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Gustav Freytag


Die Valentine. DritterAkt

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Worterklärung
Worterklärung
Erste Szene.

Ein geschmückter Baumgang im Park. Im Hintergrunde Lampen und Maskengewühl. Ferne Musik.

Wöning und der Marschall, beide maskiert, die Larven in der Hand, von verschiedenen Seiten.

Hofmarschall: Alles Suchen ist vergeblich, sie ist nicht unter den Masken.
Wöning: Sie muß hier sein, ich weiß aus guter Quelle, daß sie heute Abend nach dem Pavillon zurückgekehrt ist und den Willen hatte, zu kommen. Sie muß hier sein, Gurten, oder wir haben ein hohes Spiel verloren.
Hofmarschall: Aber bei allen Göttern, wenn sie die Laune hat, nicht hier zu sein –
Wöning: So sind wir verloren. Merken Sie auf, Gurten. Der Fürst muß in diesen Tagen unauflöslich mit der Geldern verbunden werden, es koste was es wolle. Heut steht er noch in hellen Flammen und ich habe ihm Champagner darauf gegossen. Dauert aber die Zurückhaltung der Baronin nur noch kurze Zeit, so wird sein beweglicher Sinn ihrer überdrüssig und er nähert sich der Prinzeß, die ihn anbetet. Diesen Valentinscherz hat uns die Hölle selbst zugeschickt, die Prinzeß aber weiß ihn vortrefflich zu benützen.
Hofmarschall: Das ist ja entsetzlich!
Wöning: Der Fürst darf die Prinzeß nicht liebenswürdig finden, wo möglich nie eine ebenbürtige Ehe schließen, sonst verlieren Sie –
Hofmarschall (erschrocken): Pst!
Wöning: Das Ordensband, das Ihnen von unseren geheimen Verbündeten zugesagt ist.
Hofmarschall: Und was verlieren Sie?
Wöning: Die Quelle, aus der ich meine Schulden bezahle. Sie sehen, ich bin offen. Meine Gläubiger drängen; wenn ich nicht in kurzer Frist den Agnaten# des Fürsten die Anzeige mache, daß der Fürst mit der Geldern vereinigt ist, so bin ich ruiniert.
Hofmarschall: Sie sind ruiniert, lieber Graf, seit ich Sie kenne. Aber was können wir wagen?
Wöning: Einen Gewaltstreich. Die Baronin kokettiert, der Fürst glüht, die Entscheidung muß bald eintreten; wenn die Baronin hier ist, heut.
Hofmarschall: Also heut.
Wöning: Eine ihrer Kammerfrauen ist in meinem Solde. Wenn die Baronin heut auf das Fest kommt, so wird in ihrer Wohnung vorbereitet.
Hofmarschall: Still, dort naht eine Maske. Es ist dieser Saalfeld.
Wöning: Wie kommt das Subjekt auf den Maskenball?
Hofmarschall: Die Prinzeß befahl, ihn einzuladen.
Wöning: Ha, schon so viel Terrain gewonnen! Ich hasse den Menschen.
Hofmarschall: Mir ist er unheimlich; ich fürchte, er hat bereits falsch mit uns gespielt, dieser Herr Saalfeld. Ich will doch dem Fürsten darüber einen Wink geben.
Wöning: Und ich suche die Baronin. (Beide ab.)

Georg (dunkler Burnus#, um den spitzen Hut die weiße Schärpe).

Georg: Der Maskenball geht zu Ende und Valentine ist nicht hier. Ich danke dir, mein Gott! – Sie zürnt mir, aber sie will den Fürsten vermeiden. – Ah, ein Rendezvous (nimmt die Larve vor.)

Marie (die ihn beobchtet hat, die Larve vorhaltend).

Marie: Mein Herr schwarzer Ritter, welche Geheimnisse entdecken Sie in diesem dunklen Buchengange?
Georg (die Larve abnehmend): Keine, welche ein Verrat an der Hoheit sind.
Marie (die Larve abnehmend): Wo ist die Baronin?
Georg: Ich hoffe, in der Residenz.
Marie: Und wann wird sie zurückkommen?
Georg: Leider weiß ich das nicht, Durchlaucht.
Marie: Und in welcher Eigenschaft sind Sie hier?
Georg: Als Verbündeter der Baronin. Ich wache für Eure Durchlaucht.
Marie: Ich glaube Ihnen. (Halblaut schnell.) Seien Sie auf Ihrer Hut, man verleumdet Sie beim Fürsten.
Georg: Das erwarte ich.
Marie: Graf Wöning weicht dem Fürsten nicht von der Seite, der Fürst ist zerstreut und unruhig. Man intrigiert.
Georg: Wofür?
Marie: Ich weiß es nicht, man spricht leise.
Georg: Dank, Durchlaucht, ich werde den Vorteil meiner hohen Verbündeten wahrnehmen.
Marie: Folgen Sie mir. Ich will Sie in dem Gewühl der Masken anreden, Sie erhalten dadurch Gelegenheit, in der Nähe des Fürsten Ihre Beobachtung selbst zu machen. (Beide ab.)

Valentine (Überwurf einer Pilgerin, die Larve in der Hand, rasch auftretend).

Valentine: Da bin ich! – ich bin beleidigt, so tief, wie je ein Weib beleidigt war. Verhöhnt von einem fremden Abenteurer, gedemütigt in meinem innersten Fühlen; das ertrage ich nicht länger. Wer ist er, daß er sich frech zu meinem Tyrannen aufwirft, mir trotzig den Weg vorschreibt, den ich zu gehen habe? Ich muß ihn strafen durch meine Gegenwart, ich bin mir keiner Schuld bewußt und will den Weg selbst finden, auf dem ich schreite. Er aber muß hinweg von diesem Hofe, hinweg aus meinem Leben! – Man kommt! (die Larve vor, wendet sich zum Abgange.)

Fürst. – Hofmarschall, Graf Wöning im Hintergrunde.

Fürst (ihre Hand fassend): Wohin, Pilgerin? die Freude lacht auf dem Pfade, den du wandelst, laß mich mit dir ziehen.
Valentine: Seit die Freude in den Dienst der Hoheit getreten ist, suchen auch wir Pilger die Hoheit (nimmt die Larve ab). Ich habe sie gefunden.
Fürst: Und ich die Göttin dieser Tage. Holde Herrin, was haben wir verbrochen, daß Sie Ihr Antlitz verhüllen?
Valentine (lächelnd): Vielleicht war ich so eitel, zu wünschen, man möchte mich vermissen.
Fürst: Dann heißen Dank, daß Sie uns wiederkehren! – Gnädige Frau, Sie haben mich verraten; war ich nicht wert, Ihr Ritter zu heißen?
Valentine: Wir Frauen lieben es nicht immer, wenn die Herolde ausrufen, daß man uns huldigt.
Fürst: Wenn Sie die Huldigung verschmähen oder wenn Sie erhören wollen?
Valentine (lächelnd): Wenn wir die Huldigung fürchten.
Fürst: Valentine! – Und war dies der einzige Grund, der Sie von uns trieb?
Valentine: Ich war verstimmt, mein Fürst, die Einsamkeit war mir nötig. Ich habe in dem Geräusch dieser Tage Stoff zum Nachdenken gefunden.
Fürst: Und doch war es Ihre glänzende Laune allein, welche mir das Treiben wert machte. Und Sie selbst schienen sich darin zu gefallen; auch der Schützling, welchen Sie uns sandten, beweist das.
Valentine: Gerade seinetwegen wollte ich Eurer Durchlaucht ein Bekenntnis ablegen. Er ist nicht mehr das, was Sie „meinen Schützling“ nennen.
Fürst: Sie geben ihn auf?
Valentine: Ich finde keinen Geschmack an seinen Einfällen.
Fürst (bei Seite): Zürnt sie ihm, weil er mich bei dem Valentinsfest ungeschickt liierte? Dann habe ich gewonnen! (Laut.) In diesem Falle soll er Sie nicht mehr belästigen.

Georg (hinten). Wöning. Hofmarschall.

Valentine:
Da ist er!
Fürst: Treten Sie näher, Herr Saalfeld. (Georg, Wöning, Hofmarschall nach vorn.) In der Ordnung unserer Feste sind Änderungen eingetreten. Wir bedauern, Ihr Talent von heut ab nicht mehr beschäftigen zu können.
Georg (ehrerbietig, mit Selbstgefühl): Da, wo ein fremder Wille mich hereinrief, darf ein fremder Wille mich auch entfernen. (Mit Bedeutung.) Nur da, wo ich mich selbst einführte, wähle ich selbst die Stunde des Abgangs. Euer Durchlaucht Befehl hat mich hierher geführt, ich werde auf Euer Durchlaucht Befehl von heut ab den Hof meiden.
Fürst: Für heut sind Sie uns als Gast willkommen. (Ab mit dem Marschall und Wöning.)
Georg (ihnen nachsehend): Wozu das? Wir waren mit einander zu Ende, bevor wir mit einander anfingen.
Valentine: Wir aber sind noch nicht am Ende.
Georg: Nein, gnädige Frau, und wir werden sobald nicht dazu kommen.
Valentine: Es soll sogleich geschehen.
Georg: Ich bin neugierig.
Valentine: Sie haben sich in mein Leben eingedrängt, hastig, anmaßend, übermütig; Sie haben den Stolz einer Frau, die Ihnen kein Leid zugefügt hat, tödlich verletzt, das verzeihe ich Ihnen.
Georg: Nein, gnädige Frau, verzeihen können Sie das nicht, und Sie tun es auch nicht. Sie müssen mich entweder hassen, und das tun Sie in diesem Augenblick recht herzlich, - oder lieben; ein drittes gibt's nicht zwischen uns.
Valentine: Nun wohlan, Übermütiger, ich hasse Sie. Aber das ist nicht alles. Sie haben sich mit frechem Hohn zu meinem Ritter gemacht, Sie tragen meine Farbe. Ich fordere meine Schärpe zurück, die an Ihrem Hute hängt.
Georg: Ich gebe sie nicht, Madonna.
Valentine: Sie haben die Schärpe genommen, nicht erhalten.
Georg: Ja, und gerade deshalb will ich sie nicht zurückgeben.
Valentine: Ich habe Ihnen zu dem Diebstahl kein Recht, auch nicht den Schein eines Rechtes gegeben.
Georg: Ja, Madonna, es gab einen Augenblick, wo Sie mir erlaubten, in Ihrer Seele zu lesen, damals gaben Sie mir das Recht, Sie zu lieben.
Valentine: Ohne Wortstreit, wollen Sie mir die Schärpe zurückgeben?
Georg: Nein!
Valentine: Nun denn, so zwingen Sie mich, etwas Unweibliches zu tun und mein Eigentum dem Diebe zu nehmen. (Sie nimmt ihm den Hut vom Kopfe, reißt die Schärpe ab, läßt sie halb betäubt fallen und tritt mit dem Fuße darauf.)
Georg (steht unbeweglich – hebt schnell seinen Hut auf und küßt ihre ausgestreckte Hand – weich). Gute Nacht, Valentine! Vergessen Sie nicht, daß Sie die Schärpe zerreißen konnten, nicht aber meine Liebe! (Ab.)
Valentine (finster): Er ist ein Dämon! (Schnell ab.)

Benjamin.

Benjamin
(aus einem Busch im Vordergrunde hervorkriechend, ihr die Faust ballend und nachsehend). Warte nur, du Stolze, morgen um diese Zeit wirst du dein Silberzeug vergeblich suchen. – Es ist richtig, die Amsel hat's herausgebracht, heut Nacht wird bei ihr eingebrochen. – Aber was wird mein Herr dazu sagen? O, mein Herr ist ein Teufel, ein harter, gefühlloser Mensch, und ich bin unglücklich, seit ich in seinen Diensten bin. Sonst stahl ich in heiterer Gemütsruhe, jetzt habe ich nichts als Ärgernis. Gestern liegt ein türkischer Pfeifenkopf, dick mit Silber beschlagen, auf seinem Tische; ich werfe nur einen ganz kleinen Blick darauf, er aber hatte den Blick doch gesehen und spricht: „Benjamin, nimm dir den Kopf, er gehört dir.“ (Heftig.) Was geht es ihn an, wenn ich seine Pfeifenköpfe ansehe? Wie kann er sich unterstehen, mir etwas zu schenken, was ich mir selbst hätte stehlen können? Ich stecke den Kopf in die Tasche, aber ich zittere vor Wut, es war keine Ehre dabei, ich verachte sein Geschenk. Heut Morgen zündete ich ihm den Kopf wieder an und überreichte ihn bei der Morgenpfeife. Da gab er mir die Hand und sagte: Ich danke dir, lieber Mann, (lächelnd) er gab mir die Hand und sagte: Lieber Mann und ich danke! – Er ist ein harter Mensch, und sobald die drei Tage um sind, nehme ich meine Beine auf den Rücken und laufe ihm fort und müßte ich in ein Mauseloch kriechen. – Und was mache ich mit dem Diebstahl? Verrate ich ihn meinem Herren, so bin ich nicht ehrlich gegen meine alten Kameraden; verrate ich ihn nicht, so bin ich unehrlich gegen meinen Kontrakt! O es ist ein schwieriger Kasus#, und der Kontrakt ist an alle dem schuld! – Ich will gar nichts tun, das wird das Klügste sein, aber ich will mich vor dem Hause auf die Lauer legen. (Ab. Es wird dunkel, die Masken haben sich verloren, die Lampen werden ausgelöscht.)

Fürst. Wöning.

Fürst:
So sei es gewagt. – Fedor, ich wünsche mir etwas von deiner Unverschämtheit.
Wöning: Die brauchen Sie nicht, Sie haben bessere Verbündete, die Hoheit und die Liebe.
Fürst: Ja, seit heute Abend glaube ich, daß sie lieben kann.
Wöning: Bei Hofe plaudert man, die Baronin bete Sie heimlich an, aber ihr Stolz verhülle das sorgfältig.
Fürst: Gerade diesen Stolz fürchte ich; ich gestehe dir, daß ich eine Art Scheu vor ihr habe.
Wöning: Solche Scheu ist nach Mitternacht stets geringer als vorher.
Fürst: Und wie soll ich sie sprechen?
Wöning: Die Baronin entläßt regelmäßig vor dem Schlafengehen ihre Kammerfrauen, um noch eine Stunde in dem Salon zu arbeiten. Dort können Durchlaucht sie finden.
Fürst: Wie aber willst du mich zu ihr hineinschaffen, hast du Flügel?
Wöning: Meine Flügel bestehen aus einer seidenen Strickleiter, die an den Balkon geworfen sich festhakt. Die Balkontür wird unverschlossen sein; auch dafür ist gesorgt, daß die Baronin nicht in der ersten Überraschung entfliehen kann. Ich werde unten Wache halten.
Fürst: Fedor, du bist mein Mephisto. Aber ihre Augen locken unwiderstehlich, ich folge dir! (Beide ab.)

Zweite Szene.

Valentinens Gartensalon. – An der Decke hängt eine matt erleuchtende Ampel.

Valentine. Kammerfrau.

Kammerfrau
(setzt einen Armleuchter an den Tisch, schiebt einen Armsessel in die Nähe des Lichtes.)
Valentine: Ich bedarf deiner nicht mehr. – Vergiß nicht, die Balkontür zu schließen. (Kammerfrau geht ab, kommt wieder, Valentine nimmt die Ohrringe ab.) Die Diamanten lege in das Etui. (Kammerfrau tut es und stellt ein rotes Etui auf den Tisch.) Wo ist das Buch?
Kammerfrau:
Hier, gnädige Frau.
Valentine: Was hat du? du bebst ja wie Espenlaub! (Gütig.) Bist du krank?
Kammerfrau (zitternd): Ich fühle mich unwohl.
Valentine: Dann schnell zu Bett, ich werde nachsehen, wie es dir geht; gute Nacht. (Kammerfrau ab, Valentine allein, setzt sich in den Fauteuil#, hält das Buch ungeöffnet in der Hand, steht auf, geht umher.) Ich habe ihn entfernt, ich habe mich gerächt, und doch bin ich nicht mit mir zufrieden. Und er, wie er sich über meine Hand beugte, auf seinen Lippen dasselbe stolze Lächeln, in seinen Worten der kalte Trotz, wie demütigte mich das wieder! – ich muß die Szene vergessen. (Setzt sich, nimmt das Buch, schlägt es auf, heftig.) Ich kann nicht lesen! Wie ein Gespenst verfolgt mich das Bild, der durchdringende Blick seiner Augen, hinweg mit ihm! – Und wer ist er? Es muß ein seltsames Leben gewesen sein, welches den Mann gezogen hat. – Die Lady kann das wissen, ich will ihr deshalb schreiben. (Nimmt das Buch, liest. – Pause. Geräusch am Balkon.) Was bewegt sich dort?
Fürst (im Kostüm des Balles, dunkler Mantel darüber).
Valentine: Gerechter Gott, ein Mann! (Will zur Seitentür.)
Fürst (faßt sie bei der Hand): Valentine, fliehen Sie nicht.
Valentine (tonlos): Es ist nur der Fürst. – Was bewog Eure Durchlaucht zu diesem ungewöhnlichen Besuch?
Fürst: Die Sehnsucht, Sie zu sprechen. Hören Sie mich an, Valentine. Nur der Wunsch, Ihnen nahe zu sein, hat mir Freude an dem übermütigen Treiben dieser Tage gegeben. Sie müssen das wissen, denn ich habe es Ihnen nie verborgen. Für Sie ersann ich ein Spiel, welches mir gestattet hätte, durch einige Wochen mit größerer Vertraulichkeit um Ihre Liebe zu werben. Durch einen Zufall, vielleicht durch Sie selbst, ist das vereitelt, ich sehe keine Möglichkeit, Ihnen unter der Maske des Scherzes ein leidenschaftliches Gefühl auszusprechen. Deshalb hülle ich mich in den Mantel der Nacht, um Ihnen zu sagen: Valentine, holde Freundin, ich liebe Sie!
Valentine: Und deshalb kommen Eure Durchlaucht bei Nacht? – Aus Liebe zu mir dringen Sie, dem Räuber gleich, in den Frieden meines Hauses? Durchlauchtigster Herr, die Liebe schont und ehrt; für das Gefühl aber, welches Sie in dieser Stunde zu mir trieb, gibt es einen anderen Namen.
Fürst: So stolz, gnädige Frau? Nennen Sie mein Werben schonungslos, zürnen Sie dieser Überraschung, aber denken Sie auch, daß ich gewagt habe nicht ohne Hoffnung auf Ihre Gunst.
Valentine (für sich): Wehe mir, daß er Recht hat!
Fürst: Sie haben meine Huldigungen geduldet; Ihr Mund schwieg, aber Ihr Lächeln sprach, und wenn Ihre Worte mich abwiesen, so rief doch Ihr Auge mich zurück. War ich anmaßend, wenn ich darauf vertraute? Und wissen Sie, Valentine, wie wir Männer das nennen? es heißt: Ermunterung.
Valentine (heftig): Ich fluche jeder Stunde, wo ich sie gab – ja, es ist eine harte Wahrheit in Ihren Worten, und daß Sie mich so tief erniedrigen, mir mein Unrecht in diesem Augenblick vorzuwerfen, ist das Bitterste von allem. (Die Hände ringend.) O mein Gott, wohin ist es mit mir gekommen!
Fürst (bei Seite): Ihr Schmerz tut mir weh, ich spiele in dieser Szene eine schlechte Rolle; (leise) Valentine, schmerzt Sie mein Anblick?
Valentine: Ich fühle mich elend. Ihre Gegenwart in dieser Stunde verdammt mein bisheriges Leben.
Fürst: Wohlan, ich will Sie von meiner Gegenwart befreien; lassen Sie mich aber mit der Hoffnung scheiden, daß sich Ihr Herz, welches im Dunkel der Nacht verschlossen ist, im Strahl der Sonne Ihrem Freunde wieder öffnen wird.
Valentine (mit unterdrücktem Gefühl): Nie!
Fürst: Rauben Sie mir die Hoffnung nicht, sie ist der einzige Trost, den ich mit mir nehme. Suchen Sie diese Stunde zu vergessen.
Valentine: Ich will daran denken, so oft ich an meine Sünden denke.
Fürst: Gute Nacht, Valentine; ich werde mir morgen Ihre Verzeihung erbitten. (Ab.)
Valentine (sich an den Sessel haltend): Unerhört! gemißhandelt wie eine Dirne. – Der Boden wankt unter meinen Füßen und nirgend ein Halt, an den ich mich klammern kann. (Ein Stein, mit Papier umwunden, rollt durch die offene Balkontür. – Valentine zuammenfahrend.) Was fällt hier? Ein Papier, darin ein Stein. (Hebt auf, tritt zum Licht). Das Blatt ist beschrieben. (Liest.) „Der Besucher hat seine Strickleiter vergessen, ich kann sie von unten nicht lösen. Ziehen Sie herauf, schließen Sie die Tür. Saalfeld.“ – Er und wieder Er. Er hat gesehen, daß der Fürst dort hinabstieg, jetzt wird er mich verachten – das ertrage ich nicht. (Steht nachdenkend, dann schnell zum Tisch, auf das Blatt schreibend und sprechend:) „Ich muß Sie sprechen!“ – Der Mond geht auf, er kann es lesen – schnell (wickelt das Papier wieder um den Stein, wirft ihn zum Balkon hinunter und bleibt gespannt stehen).

Georg.

Georg
(nach einer Pause auftretend, wirft die Strickleiter auf den Boden): Hier liege, du seidene Schlange. – Ich werde hinunter springen, es ist sicherer. Erlauben Sie, daß ich die Scheiben verhülle (zieht den Türvorhang vor), diese Tür verschließe; auch das Licht muß erlöschen, es verrät durch die Schatten. (Er löscht das Licht – Halbdunkel, nur die Ampel brennt.)
Valentine (wankt, sucht sich am Sessel zu halten – Georg sieht es, führt sie in den Sessel.): Ich danke, es geht vorüber.
Georg (zieht sich an die Balkontür zurück, stützt sich an den Pfeiler und kreuzt die Arme – Pause – leise): Sie haben mich gerufen, gnädige Frau.
Valentine (sich zu ihm wendend): Was denken Sie in diesem Augenblick von mir?
Georg: Sie sind eine Heldin.
Valentine (eifrig): Zu der Beleidigung hab' ich ihm kein Recht gegeben.
Georg: Ich weiß es, es war ein Pagenstreich.
Valentine: Ob er allein den Entschluß gefaßt hat?
Georg: Graf Wöning war bei ihm.
Valentine (aufspringend): Ha, der Bube! Wo blieb der Graf?
Georg: Er liegt am Boden.
Valentine: Sie haben ihn erschlagen?
Georg: Nur betäubt, er hat eine Katzennatur. – (Frage und Antwort müssen schnell folgen.)
Valentine (setzt sich – Pause): Saalfeld, ich frage nicht, wie Sie unter mein Fenster kamen. Sie haben mir gesagt, Sie liebten mich. Ich bedarf jetzt der Freundschaft mehr als der Liebe, können Sie mein Freund ein?
Georg: Ich kann es, gnädige Frau; ich stand schon bei Ihrem Hause, als der Fürst heraufstieg.
Valentine: Und Sie haben es geduldet?
Georg: Und welches Recht habe ich auf Ihre Gunst? – Keines. Mein Recht ist nur, Ihnen zu dienen, Ihr freies Recht aber ist, den Mann zu wählen, den Sie durch Ihre Liebe beglücken.
Valentine: Das ist groß gedacht - aber kalt.
Georg (ruhig): Nein, gnädige Frau, es ist nur vernünftig, aber es wurde mir sehr schwer. (In seine Bluse fassend.) Die Brust wurde mir wund durch meine eignen Hände.
Valentine (nach einer Pause): Ich fürchte Sie, Saalfeld.
Georg (an ihren Stuhl tretend): Das tun Sie nicht, gnädige Frau, denn Sie wollen mir vertrauen.
Valentine: Ich fürchte Ihren Blick, der in meiner Seele liest, eine Leidenschaftlichkeit, die sich hinter kalter Ruhe verhüllt. (Bittend.) Ich muß Ihnen das sagen, denn ich fühle die Notwendigkeit, mich auf Sie zu stützen. – Bevor ich Sie frage, was ich nach der heutigen Nacht tun soll, müssen Sie meine Beichte hören.
Georg: Ich höre.
Valentine: Ich war noch ein Kind, als ich einem ungeliebten Gatten vermählt wurde, vor seinem Tode hatte ich jedes Elend einer vornehmen Ehe erfahren. Als ich frei wurde, genoß ich meine Freiheit in vollen Zügen; ich wurde genußliebend, gefallsüchtig; mein Stolz war mein einziger Schutz. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Italien, dem glücklichsten Teil meines Lebens, kehrte ich an diesen Hof zurück. Der junge Fürst zeichnete mich aus, ich gewann die Prinzeß Marie, ein reizendes Kind, lieb; ich fing an zu gelten, zu herrschen. Ich wurde Diplomatin. Ich bekam Gelegenheit, durch geheime Korrespondenz mit der verwitweten Regentin des Nachbarstaates, der Zukunft dieses Landes zu nützen.
Georg: Ha! ein projektierter Handelsvertrag, ich habe davon gehört, man fürchtet so etwas im Auslande. Das ist eine gute Arbeit, gnädige Frau.
Valentine (bittend): Es ist nicht mein Geheimnis. – Ich hielt den Fürsten in Entfernung, aber an der Kette; darin handelte ich unedel, denn ich wußte, die Prinzeß Marie liebte ihren Cousin.
Georg: Und haben Sie selbst jemals geglaubt, den Fürsten zu lieben?
Valentine: Zuweilen, denn sein Werben schmeichelte mir. – So war ich, als Sie mich fanden. Ich gefiel mir an diesem Hofe, ohne befriedigt zu sein, ich gefiel mir nur, weil man mich feierte; das war sehr schlimm, mein Freund.
Georg: O, sagen Sie das nicht! Die Liebenswürdigkeiten, der Geist einer Frau gehören dahin, wo man sich ihrer erfreut. Wo die Anerkennung fehlt, hören sie auf, selbst die Schönheit wird welk.
Valentine: Jetzt schmeicheln Sie mir.
Georg: Ich spreche die Wahrheit. Oft aber wird ein Weib bewundert, genossen und doch nicht erkannt; das ist das Unglück vieler Frauen, es war auch das Ihrige.
Valentine: Das empfinde ich in dieser Stunde. (Aufstehend.) Und jetzt, Saalfeld, was soll ich tun? Ich fühle, ich muß nach einem festen Entschluß handeln. – Ich will den Hof verlassen, ich will all diesen Intrigen den Rücken kehren und mein altes Selbstvertrauen in der Einsamkeit wiederfinden.
Georg: Dort würden Sie es ganz verlieren. - Mein Rat ist, vergessen Sie die Vorfälle dieser Nacht, verlassen Sie den Hof nicht, wenigstens jetzt nicht.
Valentine: Und das raten Sie mir?
Georg: Ja. Wenn Sie den Gefahren entfliehen, welche Ihnen hier drohen, so bleiben Sie die Besiegte; das Vertrauen auf Ihre Kraft erhalten Sie nur, wenn Sie die Gefahr besiegen. Außerdem sind Sie durch Ihr Gewissen an diesen Hof gefesselt, Sie haben ein Unrecht gut zu machen. Die Vermählung des Fürsten mit der Prinzeß Marie ist nicht nur eine politische Notwendigkeit, sie ist auch für Ihre Beruhigung notwendig, denn Sie haben dieselbe bis jetzt verhindert und die Prinzeß Marie ist ihre Freundin.
Valentine: Sie haben Recht, ich bleibe. Und wie soll ich dem Fürsten gegenübertreten?
Georg: Seien Sie gegen den Fürsten und die Prinzeß gerade so, wie Sie gegen sich selbst sind, wahr und offen. Vergangenes behandeln Sie mit Gleichgültigkeit.
Valentine: Und werden Sie mir dabei helfen? Ich selbst habe Ihnen in meiner Verblendung den Hof unmöglich gemacht.
Georg: Es ist vielleicht besser so, ich passe nicht dorthin und kann Ihnen mehr nützen, wenn ich im Stillen Ihr Freund bleibe. So lange Sie mich bedürfen, verlasse ich diese Gegend nicht.
Valentine: So sei es. (Bittend.) Und jetzt entfernen Sie sich. (Ihm die Hand reichend.) Ich werde ruhig sein.
Georg (ihre Hand haltend, treuherzig): Gute Nacht. Vergessen Sie nicht – (bleibt in lauschender Stellung stehen).
Valentine: Was starren Sie?
Georg: Still! Geflüster unter dem Balkon.
Valentine: Ich höre nichts.
Georg: Mein Gehör ist scharf. – Hören Sie jetzt? Der Sand knirscht, das ist der Ton einer Leiter, welche angelegt wird, ein Mann steigt herauf. Hinweg, gnädige Frau!
Valentine (ihn zu den Seitentüren ziehend): Hierher, kommen Sie! Ha! die Tür ist verschlossen – diese auch.
Georg: So lauert der Verrat auch in Ihrem Hause.
Valentine: Retten Sie mich vor der Beschimpfung!
Georg: Fassung, gnädige Frau!
Valentine (heftig): Retten Sie mich vor der Beschimpfung!
Georg (ruhig): Um jeden Preis?
Valentine (händeringend): Um jeden!
Georg: Gut. (Zieht ein Terzerol# aus der Tasche, spannt den Hahn.) Seien Sie ruhig, treten Sie hinter mich. (Führt sie dicht hinter die Balkontür.) – Horch, man steckt einen Dietrich in das Schloß – er paßt nicht. Jetzt einen zweiten, er schließt, ich habe aber von innen verriegelt. – Ah, es sind nur Diebe, diese Waffe wird unnötig. (Setzt das Terzerol in Ruhe und steckt's ein.) Das ist der Ton eines Brecheisens – ruhig, ruhig, gnädige Frau! (Die Tür geht auf, Zigeuner steigt herein, hinter ihm der Harfner an der Tür sichtbar.)
Georg (springt hinter den Zigeuner, schmettert ihn mit einem Schlag zu Boden, der Harfner entspringt): Jetzt ihm nach! Ich ziehe den Mann auf den Balkon, leben Sie wohl, schließen Sie hinter mir die Tür.

(Lärm von außen.)

Benjamin (von außen schreiend): Hilfe! Hilfe! Diebe! Mörder!
Georg (vom Balkon zurückspringend): Ich sehe Fackeln, die Wache naht, die Leiter wird besetzt.
Benjamin (hereinspringend): Hilfe! Diebe! Mörder! Hier, haltet fest! (Packt Georg.)
Georg: Du Thor!
Benjamin (prallt zurück): Was ist das? – Retten Sie sich. (Am Balkon.) Teufel, es ist zu spät.
Georg: Wirf die Leiter um. (Benjamin tut's. Georg faßt die erstarrte Valentine, trägt sie blitzschnell auf's Sofa.) Bleiben Sie still liegen. Sie haben geschlafen. Ha, ein Schmuck! – Sie sprachen zu mir: retten Sie mich vor Beschimpfung um jeden Preis. Ich zahle den Preis, Sie sind gerettet! (Reißt vom Tisch da Schuckkästchen, hebt es in die Höhe und steckt's in die Tasche.) Schnell, deinen Hut, Benjamin, jetzt bin ich ein Dieb, du kennst mich nicht; halte mich fest und mache Lärm.
Benjamin: Alle Teufel! (Mit ihm ringend.) Diebe! Räuber! haltet fest!

(Soldaten zum Balkon heraufsteigend, die beiden Türen werden erbrochen.)

Lieutenant v. Stolpe. Wache.

Benjamin:
Hilfe! ich halte den Dieb, Hilfe!
v. Stolpe: Faßt den Schurken. (Georg plötzlich ruhig, finster.) Bindet ihn, durchsucht die Taschen. (Sie tun es.) Ein Terzerol, ha, ein Diamantenschmuck! Auf der Tat ergriffen! – Hier liegt der Zweite.
Georg: Den hat euer Helfer erschlagen, der dort, er soll mir's bezahlen.
Benjamin (sehr erstunt): Ich? Ja o, ich verstehe. – (Zum Lieutenant.) Ja, Euer Gnaden, dem habe ich das Geschäft verdorben.
v. Stolpe: Hebt ihn auf, er ist nur betäubt. – Auch den Mann nehmt mit euch.
Benjamin (sich sträubend): Mich? Wie so? Das ist gegen die Gesetze.

Wöning (schnell auftretend, den Kopf verbunden)

Wöning: Den Mann laßt frei, er hat mir geholfen, die Schurken festzunehmen. – Himmel, Sie hier, gnädige Frau?
Valentine (richtet sich starr von dem Sofa auf).
Wöning:
Die Räuber sind gefangen, heran mit den Fackeln, beleuchtet die Vögel! – Ha, Saalfeld – ein Dieb!
Georg: Ja, ich bin ein Dieb, Sie aber sind ein Schurke!
Wöning (wütend): Führt sie fort, - ins Gefängnis.

(Georg sieht Valentinen an, bedeutet ihr zu schweigen; ab mit Wache, Wöning, Offizier.)

Valentine
(sinkt mit einem Schrei zu Boden; Benjamin folgt händeringend den Abgehenden).


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