leben im Zusammenspiel längere Zeit gedeckt war, erträgt der Hörer die geheimen Offenbarungen desselben. Aber schon da, wo kunstvolles Intrigenspiel das Publikum zum Vertrauten machen will, liegt diesem wenig an dem stillen Aussprechen eines Einzelnen, es holt sich lieber selbst den Zusammenhang und die Gegensätze der Charaktere aus einem Dialoge heraus. Die Monologe haben Ähnlichkeit mit den antiken Pathosszenen, sind aber bei den zahlreichen Gelegenheiten, welche unsere Bühne den Charakteren darbietet, ihr Inneres darzulegen, und bei der veränderten Ausgabe dramatischer Wirkungen durch die Schauspielkunst keine notwendige Zugabe neuerer Dramen.

Da die Monologe einen Ruhepunkt in der laufenden Handlung darstellen und den Sprechenden in bedeutsamer Weise dem Hörer gegenüberstellen, so bedürfen sie vor sich eine bereits erregte Spannung, einen Einschnitt der Handlung auf einer oder beiden Seiten. Aber ob sie einen Akt eröffnen oder schließen, oder zwischen zwei bewegte Szenen gestellt sind, immer müssen sie dramatischen Bau haben. Satz, Gegensatz, Ergebnis; und zwar ein Schlußergebnis, das für die Handlung selbst Bedeutung gewinnt. Man vergleiche die beiden Monologe Hamlets in der steigenden Handlung. Der zweite berühmte Monolog „Sein oder Nichtsein“ ist eine tiefsinnige Offenbarung der Seele Hamlets, aber für die Handlung selbst insofern keine Förderung, als er kein neues Wollen des Helden einleitet, sondern durch Darlegung der innern Kämpfe eine Erklärung des Zauderns gibt. Der vorhergehende Monolog dagegen, ein Meisterstück von dramatischer Bewegung, auch er der Ausklang einer Szene, hat zur Grundlage einen einfachen Beschluß. Hamlet sagt: 1. Der Schauspieler beweist so großen Ernst bei bloßem Spiel. 2. Ich aber schleiche tatlos bei dem furchtbarsten Ernst. 3. Ans Werk! auch ich will ein Spiel veranstalten, um für ernste Tat Entscheidung zu gewinnen. - In diesem letzten Satze ist zugleich das Ergebnis der ganzen vorhergehenden Szene zusammengefaßt, die Folgen, welche die Unterhaltung mit den Schauspielern auf den Charakter des Helden und den Verlauf des Stückes ausübt.

Gelungene Monologe sind allerdings Lieblinge des Publikums geworden. In den Dramen Schillers und Goethes werden sie von dem heranwachsenden Geschlecht gern vorgetragen. Lessing hätte, auch wenn er mehr als den Nathan in unsern Jamben geschrieben hätte, schwerlich diese Art von dramatischen Wirkungen gesucht.

Am nächsten den Monologen stehen die Botenberichte unserer Bühne; wie jene das lyrische, so vertreten sie das epische Element. Von ihnen ist bereits früher gesprochen. Da sie die Aufgabe haben, eine zugunsten ihrer Aufnahme bereits erregte Spannung zu lösen, so muß die Wirkung, welche sie in den Gegenspielern des Vortragenden oder vielleicht gar in ihm selbst hervorbringen, sehr sichtbar werden; einen längeren Vortrag muß gesteigertes Gegenspiel begleiten und unterbrechen, allerdings ohne ihn zu überwachsen. Schiller, der Botenberichte sehr liebt, gibt Beispiele in Menge, sowohl zur Lehre als zur Warnung. Der Wallenstein allein enthält eine ganze Auswahl derselben. In den schönen Musterstücken: „Es gibt im Menschenleben“ und „Wir standen keines Überfalls gewärtig“ hat der Dichter zugleich die höchste dramatische Spannung an die epischen Stellen geknüpft. Das Inspirierte und Seherhafte Wallensteins kommt an keiner Stelle so mächtig zutage als in seiner Erzählung. Im Botenberichte des Schweden aber steht das stumme Spiel der todwunden Thekla in dem stärksten Gegensatz zu Haltung und Vortrag des teilnehmenden Fremdlings. Daneben hat dies Drama aber andere Beschreibungen, z. B. den böhmischen Becher, das Zimmer des Sterndeuters, deren starke Kürzung oder Entfernung bei der Aufführung wohltut.

Der wichtigste Teil der dramatischen Handlung verläuft in den Dialogszenen, zunächst im Zwiegespräch. Der Inhalt dieser Szenen: Satz und Gegensatz, Empfindung gegen Empfindung, Wille gegen Wille, hat bei uns, abweichend von der einförmigen, antiken Weise, die mannigfaltigste Ausbildung gefunden. Der Zweck aller Dialogszenen ist wieder, aus dem Satz und Gegensatz ein Ergebnis herauszuheben, welches die Handlung weiter treibt. Während das antike Zwiegespräch ein Streit war, der gewöhnlich keine unmittelbare Einwirkung auf die Seelen der Handelnden ausübte, versteht der moderne Dialog zu bereden, zu beweisen, hinüber zu führen. Die Argumente des Helden und Gegenspielers sind nicht, wie häufig in der griechischen Tragödie, rhetorische Wortgefechte, sondern sie sind aus Charakter und Gemüt der Personen hergeleitet, und genau wird der Hörer unterrichtet, wieweit dieselben wahrhafte Empfindung und Überzeugung aussprechen oder täuschen sollen.

Der Angreifende wird also seine Gründe genau nach der Persönlichkeit des Gegenspielers einrichten oder tief und wahr aus seinem eigenen Wesen heraus schöpfen müssen. Damit aber das Zweckvolle oder Wahre derselben von dem Hörer auch vollständig erfaßt wird, ist auf der Bühne eine bestimmte Richtung von Rede und Antwort notwendig, nicht mit so gewohnheitsmäßigem Verlauf wie auf der antiken oder altspanischen Bühne, aber doch wesentlich von dem Wege verschieden, welchen wir im wirklichen Leben einschlagen, um jemand zu überzeugen. Dem Charakter auf der Bühne ist die Zeit beschränkt, er hat seine Argumente in einer fortlaufenden Steigerung der Wirkungen vorzutragen, er hat das für seine Stellung Wirksamste auch dem Hörer eindringlich auseinanderzusetzen. In Wirklichkeit mag ein solcher Kampf der Ansichten vielgeteilt, mit zahlreichen Gründen und Gegengründen ausgemacht werden, lange mag der Sieg schwanken, vielleicht ein unbedeutender Nebengrund mag zuletzt den Ausschlag geben; dies ist auf der Bühne in der Regel nicht möglich, weil es nicht wirksam wäre.

Deshalb ist Aufgabe des Dichters, die Gegensätze in wenigen Äußerungen zusammenzufassen, diese mit fortgesetzter Steigerung ihrer inneren Bedeutung auszudrücken. In unseren Dramen schlagen die Gründe des einen gleich Wellen gegen die Seele des andern, zuerst durch den Widerstand gebrochen, dann höher, bis sie vielleicht am Ende über die Widerstandskraft reichen. Es geschieht nach einem uralten Kompositionsgesetz, daß häufig der dritte solcher Wellenschläge die Entscheidung gibt; dann ist zweimal Satz und Gegensatz vorausgegangen, durch die beiden Stufen ist der Hörer genügend auf die Entscheidung vorbereitet, er hat eine kräftige Einwirkung erhalten und hat mit Behagen das Gewicht der Gründe mit dem Inhalt des Charakters, auf den sie wirken sollen, vergleichen können. Solche Gesprächsszenen sind auf unserer Bühne seit Lessing mit besonderer Liebe und Schönheit ausgebildet worden. Sie entsprechen sehr der Freude der Deutschen an gründlicher Erörterung einer Angelegenheit. Berühmte Rollen unserer Bühne verdanken ihnen allein ihren Erfolg: Marinelli, Carlos im Clavigo, Wrangel im Wallenstein.

Da der Dichter die Dialogszene so zu arbeiten hat, daß dem Hörer der Fortschritt, den dieselbe für die Handlung bewirkt, eindringlich wird, muß auch die Technik dieser Szenen, je nach der Stellung, in welcher sie die Beteiligten finden und verlassen, verschieden sein.

Am einfachsten wird die Sache, wenn der Eindringende den Angegriffenen überwindet; dann findet ein- oder zweimalige Annäherung und Trennung statt bis zum Siege des Einen, oder, wenn der Angegriffene biegsamer ist, ein allmähliches Herüberziehen.

Eine Szene solcher Beredung von einfachem Bau ist der Dialog im Anfang des Brutus und Cassius. Cassius drängt, Brutus gibt seiner Forderung nach; der Dialog hat eine kurze Einleitung, drei Teile und Schluß, der mittlere Teil ist von besonderer Schönheit und großer Ausführung. Einleitung, Cassius: Ihr seid unfreundlich gegen mich. Brutus: Nicht aus Kälte. Die Teile, Cassius: 1. Man hofft auf euch (lebendig unterbrochen durch die Versicherung, daß Brutus ihm trauen könne, und durch Rufe von außen, welche die Aufmerksamkeit auf Cäsar leiten). - 2. Was ist Cäsar mehr als wir? - 3. Unser Wille kann uns befreien. - Schluß, Brutus: Ich will's überlegen.

Wenn aber die Sprechenden voneinander scheiden, ohne sich zu vereinigen, so darf doch die Stellung derselben zueinander während der Szene nicht unverändert bleiben. Es ist den Zuhörern unerträglich, solchen Mangel an Fortschritt in der Handlung zu empfinden. Auch in solchem Fall muß die Richtung des einen oder beider gebogen werden, etwa so, daß sie an einer Stelle der Verhandlung scheinbar übereinkommen und nach diesem Punkte der Annäherung sich wieder energisch voneinander abwenden. Die inneren Bewegungen, durch welche diese Veränderung der Stellung bewirkt wird, müssen allerdings sowohl wahr als für das Folgende zweckmäßig sein, nicht unnütze Querzüge, welche einer szenischen Wirkung zu Liebe, ohne Nutzen für Handlung und Charaktere, eingerichtet werden.

Bei ungebundener Rede ist es möglich, zahlreiche Gründe und Gegengründe in das Feld zu führen, die Linien schärfer zu wenden; im Ganzen bleibt der Bau, wie er oben mit einer brandenden Welle verglichen wurde: ein allmähliches Hinauftreiben auf den Höhenpunkt, Ergebnis, kurzer Abschluß. So ist die große Streitszene zwischen Egmont und Oranien- wohl der am besten gearbeitete Teil des Dramas - aus vier Teilen zusammengesetzt, vor denen eine Einleitung, nach denen der Schluß steht. Einleitung: Oranien. Die Regentin geht ab. Egmont. Sie geht nicht., Teil 1: Or. Und wenn ein anderer kommt? Eg. So treibt er's wie der Vorige. 2. Or. Er wird diesmal unsere Häupter fassen. Eg. Das ist unmöglich. 3. Or. Alba ist unterwegs. Gehen wir in unsere Provinz. Eg. Dann sind wir Rebellen. Hier der Umschwung, von jetzt wird Egmont der Angreifende. 4. Eg. Du handelst unverantwortlich. Or. Nur vorsichtig. Schluß: Or. Ich gehe und betraure dich als verloren. Die letzte Vereinigung der Streitenden in einer gemütlichen Stimmung bildet einen guten Gegensatz zu der vorausgegangenen Heftigkeit Egmonts.

Besondere Bedeutung haben in dem neueren Drama die Szenen zwischen zwei Menschen erhalten, in denen die Charaktere sehr entschieden einer Meinung zu sein pflegen, die Liebesszenen. Sie sind nicht durch Tagesgeschmack oder vorübergehende Weichlichkeit der Dichter und Hörer entstanden, sondern durch einen uralten Gemütszug der Germanen. Seit frühester Zeit ist der deutschen Dichtung die Liebeswerbung, die Annäherung des jungen Helden an die Jungfrau, besonders reizvoll gewesen. Es war die herrschende poetische Neigung des Volkes, die Beziehungen der Liebenden vor der Vermählung mit einer Würde und einem Adel zu umgeben, von welchen die antike Welt nichts wußte. Nach keiner Richtung hat sich der Gegensatz der Deutschen zu den Völkern des Altertums schärfer ausgeprägt, durch die gesamte Kunst des Mittelalters bis zur Gegenwart geht dieser bedeutsame Zug. Auch in dem ernsten Drama macht er sich mit hoher Berechtigung geltend. Das holdeste und lieblichste Verhältnis der Erde wird mit dem Finstern und Schrecklichen in Verbindung gebracht, als ergänzender Gegensatz, zur höchsten Steigerung der tragischen Wirkungen.

Für den arbeitenden Dichter freilich sind diese Szenen nicht der bequemste Teil seines Schaffens, und nicht jedem will es damit gelingen. Es ist nicht ohne Nutzen, die größten Liebesszenen, welche wir haben, miteinander zu vergleichen, die drei Szenen des Romeo auf dem Maskenfeste und beim Balkon vor und nach der Brautnacht und die Szene Gretchens im Garten. In der ersten Romeoszene hat der Dichter der Kunst des Darstellers die höchste Aufgabe gestellt, in ihr ist die Sprache der beginnenden Leidenschaft wundervoll abgebrochen und kurz, hinter dem artigen Redespiel, das zu Shakespeares Zeit der guten Gesellschaft geläufig war, scheint das aufglühende Gefühl nur wie in Blitzen durch. Wohl empfand der Dichter, wie sehr darauf ein vollerer Ausdruck not tue. Die erste Balkonszene ist immer für ein Meisterstück der Dichtkunst gehalten worden, aber wenn man die hohen Schönheiten ihrer Verse zergliedert, wird man vielleicht überrascht sein, wie wortreich und unumschränkt genießend die Seelen der Liebenden schon mit ihrem leidenschaftlichen Gefühl zu spielen wissen. Schöne Worte, zierliche Vergleiche sind so gehäuft, daß wir zuweilen die Kunst als künstlich empfinden. Für die dritte, die Morgenszene, ist die Idee alter Minne- und Volkslieder – „der Wächterlieder“ - in reizender Weise verwertet.

Auch Goethe hat in seiner schönsten Liebesszene volkstümliche Erinnerungen poetisch verwertet: er hat die Liebeserklärung in seiner Weise aus kleinen epischen und lyrischen Momenten zusammengefaßt, die er- doch nicht ganz günstig für eine große Wirkung - durch den schneidenden Gegensatz Martha und Mephisto unterbricht. Auch der Umstand erinnert an den großen lyrischen Dichter, daß Faust darin zurücktritt und die Szenen nicht viel anderes sind als Selbstgespräche Gretchens. Aber jedes der drei kleinen Stücke, aus denen sich das Bild zusammensetzt, ist von wunderbarer Schönheit.

Dem schwungvollen Schiller wollte es dagegen in seiner Jambenzeit mit diesen Szenen nicht mehr recht gelingen. Am besten noch in der Braut von Messina. Aber im Tell ist die Szene zwischen Rudenz und Bertha ohne Leben, und selbst im Wallenstein, wo sie durchaus notwendig war, hat er ihr durch die Anwesenheit der Gräfin Terzky einen Dämpfer aufgesetzt, Thekla muß den Geliebten vom Heerlager und von dem Astrologenzimmer unterhalten, bis sie endlich in kurzem Alleinsein die bedeutsame Warnung aussprechen kann.

Die glänzenden Beispiele Shakespeares und Goethes zeigen auch die Gefahr dieser Szenen, es wird noch davon gesprochen. Da das Austönen lyrischer Empfindungen auf der Bühne trotz aller Dichterkunst bei längerer Ausdehnung den Hörer zuverlässig ermüdet, so wird die lohnende Aufgabe des dramatischen Dichters, ein kleines Ereignis zu erfinden, in welchem das heiße Gefühl des liebenden Paares sich bei gemeinsamer Teilnahme an einem Moment der Handlung ausdrücken kann, er erhält dadurch die dramatische Schnur, an welcher er seine Perlen aufreiht. Das süße Liebesgeplauder, welches sich Selbstzweck ist, wird er mit Recht scheuen, und wo es unvermeidlich wird, durch Schönheit der Poesie ersetzen, was er solchen Szenen als gewissenhafter Mann an Ausdehnung nehmen muß.

Der Eintritt einer dritten Person in den Dialog gibt demselben einen anderen Charakter. Wie das Bühnenbild durch den dritten Mann einen Mittelpunkt und eine Gruppenaufstellung bekommt, so wird auch für den Inhalt der Dritte oft der Vermittler oder Richter, welchem zwei Parteien ihre Gründe an das Herz legen. Die Gründe beider Parteien werden in solchem Falle zugleich für ihn nach seinem Wesen eingerichtet und erhalten schon dadurch etwas Bewußtes, weniger Unmittelbares. Der Lauf der Szene wird langsamer, zwischen Rede und Gegenrede tritt ein Urteil ein, welches sich ebenfalls dem Hörer bedeutsam darstellen muß.

Oder der dritte Schauspieler ist selbst Partei und Bundesgenosse einer Seite. In diesem Fall werden die Äußerungen der einen Partei schneller, bewegter herausbrechen müssen, weil dem aufnehmenden Hörer größere Anspannung der Aufmerksamkeit zugemutet wird, indem er Wesen und Inhalt zweier Persönlichkeiten in die eine Waagschale zu stellen hat.

Der dritte, seltnere Fall endlich ist, daß jeder der drei Charaktere seinen Willen gegen den der beiden andern stellen will. Solche Szenen werden als ein Ausklingen einer gelösten Spannung zuweilen verwendbar, sie haben nur ein kurzes Resultat zu ziehen, denn die drei Sprechenden halten dann in der Tat Monologe. So die Szenen mit Margaretha in Richard III., wo der eine Charakter die Melodie, die beiden andern Parteien in Kontrasten die Begleitung geben. Szenen solches Dreispiels werden aber in größerer Ausführung fast nur dann Bedeutung gewinnen, wenn wenigstens der Eine in verstelltem Spiel auf den Standpunkt eines anderen übergeht.

Szenen, welche mehr als drei Personen zu tätiger Teilnahme an der Handlung versammeln, die sogenannten Ensembleszenen, sind ein unentbehrlicher Bestandteil unseres Dramas geworden. Sie waren der alten Tragödie unbekannt, ein Teil ihrer Leistungen wurde durch die Verbindung der Solospieler mit dem Chor ersetzt. Sie umschließen in dem Drama der Neuzeit nicht vorzugsweise die höchsten tragischen Wirkungen, obgleich ein großer Teil der lebendigsten Aktionen in ihnen ausgeführt wird. Denn es ist eine nicht genug beachtete Wahrheit, daß weniger spannt und fesselt, was aus Vielen entsteht, als was aus der Seele der Hauptgestalten lebendig wird. Die Teilnahme an dem dramatischen Leben der Nebenpersonen ist geringer und das Verweilen mehrer Beteiligten auf der Bühne mag leicht das Auge zerstreuen, die Schaulust mehr als nützlich erregen. Im Ganzen ist das Wesen dieser Szenen, daß sie bei guter Führung durch den Dichter lebhaft beschäftigen und eine durch die Haupthelden erregte Spannung lösen, oder daß sie helfen, eine solche Spannung in der Seele der Hauptgestalten hervorzurufen. Sie haben deshalb vorzugsweise den Charakter vorbereitender oder abschließender Szenen.

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß ihre Eigentümlichkeit nicht jederzeit hervortritt, wenn mehr als drei Spieler auf der Bühne sind. Denn auch, wo wenige Hauptrollen allein oder fast ausschließlich die Handlung darstellen, mögen Nebenfiguren in ziemlicher Anzahl wünschenswert sein. Leicht mag eine Ratsversammlung, eine Prunkszene viele Schauspieler auf der Bühne versammeln, ohne daß diese sich bis zu tätigem Anteil erheben.

Die erste Vorschrift für den Bau der Ensembleszenen ist: sämtliche Personen charakteristisch und förderlich für die Handlung zu beschäftigen. Sie sind wie eine geladene Gesellschaft, für deren geistige Tätigkeit der Dichter als unsichtbarer Wirt unablässig besorgt sein muß. Er muß beim Fortführen der Handlung genau die Wirkung empfinden, welche die einzelnen Vorgänge, Reden und Gegenreden auf jeden der Beteiligten ausüben.

Es ist klar, daß eine Person in Gegenwart anderer auf der Bühne nicht aussprechen darf, was diese nicht hören sollen, die herkömmliche Aushilfe des Beiseitesprechens darf nur in dringenden Fällen und für wenige Worte benutzt werden. Aber eine größere Schwierigkeit liegt darin, daß auch nicht leicht eine Rolle etwas aussprechen darf, worauf eine andere der anwesenden Personen eine Antwort geben müßte, welche ihrem Charakter nach notwendig, für die Handlung aber unnütz und verzögernd wäre. Es gehört eine unumschränkte Herrschaft des Dichters über seine Helden dazu und lebhafte Anschauung des Bühnenbildes, um allen Mitspielern einer menschenreichen Szene gerecht zu werden. Denn jede einzelne Rolle wirkt auf Stimmung und Haltung der übrigen und trägt ihrerseits dazu bei, das unbefangene Aussprechen der Anderen zu beschränken. Es wird daher in solchen Szenen sich die Kunst des Dichters vorzugsweise darin zeigen, durch scharfe, kleine Striche die Charaktere voneinander abzuheben. Und es ist wohl zu beachten, daß die angemessene Beschäftigung der versammelten Personen durch die Beschaffenheit unserer Bühne erschwert wird, welche in ihren Kulissen die Darsteller wie in einem Saale zusammenschließt und, wenn der Dichter nicht, was zuweilen unmöglich ist, bestimmte Vorkehrung trifft, die Abtrennung Einzelner schwierig macht.

Ferner aber: Je zahlreicher die Mitspieler in die Szene geladen sind, desto weniger Raum wird gewöhnlich der Einzelne behalten, sich in seiner Eigenart zu äußern. Der Dichter wird also zu vermeiden haben, daß der betreffende Teil der Handlung nicht durch die größere Anzahl der Teilnehmer zerstückt wird und in kurzen Wellen eintönig dahinläuft; und wie er die Personen in Gruppen ordnet, wird er auch die Handlung der Szene so einrichten, daß die Bewegung der Nebenspieler nicht die Bewegung der Hauptpersonen übermäßig beengt. Deshalb gilt der Grundsatz: je größer die Zahl der Teilnehmer an einer Szene, desto kräftiger gegliedert muß der Bau derselben sein. Die Hauptteile müssen dann um so mächtiger hervortreten, bald die einzelnen führenden Stimmen sich von der Mehrzahl abheben, bald das Zusammenwirken der Gesamtheit im Vordergrund stehen.

Da bei größerer Anzahl von Spielenden der Einzelne leicht gedeckt wird, so sind diejenigen Stellen der Ensembleszenen besonders schwierig, in denen die Wirkung dargestellt wird, welche das Verhandelte auf die einzelnen Beteiligten hat. Wo in diesem Fall ein kurzes, hingeworfenes Wort nicht genügt, die Zuhörer zu unterrichten, ist eine Erfindung nötig, welche den Einzelnen zwanglos von der Gruppe löst und in den Vordergrund stellt. Es ist ganz untunlich, in solchem Falle die dramatische Bewegung der Mehrzahl plötzlich zu unterbrechen und die Übrigen zu stummen und tatlosen Zuschauern der geheimen Offenbarungen Einzelner zu machen.

Je rascher die Handlung im Zusammenspiel fortläuft, desto schwerer wird solches Isolieren der Einzelnen. Hat die Handlung aber eine gewisse Wucht und Höhe erreicht, so wird es der größten Kunst nicht immer möglich, einem Hauptschauspieler Raum zu wünschenswerter Darlegung seiner innersten Stimmung zu geben. Und deshalb gilt für diese Szenen das dritte Gesetz. Der Dichter wird seine Personen nicht alles sagen lassen, was für sie bezeichnend und für ihre Rolle an sich nötig wäre. Denn hier besteht ein innerer Gegensatz zwischen dem Erfordernis der einzelnen Rolle und dem Vorteil des Ganzen. Jede Person auf der Bühne fordert für sich Beteiligung am Fortgange der Handlung, soweit dies ihre gesellschaftliche Stellung zu den anderen Charakteren der Szene erlaubt. Der Dichter aber kommt in die Lage, ihr diesen Anteil beschränken zu müssen. Auch Haupthelden müssen häufig mit stummem Spiel begleiten, wo ihnen im wirklichen Leben das Dreinsprechen geboten sein würde. Dem Schauspieler dagegen ist langes Schweigen peinlich, der Nebenspieler ermattet und sinkt zum Statisten herab, der Hauptspieler fühlt lebhaft das Unrecht, welches seiner Rolle geschieht, weit weniger die höhere Notwendigkeit. Es genügt für die richtige Gesamtwirkung nicht immer, daß der Dichter auf die Bewegung der nicht gerade im Vordergrund stehenden Rollen achtet und durch wenige Worte oder durch eine nicht ruhmlose Beschäftigung dem Darsteller Richtung für sein stummes Spiel und Übergänge zu den Stellen, wo er wieder eingreifen darf, gewährt. Es gibt äußerste Fälle, wo auf der Szene dasselbe gilt, was bei großen Gemälden gestattet wird, welche zahlreiche Gestalten in starker Bewegung und Verschlingung zeigen. Wie dort der Schwung der Hauptlinien so wichtig ist, daß ihm einmal die richtige Verkürzung eines Armes und Fußes geopfert werden muß, so wird auch in der starken Strömung einer menschenreichen Szene die für den einzelnen Charakter nötige Darstellung aufgegeben werden müssen, aus Rücksicht auf Verlauf und Gesamtwirkung der Szene. Damit der Dichter dergleichen gebotene Fehler aber schön verüben könne, wird ihm die Empfindung lebhaft sein müssen, daß es an sich Fehler sind.

Es gereicht dem Stücke tatsächlich zum Nutzen, die Zahl der Mitspieler so viel als irgend möglich zu beschränken. Jede Rolle mehr erschwert die Besetzung, macht bei Krankheit oder Abgang eines Schauspielers die Wiederholung des Stückes unbequem. Schon diese äußere Rücksicht wird den Dichter bestimmen, bei Ensembleszenen wohl zu überlegen, welche Gestalten ihm unumgänglich notwendig seien. Dazu kommt ein innerer Grund: je größer die Zahl der tätigen Nebenpersonen in einer Szene ist, desto mehr Zeit nimmt sie in Anspruch.

Die Ensembleszenen sind allerdings eine wesentliche Hilfe, dem Stück Farbe und Glanz zu geben. Sie werden ungern bei einem geschichtlichen Stoffe entbehrt werden. Aber sie werden auch in solchem Stück mit Maß verwendet werden müssen, weil sie mehr als andere den Erfolg von dem Geschick des Regisseurs abhängig machen und weil in ihnen die ausgeführte Darstellung des innern Lebens der Hauptfiguren, eine genaue Schilderung der Seelenvorgänge, welche den höchsten dramatischen Anteil beanspruchen, weit schwieriger ist. Die zweite Hälfte des Stückes wird sie am lebhaftesten heischen, weil in ihr die Tätigkeit der Gegenspieler mächtiger hervortritt, aber nur dann ohne Schaden vertragen, wenn in diesem Abschnitt der Handlung die warme Teilnahme des Zuschauers an den Hauptcharakteren bereits unerschütterlich festgestellt war. Auch hier wird der Dichter sich hüten, das innere Leben der Haupthelden für längere Zeit zu decken.

Eine der schönsten Ensembleszenen Shakespeares ist die Bankettszene auf der Galeere des Pompejus in Antonius und Kleopatra; sie enthält keinen Hauptteil der Handlung und ist, was bei Shakespeare in den tragischen Teilen seiner Handlung nicht häufig ist, wesentlich Situationsszene. Sie hat aber eine gewisse Bedeutung, weil sie am Schluß des zweiten Aktes, also an einer Stelle steht, welche eine Auszeichnung fordert, zumal in diesem Stück, in welchem die vorhergehenden politischen Auseinandersetzungen ein buntes und belebtes Bild sehr wünschenswert machten. Die Fülle der kleinen charakterisierenden Züge, welche in dieser Szene vereinigt sind, das knappe Zusammenfassen derselben, vor allem aber die technische Anordnung sind bewunderungswürdig. Die Szene wird eingeleitet durch eine kurze Unterredung der Diener, wie sie bei Shakespeare nicht selten ist, um das Aufstellen der Tische und Geräte auf seiner Bühne zu vermitteln. Die Szene selbst ist dreiteilig. Der erste Teil stellt das übermütige Geplauder der versöhnten Triumvirn und die Pedanterie des trunkenen Schwachkopfes Lepidus dar, auf den schon die Diener hingewiesen haben; der zweite in furchtbarem Gegensatz die heimliche Unterredung des Pompejus und Mänas; der dritte, durch das Hinaustragen des trunkenen Lepidus eingeleitet, die Steigerung des wüsten Bacchanals und die überhandnehmende Trunkenheit. Die Verbindung der drei Teile, wie Mänas den Pompejus zur Seite zieht, wie Pompejus wieder an der Person des Lepidus anknüpfend das Gelage fortsetzt, ist sehr beachtenswert. Kein Wort in der ganzen Szene ist unnütz und bedeutungslos, der Dichter empfindet in jedem Augenblick die Lage der einzelnen Gestalten, auch der Nebenfiguren, jede greift fördernd in den Verlauf ein, für den Regisseur wie für die Rollen ist das Ganze meisterhaft zurechtgemacht. Von dem ersten Bericht des Antonius über den Nil, durch welchen das Bild der Kleopatra auch in diese Szene hineingetragen wird, und dem einfältigen Dreinreden des Lepidus: - „Ihr habt seltsame Schlangen dort“ -, durch welches ein Eindruck in die Seelen der Zuhörer geworfen wird, welcher auf den Schlangentod der Kleopatra vorbereitet, bis zu den letzten Worten des Antonius: „Gut, gebt die Hand, Herr“, in denen der Berauschte unwillkürlich die Überlegenheit des Cäsar Augustus anerkennt, und bis zu den folgenden trunkenen Reden des Pompejus und Enobarbus gleicht Alles feinziselierter Arbeit an fest zusammengefügten Metallgliedern.

Belehrend ist der Vergleich dieser Szene mit dem Schluß des Bankettaktes in den Piccolomini. Die innere Ähnlichkeit ist so groß, daß man die Meinung erhalten muß, Schiller habe die Shakespearesche Ausführung vor Augen gehabt. Auch hier ist eine Dichterkraft zu bewundern, welche eine große Anzahl von Gestalten mit unumschränkter Sicherheit zu leiten weiß, auch hier ein großer Reichtum von bedeutenden Momenten und kräftige Steigerung im Bau. Aber was für Schiller bezeichnend ist, diese Momente sind zum Teil episodischer Natur, das Ganze breiter und größer angelegt. Dies letzte freilich mit Berechtigung. Denn die Szene steht nicht am Ende des zweiten, sondern am Ende des vierten Aktes, und sie enthält einen wesentlichen Teil der Handlung, die Erlangung der verhängnisvollen Unterschrift, sie würde also, auch wenn das Bankett nicht den gesamten vierten Akt füllte, eine größere Anlage gehabt haben. Ihre Anordnung ist genau wie bei Shakespeare.* Zuerst eine einleitende Unterredung der Diener, welche aber zu unverhältnismäßiger Breite ausgesponnen ist; die Beschreibung des Pokals hat kein Recht uns zu beschäftigen, weil der Becher selbst mit dem Stück weiter nichts zu tun hat und die zahlreichen Seitenlichter, welche aus dieser Beschreibung auf die Gesamtlage fallen, nicht mehr stark genug sind. Dann eine ebenfalls dreiteilige Handlung, erstens: Bemühung Terzkys, von Nebenfiguren die Unterschrift zu erhalten, zweitens: im scharfen Gegensatz dazu das kurze Gespräch der Piccolomini, drittens: die Entscheidung als Streit des trunkenen Illo mit Max. Auch hier ist der Verband der einzelnen Szenenteile sorgfältig. Octavio führt durch das vorsichtige Ausforschen Buttlers leise die Aufmerksamkeit aus der bewegten Gruppe der Generäle heraus auf seinen Sohn, durch das Suchen des fehlenden Namens wird die volle Aufmerksamkeit auf Max geleitet; worauf der trunkene Illo sich wieder zuerst sehr bedeutsam an Octavio wendet, bevor er mit Max zusammenstößt. Die Verbindung und Lösung der einzelnen Gruppen, das Herausheben der Piccolomini, die Handlung des Höhenpunktes, das bewegte Zwischenspiel der Nebenfiguren bis zu dem kräftigen, kurzen Schluß sind sehr schön.

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* Der Akt ist zweiteilig. Der erste vorbereitende Teil enthält drei kurze dramatische Bestandteile: den Eintritt des Max, die Vorlegung der gefälschten Urkunde durch die Intriganten, den Anschluß Buttlers an sie. Von da beginnt, ebenfalls durch Unterredung der Diener eingeleitet, der große Schluß. Die zechenden Generäle darf man nicht den ganzen Akt in dem Mittel- und Hintergrund der Bühne sehen, die Bühne zeigt besser ein Vorzimmer des Bankettsaals durch Pfeiler und Hinterwand von diesem getrennt, so daß man die Gesellschaft bis zu ihrem Eintritt am Schluß nur undeutlich erblickt und nur einzelne bequeme Rufe und Bewegungen der Gruppen aufnimmt. Schiller war im Wallenstein noch ein sorgloser Regisseur, von da ab tat er mehr für die szenische Anordnung. Zu den Besonderheiten der scharfen Zeichnung in dieser schönen Szene gehört die teilnahmlose Versunkenheit des Max, - sie ist von Kleist im Prinz von Homburg wunderlicher wiederholt worden. Nicht durch Schweigen kennzeichnet Shakespeare die Träumenden, sondern durch zerstreute und tiefsinnige Reden.
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Wir besitzen außerdem noch zwei mächtige Massenszenen von Schiller, die größten aus der großen Zeit unserer Dichtkunst: die Rütliszene und den ersten Akt des Demetrius. Beide sind Muster, welche der angehende Dramatiker nicht nachahmen, aber in ihrer hohen Schönheit sorgfältig beachten soll. Was man auch gegen den dramatischen Bau des Tell sagen muß, auf einzelnen Szenen ruht ein Zauber, der immer auf's Neue zur Bewunderung hinreißt. Auch in der Rütliszene ist die dramatische Bewegung eine verhältnismäßig gehaltene, die Ausführung breit, prächtig, voll schöner Lokalfarbe. Zuerst gibt eine Einleitung die Stimmung. Sie besteht aus drei Teilen: Ankunft der Unterwaldner, Unterredung Melchtals und Stauffachers, Begrüßung der Schwyzer. Man beachte wohl, daß der Dichter vermieden hat, durch dreimalige Betonung des Eintritts der drei Kantone zu ermüden. Zwei Hauptgestalten heben sich hier kräftig von den Nebenfiguren ab und bilden für die Einleitung einen kleinen Höhenpunkt, die Zerrissenheit durch mehre gleichschwebende Momente wird verhindert. Mit dem Eintritt der Urner, welcher durch ihr Horn, das Herabsteigen vom Berge und die Reden der Anwesenden hinreichend betont ist, beginnt sogleich die Handlung.

Diese Handlung läuft fünfgeteilt fort. Erstens Einrichtung der Tagsatzung mit kurzen Reden und kräftiger Beteiligung der Nebenspieler. Darauf Stauffachers großartige Darstellung vom Wesen und Zweck des Bündnisses. Nach diesem mächtigen Hervortreten des Einzelnen drittens bewegter Streit der Ansichten und Parteien über die Stellung des Bundes zum Kaiser, viertens hohe Steigerung der Gegensätze bis zum ausbrechenden Streit über die Mittel, sich von der Gewaltherrschaft der Vögte zu lösen, und Abstimmung über die Beschlüsse. Endlich fünftens der feierliche Schwur. Und nach solchem Abschluß der Handlung ein Ausklingen der Stimmung, welches seine Klangfarbe von der umgebenden Natur und der aufgehenden Sonne erhält. Bei dieser reichen Gliederung ist die Schönheit in den Verhältnissen der einzelnen Teile besonders anziehend. Der Mittelpunkt dieser ganzen Gruppe von dramatischen Momenten, Stauffachers Vortrag, tritt als Höhenpunkt heraus. Darauf als Abstich die unruhige Bewegung in den Massen, die eintretende Befriedigung und der hohe Aufschwung! Nicht weniger schön ist die Behandlung der zahlreichen Nebenfiguren, das selbständige Eingreifen der einzelnen kleinen Rollen, welche in ihrer Bedeutung für die Szene mit einer gewissen republikanischen Gleichberechtigung nebeneinander stehen.

Das größte Muster für Staatsaktionen ist die prachtvolle Eröffnungsszene des Demetrius, der polnische Reichstag. Der Stoff dieses Dramas machte die Mitteilung vieler Voraussetzungen nötig, die seltsamen Schicksale des Knaben Demetrius erforderten außerdem eine starke Anwendung besonderer Farben, um die fremdartige Welt poetisch nahe zu bringen. Schiller machte mit der ihm eigenen kühnen Hoheit die epische Erzählung zum Mittelpunkt einer reich ausgestatteten Schauszene und umgab den langen Bericht des Einzelnen mit leidenschaftlicher Bewegung der Massen. Auf eine kurze Einleitung folgt mit dem Eintritt des Demetrius die vierteilige Szene: 1. die Erzählung des Demetrius; 2. die kurz zusammenfassende Wiederholung derselben durch den Erzbischof und die ersten Wellen, welche dadurch in der Versammlung aufgeregt werden; 3. die Bitte des Demetrius um Unterstützung und die Steigerung der Bewegung; 4. die Gegensprache und der Einspruch des Sapieha. Die Szene endigt mit Tumult und plötzlichem Abbruch. Durch ein kleines dramatisches Moment wird sie mit dem darauf folgenden Zwiegespräch zwischen dem König und Demetrius verbunden. Die Bewegungen der Nebenpersonen sind kurz und heftig, der Stimmführer wenige, außer Demetrius ist nur der eine Widerspruch Erhebende kräftig von der Masse abgehoben. Man empfindet und erfährt, daß die Masse schon vorher gestimmt ist, die Erzählung des Demetrius bildet in ihrer schmuckvollen Ausführung den Hauptteil der Szene, wie dem ersten Akt geziemte.

Goethe hat uns, wenn man von den kurzen Szenen im Götz absieht, keine Massenszenen von großer dramatischer Wirkung hinterlassen. Den Volksszenen im Egmont fehlt zu sehr kräftige Bewegung, der schöne Spaziergang im Faust ist aus kleinen dramatischen Bildern zusammengefügt, die Studentenszene in Auerbachs Keller beabsichtigt keine tragische Wirkung und hat für den Darsteller des Faust den Übelstand, daß sie ihn müßig und unbeschäftigt auf der Bühne läßt.

Besondere Unterstützung durch den Regisseur fordern die Aktionsszenen, in denen größere Massen wirken. Wenn auch unsere Bühnen in dem Chorpersonal der Oper eine ziemliche Anzahl von Mitspielern bereit haben und diese Helfer noch durch Statisten zu verstärken gewöhnt sind, so ist doch die Zahl der Personen, welche auf der Bühne versammelt werden können, oft verschwindend klein gegen die Menschenmenge, welche im wirklichen Leben an einer Volksszene, an einem Gefecht, an einem großen Aufruhr teilnehmen. Leicht empfindet deshalb der Zuschauer vor den eingeführten Haufen die Leere und Dürftigkeit. Auch hier stört, daß das moderne Theater wenig geeignet zur Aufstellung größerer Massen ist. Nun ist allerdings die äußerliche Anordnung solcher Szenen zum großen Teil in den Händen des Regisseurs; aber der Dichter hat die Aufgabe ihm leicht zu machen, daß er durch seine Kunst den Schein belebter Menschenmenge hervorbringe.

Schon Einzug und Abgang einer größern Anzahl von Personen nimmt Zeit in Anspruch und zerstreut die Aufmerksamkeit, diese muß also durch spannende kleine Erfindungen und durch die Verteilung der Masse in Gruppen zusammengehalten werden.

Der Bühnenraum muß so eingerichtet sein, daß die verhältnismäßig geringe Zahl der wirklich vorhandenen Spieler nicht übersehen werden kann, durch Versatzstücke, gute Perspektiven, ein Aufstellen an den Seiten, welches die Phantasie auf größere unsichtbare Mengen hinleitet, die sich durch Zeichen und Rufe hinter der Szene bemerkbar machen, usw.

Glänzende Schauaufzüge, wie Iffland der Jungfrau von Orleans einrichtete, wird sich der Dichter eines Trauerspiels mit Fug verbitten, die Gelegenheit dazu soviel als möglich vermeiden.

Dagegen sind solche Massenwirkungen, wobei die Menge in lebhafter Bewegung sich tummelt, Volksszenen, große Ratsversammlungen, Lagerbilder, Gefechte, zuweilen wünschenswert.

Für Volksszenen ist die schöne Behandlung Shakespeares zum oft nachgeahmten Vorbild geworden: kurze, schlagende Reden einzelner Volksfiguren, fast immer in Prosa, unterbrechende und belebende Rufe einer Menge, welche von einzelnen Führern ihre Anregung erhält. Es lassen sich aber durch eine Volksszene auf der Bühne noch andere Wirkungen hervorbringen, nicht die höchsten dramatischen, aber doch bedeutende, welche zur Zeit noch wenig von unseren Dichtern verwertet worden sind.

Da wir auch bei Volksszenen den Vers nicht aufgeben sollen, wird schon durch diesen eine andere Behandlung des Haufens geboten, als Shakespeare liebte. Nun ist die Einführung des alten Chors allerdings unmöglich; die Neubelebung, welche Schiller einmal versucht hat, dürfte trotz der Fülle von poetischer Schönheit, welche in den Chören der Braut von Messina entzückt, keine Nachahmung finden; aber zwischen den Hauptspielern und einer größern Anzahl von Nebenfiguren ist noch ein anderes dramatisch bewegtes Zusammenspiel denkbar, welches die Führer sowohl der Menge verbindet als gegenüberstellt. Nicht nur kurze Rufe, auch Reden, welche mehre Verse umfassen, erhalten durch das Zusammensprechen Mehrer mit eingeübtem Tonfall und Zeitmaß eine gesteigerte Kraft. Der Dichter wird bei derartiger Einführung der Menge in Stand gesetzt, ihr einen würdigeren Anteil an der Handlung zu geben, er wird in dem Wechsel zwischen einzelnen Stimmen, dem Drei- oder Vierklang und der Gesamtheit, zwischen helltönendem Tenor und kräftigem Baß zahlreiche Nuancen, Steigerung und Färbung hervorzubringen vermögen. Bei solchem Zusammensprechen größerer Massen hat er darauf zu achten, daß der Sinn der Sätze auch der Wucht und Energie des Ausdrucks wohl entspreche, daß die Worte leicht verständlich und ohne Mißlaut seien, daß sich die einzelnen Satzteile gut voneinander abheben.

Es ist nicht wahr, daß diese Behandlung an Stelle einer mannigfaltigen und naturwahren Bewegung auf der Bühne eine gekünstelte setzt, denn auch die herkömmliche Art und Weise, Volksszenen einzurichten, ist eine überkommene, künstliche, welche den Verlauf nach einem Schema umbildet. Die hier vorgeschlagene Weise ist nur wirkungsvoller. Der Dichter mag bei ihrer Anwendung seine Kunst verstecken und durch Abwechselung im Gebrauch der mehrstimmigen Rede und Gegenrede Mannigfaltigkeit hervorbringen. Das klangvolle Zusammensprechen eignet sich nicht nur für lebhaftes Wortgefecht und Erörterungen, es ist für jede Stimmung, welche in einer versammelten Menge aufbraust, zu gebrauchen. Auf unseren Bühnen wird bis jetzt das Einüben des Zusammensprechens unverantwortlich vernachlässigt, es ist oft nichts als schwer verständliches Geschrei. Der Dichter wird deshalb wohltun, in seinen Textbüchern für die Bühne genau die Stimmengruppen zu unterscheiden. Für solche Bezeichnung muß er selbst die Wirkungen deutlich vorausgefühlt haben.

Die Gefechte sind auf der deutschen Bühne übel berüchtigt und werden von dem vorsichtigen Dichter vermieden. Ursache ist wieder, daß unsere Theater dergleichen schlecht machen. Shakespeare hatte eine unleugbare Vorliebe für kriegerische Bewegungen der Massen, er hat sie auch in seinen späteren Stücken durchaus nicht beschränkt. Und obgleich er selbst gelegentlich mit geringer Achtung von den Mitteln spricht, durch welche Gefechte auf seinem Theater dargestellt wurden, so ist man doch berechtigt anzunehmen, daß er sie sorgfältiger ferngehalten hätte, wenn sie nicht seinen Zuschauern sehr angenehm gewesen wären. Solcher Eindruck war aber bei einem waffenfreudigen Volke, welches alle kriegerischen Leibesübungen noch mit Leidenschaft trieb, nur möglich, wenn bei diesen Szenen eine gewisse Kunst und Technik zutage kam und wenn das unvermeidliche Konventionelle der Bühne nicht den Eindruck des Kläglichen machte. Szenen wie das Gefecht des Coriolanus und Aufidius, des Macbeth und Macduff, die Kampfszenen in Richard III. und Julius Cäsar sind so wichtig und bedeutsam, daß man sieht, wie sicher Shakespeare ihren Wirkungen vertraute. In neuer Zeit hat man auf der englischen Bühne diese kriegerischen Effekte wieder mit einem Aufwand von Hilfsmitteln zu erhöhter Wirkung herausgeputzt und die Zuschauer nur zuviel damit beschäftigt. Wenn in Deutschland immer noch zuwenig dafür geschieht, so darf diese Nachlässigkeit für den Dichter kein Grund werden, sich ängstlich davon fern zu halten. Es sind Hilfswirkungen, die ihm wohl einmal gute Dienste leisten können. Er soll sich selbst ein wenig kümmern, wie dergleichen gut eingerichtet werden kann, und darauf achten, daß die Bühnen ihre Schuldigkeit tun.

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