Drittes Kapitel Bau der Szenen
2.
Die Szenen nach der Personenzahl.
Die freie Szenenbildung unserer Bühne und die größere
Zahl der Darsteller machen es dem Dichter scheinbar so bequem, seine Handlung
durch eine Szene zu führen, daß man bei neueren Dramen nicht
selten die gewöhnlichen Folgen übergroßer Zwanglosigkeit
zu bedauern hat. Die Szene wird ein Durcheinander von Reden und Gegenreden
ohne genügende Ordnung, sie hat ermüdende Längen, nachgleitende
Sätze, weder Höhe noch Kontraste kräftig entwickelt. Zwar
fehlt das szenische Gefüge auch der unbehilflichsten Arbeit des Anfängers
nicht ganz. Denn die Formen sind so sehr Ausdruck des Wesens, daß
auch ungeschulte dramatische Empfindung in vielen Hauptsachen Richtiges
zu treffen pflegt. Aber nicht immer und nicht jedes. Möge deshalb
der Dichter während seiner Arbeit einige bekannte Regeln prüfend
anlegen.
Da die Szene ein von anderen Szenen abgesetzter Teil des Dramas ist, welcher
auf seinen Inhalt vorbereiten, spannen, ein Schlußergebnis ins Licht
stellen und dann zum Folgenden überführen soll, so hat jede
Szene, genau betrachtet, fünf Teile, welche den Teilen des Dramas
entsprechen. Und bei ausgeführten Szenen sind diese Teile auch sämtlich
wirksam. Denn dann ist es untunlich, die Handlung in gerader Linie zum
Schlußergebnis zu führen. A fühlt, will, fordert etwas,
B tritt ihm entgegen, mitwollend, anderswollend, widerstehend; in jedem
Fall wird die Richtung des einen durch den andern aufgehalten und wenigstens
für einige Zeit abgelenkt. Bei solchen Szenen, mögen sie eine
Tat oder ein Wortgefecht oder eine Darlegung der Gefühle enthalten,
ist wünschenswert, daß nicht der Höhenpunkt in einer geraden
Linie liegt, welche von den Voraussetzungen der Szene zu den Schlußergebnissen
führt, sondern den letzten Punkt einer abweichenden Richtung bezeichne,
von welchem ab die Umkehr zu der geraden Linie stattfindet. Aufgabe einer
Szene sei, B durch A unschädlich zu machen, ihr gebotenes Ergebnis
sei das Versprechen des B, unschädlich zu werden. Beginn der Szene:
A ersucht den B, ferner nicht mehr Störenfried zu sein; wenn B sofort
bereit ist, diesen Wunsch zu erfüllen, wird keine längere Szene
nötig; wenn er die Gründe des A leidend aufnimmt, läuft
die Szene in gerader Linie fort, aber sie ist in größter Gefahr
zu ermüden; wenn B sich aber zur Wehr setzt und sich entweder auf
seinen Störenfried steift oder ihn leugnet, so läuft der Dialog
zu einem Punkte, an welchem B so weit als möglich von den Wünschen
des A entfernt ist. Von da findet eine Annäherung der Ansichten statt,
die Gründe des A erweisen sich als stärker, bis B sich ergibt.
Da aber jede Szene eine Richtung auf das Folgende hat, wird dieser pyramidale
Bau häufig in den Durchschnitt einer anschlagenden Welle umgeändert,
mit lang aufsteigender Linie und schnellem Absturz: Beginn, Steigerung,
Schlußergebnis.
Je nach der Zahl der auftretenden Personen erhalten die Szenen verschiedene
Bestimmung und verschiedene Einrichtung.
Die Monologe geben dem Helden der modernen Bühne Gelegenheit, in
vollkommener Unabhängigkeit von einem beobachtenden Chor sein geheimes
Empfinden und Wollen dem Publikum bekannt zu machen. Man sollte meinen,
daß solche Vertrautenstellung dem Hörer sehr willkommen sein
müßte, und doch ist dies oft nicht der Fall. So sehr ist der
Kampf und die Einwirkung des einen Menschen auf den andern Zweck des Dramas,
daß jede Isolierung des Einzelnen einer gewissen Entschuldigung
bedarf. Nur wo ein reiches inneres Leben im Zusammenspiel längere
Zeit gedeckt war, erträgt der Hörer die geheimen Offenbarungen
desselben. Aber schon da, wo kunstvolles Intrigenspiel das Publikum zum
Vertrauten machen will, liegt diesem wenig an dem stillen Aussprechen
eines Einzelnen, es holt sich lieber selbst den Zusammenhang und die Gegensätze
der Charaktere aus einem Dialoge heraus. Die Monologe haben Ähnlichkeit
mit den antiken Pathosszenen, sind aber bei den zahlreichen Gelegenheiten,
welche unsere Bühne den Charakteren darbietet, ihr Inneres darzulegen,
und bei der veränderten Ausgabe dramatischer Wirkungen durch die
Schauspielkunst keine notwendige Zugabe neuerer Dramen.
Da die Monologe einen Ruhepunkt in der laufenden Handlung darstellen und
den Sprechenden in bedeutsamer Weise dem Hörer gegenüberstellen,
so bedürfen sie vor sich eine bereits erregte Spannung, einen Einschnitt
der Handlung auf einer oder beiden Seiten. Aber ob sie einen Akt eröffnen
oder schließen, oder zwischen zwei bewegte Szenen gestellt sind,
immer müssen sie dramatischen Bau haben. Satz, Gegensatz, Ergebnis;
und zwar ein Schlußergebnis, das für die Handlung selbst Bedeutung
gewinnt. Man vergleiche die beiden Monologe Hamlets in der steigenden
Handlung. Der zweite berühmte Monolog Sein oder Nichtsein
ist eine tiefsinnige Offenbarung der Seele Hamlets, aber für die
Handlung selbst insofern keine Förderung, als er kein neues Wollen
des Helden einleitet, sondern durch Darlegung der innern Kämpfe eine
Erklärung des Zauderns gibt. Der vorhergehende Monolog dagegen, ein
Meisterstück von dramatischer Bewegung, auch er der Ausklang einer
Szene, hat zur Grundlage einen einfachen Beschluß. Hamlet sagt:
1. Der Schauspieler beweist so großen Ernst bei bloßem Spiel.
2. Ich aber schleiche tatlos bei dem furchtbarsten Ernst. 3. Ans Werk!
auch ich will ein Spiel veranstalten, um für ernste Tat Entscheidung
zu gewinnen. - In diesem letzten Satze ist zugleich das Ergebnis der ganzen
vorhergehenden Szene zusammengefaßt, die Folgen, welche die Unterhaltung
mit den Schauspielern auf den Charakter des Helden und den Verlauf des
Stückes ausübt.
Gelungene Monologe sind allerdings Lieblinge des Publikums geworden. In
den Dramen Schillers und Goethes werden sie von dem heranwachsenden Geschlecht
gern vorgetragen. Lessing hätte, auch wenn er mehr als den Nathan
in unsern Jamben geschrieben hätte, schwerlich diese Art von dramatischen
Wirkungen gesucht.
Am nächsten den Monologen stehen die Botenberichte unserer Bühne;
wie jene das lyrische, so vertreten sie das epische Element. Von ihnen
ist bereits früher gesprochen. Da sie die Aufgabe haben, eine zugunsten
ihrer Aufnahme bereits erregte Spannung zu lösen, so muß die
Wirkung, welche sie in den Gegenspielern des Vortragenden oder vielleicht
gar in ihm selbst hervorbringen, sehr sichtbar werden; einen längeren
Vortrag muß gesteigertes Gegenspiel begleiten und unterbrechen,
allerdings ohne ihn zu überwachsen. Schiller, der Botenberichte sehr
liebt, gibt Beispiele in Menge, sowohl zur Lehre als zur Warnung. Der
Wallenstein allein enthält eine ganze Auswahl derselben. In den schönen
Musterstücken: Es gibt im Menschenleben und Wir
standen keines Überfalls gewärtig hat der Dichter zugleich
die höchste dramatische Spannung an die epischen Stellen geknüpft.
Das Inspirierte und Seherhafte Wallensteins kommt an keiner Stelle so
mächtig zutage als in seiner Erzählung. Im Botenberichte des
Schweden aber steht das stumme Spiel der todwunden Thekla in dem stärksten
Gegensatz zu Haltung und Vortrag des teilnehmenden Fremdlings. Daneben
hat dies Drama aber andere Beschreibungen, z. B. den böhmischen Becher,
das Zimmer des Sterndeuters, deren starke Kürzung oder Entfernung
bei der Aufführung wohltut.
Der wichtigste Teil der dramatischen Handlung verläuft in den Dialogszenen,
zunächst im Zwiegespräch. Der Inhalt dieser Szenen: Satz und
Gegensatz, Empfindung gegen Empfindung, Wille gegen Wille, hat bei uns,
abweichend von der einförmigen, antiken Weise, die mannigfaltigste
Ausbildung gefunden. Der Zweck aller Dialogszenen ist wieder, aus dem
Satz und Gegensatz ein Ergebnis herauszuheben, welches die Handlung weiter
treibt. Während das antike Zwiegespräch ein Streit war, der
gewöhnlich keine unmittelbare Einwirkung auf die Seelen der Handelnden
ausübte, versteht der moderne Dialog zu bereden, zu beweisen, hinüber
zu führen. Die Argumente des Helden und Gegenspielers sind nicht,
wie häufig in der griechischen Tragödie, rhetorische Wortgefechte,
sondern sie sind aus Charakter und Gemüt der Personen hergeleitet,
und genau wird der Hörer unterrichtet, wieweit dieselben wahrhafte
Empfindung und Überzeugung aussprechen oder täuschen sollen.
Der Angreifende wird also seine Gründe genau nach der Persönlichkeit
des Gegenspielers einrichten oder tief und wahr aus seinem eigenen Wesen
heraus schöpfen müssen. Damit aber das Zweckvolle oder Wahre
derselben von dem Hörer auch vollständig erfaßt wird,
ist auf der Bühne eine bestimmte Richtung von Rede und Antwort notwendig,
nicht mit so gewohnheitsmäßigem Verlauf wie auf der antiken
oder altspanischen Bühne, aber doch wesentlich von dem Wege verschieden,
welchen wir im wirklichen Leben einschlagen, um jemand zu überzeugen.
Dem Charakter auf der Bühne ist die Zeit beschränkt, er hat
seine Argumente in einer fortlaufenden Steigerung der Wirkungen vorzutragen,
er hat das für seine Stellung Wirksamste auch dem Hörer eindringlich
auseinanderzusetzen. In Wirklichkeit mag ein solcher Kampf der Ansichten
vielgeteilt, mit zahlreichen Gründen und Gegengründen ausgemacht
werden, lange mag der Sieg schwanken, vielleicht ein unbedeutender Nebengrund
mag zuletzt den Ausschlag geben; dies ist auf der Bühne in der Regel
nicht möglich, weil es nicht wirksam wäre.
Deshalb ist Aufgabe des Dichters, die Gegensätze in wenigen Äußerungen
zusammenzufassen, diese mit fortgesetzter Steigerung ihrer inneren Bedeutung
auszudrücken. In unseren Dramen schlagen die Gründe des einen
gleich Wellen gegen die Seele des andern, zuerst durch den Widerstand
gebrochen, dann höher, bis sie vielleicht am Ende über die Widerstandskraft
reichen. Es geschieht nach einem uralten Kompositionsgesetz, daß
häufig der dritte solcher Wellenschläge die Entscheidung gibt;
dann ist zweimal Satz und Gegensatz vorausgegangen, durch die beiden Stufen
ist der Hörer genügend auf die Entscheidung vorbereitet, er
hat eine kräftige Einwirkung erhalten und hat mit Behagen das Gewicht
der Gründe mit dem Inhalt des Charakters, auf den sie wirken sollen,
vergleichen können. Solche Gesprächsszenen sind auf unserer
Bühne seit Lessing mit besonderer Liebe und Schönheit ausgebildet
worden. Sie entsprechen sehr der Freude der Deutschen an gründlicher
Erörterung einer Angelegenheit. Berühmte Rollen unserer Bühne
verdanken ihnen allein ihren Erfolg: Marinelli, Carlos im Clavigo, Wrangel
im Wallenstein.
Da der Dichter die Dialogszene so zu arbeiten hat, daß dem Hörer
der Fortschritt, den dieselbe für die Handlung bewirkt, eindringlich
wird, muß auch die Technik dieser Szenen, je nach der Stellung,
in welcher sie die Beteiligten finden und verlassen, verschieden sein.
Am einfachsten wird die Sache, wenn der Eindringende den Angegriffenen
überwindet; dann findet ein- oder zweimalige Annäherung und
Trennung statt bis zum Siege des Einen, oder, wenn der Angegriffene biegsamer
ist, ein allmähliches Herüberziehen.
Eine Szene solcher Beredung von einfachem Bau ist der Dialog im Anfang
des Brutus und Cassius. Cassius drängt, Brutus gibt seiner Forderung
nach; der Dialog hat eine kurze Einleitung, drei Teile und Schluß,
der mittlere Teil ist von besonderer Schönheit und großer
Ausführung. Einleitung, Cassius: Ihr seid unfreundlich gegen
mich. Brutus: Nicht aus Kälte. Die Teile, Cassius: 1.
Man hofft auf euch (lebendig unterbrochen durch die Versicherung, daß
Brutus ihm trauen könne, und durch Rufe von außen, welche die
Aufmerksamkeit auf Cäsar leiten). - 2. Was ist Cäsar mehr als
wir? - 3. Unser Wille kann uns befreien. - Schluß, Brutus: Ich
will's überlegen.
Wenn aber die Sprechenden voneinander scheiden, ohne sich zu vereinigen,
so darf doch die Stellung derselben zueinander während der Szene
nicht unverändert bleiben. Es ist den Zuhörern unerträglich,
solchen Mangel an Fortschritt in der Handlung zu empfinden. Auch in solchem
Fall muß die Richtung des einen oder beider gebogen werden, etwa
so, daß sie an einer Stelle der Verhandlung scheinbar übereinkommen
und nach diesem Punkte der Annäherung sich wieder energisch voneinander
abwenden. Die inneren Bewegungen, durch welche diese Veränderung
der Stellung bewirkt wird, müssen allerdings sowohl wahr als für
das Folgende zweckmäßig sein, nicht unnütze Querzüge,
welche einer szenischen Wirkung zu Liebe, ohne Nutzen für Handlung
und Charaktere, eingerichtet werden.
Bei ungebundener Rede ist es möglich, zahlreiche Gründe und
Gegengründe in das Feld zu führen, die Linien schärfer
zu wenden; im Ganzen bleibt der Bau, wie er oben mit einer brandenden
Welle verglichen wurde: ein allmähliches Hinauftreiben auf den Höhenpunkt,
Ergebnis, kurzer Abschluß. So ist die große Streitszene zwischen
Egmont und Oranien- wohl der am besten gearbeitete Teil des Dramas - aus
vier Teilen zusammengesetzt, vor denen eine Einleitung, nach denen der
Schluß steht. Einleitung: Oranien. Die Regentin geht ab. Egmont.
Sie geht nicht., Teil 1: Or. Und wenn ein anderer kommt? Eg. So treibt
er's wie der Vorige. 2. Or. Er wird diesmal unsere Häupter fassen.
Eg. Das ist unmöglich. 3. Or. Alba ist unterwegs. Gehen wir in unsere
Provinz. Eg. Dann sind wir Rebellen. Hier der Umschwung, von jetzt wird
Egmont der Angreifende. 4. Eg. Du handelst unverantwortlich. Or. Nur vorsichtig.
Schluß: Or. Ich gehe und betraure dich als verloren. Die letzte
Vereinigung der Streitenden in einer gemütlichen Stimmung bildet
einen guten Gegensatz zu der vorausgegangenen Heftigkeit Egmonts.
Besondere Bedeutung haben in dem neueren Drama die Szenen zwischen zwei
Menschen erhalten, in denen die Charaktere sehr entschieden einer Meinung
zu sein pflegen, die Liebesszenen. Sie sind nicht durch Tagesgeschmack
oder vorübergehende Weichlichkeit der Dichter und Hörer entstanden,
sondern durch einen uralten Gemütszug der Germanen. Seit frühester
Zeit ist der deutschen Dichtung die Liebeswerbung, die Annäherung
des jungen Helden an die Jungfrau, besonders reizvoll gewesen. Es war
die herrschende poetische Neigung des Volkes, die Beziehungen der Liebenden
vor der Vermählung mit einer Würde und einem Adel zu umgeben,
von welchen die antike Welt nichts wußte. Nach keiner Richtung hat
sich der Gegensatz der Deutschen zu den Völkern des Altertums schärfer
ausgeprägt, durch die gesamte Kunst des Mittelalters bis zur Gegenwart
geht dieser bedeutsame Zug. Auch in dem ernsten Drama macht er sich mit
hoher Berechtigung geltend. Das holdeste und lieblichste Verhältnis
der Erde wird mit dem Finstern und Schrecklichen in Verbindung gebracht,
als ergänzender Gegensatz, zur höchsten Steigerung der tragischen
Wirkungen.
Für den arbeitenden Dichter freilich sind diese Szenen nicht der
bequemste Teil seines Schaffens, und nicht jedem will es damit gelingen.
Es ist nicht ohne Nutzen, die größten Liebesszenen, welche
wir haben, miteinander zu vergleichen, die drei Szenen des Romeo auf dem
Maskenfeste und beim Balkon vor und nach der Brautnacht und die Szene
Gretchens im Garten. In der ersten Romeoszene hat der Dichter der Kunst
des Darstellers die höchste Aufgabe gestellt, in ihr ist die Sprache
der beginnenden Leidenschaft wundervoll abgebrochen und kurz, hinter dem
artigen Redespiel, das zu Shakespeares Zeit der guten Gesellschaft geläufig
war, scheint das aufglühende Gefühl nur wie in Blitzen durch.
Wohl empfand der Dichter, wie sehr darauf ein vollerer Ausdruck not tue.
Die erste Balkonszene ist immer für ein Meisterstück der Dichtkunst
gehalten worden, aber wenn man die hohen Schönheiten ihrer Verse
zergliedert, wird man vielleicht überrascht sein, wie wortreich und
unumschränkt genießend die Seelen der Liebenden schon mit ihrem
leidenschaftlichen Gefühl zu spielen wissen. Schöne Worte, zierliche
Vergleiche sind so gehäuft, daß wir zuweilen die Kunst als
künstlich empfinden. Für die dritte, die Morgenszene, ist die
Idee alter Minne- und Volkslieder der Wächterlieder
- in reizender Weise verwertet.
Auch Goethe hat in seiner schönsten Liebesszene volkstümliche
Erinnerungen poetisch verwertet: er hat die Liebeserklärung in seiner
Weise aus kleinen epischen und lyrischen Momenten zusammengefaßt,
die er- doch nicht ganz günstig für eine große Wirkung
- durch den schneidenden Gegensatz Martha und Mephisto unterbricht. Auch
der Umstand erinnert an den großen lyrischen Dichter, daß
Faust darin zurücktritt und die Szenen nicht viel anderes sind als
Selbstgespräche Gretchens. Aber jedes der drei kleinen Stücke,
aus denen sich das Bild zusammensetzt, ist von wunderbarer Schönheit.
Dem schwungvollen Schiller wollte es dagegen in seiner Jambenzeit mit
diesen Szenen nicht mehr recht gelingen. Am besten noch in der Braut von
Messina. Aber im Tell ist die Szene zwischen Rudenz und Bertha ohne Leben,
und selbst im Wallenstein, wo sie durchaus notwendig war, hat er ihr durch
die Anwesenheit der Gräfin Terzky einen Dämpfer aufgesetzt,
Thekla muß den Geliebten vom Heerlager und von dem Astrologenzimmer
unterhalten, bis sie endlich in kurzem Alleinsein die bedeutsame Warnung
aussprechen kann.
Die glänzenden Beispiele Shakespeares und Goethes zeigen auch die
Gefahr dieser Szenen, es wird noch davon gesprochen. Da das Austönen
lyrischer Empfindungen auf der Bühne trotz aller Dichterkunst bei
längerer Ausdehnung den Hörer zuverlässig ermüdet,
so wird die lohnende Aufgabe des dramatischen Dichters, ein kleines Ereignis
zu erfinden, in welchem das heiße Gefühl des liebenden Paares
sich bei gemeinsamer Teilnahme an einem Moment der Handlung ausdrücken
kann, er erhält dadurch die dramatische Schnur, an welcher er seine
Perlen aufreiht. Das süße Liebesgeplauder, welches sich Selbstzweck
ist, wird er mit Recht scheuen, und wo es unvermeidlich wird, durch Schönheit
der Poesie ersetzen, was er solchen Szenen als gewissenhafter Mann an
Ausdehnung nehmen muß.
Der Eintritt einer dritten Person in den Dialog gibt demselben einen anderen
Charakter. Wie das Bühnenbild durch den dritten Mann einen Mittelpunkt
und eine Gruppenaufstellung bekommt, so wird auch für den Inhalt
der Dritte oft der Vermittler oder Richter, welchem zwei Parteien ihre
Gründe an das Herz legen. Die Gründe beider Parteien werden
in solchem Falle zugleich für ihn nach seinem Wesen eingerichtet
und erhalten schon dadurch etwas Bewußtes, weniger Unmittelbares.
Der Lauf der Szene wird langsamer, zwischen Rede und Gegenrede tritt ein
Urteil ein, welches sich ebenfalls dem Hörer bedeutsam darstellen
muß.
Oder der dritte Schauspieler ist selbst Partei und Bundesgenosse einer
Seite. In diesem Fall werden die Äußerungen der einen Partei
schneller, bewegter herausbrechen müssen, weil dem aufnehmenden Hörer
größere Anspannung der Aufmerksamkeit zugemutet wird, indem
er Wesen und Inhalt zweier Persönlichkeiten in die eine Waagschale
zu stellen hat.
Der dritte, seltnere Fall endlich ist, daß jeder der drei Charaktere
seinen Willen gegen den der beiden andern stellen will. Solche Szenen
werden als ein Ausklingen einer gelösten Spannung zuweilen verwendbar,
sie haben nur ein kurzes Resultat zu ziehen, denn die drei Sprechenden
halten dann in der Tat Monologe. So die Szenen mit Margaretha in Richard
III., wo der eine Charakter die Melodie, die beiden andern Parteien in
Kontrasten die Begleitung geben. Szenen solches Dreispiels werden aber
in größerer Ausführung fast nur dann Bedeutung gewinnen,
wenn wenigstens der Eine in verstelltem Spiel auf den Standpunkt eines
anderen übergeht.
Szenen, welche mehr als drei Personen zu tätiger Teilnahme an der
Handlung versammeln, die sogenannten Ensembleszenen, sind ein unentbehrlicher
Bestandteil unseres Dramas geworden. Sie waren der alten Tragödie
unbekannt, ein Teil ihrer Leistungen wurde durch die Verbindung der Solospieler
mit dem Chor ersetzt. Sie umschließen in dem Drama der Neuzeit nicht
vorzugsweise die höchsten tragischen Wirkungen, obgleich ein großer
Teil der lebendigsten Aktionen in ihnen ausgeführt wird. Denn es
ist eine nicht genug beachtete Wahrheit, daß weniger spannt und
fesselt, was aus Vielen entsteht, als was aus der Seele der Hauptgestalten
lebendig wird. Die Teilnahme an dem dramatischen Leben der Nebenpersonen
ist geringer und das Verweilen mehrer Beteiligten auf der Bühne mag
leicht das Auge zerstreuen, die Schaulust mehr als nützlich erregen.
Im Ganzen ist das Wesen dieser Szenen, daß sie bei guter Führung
durch den Dichter lebhaft beschäftigen und eine durch die Haupthelden
erregte Spannung lösen, oder daß sie helfen, eine solche Spannung
in der Seele der Hauptgestalten hervorzurufen. Sie haben deshalb vorzugsweise
den Charakter vorbereitender oder abschließender Szenen.
Es bedarf kaum der Erwähnung, daß ihre Eigentümlichkeit
nicht jederzeit hervortritt, wenn mehr als drei Spieler auf der Bühne
sind. Denn auch, wo wenige Hauptrollen allein oder fast ausschließlich
die Handlung darstellen, mögen Nebenfiguren in ziemlicher Anzahl
wünschenswert sein. Leicht mag eine Ratsversammlung, eine Prunkszene
viele Schauspieler auf der Bühne versammeln, ohne daß diese
sich bis zu tätigem Anteil erheben.
Die erste Vorschrift für den Bau der Ensembleszenen ist: sämtliche
Personen charakteristisch und förderlich für die Handlung zu
beschäftigen. Sie sind wie eine geladene Gesellschaft, für deren
geistige Tätigkeit der Dichter als unsichtbarer Wirt unablässig
besorgt sein muß. Er muß beim Fortführen der Handlung
genau die Wirkung empfinden, welche die einzelnen Vorgänge, Reden
und Gegenreden auf jeden der Beteiligten ausüben.
Es ist klar, daß eine Person in Gegenwart anderer auf der Bühne
nicht aussprechen darf, was diese nicht hören sollen, die herkömmliche
Aushilfe des Beiseitesprechens darf nur in dringenden Fällen und
für wenige Worte benutzt werden. Aber eine größere Schwierigkeit
liegt darin, daß auch nicht leicht eine Rolle etwas aussprechen
darf, worauf eine andere der anwesenden Personen eine Antwort geben müßte,
welche ihrem Charakter nach notwendig, für die Handlung aber unnütz
und verzögernd wäre. Es gehört eine unumschränkte
Herrschaft des Dichters über seine Helden dazu und lebhafte Anschauung
des Bühnenbildes, um allen Mitspielern einer menschenreichen Szene
gerecht zu werden. Denn jede einzelne Rolle wirkt auf Stimmung und Haltung
der übrigen und trägt ihrerseits dazu bei, das unbefangene Aussprechen
der Anderen zu beschränken. Es wird daher in solchen Szenen sich
die Kunst des Dichters vorzugsweise darin zeigen, durch scharfe, kleine
Striche die Charaktere voneinander abzuheben. Und es ist wohl zu beachten,
daß die angemessene Beschäftigung der versammelten Personen
durch die Beschaffenheit unserer Bühne erschwert wird, welche in
ihren Kulissen die Darsteller wie in einem Saale zusammenschließt
und, wenn der Dichter nicht, was zuweilen unmöglich ist, bestimmte
Vorkehrung trifft, die Abtrennung Einzelner schwierig macht.
Ferner aber: Je zahlreicher die Mitspieler in die Szene geladen sind,
desto weniger Raum wird gewöhnlich der Einzelne behalten, sich in
seiner Eigenart zu äußern. Der Dichter wird also zu vermeiden
haben, daß der betreffende Teil der Handlung nicht durch die größere
Anzahl der Teilnehmer zerstückt wird und in kurzen Wellen eintönig
dahinläuft; und wie er die Personen in Gruppen ordnet, wird er auch
die Handlung der Szene so einrichten, daß die Bewegung der Nebenspieler
nicht die Bewegung der Hauptpersonen übermäßig beengt.
Deshalb gilt der Grundsatz: je größer die Zahl der Teilnehmer
an einer Szene, desto kräftiger gegliedert muß der Bau derselben
sein. Die Hauptteile müssen dann um so mächtiger hervortreten,
bald die einzelnen führenden Stimmen sich von der Mehrzahl
abheben, bald das Zusammenwirken der Gesamtheit im Vordergrund stehen.
Da bei größerer Anzahl von Spielenden der Einzelne leicht gedeckt
wird, so sind diejenigen Stellen der Ensembleszenen besonders schwierig,
in denen die Wirkung dargestellt wird, welche das Verhandelte auf die
einzelnen Beteiligten hat. Wo in diesem Fall ein kurzes, hingeworfenes
Wort nicht genügt, die Zuhörer zu unterrichten, ist eine Erfindung
nötig, welche den Einzelnen zwanglos von der Gruppe löst und
in den Vordergrund stellt. Es ist ganz untunlich, in solchem Falle die
dramatische Bewegung der Mehrzahl plötzlich zu unterbrechen und die
Übrigen zu stummen und tatlosen Zuschauern der geheimen Offenbarungen
Einzelner zu machen.
Je rascher die Handlung im Zusammenspiel fortläuft, desto schwerer
wird solches Isolieren der Einzelnen. Hat die Handlung aber eine gewisse
Wucht und Höhe erreicht, so wird es der größten Kunst
nicht immer möglich, einem Hauptschauspieler Raum zu wünschenswerter
Darlegung seiner innersten Stimmung zu geben. Und deshalb gilt für
diese Szenen das dritte Gesetz. Der Dichter wird seine Personen nicht
alles sagen lassen, was für sie bezeichnend und für ihre Rolle
an sich nötig wäre. Denn hier besteht ein innerer Gegensatz
zwischen dem Erfordernis der einzelnen Rolle und dem Vorteil des Ganzen.
Jede Person auf der Bühne fordert für sich Beteiligung am Fortgange
der Handlung, soweit dies ihre gesellschaftliche Stellung zu den anderen
Charakteren der Szene erlaubt. Der Dichter aber kommt in die Lage, ihr
diesen Anteil beschränken zu müssen. Auch Haupthelden müssen
häufig mit stummem Spiel begleiten, wo ihnen im wirklichen Leben
das Dreinsprechen geboten sein würde. Dem Schauspieler dagegen ist
langes Schweigen peinlich, der Nebenspieler ermattet und sinkt zum Statisten
herab, der Hauptspieler fühlt lebhaft das Unrecht, welches seiner
Rolle geschieht, weit weniger die höhere Notwendigkeit. Es genügt
für die richtige Gesamtwirkung nicht immer, daß der Dichter
auf die Bewegung der nicht gerade im Vordergrund stehenden Rollen achtet
und durch wenige Worte oder durch eine nicht ruhmlose Beschäftigung
dem Darsteller Richtung für sein stummes Spiel und Übergänge
zu den Stellen, wo er wieder eingreifen darf, gewährt. Es gibt äußerste
Fälle, wo auf der Szene dasselbe gilt, was bei großen Gemälden
gestattet wird, welche zahlreiche Gestalten in starker Bewegung und Verschlingung
zeigen. Wie dort der Schwung der Hauptlinien so wichtig ist, daß
ihm einmal die richtige Verkürzung eines Armes und Fußes geopfert
werden muß, so wird auch in der starken Strömung einer menschenreichen
Szene die für den einzelnen Charakter nötige Darstellung aufgegeben
werden müssen, aus Rücksicht auf Verlauf und Gesamtwirkung der
Szene. Damit der Dichter dergleichen gebotene Fehler aber schön verüben
könne, wird ihm die Empfindung lebhaft sein müssen, daß
es an sich Fehler sind.
Es gereicht dem Stücke tatsächlich zum Nutzen, die Zahl der
Mitspieler so viel als irgend möglich zu beschränken. Jede Rolle
mehr erschwert die Besetzung, macht bei Krankheit oder Abgang eines Schauspielers
die Wiederholung des Stückes unbequem. Schon diese äußere
Rücksicht wird den Dichter bestimmen, bei Ensembleszenen wohl zu
überlegen, welche Gestalten ihm unumgänglich notwendig seien.
Dazu kommt ein innerer Grund: je größer die Zahl der tätigen
Nebenpersonen in einer Szene ist, desto mehr Zeit nimmt sie in Anspruch.
Die Ensembleszenen sind allerdings eine wesentliche Hilfe, dem Stück
Farbe und Glanz zu geben. Sie werden ungern bei einem geschichtlichen
Stoffe entbehrt werden. Aber sie werden auch in solchem Stück mit
Maß verwendet werden müssen, weil sie mehr als andere den Erfolg
von dem Geschick des Regisseurs abhängig machen und weil in ihnen
die ausgeführte Darstellung des innern Lebens der Hauptfiguren, eine
genaue Schilderung der Seelenvorgänge, welche den höchsten dramatischen
Anteil beanspruchen, weit schwieriger ist. Die zweite Hälfte des
Stückes wird sie am lebhaftesten heischen, weil in ihr die Tätigkeit
der Gegenspieler mächtiger hervortritt, aber nur dann ohne Schaden
vertragen, wenn in diesem Abschnitt der Handlung die warme Teilnahme des
Zuschauers an den Hauptcharakteren bereits unerschütterlich festgestellt
war. Auch hier wird der Dichter sich hüten, das innere Leben der
Haupthelden für längere Zeit zu decken.
Eine der schönsten Ensembleszenen Shakespeares ist die Bankettszene
auf der Galeere des Pompejus in Antonius und Kleopatra; sie enthält
keinen Hauptteil der Handlung und ist, was bei Shakespeare in den tragischen
Teilen seiner Handlung nicht häufig ist, wesentlich Situationsszene.
Sie hat aber eine gewisse Bedeutung, weil sie am Schluß des zweiten
Aktes, also an einer Stelle steht, welche eine Auszeichnung fordert, zumal
in diesem Stück, in welchem die vorhergehenden politischen Auseinandersetzungen
ein buntes und belebtes Bild sehr wünschenswert machten. Die Fülle
der kleinen charakterisierenden Züge, welche in dieser Szene vereinigt
sind, das knappe Zusammenfassen derselben, vor allem aber die technische
Anordnung sind bewunderungswürdig. Die Szene wird eingeleitet durch
eine kurze Unterredung der Diener, wie sie bei Shakespeare nicht selten
ist, um das Aufstellen der Tische und Geräte auf seiner Bühne
zu vermitteln. Die Szene selbst ist dreiteilig. Der erste Teil stellt
das übermütige Geplauder der versöhnten Triumvirn und die
Pedanterie des trunkenen Schwachkopfes Lepidus dar, auf den schon die
Diener hingewiesen haben; der zweite in furchtbarem Gegensatz die heimliche
Unterredung des Pompejus und Mänas; der dritte, durch das Hinaustragen
des trunkenen Lepidus eingeleitet, die Steigerung des wüsten Bacchanals
und die überhandnehmende Trunkenheit. Die Verbindung der drei Teile,
wie Mänas den Pompejus zur Seite zieht, wie Pompejus wieder an der
Person des Lepidus anknüpfend das Gelage fortsetzt, ist sehr beachtenswert.
Kein Wort in der ganzen Szene ist unnütz und bedeutungslos, der Dichter
empfindet in jedem Augenblick die Lage der einzelnen Gestalten, auch der
Nebenfiguren, jede greift fördernd in den Verlauf ein, für den
Regisseur wie für die Rollen ist das Ganze meisterhaft zurechtgemacht.
Von dem ersten Bericht des Antonius über den Nil, durch welchen das
Bild der Kleopatra auch in diese Szene hineingetragen wird, und dem einfältigen
Dreinreden des Lepidus: - Ihr habt seltsame Schlangen dort
-, durch welches ein Eindruck in die Seelen der Zuhörer geworfen
wird, welcher auf den Schlangentod der Kleopatra vorbereitet, bis zu den
letzten Worten des Antonius: Gut, gebt die Hand, Herr, in
denen der Berauschte unwillkürlich die Überlegenheit des Cäsar
Augustus anerkennt, und bis zu den folgenden trunkenen Reden des Pompejus
und Enobarbus gleicht Alles feinziselierter Arbeit an fest zusammengefügten
Metallgliedern.
Belehrend ist der Vergleich dieser Szene mit dem Schluß des Bankettaktes
in den Piccolomini. Die innere Ähnlichkeit ist so groß, daß
man die Meinung erhalten muß, Schiller habe die Shakespearesche
Ausführung vor Augen gehabt. Auch hier ist eine Dichterkraft zu bewundern,
welche eine große Anzahl von Gestalten mit unumschränkter Sicherheit
zu leiten weiß, auch hier ein großer Reichtum von bedeutenden
Momenten und kräftige Steigerung im Bau. Aber was für Schiller
bezeichnend ist, diese Momente sind zum Teil episodischer Natur, das Ganze
breiter und größer angelegt. Dies letzte freilich mit Berechtigung.
Denn die Szene steht nicht am Ende des zweiten, sondern am Ende des vierten
Aktes, und sie enthält einen wesentlichen Teil der Handlung, die
Erlangung der verhängnisvollen Unterschrift, sie würde also,
auch wenn das Bankett nicht den gesamten vierten Akt füllte, eine
größere Anlage gehabt haben. Ihre Anordnung ist genau wie bei
Shakespeare.* Zuerst eine einleitende Unterredung der Diener, welche aber
zu unverhältnismäßiger Breite ausgesponnen ist; die Beschreibung
des Pokals hat kein Recht uns zu beschäftigen, weil der Becher selbst
mit dem Stück weiter nichts zu tun hat und die zahlreichen Seitenlichter,
welche aus dieser Beschreibung auf die Gesamtlage fallen, nicht mehr stark
genug sind. Dann eine ebenfalls dreiteilige Handlung, erstens: Bemühung
Terzkys, von Nebenfiguren die Unterschrift zu erhalten, zweitens: im scharfen
Gegensatz dazu das kurze Gespräch der Piccolomini, drittens: die
Entscheidung als Streit des trunkenen Illo mit Max. Auch hier ist der
Verband der einzelnen Szenenteile sorgfältig. Octavio führt
durch das vorsichtige Ausforschen Buttlers leise die Aufmerksamkeit aus
der bewegten Gruppe der Generäle heraus auf seinen Sohn, durch das
Suchen des fehlenden Namens wird die volle Aufmerksamkeit auf Max geleitet;
worauf der trunkene Illo sich wieder zuerst sehr bedeutsam an Octavio
wendet, bevor er mit Max zusammenstößt. Die Verbindung und
Lösung der einzelnen Gruppen, das Herausheben der Piccolomini, die
Handlung des Höhenpunktes, das bewegte Zwischenspiel der Nebenfiguren
bis zu dem kräftigen, kurzen Schluß sind sehr schön.
________
* Der Akt ist zweiteilig. Der erste vorbereitende Teil enthält drei
kurze dramatische Bestandteile: den Eintritt des Max, die Vorlegung der
gefälschten Urkunde durch die Intriganten, den Anschluß Buttlers
an sie. Von da beginnt, ebenfalls durch Unterredung der Diener eingeleitet,
der große Schluß. Die zechenden Generäle darf man nicht
den ganzen Akt in dem Mittel- und Hintergrund der Bühne sehen, die
Bühne zeigt besser ein Vorzimmer des Bankettsaals durch Pfeiler und
Hinterwand von diesem getrennt, so daß man die Gesellschaft bis
zu ihrem Eintritt am Schluß nur undeutlich erblickt und nur einzelne
bequeme Rufe und Bewegungen der Gruppen aufnimmt. Schiller war im Wallenstein
noch ein sorgloser Regisseur, von da ab tat er mehr für die szenische
Anordnung. Zu den Besonderheiten der scharfen Zeichnung in dieser schönen
Szene gehört die teilnahmlose Versunkenheit des Max, - sie ist von
Kleist im Prinz von Homburg wunderlicher wiederholt worden. Nicht durch
Schweigen kennzeichnet Shakespeare die Träumenden, sondern durch
zerstreute und tiefsinnige Reden.
______
Wir besitzen außerdem noch zwei mächtige Massenszenen von Schiller,
die größten aus der großen Zeit unserer Dichtkunst: die
Rütliszene und den ersten Akt des Demetrius. Beide sind Muster, welche
der angehende Dramatiker nicht nachahmen, aber in ihrer hohen Schönheit
sorgfältig beachten soll. Was man auch gegen den dramatischen Bau
des Tell sagen muß, auf einzelnen Szenen ruht ein Zauber, der immer
auf's Neue zur Bewunderung hinreißt. Auch in der Rütliszene
ist die dramatische Bewegung eine verhältnismäßig gehaltene,
die Ausführung breit, prächtig, voll schöner Lokalfarbe.
Zuerst gibt eine Einleitung die Stimmung. Sie besteht aus drei Teilen:
Ankunft der Unterwaldner, Unterredung Melchtals und Stauffachers, Begrüßung
der Schwyzer. Man beachte wohl, daß der Dichter vermieden hat, durch
dreimalige Betonung des Eintritts der drei Kantone zu ermüden. Zwei
Hauptgestalten heben sich hier kräftig von den Nebenfiguren ab und
bilden für die Einleitung einen kleinen Höhenpunkt, die Zerrissenheit
durch mehre gleichschwebende Momente wird verhindert. Mit dem Eintritt
der Urner, welcher durch ihr Horn, das Herabsteigen vom Berge und die
Reden der Anwesenden hinreichend betont ist, beginnt sogleich die Handlung.
Diese Handlung läuft fünfgeteilt fort. Erstens Einrichtung der
Tagsatzung mit kurzen Reden und kräftiger Beteiligung der Nebenspieler.
Darauf Stauffachers großartige Darstellung vom Wesen und Zweck des
Bündnisses. Nach diesem mächtigen Hervortreten des Einzelnen
drittens bewegter Streit der Ansichten und Parteien über die Stellung
des Bundes zum Kaiser, viertens hohe Steigerung der Gegensätze bis
zum ausbrechenden Streit über die Mittel, sich von der Gewaltherrschaft
der Vögte zu lösen, und Abstimmung über die Beschlüsse.
Endlich fünftens der feierliche Schwur. Und nach solchem Abschluß
der Handlung ein Ausklingen der Stimmung, welches seine Klangfarbe von
der umgebenden Natur und der aufgehenden Sonne erhält. Bei dieser
reichen Gliederung ist die Schönheit in den Verhältnissen der
einzelnen Teile besonders anziehend. Der Mittelpunkt dieser ganzen Gruppe
von dramatischen Momenten, Stauffachers Vortrag, tritt als Höhenpunkt
heraus. Darauf als Abstich die unruhige Bewegung in den Massen, die eintretende
Befriedigung und der hohe Aufschwung! Nicht weniger schön ist die
Behandlung der zahlreichen Nebenfiguren, das selbständige Eingreifen
der einzelnen kleinen Rollen, welche in ihrer Bedeutung für die Szene
mit einer gewissen republikanischen Gleichberechtigung nebeneinander stehen.
Das größte Muster für Staatsaktionen ist die prachtvolle
Eröffnungsszene des Demetrius, der polnische Reichstag. Der Stoff
dieses Dramas machte die Mitteilung vieler Voraussetzungen nötig,
die seltsamen Schicksale des Knaben Demetrius erforderten außerdem
eine starke Anwendung besonderer Farben, um die fremdartige Welt poetisch
nahe zu bringen. Schiller machte mit der ihm eigenen kühnen Hoheit
die epische Erzählung zum Mittelpunkt einer reich ausgestatteten
Schauszene und umgab den langen Bericht des Einzelnen mit leidenschaftlicher
Bewegung der Massen. Auf eine kurze Einleitung folgt mit dem Eintritt
des Demetrius die vierteilige Szene: 1. die Erzählung des Demetrius;
2. die kurz zusammenfassende Wiederholung derselben durch den Erzbischof
und die ersten Wellen, welche dadurch in der Versammlung aufgeregt werden;
3. die Bitte des Demetrius um Unterstützung und die Steigerung der
Bewegung; 4. die Gegensprache und der Einspruch des Sapieha. Die Szene
endigt mit Tumult und plötzlichem Abbruch. Durch ein kleines dramatisches
Moment wird sie mit dem darauf folgenden Zwiegespräch zwischen dem
König und Demetrius verbunden. Die Bewegungen der Nebenpersonen sind
kurz und heftig, der Stimmführer wenige, außer Demetrius ist
nur der eine Widerspruch Erhebende kräftig von der Masse abgehoben.
Man empfindet und erfährt, daß die Masse schon vorher gestimmt
ist, die Erzählung des Demetrius bildet in ihrer schmuckvollen Ausführung
den Hauptteil der Szene, wie dem ersten Akt geziemte.
Goethe hat uns, wenn man von den kurzen Szenen im Götz absieht, keine
Massenszenen von großer dramatischer Wirkung hinterlassen. Den Volksszenen
im Egmont fehlt zu sehr kräftige Bewegung, der schöne Spaziergang
im Faust ist aus kleinen dramatischen Bildern zusammengefügt, die
Studentenszene in Auerbachs Keller beabsichtigt keine tragische Wirkung
und hat für den Darsteller des Faust den Übelstand, daß
sie ihn müßig und unbeschäftigt auf der Bühne läßt.
Besondere Unterstützung durch den Regisseur fordern die Aktionsszenen,
in denen größere Massen wirken. Wenn auch unsere Bühnen
in dem Chorpersonal der Oper eine ziemliche Anzahl von Mitspielern bereit
haben und diese Helfer noch durch Statisten zu verstärken gewöhnt
sind, so ist doch die Zahl der Personen, welche auf der Bühne versammelt
werden können, oft verschwindend klein gegen die Menschenmenge, welche
im wirklichen Leben an einer Volksszene, an einem Gefecht, an einem großen
Aufruhr teilnehmen. Leicht empfindet deshalb der Zuschauer vor den eingeführten
Haufen die Leere und Dürftigkeit. Auch hier stört, daß
das moderne Theater wenig geeignet zur Aufstellung größerer
Massen ist. Nun ist allerdings die äußerliche Anordnung solcher
Szenen zum großen Teil in den Händen des Regisseurs; aber der
Dichter hat die Aufgabe ihm leicht zu machen, daß er durch seine
Kunst den Schein belebter Menschenmenge hervorbringe.
Schon Einzug und Abgang einer größern Anzahl von Personen nimmt
Zeit in Anspruch und zerstreut die Aufmerksamkeit, diese muß also
durch spannende kleine Erfindungen und durch die Verteilung der Masse
in Gruppen zusammengehalten werden.
Der Bühnenraum muß so eingerichtet sein, daß die verhältnismäßig
geringe Zahl der wirklich vorhandenen Spieler nicht übersehen werden
kann, durch Versatzstücke, gute Perspektiven, ein Aufstellen an den
Seiten, welches die Phantasie auf größere unsichtbare Mengen
hinleitet, die sich durch Zeichen und Rufe hinter der Szene bemerkbar
machen, usw.
Glänzende Schauaufzüge, wie Iffland der Jungfrau von Orleans
einrichtete, wird sich der Dichter eines Trauerspiels mit Fug verbitten,
die Gelegenheit dazu soviel als möglich vermeiden.
Dagegen sind solche Massenwirkungen, wobei die Menge in lebhafter Bewegung
sich tummelt, Volksszenen, große Ratsversammlungen, Lagerbilder,
Gefechte, zuweilen wünschenswert.
Für Volksszenen ist die schöne Behandlung Shakespeares zum oft
nachgeahmten Vorbild geworden: kurze, schlagende Reden einzelner Volksfiguren,
fast immer in Prosa, unterbrechende und belebende Rufe einer Menge, welche
von einzelnen Führern ihre Anregung erhält. Es lassen sich aber
durch eine Volksszene auf der Bühne noch andere Wirkungen hervorbringen,
nicht die höchsten dramatischen, aber doch bedeutende, welche zur
Zeit noch wenig von unseren Dichtern verwertet worden sind.
Da wir auch bei Volksszenen den Vers nicht aufgeben sollen, wird schon
durch diesen eine andere Behandlung des Haufens geboten, als Shakespeare
liebte. Nun ist die Einführung des alten Chors allerdings unmöglich;
die Neubelebung, welche Schiller einmal versucht hat, dürfte trotz
der Fülle von poetischer Schönheit, welche in den Chören
der Braut von Messina entzückt, keine Nachahmung finden; aber zwischen
den Hauptspielern und einer größern Anzahl von Nebenfiguren
ist noch ein anderes dramatisch bewegtes Zusammenspiel denkbar, welches
die Führer sowohl der Menge verbindet als gegenüberstellt. Nicht
nur kurze Rufe, auch Reden, welche mehre Verse umfassen, erhalten durch
das Zusammensprechen Mehrer mit eingeübtem Tonfall und Zeitmaß
eine gesteigerte Kraft. Der Dichter wird bei derartiger Einführung
der Menge in Stand gesetzt, ihr einen würdigeren Anteil an der Handlung
zu geben, er wird in dem Wechsel zwischen einzelnen Stimmen, dem Drei-
oder Vierklang und der Gesamtheit, zwischen helltönendem Tenor und
kräftigem Baß zahlreiche Nuancen, Steigerung und Färbung
hervorzubringen vermögen. Bei solchem Zusammensprechen größerer
Massen hat er darauf zu achten, daß der Sinn der Sätze auch
der Wucht und Energie des Ausdrucks wohl entspreche, daß die Worte
leicht verständlich und ohne Mißlaut seien, daß sich
die einzelnen Satzteile gut voneinander abheben.
Es ist nicht wahr, daß diese Behandlung an Stelle einer mannigfaltigen
und naturwahren Bewegung auf der Bühne eine gekünstelte setzt,
denn auch die herkömmliche Art und Weise, Volksszenen einzurichten,
ist eine überkommene, künstliche, welche den Verlauf nach einem
Schema umbildet. Die hier vorgeschlagene Weise ist nur wirkungsvoller.
Der Dichter mag bei ihrer Anwendung seine Kunst verstecken und durch Abwechselung
im Gebrauch der mehrstimmigen Rede und Gegenrede Mannigfaltigkeit hervorbringen.
Das klangvolle Zusammensprechen eignet sich nicht nur für lebhaftes
Wortgefecht und Erörterungen, es ist für jede Stimmung, welche
in einer versammelten Menge aufbraust, zu gebrauchen. Auf unseren Bühnen
wird bis jetzt das Einüben des Zusammensprechens unverantwortlich
vernachlässigt, es ist oft nichts als schwer verständliches
Geschrei. Der Dichter wird deshalb wohltun, in seinen Textbüchern
für die Bühne genau die Stimmengruppen zu unterscheiden. Für
solche Bezeichnung muß er selbst die Wirkungen deutlich vorausgefühlt
haben.
Die Gefechte sind auf der deutschen Bühne übel berüchtigt
und werden von dem vorsichtigen Dichter vermieden. Ursache ist wieder,
daß unsere Theater dergleichen schlecht machen. Shakespeare hatte
eine unleugbare Vorliebe für kriegerische Bewegungen der Massen,
er hat sie auch in seinen späteren Stücken durchaus nicht beschränkt.
Und obgleich er selbst gelegentlich mit geringer Achtung von den Mitteln
spricht, durch welche Gefechte auf seinem Theater dargestellt wurden,
so ist man doch berechtigt anzunehmen, daß er sie sorgfältiger
ferngehalten hätte, wenn sie nicht seinen Zuschauern sehr angenehm
gewesen wären. Solcher Eindruck war aber bei einem waffenfreudigen
Volke, welches alle kriegerischen Leibesübungen noch mit Leidenschaft
trieb, nur möglich, wenn bei diesen Szenen eine gewisse Kunst und
Technik zutage kam und wenn das unvermeidliche Konventionelle der Bühne
nicht den Eindruck des Kläglichen machte. Szenen wie das Gefecht
des Coriolanus und Aufidius, des Macbeth und Macduff, die Kampfszenen
in Richard III. und Julius Cäsar sind so wichtig und bedeutsam, daß
man sieht, wie sicher Shakespeare ihren Wirkungen vertraute. In neuer
Zeit hat man auf der englischen Bühne diese kriegerischen Effekte
wieder mit einem Aufwand von Hilfsmitteln zu erhöhter Wirkung herausgeputzt
und die Zuschauer nur zuviel damit beschäftigt. Wenn in Deutschland
immer noch zuwenig dafür geschieht, so darf diese Nachlässigkeit
für den Dichter kein Grund werden, sich ängstlich davon fern
zu halten. Es sind Hilfswirkungen, die ihm wohl einmal gute Dienste leisten
können. Er soll sich selbst ein wenig kümmern, wie dergleichen
gut eingerichtet werden kann, und darauf achten, daß die Bühnen
ihre Schuldigkeit tun.
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